Sentimentale Eichen
Münsterland-Krimi
Oldenburg 2012, 158 Seiten, Softcover,
12,80 €, Schardt Verlag
Münster im Hochsommer. Kriminalkommissar und Exil-Kölner Gisbert van de Loo ist noch nicht richtig warmgeworden mit der Domstadt, jedenfalls hat er seine Probleme mit der westfälischen Mentalität. Als er zusammen mit seinem behäbigen, wortkargen Kollegen Strothkamp einen Kunstraub aufklären soll, bricht er nicht gerade in Begeisterungsstürme aus. Das Bauhaus-Museum ist erst vor einem Jahr in der kleinen Stadt Steinfurt-Borghorst eröffnet worden, und nach dem Verschwinden eines Gemäldes bangt man um den guten Ruf. Der Vorsitzende der Stiftung ist um Diskretion bemüht, denn am Tatort sind keinerlei Einbruchsspuren zu finden, und ein Täter aus dem Umfeld des Museums läge nahe. Ihr Halbwissen in Sachen Kunst machen die Kommissare mit kriminalistischem Scharfsinn und einer guten Portion Menschenkenntnis wett. Am Ende des Sommers können sie nicht nur eine unerwartete Lösung des Falls präsentieren, sondern müssen zudem feststellen, dass es nicht so wichtig ist, aus welcher Gegend man in Nordrhein-Westfalen kommt, sondern dass man sich im richtigen Moment aufeinander verlassen kann.
Textprobe:
Kapitel 1
Arschloch!, dachte van de Loo. Eben war der Vorstandsvorsitzende der großen
Versicherung an ihm vorbeigegangen. Van de Loo hatte freundlich gegrüßt; man
war sich bei der ein oder anderen Gelegenheit bereits begegnet. Mehr als ein
angedeutetes Nicken jedoch hatte der Anzugträger nicht für van de Loo übrig
gehabt. Entweder war er zu wichtig oder zu sehr Westfale, um einem
zugezogenen rheinischen Beamten sein Guten Tag zu erwidern. Van de Loo warf
einen Blick auf die Schlagzeile seiner Zeitung. Der nette Herr bei Mühlensiepen,
dem Tabakladen am Drubbel, hielt immer ein Exemplar der Rheinischen Post für
den Rheinländer in der Fremde zurück. Gisbert van de Loo las etwas, was sich
um Israelis und Palästinenser drehte und dachte: „Wie soll das funktionieren,
wenn schon Westfalen und Rheinländer sich nicht mal grüßen können!“ Er knüllte
die ungelesene Zeitung in einen der Abfallbehälter im Schatten von Lambertis
Turm. Am Prinzipalmarkt wartete er auf die Linie zum Friesenring. Das
Schaufenster des riesigen Klamottentempels spiegelte seine nur mittelgroße,
aber noch relativ schlanke Silhouette. Ein beginnender Bauch unter einem
dünnen Pullover war sich mit 40 doch durchaus zu gönnen, fand van de Loo; die
Jeansjacke darüber hatte die besten Zeiten aber wirklich hinter sich. In der
Scheibe war schmeichelhafterweise seine vor Übermüdung graue Haut nicht so
deutlich sichtbar, dafür konnte man die dünnen Stellen im Haar gut erkennen und
der Bart, naja. Van de Loo drehte sich weg. Der Bus war pünktlich, gottlob, denn
van de Loo schmerzten noch immer die Füße.
Am vergangenen Freitag hatte er am alljährlichen Betriebsausflug seiner
Abteilung teilgenommen. Unter der Führung ihres Chefs, dem angeblich
begeisterten Wanderers Dr. Waldbröker, waren sie mit dem Bus zum
Hermansdenkmal bei Detmold aufgebrochen, um in der Umgebung eine „kleine
Strecke“ gemeinsam zu gehen, wie es in der Einladung hieß. Der Chef hatte den
Manageranzug gegen robuste Freizeitkleidung getauscht, sich sogar mit Hut und
Stock ausstaffiert, wirkte aber genauso geleckt wie im Büro. Van de Loo hatte
sich in dem dichten Wald ein wenig wie umstellt gefühlt. Er war ja als
Flussmensch einen weiten Blick und, wie er es einmal über seine Landsleute
gelesen hatte, gewohnt, dass Dinge vorbeizogen. Die Kollegen aber schienen
sich damals allesamt wie endlich zu Hause zu fühlen, es schien van de Loo, als
sei es tief im Blut der gebürtigen Westfalen verankert, durch den Wald zu
stapfen, sich um Bäume herumzuschlängeln, als seien sie gar nicht da. An der
Seite von Olga Stanic, der Sekretärin des Chefs, die sich ebenso unwohl zu
fühlen schien wie er, war van de Loo durch das Laub geschlurft, immer wieder
zurückbleibend, immer wieder an Wurzeln hängenbleibend, vorneweg die
Kollegen, von den Wanderschuhen an den Füßen beflügelt wie von
Siebenmeilenstiefeln. Van de Loo vermutete, obwohl sie alle mehr oder weniger
wichtige Vertreter der sogenannten Staatsgewalt waren- wäre ihnen ein
Römertrupp begegnet, sie alle hätten sich auf ihn gestürzt. Es schien eine
Blutssache zu sein. Gerne hätte van de Loo einmal eine Statistik gesehen, in der
untersucht wurde, auf welche Arten Menschen in verschiedenen Regionen
Selbstmord begingen. Er wäre sicher gewesen, in Westfalen hängte man sich
auf.
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