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Dichterhain, Bände 1 bis 4

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Freitag, 9. März 2012

Für Sie besucht: Harry Rowohlt live in Neunkirchen/Saar

Harry Rowohlt, Jahrgang 1945, gebürtiger Hamburger, Halbbruder vom Verleger Heinrich Maria Ledig-Rowohlt, lebt heute in seiner Heimatstadt. Der Übersetzer und Vortragskünstler, Selfmade-Anglist/-Amerikanist mit einem Kurzzeitstudium von 2,5 Stunden an der Ludwig-Maximilians-Universität München, Obdachloser in der „Lindenstraße“ und grimmig dreinblickender Vollbart mit Esprit, besuchte das Saarland. Am 4.3.'12 war er in der Stummschen Reithalle, Neunkirchen/Saar zu sehen und bereitete den Besuchern vergnügliche drei Stunden Abschweifungen, Geistreiches, Freches, Konsternierendes, Gesungenes und Witziges. 

Der mehrfache Preisträger, Sprecher von „Pu der Bär“ (Goldene Schallplatte 2000), ist auch seit 1996 Ambassador of Irish Whiskey, was wir später live zu hören bekamen. Manchen fällt bei seinen Übersetzungen gerade seine aktuelle Übersetzung des „Romans in Fragen“ von Padgett Powell ein, ein Meisterwerk der Assoziationsorgie und Abschweifketten. So buntschillernd und ungewöhnlich, wie er durch die Presse wandert, untergräbt er auch sämtliche Erwartungshaltungen an einen Vortragskünstler. Nicht nur die sprachgewaltige Darbietung kommt auf einen zu, sondern die Kunst des Verweisens auf Wichtiges im Nebensächlichen und ganz woanders. Zu Beginn seiner Lesung (aus dem Buch Gum und Rowohlt) gönnte er uns allen erst mal eine Anschleimphase, in der er gerne Blitzlichtgewitter über sich ergehen lässt, sofern es stattfindet, und klärte er alle offenen Fragen. Dass er nun neuerdings auf seinen Wein bei der Lesung verzichtet hängt damit zusammen, dass er diese leidige Polyneuropathie bekommen habe, die sich eben auch bei Abusus einstellen könne. Wir erfuhren am Ende des Abends, dass es wie Laufen in Cowboystiefeln sei, in denen ein starres Noppenfußbett läge, und das unter dem Diktat des Bewegungszwangs zur Schwierigkeit mutierte. Er beschränke sich nun auf die Quartalstrinkerei und gibt sich zu diesen Terminen dann die vom Arzt „empfohlene“ Kante. 


Wir hörten einiges aus „Sie sind ein schlechter Mensch, Herr Gum!“ von Andy Stanton, erfuhren etwas über „The Dead“ von John Houston, einer Verfilmung von James Joyces Vorlage. Und über das Thema Prominente pobeln, am Beispiel des Nationaltrainers Jogi Löw und des eigentlich deutschen Prinz Charles aus UK, der ebenfalls sehr prominent diese Tradition aufrecht hält. Während wir durch die Wohnung des Messis Gum geführt wurden, machte uns Rowohlt klar, dass Schauspieler nichts taugen..., Ralf Wolter (1926) zum Beispiel, der in unzähligen Rollen zu sehen war. 1962 in der ersten Winnetou-Verfilmung spielte Wolter die skurrile Figur des Trappers Sam Hawkens („wenn ich mich nicht irre, hihihi“), den hilfreichen Begleiter der beiden Helden Winnetou (Pierre Brice) und Old Shatterhand (Lex Barker). Harry Rowohlt könnte Sam vielleicht sogar besser spielen ... In absoluter Selbstverliebtheit lobt er sich doch lieber selbst, wenn er zur Selbstergötzung je eine Magister- und eine Staatsexamensarbeit zur Eddie-Dickens-Trilogie von Philip Ardagh, die er übersetzte, liest. Lesealterangaben sind ihm suspekt, denn wer mit 5 zu doof ist, eine Geschichte zu verstehen, versteht sie mit 99 auch noch nicht...

Seine (Zeit-)Kolumnen haben es natürlich auch in sich, wir bekamen mindestens drei, nämlich die vom 11.8.2011, die vom Mai 2011 und eine von 1997 als Hintergrundgeschehen genannt – er schaffte es vom Leserbriefschreiber zum Kolumnist - der ganze Abend übrigens unterbrochen durch insistierende penetrante Werbung für die anwesende Buchhandlung aus Neunkirchen, die alle seine eigenen und genannten Werke zum Verkauf anböten. In der aktuellsten Kolumne kam er auf der Fahrt von St. Pöltgen nach Hütteldorf so vom Thema ab, dass er bei den österreichischen Nana-Witzen landete. Einer davon? Ein Patient muss rektal ernährt werden... Der Pfleger führt einen Applikator ein, der zu Stöhnen beim Patient führt. „Zu heiß?“, erkundigt sich der Pfleger, worauf er zur Antwort bekommt: „Na,na, zu süß ...“
Wir lernten seine Familie kennen, der Vater bei den Soldatenräten in Wilna 1917, direkter Draht zur USDP, der Opa als Kommunist im Bochumer Gefängnis, die Mutter mehrfach agitatorisch tätig und einkassiert, auch mal Tischdame bei Hitler, weil sie eine nötige Ähnlichkeit mit einer BDM-Frau aufwies. Die Deutschen wären eben gut im zackigen Umorganisieren, genauso wie das Polizeikorps in Stuttgart die irische Hymne als Marsch spielte, sodass die Sportler ihre Hymne nicht erkannten und auch nicht mitsangen... Wie sie wirklich geht, hörten wir von ihm später dann live, er hängte auch noch die 
Hamburger Hymnen A und B an. Der wirklich gute Autor Irlands heißt für ihn übrigens nicht James Joyce, sondern Flann O´Brien, von dem er alles übersetzte, was es gab. Aber wie es so ist, werden die wirklich Guten nicht erkannt, so auch bei Marcel Reich-Ranicki, der alle guten Autoren in Deutschland verpennt hätte, Frank Schulz z.B. aus Hamburg, den er, HR, wärmstens empfiehlt. 


Rowohlt wird in Erfurt als Punk-Ikone geschätzt, erzählte er während der Fahrt nach Heathrow (Kolumne 2), was ihm so nicht plausibel sei, aber es ändere nichts daran, dass die 9 % aktiven Christen, die das Sagen haben wollen, eigentlich ganz ruhig sein sollten. Denn wie es in dem zitiertem Witz (ganz anders als im Johannes-Evangelium 8,7, wer ohne Sünde sei, soll die Ehebrecherin zuerst bewerfen) heißt, der Stein wurde nicht auf Jesus als Sündenfreien geworfen, sondern paradoxerweise auf eine Dirne. Und bei Kolumne 3 landeten wir bei der Presse. Das Zitiertwerden in der Presse und im Radio ist Harry Rowohlt ein Graus, weil es immer verkehrt wäre. Wahrscheinlich verhören sich alle ... Nicht ausgelassen hatte er noch die obligatorische Veräppelung seiner Lieblingsfeinde Bremer, allesamt nur Bonsai-Hanseaten, das Bonsai ließ er sich mehrfach genüsslich über den Gaumen klingen … im Vergleich zu den Hamburger Hanseaten alle sozusagen nur Miniaturen ... 
Harry Rowohlt ist ein echtes Urgestein, eine Institution, aufbegehrend, analysierend, querdenkend, intelligent motzend und durch seine langen Assoziationsketten nach Stunden ein bisschen ermüdend, aber einfach sehens- und hörenswert!

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