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Sonntag, 18. März 2012

Buchneuerscheinung: "Heilige Scheiße" als Generalabrechnung mit den Lügen


Im Interview: Stefan Bonner und Anne Weiss


Mit dem Megabestseller „Generation Doof“ haben Stefan Bonner und Anne Weiss 2008 den Nerv der Zeit getroffen. Die Grundfrage „Wie blöd sind wir eigentlich?“ sorgte monatelang für stürmische Diskussionen in den Medien. In ihrem neuen Buch „Heilige Scheiße – Wären wir ohne Religion wirklich besser dran?“ haben die beiden Erfolgsautoren die Themen Kirche, Glaube, Spiritualität etc. genauer unter die Lupe genommen, um herauszufinden wie sehr Religion heute eigentlich noch zum Lifestyle unserer Gesellschaft passt. In vielen Einzelschritten wird die Widersprüchlichkeit und die Unglaubwürdigkeit der Religion und ihrer Vertreter gezeigt, Beispiele für die plumpe Manipulation und schlichtweg "Verschafung" und "Verherdung" der Christen gefunden. Lebensanweisungen, die die Menschen einen und erziehen sollen. Vor allem eben untertänig, kirchengläubig und nutzbar machen. Fragt sich, ob der Islam nicht genauso einfach demontiert werden kann. Macht nur keiner, weil die Dolche schon in der Luft hängen. Im Interview erzählen Bonner und Weiss, was die Zahnfee mit ihrem Glauben zu tun hat und warum Neurowissenschaftler noch nie Gott im Gehirn ausfindig machen konnten.

(Passender Pressetext der Mannheimer "religionsfreien Zone" zur Problematik)

In Ihrem Buch schreiben Sie über das Thema Religion. Glauben Sie an Gott?
Wir sind beide christlich erzogen worden. Irgendwann konnten wir aber nicht mehr an Jungfrauengeburt und Bibelwunder glauben – beides erschien uns in etwa so realistisch wie die Mär von der Zahnfee. Bislang hat noch niemand, der behauptet hat, es gäbe einen Gott, auch einen stichhaltigen Beweis geliefert. Und wenn man sich die verschiedenen Götter im Verlauf der Menschheitsgeschichte ansieht, dann scheint da eine Menge Fantasie im Spiel zu sein. Die braucht man auch, um sich zu erklären, warum ein allmächtiger und gütiger Gott Kindesmissbrauch in der eigenen Kirche oder Katastrophen wie in Japan zulässt.

Wie haben Sie für das Buch recherchiert?
In „Heilige Scheiße“ stellen wir uns die Frage, was aus dem Christentum eigentlich geworden ist. Wer weiß heute noch, woran man da genau glauben soll? Wir haben das Glaubensgebäude unter die Lupe genommen und in ganz Deutschland mit Gläubigen und Ungläubigen gesprochen, mit Kirchenleuten, Religionslehrern, Theologen und Wissenschaftlern. Im Mittelpunkt steht dabei unsere eigene Generation: Lassen sich Leute, die im Hier und Jetzt via iPhone und Facebook mit Gott und der Welt kommunizieren, Lady Gaga gut finden und Vampirgeschichten lesen noch von einem zweitausend Jahre alten Männerclub für ein biblisches Paradies begeistern, auf das man bis nach dem Ableben warten muss?

Welchen Stellenwert hat die Religion in unserer heutigen Gesellschaft?
Viele brauchen die Kirchen nicht mehr für ihre persönliche Erleuchtung – die Moralvorstellungen der Kleriker passen ohnehin nicht mehr zum modernen Lifestyle der meisten Leute. Den Glaubensinstitutionen laufen daher die Schäfchen davon, immer mehr Menschen wenden sich anderen Religionen oder der Esoterik zu. Kritiker meinen ohnehin, dass die Welt ohne Religion friedlicher wäre. Unser Buch stellt die Frage, ob wir tatsächlich darauf verzichten können.

Warum sollte man „Heilige Scheiße“ unbedingt lesen?
Weil Sie dann bei dem Thema mitreden können, das spätestens zum Papstbesuch in Deutschland die Gemüter erhitzt. Denn eine Frage lässt keinen kalt: Ist da überhaupt einer? Und wenn ja, wie viele? Unser Buch wird Sie zum Zweifeln bringen, oder es führt dazu, dass sie wieder wirklich an etwas glauben, weil Sie bewusst alle Zweifel über Bord werfen. Im besten Fall bringt es Sie auch zum Lachen – das beste Gegenmittel gegen Engstirnigkeit.

Ist es respektlos, über Religion zu lachen?
Im Alltag unterhalten wir uns selten offen über Religion. Oder wissen Sie genau, was Ihre Freunde, Nachbarn, Kollegen glauben? Glaube ist Privatsache. Ganz zu schweigen davon, dass die meisten Menschen Witze über den Glauben meiden wie der Teufel das Weihwasser. Sie haben Angst, sie könnten die religiösen Gefühle ihres Gegenübers verletzen. Dennoch ist Lachen ein unvergleichlich gutes Mittel, um bei vielen schwierigen Themen das Eis zu brechen, Menschen zu verbinden und Dinge auch mal von der anderen Seite zu betrachten.

Gibt es die Rückkehr der Religionen – oder sind wir auf dem Weg in eine gottlose Welt?
Während des Weltjugendtages 2005 sah es tatsächlich so aus, als würde sich eine ganze Generation auf den Glauben besinnen. Auch heute ist die Bekenntnis zum Glauben in den Bestsellerlisten, in vielen Talkshows und politischen Diskussionen wieder en vogue. Gefühlt leben wir in einem christlichen Staat – aber wenn man genauer hinsieht, zeigt sich ein anderes Bild: Tatsächlich leeren sich die Kirchenbänke, und die neueste Shell-Jugendstudie ergab, dass Religion bei der jungen Generation in Wahrheit nur eine mäßige Rolle spielt: Lediglich 30 Prozent glauben überhaupt an einen persönlichen Gott.

Ist das Bedürfnis nach Spiritualität im Menschen angelegt?
Zahlreiche Neurowissenschaftler haben bislang vergeblich versucht, Gott im Gehirn ausfindig zu machen. Es gibt aller Wahrscheinlichkeit nach keine natürliche Veranlagung zum Glauben. Wichtiger für die Möglichkeit, religiöse Gefühle zu empfinden sind offenbar die Erziehung und das soziale Umfeld. Es gibt eben keine christlichen Kinder, sondern nur Kinder christlicher Eltern.
Aber was ist mit Menschen, deren Eltern Atheisten waren und die später zu irgendeiner Form des Glaubens finden? Es scheint bei etlichen Menschen ein spirituelles Grundbedürfnis zu geben – ganz allgemein gesprochen die Neugier darauf, woher wir kommen und wohin wir gehen. Wie bei jedem anderen Bedürfnis sind wir aber auch hier Kinder unserer Zeit: Der wachsende Esoterikmarkt und eine Vielzahl an neuen Glaubensgemeinschaften bieten für jeden Geschmack, jeden Geldbeutel und für jedes Bedürfnis die richtige Dosis Spiritualität. Wie viel Abzocke dabei stattfindet und wie sinnvoll ist, das bleibt dahingestellt. Klar ist aber: Die Kirche ist heute nicht mehr der Hauptanbieter für die Sinnfrage – andere mischen längst kräftig mit.

Glauben Sie, wir wären ohne Religion besser dran?
Stellen Sie sich folgende Frage: Was ist das Schlimmste und das Schönste, das Religion bisher angerichtet hat? Natürlich kann man ziemlich üble Dinge damit erleben – in vielen Gemeinschaften schafft sie ein Machtgefälle, das den Gläubigen abhängig und unmündig macht. Keine gute Sache. In der Geschichte war Religion daher oft das perfekte Mittel, um Macht zu erlangen, Menschen zu unterdrücken, Geld einzutreiben und Kriege anzuzetteln. Das macht Religion nicht an sich zu einer schlechten Sache - genauso haben Menschen viel Gutes im Namen ihrer Religion getan. Was man damit anfängt, ist also Sache des Einzelnen. Und so ist es auch eine sehr persönliche Angelegenheit, ob Sie mit Glauben besser fahren oder nicht. Seien Sie sich daher selbst der Nächste und fragen Sie sich: Was gibt mir Religion, und brauche ich sie, um meinem Leben einen Sinn zu geben? Vor allem sollte ich das Manifest meines Glaubens kennen: Kann ich das alles ohne zu zögern unterschreiben? Wer das für sich mit ja beantwortet, sollte weiterhin die Kirche aufsuchen. Dies spricht für das, was viele heute denken: Religion ist Privatsache und sollte auch nur von denjenigen finanziert werden, die in der Kirche bleiben – nicht vom Staat, wie dies immer noch stark der Fall ist.

Was ist das Skurrilste, das Ihnen im Zusammenhang mit diesem Buch passiert ist?
Nachdem Stefan seine Kirchenmitgliedschaft gekündigt hatte, erhielt er einen Brief des örtlichen Pfarrers mit der Einladung zum persönlichen Gespräch. Als er einwilligte, erreichte ihn die freudige Nachricht: „Herzlichen Glückwunsch, Herr Bonner: In zwanzig Jahren Dienstzeit sind Sie der Erste, der tatsächlich zu einem Gespräch bereit ist.“ Lediglich ein anderer Abtrünniger habe sich zuvor per E-Mail auf das Schreiben gemeldet. Der Pfarrer hatte sich nach den genauen Gründen für seine Entscheidung erkundigt. Die Antwort: Der Mann habe die Nase voll von den kruden Ansichten des Papstes. Der Pfarrer informierte ihn daraufhin, dass er gerade aus der evangelischen Kirche ausgetreten sei.

Ist es doof, wenn man an etwas glaubt?
Nein – den persönlichen Glauben kann man niemandem absprechen. Für viele Menschen ist die Gewissheit, dass es einen allmächtigen Schöpfer mit einem großen Plan gibt, ja eine wichtige Stütze im Leben. Allerdings gibt es etliche, die ihren Glauben heute nicht überdenken – sie behaupten, Christ zu sein, handeln im Alltag aber ganz anders. Schlimmer noch: Sie wissen oft gar nicht, woran sie da eigentlich glauben. Statistisch gehören zwar noch Zweidrittel der Deutschen einer der christlichen Kirchen an, aber die wenigsten von ihnen wissen noch, was wir an Christi Himmelfahrt oder Pfingsten feiern; in die Kirche geht kaum einer – und obwohl sich alle auf die zehn Gebote berufen, können die meisten maximal drei davon fehlerfrei aufsagen. Doof ist es also nicht, überhaupt zu glauben, sehr wohl aber, sich zu etwas zu bekennen, von dem man keinen blassen Schimmer hat.

Wann haben Sie zuletzt gebetet?
Stefan betet meistens, wenn wir zu einer Lesung fahren und sich Anne ans Steuer des Mietwagens setzt. Anne hat dann keine Zeit zu beten. Im Ernst: Gebetet haben wir zuletzt als Kinder, als wir uns noch sicher waren, dass man damit auch was ausrichten kann und uns wirklich einer zuhört. Später ist uns aufgefallen, dass es gar nicht sein kann, dass Gott Gebete erhört und gleichzeitig noch so viel Übel auf der Welt passieren lässt. Und überhaupt: in Afrika sterben Babys, Rohöl läuft in den Golf von Mexiko, Tsunamis zerstören Atomanlagen. Warum sollte ein Gott sich da um unsere popeligen Privatprobleme kümmern? Wenn es sicher wäre, dass man nur genug beten müsste, um seine Ziele zu erreichen, dann würde der Bundestag im Kölner Dom sitzen…

Wann waren Sie zuletzt in der Kirche?
Während der Recherchen haben wir einige Messen besucht, zuletzt das Domkapitelsamt in Köln. Zuvor waren wir schon ziemlich lange nicht mehr im Gottesdienst gewesen und hofften auf ein Gefühl von Einkehr, Gemeinschaft und Besinnlichkeit. Die Ernüchterung folgte auf dem Fuße. Durch die pompöse Aufführung, die Weihrauchwolken und die prächtigen Predigergewänder fühlten wir uns sofort ins Mittelalter zurückversetzt. Die Predigt kam uns vor wie ein Strom unverständlicher Floskeln und ließ sich moralisch nicht mit unserer modernen Weltvorstellung in Einklang bringen. Das geht uns nicht alleine so – viele vor allem jüngere Gläubige, mit denen wir gesprochen haben, können mit dem, was sie dort vorfinden, nichts mehr anfangen und suchen sich andere Betgelegenheiten, zum Beispiel in unabhängigen kleineren christlichen Gemeinschaften.

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