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Dichterhain, Bände 1 bis 4

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Dichterhain, Bände 5 bis 8

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Donnerstag, 8. März 2012

Lost in the near of Luxembourg oder Endlich angekommen in Deutschland von Stefan Vieregg

Tatjana und Vassili leben schon lange in Deutschland. Sie kamen aus Sibirien, ganz weit im Osten, und lebten sehr, sehr einfach und keineswegs anerkannt in der Nähe von W. Kärglicher Lohn, große Armut und immer ziemlich stark Ausländer. So wie heute auch als deutschstämmige Ausländer in Deutschland. Wir zwei bei den Kartoffeln, sagen sie sich oft. Die Russen nennen Deutsche Kartoffeln, so wie die Amerikaner sie Krauts getauft haben. Sie haben sich über EverDarling kennen gelernt und verabredeten sich spontan zum Fasching an der Mosel. Der Rosenmontagszug in Nittel wurde ihnen empfohlen und so trafen sie sich um 10 Uhr am Bahnhof in Trier, um den letzten Weg gemeinsam zu fahren. Sie freuten sich sehr, sich zu sehen.
Vassili hatte sich als rosaroter Panther, in einem 100%-Polyester-Gewand steckend, verkleidet, was bei den Temperaturen nicht verkehrt war, aber doch ziemlich warm, weil es an der Mosel ja bekanntermaßen drunter und drüber geht. Tatjana war eine liebreizende Ballerina... Was er zu viel anhatte, fehlte bei ihr deutlich... Sie konnte zwar Bein zeigen, das war nicht das Problem... Schöne wohlgeformte Beine mit einer Faschingsstrumpfhose verziert, die sich nach oben in einer weichen Hüfte verloren, darüber ein zartviolettes Ballettkleidchen mit Rüschenrand. Ihre schwarzen Haare und blauen Augen verliehen ihr einen seltenen Reiz. Das Kleid war zu dünn. Was auch immer sie drunter trug, es konnte nicht viel sein, denn auch der Oberkörper zeigte eine natürliche Schlankheit, der Busen war echt... nein, nicht ausgestopft. In der Hand hielt sie ein kleines Silberlurextäschchen, in dem alles war, was sie heute noch brauchte: Zigaretten, Flaschenöffner, Feuerzeug, drei Kondome, Papiertaschentücher und Kleingeld. Vassili hatte sich in seinem Kostüm vorne eine Tasche eingenäht, in der er – ja, was für ein Zufall! - seine Zigaretten, Flaschenöffner, Feuerzeug, drei Kondome und Papiertaschentücher lagerte... Kleingeld auch ein wenig … Er selbst hatte seine roten Jeans an und ein dickes Fleeceshirt.

In Trier suchten sie den Zug nach Saarbrücken, der sie in Nittel absetzen sollte. Sie stiegen ein und fuhren die wundervolle Strecke die Mosel entlang nach Nittel. Nicht sonderlich groß, 1900 Einwohner mit den eingemeindeten Ortsteilen Köllig und Rehlingen, die das nie wollten, denn Rehlinger sind Rehlinger, und Kölliger Kölliger. Hier leben viele Winzerfamilien, das Dorf sieht aus wie ein Wanderschuh, der sich den Berg hinauf in die Weinberge erstreckt. Die reizvolle Landschaft wird mit hohen Dolomit- und Kalkfelsen am oberen Rand des eindrucksvollen Panoramas umrahmt. Wie eine Steinkrone sitzen die Felsen auf den Gipfeln der Hänge. Vom Fuß der Felsen ragen die Weinberge bis zur Mosel und zum Dorf hinab.

Nittel veranstaltet wie jedes Jahr einen Rosenmontagsumzug, der fast einen Kilometer lang ist. Er schlängelt sich so langsam und behäbig wie eine Python den Berg herunter, ist ordentlich bunt und dröhnt und scheppert. Die vielen herumwuselnden Arme der Schlange verteilen Wein, Sekt, Glühwein, Chips und Popcorn, Schnittchen, Bonbons, Narrenkappen und einiges mehr ... Und sie tauchen alles in Konfettis. Jeder Zuschauer zahlt einen kleinen Beitrag und bekommt alles gratis … So auch Vassili und Tatjana, die sich kaum in den Zug eingekauft mittels „Trinkobolus“ voll in die Lebensfreude stürzten und den köstlichen Elbling in großen Mengen zu trinken begannen. Elbling gibt es an der Mosel schon 2000 Jahre, weil schon die Römer diese uralte Rebsorte anbauten und pflegten und sich an ihrem vergorenen Saft stärkten. Elbling schmeckt nach Mosel, Weinberg, Muschelkalk, Liebe: lebendig, rassig, anregend und dabei leicht bekömmlich für einen unbeschwerten Genuss. Gerne trinkt man ihn über den Genuss zum Durst hin und zurück in vielen Schüben.

Vassili und Tatjana begannen immer mehr zu schunkeln, zu tanzen, sich neue Beute aus dem Zug zu besorgen, liefen um die Umzugswagen herum und sammelten auf oder nahmen entgegen, was ging. Das Tröten nahm überhand, sie stürzten die Becher, jubelten und ließen sich das goldige Nass über die Lippen und das Gesicht laufen. Die Küsse wurden immer heißer, die Blicke glühender, der Wein immer besser. Zu allem Überfluss kam noch ein Luxemburger Sektwagen vorbei. Gezogen von einem riesigen Traktor in der Preisklasse bis 500.000 EUR. Es gab Crémant bis zum Abwinken. Die beiden hängten sich ein und stürmten dem Wagen entgegen. Doch kaum war der Crémant ausgeschenkt, versaute eine Konfettiwerferin in giftigem Grün den Genuss durch eine Handvoll Konfettis in Vassilis Becher. Enttäuscht besorgten sich die Trunkenen eine neue Füllung und schon wieder wurde das Trinken verwehrt – Konfettis, dieses Mal weiße, landeten in dem edlen Getränk. Auch der dritte Becher wurde das Opfer der verrückt herumwirbelnden Faschingsgeister, die nur noch Konfettis auszuspucken schienen. Erst als der Gesandte des Großherzogs – ein riesiger Fendt 900 csi in edlem Schwarz mit Silberlackierung und Chromteilen - davon rollte, kehrte wieder Ruhe ein. Den vierten Becher konnten sie schließlich ganz in die Menge retten, um ihn dort gierig zu leeren... Die Welt in Deutschland war plötzlich schön, es machte so Spaß mit den Zuschauern zu toben und zu tanzen, zu trinken und sich in die Arme zu fallen... Als das Ende des Zuges nahte, nicht ohne vorher noch drei Becher Elbling getrunken zu haben, sahen Tatjana und Vassili, wie die Menge eine Straße ins Dorf hinunterströmte. Sie folgten den Menschen und sahen, dass sie unten die Möglichkeit hatten, noch mal den halben Zug mitzuerleben und noch einmal ungestörte Genießer des Luxemburger Crémants zu werden... Der Tag bekam eine gewaltige Biegsamkeit, die Beine tanzten alleine, und Vassili küsste und umarmte seine Tatjana immer heftiger. Sie erwiderte seine Liebe mit langanhaltenden Küssen ...

Als auch das zweite Elbling-Tsunami die beiden Liebenden überspült hatte, war den beiden, als ob sie ein riesiges Strohlager bräuchten zum Ausruhen vor ihrem heldenhaften Sturm auf die nicht mehr vorhandene Bastille des anderen. Sie wankten an die Mosel und legten sich ans Ufer. Die Kälte machte ihnen schon lange nichts mehr. Schön war es hier, die Flussreiher und tutenden Frachter, der Rosenmontag, die sich verlaufende Menge, die zumeist im Gasthof oder dem Bürgersaal weiterfeierte ... die Hand des anderen umfassend... Als es zu kalt wurde, schlug Vassili vor, Tatjana solle zu ihm in den Panther kriechen. Tatjana konnte nicht mehr darüber nachdenken und sie wollte es auch schon lange nicht mehr. Sie verschwand hinter dem Reißverschluss, bis nichts mehr von ihr zu sehen war. Ob an diesem kalten, aber wohl glückseligen Abend noch irgend etwas Großes zwischen ihnen passierte und wo sie gelandet sind, wissen nur die Flussreiher, die mit klassischer Formation und heftigem Flügelschlag sehr dicht über dem Wasser an ihnen vorbeizogen...

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