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Mittwoch, 29. Mai 2013

Wie war's in der Avenue Q im Nationaltheater Mannheim?

v.l.n.r.: Daniel; Daniel+Princeton; Kate, Brian, Christmas, Daniel, Princeton; Kate+Princeton
Fotos: Hans Jörg Michel

Ein Musical mit Puppen in der Machart von Muppetshow, Sesamstraße, Alf, (DSDS), und wie sie alle heißen. Ja, auch das geht. Und wie! AVENUE Q von Robert Lopez und Jeff Marx macht's möglich. Ab 2003 sechs Jahre im Golden Theatre im Broadway Theatre, und danach im off-Broadway-Theatre New World Stages weiter, in Europa seit 2006, zuerst Großbritannien (London), dann Schweden, Finnland und 2011 St. Gallen Schweiz, 2012 dann Erstaufführung in Deutschland im Nationaltheater Mannheim. 

Es bedarf einer Umgewöhnung, das ist klar, denn die Puppen werden von einem bis zwei Schauspielern geführt und gespielt. In Mannheim absolut wendige, gelenkige und einfühlsame Puppenträger, die die Comic-, Puppencharaktere hervorragend präsentieren. Aber wenn man sich auf diese amerikanische "Sesamstraße" oder besser "Lindenstraße" einlässt, kommt eine Menge zum Vorschein, nicht sonderlich tief, aber die Themen Rassismus, Homosexualität, Dating, One-Night-Stand, Liebe, Ehe, Partnerschaft, Pornografie, Arbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeit der (Hoch-)Schulabgänger werden angesprochen („What Do You Do with a B.A. in English?“ - wohl dieselbe Problematik wie bei uns mit dem hochfrequentierten, aber nicht akzeptierten Germanistikstudium). Die Themen werden nicht analysiert oder tiefer beleuchtet, aber sozial verträglich zu einem Ergebnis geführt.

Die Lust am Tabubruch wird immer wieder deutlich. Ob das der fesche Brian ist, dessen Sensation am Straßenfest im „Around the Clock Café“ darin besteht in Hosen, aber ohne Unterhosen aufzutreten und das ordentlich zu besingen („I'm Not Wearing Underwear Today“), oder Kate Monster und Princeton, die sich kräftezehrend nach einigen Vodka Redbull intensiv auf der Bühne lieben („You Can Be as Loud as the Hell You Want - When You're Makin' Love“) - was übrigens von Daniel (Küblböck), der in die Mannheimer Fassung geschmuggelt wurde, mit "so lang der Teufel schreit" im Schottenrock tanzend kommentiert wird -, ein Traum vom homosexuellen Leben zu zweit zwischen Rod und Nicky („Fantasies Come True“) oder der extreme Pornofreak Trekkie Monster („The Internet Is for Porn“), Toleranz wird gepredigt, nicht zuletzt auch in Sachen Rassismus („Everyone's a Little Bit Racist“). Wenn wir uns eingestehen würden, dass wir ein bisschen Rassist sind, Witze über Türken, Schwarze, Schwule - man könnte noch ergänzen - Lesben, Behinderte, Saarländer, Ostfriesen, Pfälzer, Schwaben, Bayern, Juden, Verrückte - etc. erzählen oder gut finden, wäre die Welt ein Stück besser. Das ließe sich allerdings schnell und stark bezweifeln. Vielleicht nur zur Abregung der Rassisten untereinander? Die würden dann eine Witzorgie feiern, aber sich nicht verändern, vielleicht noch mehr lachen drüber. Aber ist das zum Lachen? 


v.l.n.r.: Princeton; Mi re: Kate+Treckie; Princeton+Kate beim Sex; Lucy Schlampe; Rod+Nicky; Princeton
Fotos: Hans Jörg Michel

Die Texte sind  oft ein bisschen gegen den logischen Strich gebürstet, verfremdend ins Witzige gezerrt, kein Pathos oder hohe Philosophie, sondern Wendungen, die sich aus einem absurden, auch ein bisschen unsinnigen oder übertriebenen Licht nähren. Witzig besungen und getanzt in dieser Hinsicht die Liebe Kates zu Princeton, der in dem etwa drei- oder viertägigen Geschehen in zwei Akten Kate vernascht, sich wieder distanziert und am Ende wieder zu ihr findet. "Je mehr du jemanden liebst, desto mehr willst du ihn töten", grollt Kate.  Ihre Liebe schlägt in Mordgelüste um. Oder der Rassismussong, siehe oben. 

Das Leben in der Avenue Q ist dennoch sympathisch. Brian und seine Chinesin Christmas Eve, die sich lieben und zanken, eine große Hochzeit feiern, die denn auch dazu dient, dass Nicky, der entdeckte, dass er schwul ist, seinen Freund Rod, der ihn aufgenommen hat, verrät bzw. bewusst outet, was Rod entsetzlich verletzt und durch eine Geschichte von einer Freundin in Kanada („My Girlfriend, Who Lives in Canada“), die ganz scharf auf ihn wäre, wieder zurechtzubiegen versucht. Die allgemeine Lebenseinstellung ist "Es kotzt mich an", und wie Princeton zu Beginn des zweiten Aktes ergänzt: "... Es kotzt mich an, 20, Single und arbeitslos zu sein". 

Sehr lyrisch und tief dagegen der Song von Kate "Nur ein schmaler Grat trennt Lüge von Flunkerei. (...) Es ist ein ganz schmaler Grat zwischen Liebe und verlorener Zeit." 

Daniel Küblböck, der uns vor 10 Jahren durch seine ungeheure Dynamik, tolle Stimme und spezielle schwule Exaltiertheit auffiel, und weil er ungerecht behandelt wurde, weil er viel besser ist, als Bohlens DSDS feststellte, taucht als Hausmeister und neugieriger Postbote im Mannheimer Musical auf und hat an allen entscheidenden Stellen eine wichtige Kommentarfunktion: "Das Leben ist nicht schwarz, das Leben ist nicht weiß, lass dir das sagen von Daniel Küblböck aus Niederbayern, der ganz unten war." 

Alle kämpfen um Arbeit, Wohnen, Liebe, Zukunft, Perspektive ... Kate verliert ihren Job, weil sie aus Liebe zu Princeton Alkohol trank, was sie gar nicht vertrug, daraufhin einem One-Night-Stand nicht abgeneigt war und am nächsten Morgen, die große Aufgabe, die Kinder im Kindergarten allein zu beaufsichtigen, komplett durch Zuspätkommen um drei Stunden versaute. 

Eine schöne Wendung im Stück, dass Nicky - durch Rausschmiss von Rod abgestraft, als Penner in der Mülltonnenlandschaft leben und betteln muss, auch Daniel lehnt ihn ab - seine "Beute" von Princeton abgenommen bekommt, um Kate Monster bei ihrer Schule (sozusagen die Selbstständigkeitslösung aus dem Jobverlust heraus) zu helfen. Über „The Money Song“ entwickelt sich eine kleine Fundraising-Orgie, und siehe da, den Riesenbatzen zur Schule stiftet Trekkie Monster, der wohl Dutzende von Millionen (!) im Pornogeschäft gemacht hatte, denn er kann 10 Mio in den Pott werfen. Lopez/Marx und Buchautor Jeff Whitty schrecken nicht davor zurück, eine Monsterssori-Schule durch Geld aus Prostitution, Gewalt und Ausbeutung zu finanzieren. Herrlich absurd und schwarzer Humor. 

Kate und Princeton kommen wieder zusammen, ihre Widersacherin Lucy, die Schlampe, die den jungen Kerl nach der Liebesnacht mit Kate gekrallt hatte, wird - große Absurdität - durch die herabfallende Glücksmünze, die Kate von Princeton bekam und die sie nach einem geplatzten Date auf dem Empire State Building loswerden will, so schwer verletzt, dass schwere Kopfverletzung und Intensivstation aus ihr einen religiösen Menschen machen. 
Was deutlich und leitmotivisch in den Vordergrund tritt ist die Ablehnung einer Auffassung, die Beständigkeit, Bestimmung, Schicksal, Absicht, für immer und ewig propagiert. Die Hochzeit von Brian und Christmas wird entsprechend witzig kommentiert, sie führt die beiden nur von der Avenue Q in die Bronx, und auch sonst klingt es durch. Am Ende dann die Auflösung: Wir sind nur einen Moment am Leben, lieben, arbeiten, haben Freunde nur einen Moment. "Außer den Steuern und dem Tod ist alles im Leben nur - für einen Moment." 

Ein Stück für (junge) Erwachsene und Jugendliche, die durch Puppenfiguren, Comics und Familienserien geprägt sind, das Leben belachen in seinem bunten Durcheinander, die Auflösung von Formen, Anschauungen und Idealen in Witz und Humor, aber auch ernste und tiefe Worte begrüßen ... Das Mannheimer Publikum war von dieser letzten Aufführung in der Saison mehr als begeistert. Die Leute gingen heiter, befreit von Sinnhaftigkeit, teilweise tanzend aus dem Opernhaus.

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