Franz Kafkas Erzählung "Die Verwandlung" aus dem Jahr 1915 gehört mit seinen anderen Werken zu den heiß umkämpften Objekten der Begierde von Germanisten und Literaturhistorikern aller Welt. Jeder glaubt eine passende Erklärung und Interpretation gefunden zu haben, aber keiner kann wirklich Anspruch erheben die Mutter aller Deutungen gefunden zu haben. Der Leser hat ein unglaubliches Spielfeld vor sich, er vermag reinzuinterpretieren, was nur geht, persönliche Glücksmomente erleben, wenn er eine schlüssige Deutung gefunden hat, und liegt dann am Ende in den Augen der anderen doch falsch. Das ist Kafkas Welt, grotesk, unwirklich, absurd, nicht festlegbar und seiner Zeit weit voraus. Alle Kritik versteckt und vertuscht, und doch genügend Anhaltspunkte Machtverhältnisse besser zu verstehen.
In Frankfurt wird im Moment eine Theaterfassung von Jan-Christoph Gockel aus Bochum gezeigt, die zwischen Abweichung vom Original, Durchbrechung aller Illusion, und dann wieder Rückkehr, Naturtreue hin- und herpendelt. Die knapp zweistündige Fassung liefert eine sehr gelungene Interpretation des Geschehens um Gregor Samsa. Einige Regie-Kunstgriffe machen aus einem eher zu erwartenden trägen Geschehen eine runde Veranstaltung, die viel Abwechslung bietet. Es kommen quellenfremde Aspekte ins Spiel, die Bezüge zu unseren heutigen Beschäftigungsverweigerern, zur Kleinbürgerlichkeit und Arbeitslosigkeit, Bedeutung einer Beschäftigung für das Glück von Familien u.v.m. herstellen. Gregor (sehr eindringlich und konzentriert Nils Kreutinger), der Handlungsreisende, ist hier ein Aussteiger, er durchbricht die Routine und geht eines Tages nicht mehr auf Reise, seine Textilien zu verkaufen. Im Original verwandelt er sich in ein käferähnliches Insekt, liegt auf dem Rücken und kann den mächtigen Chininpanzer kaum bewegen. So wacht er in der neuen Welt auf. Bei Gockel bleibt er stärker Mensch, aber fühlt wie ein Insekt. Seine Eltern (herrlich schräg Katharina Linder als Mutter und überzeugend als Vater, besorgter, kleinbürgerlicher Wüterich und Familienkassenwart Uwe Zerwer), Schwester Grete (kess, frech, aber auch devot und abenteuerlustig Luana Velis), die er ernährte, bangen um seinen Ausfall, nicht um Gregor. Der Geldfluss könnte versiegen. Er wird ein Außenseiter, weil er nicht funktioniert, wie er soll. Vorbei der tägliche Gang zur Arbeit, die Verkaufsreise, das Heimkehren, Aufstehen vor sieben Uhr, er kann sein Zimmer gar nicht mehr verlassen, er will es auch nicht mehr. Die Eltern erkennen bei Gockel mit Schrecken, dass sie nun selbst arbeiten gehen müssen, hier zeigt sich die Mentalität der Daheimbleiber, weil sie so besser leben, wenn andere sie finanzieren, sie so die Vorteile des Nichtstun, wohl bei gemindertem Lohnausgleich, aber frei genießen können. Dennoch ist die Abhängigkeit zum Arbeitgeber, der Chef und seine rechte Hand der Prokurist (fordernder Chefstellvertreter Michael Pietsch, der auch die vorlaute Bedienerin spielt), deutlich. Fünf Jahre hat Gregor in die Hand des Vaters gearbeitet, damit dieser die Schulden aus seiner Insolvenz begleichen kann, derweil lebte die Familie davon und nun wären weitere fünf Jahre und mehr für die Schuldentilgung fällig, wahrscheinlich nie endend dieser Kreislauf. Gregor macht Schluss damit. Das nimmt man ihm übel, das Schreckgespenst der Arbeit steht vor ihnen, Grete ganz entsetzt ... Der Vater glücklich, als er in Uniform für eine Bank arbeiten darf, was ihn aufrichtet, ihm Persönlichkeit gibt, ihn gehorsam macht. Gregor der Hässliche, das Viech, muss weg aus diesem Leben, und der Vater bombardiert ihn mit Äpfeln, von denen einer im Insektenkörper stecken bleibt und zu seinem Tod führt. Erst dann sind die Samsas wieder froh, sie atmen auf. Im Original arbeiten alle, leben aber dennoch von Gregor mit, er zahlt Abgaben. Sie haben auch drei Mieter, die bei Gockel verschwunden sind.
Es gibt mehrere Ebenen, die der Zuschauer verfolgen kann. Die Protagonisten erster und jene zweiter Kategorie - das sind echte Schauspieler und ihre Abbilder als Marionetten (deren Bau auf Michael Pietsch zurückgeht) - wiederholen tägliche Rituale im Leben der Samsas, als ob es die Hempels oder Ekel Alfreds Familie aus NRW oder sonstwo wäre, eine Erzählung in der Erzählung, ein Spiel im Spiel, die Schauspieler spielen sich selbst. Die Bedeutungslosigkeit oder -beliebigkeit wird dadurch verdoppelt, was auch nicht mehr Sinn im Grotesken erzeugt. Oder es gibt Kommentarfunktionen, wie der Beischlaf des Prokuristen mit Grete auf Marionettenebene, geführt/verwirklicht von den Eltern auf Schauspielerebene. Die Eltern sind sehr interessiert an einer Verheiratung der Tochter, hier scheint es aber noch mehr ein Opfer zu sein, Tribut an den Prokuristen, Bezahlung für das Fehlen Gregors am Arbeitsplatz, Ruhigstellung des drohenden Existenzverlusts von allen. Sich prostituieren durch Arbeit bei Gregor oder bei Abhängigkeit vom Geldgeber. Wer will das schon? :-) Oder der Kommentar der Bedienerin, die Putzfrau, die komplett aus der Illusion kippt, den Regisseur aufleuchten lässt und kurz über Kafka nachdenkt, die Sekundärliteratur mit 20 Metern grob gesichtet hätte und sich fragt, warum immer noch keiner weiß, was los ist, und sozusagen für die Zuschauer das Wesen im Zimmer inspiziert.
Die Räume variieren zwischen dem Rund der Welt, herrlich gelöst mit einer kleinen Drehbühne, einer Stadt/einem Haus mit Kafkas berühmten Gängen und Spezialarchitektur sowie dem (Miniatur-)Zimmer Gregors. Alle Größen sind erlaubt, mal ist Gregor der überdimensionale Bewohner einer zu kleinen Welt, mal ist die Welt um vieles größer, die Türklinke aus Gregors Käferexistenz unerreichbar hoch. Verzerrt, unwirklich und variierend wie ein (Alp/b-)Traum scheint alles zu sein. Am Ende löst sich das Bühnentreiben auf, Gregor stirbt, seine Marionette wird immer kleiner, bis sie unsichtbar klein, nicht mehr vorhanden sein Verschwinden und Sterben symbolisiert. (Leider komplett ausverkauft.)
Hier eine Puppenlösung und Inhaltsangabe zum Original:
In Frankfurt wird im Moment eine Theaterfassung von Jan-Christoph Gockel aus Bochum gezeigt, die zwischen Abweichung vom Original, Durchbrechung aller Illusion, und dann wieder Rückkehr, Naturtreue hin- und herpendelt. Die knapp zweistündige Fassung liefert eine sehr gelungene Interpretation des Geschehens um Gregor Samsa. Einige Regie-Kunstgriffe machen aus einem eher zu erwartenden trägen Geschehen eine runde Veranstaltung, die viel Abwechslung bietet. Es kommen quellenfremde Aspekte ins Spiel, die Bezüge zu unseren heutigen Beschäftigungsverweigerern, zur Kleinbürgerlichkeit und Arbeitslosigkeit, Bedeutung einer Beschäftigung für das Glück von Familien u.v.m. herstellen. Gregor (sehr eindringlich und konzentriert Nils Kreutinger), der Handlungsreisende, ist hier ein Aussteiger, er durchbricht die Routine und geht eines Tages nicht mehr auf Reise, seine Textilien zu verkaufen. Im Original verwandelt er sich in ein käferähnliches Insekt, liegt auf dem Rücken und kann den mächtigen Chininpanzer kaum bewegen. So wacht er in der neuen Welt auf. Bei Gockel bleibt er stärker Mensch, aber fühlt wie ein Insekt. Seine Eltern (herrlich schräg Katharina Linder als Mutter und überzeugend als Vater, besorgter, kleinbürgerlicher Wüterich und Familienkassenwart Uwe Zerwer), Schwester Grete (kess, frech, aber auch devot und abenteuerlustig Luana Velis), die er ernährte, bangen um seinen Ausfall, nicht um Gregor. Der Geldfluss könnte versiegen. Er wird ein Außenseiter, weil er nicht funktioniert, wie er soll. Vorbei der tägliche Gang zur Arbeit, die Verkaufsreise, das Heimkehren, Aufstehen vor sieben Uhr, er kann sein Zimmer gar nicht mehr verlassen, er will es auch nicht mehr. Die Eltern erkennen bei Gockel mit Schrecken, dass sie nun selbst arbeiten gehen müssen, hier zeigt sich die Mentalität der Daheimbleiber, weil sie so besser leben, wenn andere sie finanzieren, sie so die Vorteile des Nichtstun, wohl bei gemindertem Lohnausgleich, aber frei genießen können. Dennoch ist die Abhängigkeit zum Arbeitgeber, der Chef und seine rechte Hand der Prokurist (fordernder Chefstellvertreter Michael Pietsch, der auch die vorlaute Bedienerin spielt), deutlich. Fünf Jahre hat Gregor in die Hand des Vaters gearbeitet, damit dieser die Schulden aus seiner Insolvenz begleichen kann, derweil lebte die Familie davon und nun wären weitere fünf Jahre und mehr für die Schuldentilgung fällig, wahrscheinlich nie endend dieser Kreislauf. Gregor macht Schluss damit. Das nimmt man ihm übel, das Schreckgespenst der Arbeit steht vor ihnen, Grete ganz entsetzt ... Der Vater glücklich, als er in Uniform für eine Bank arbeiten darf, was ihn aufrichtet, ihm Persönlichkeit gibt, ihn gehorsam macht. Gregor der Hässliche, das Viech, muss weg aus diesem Leben, und der Vater bombardiert ihn mit Äpfeln, von denen einer im Insektenkörper stecken bleibt und zu seinem Tod führt. Erst dann sind die Samsas wieder froh, sie atmen auf. Im Original arbeiten alle, leben aber dennoch von Gregor mit, er zahlt Abgaben. Sie haben auch drei Mieter, die bei Gockel verschwunden sind.
Es gibt mehrere Ebenen, die der Zuschauer verfolgen kann. Die Protagonisten erster und jene zweiter Kategorie - das sind echte Schauspieler und ihre Abbilder als Marionetten (deren Bau auf Michael Pietsch zurückgeht) - wiederholen tägliche Rituale im Leben der Samsas, als ob es die Hempels oder Ekel Alfreds Familie aus NRW oder sonstwo wäre, eine Erzählung in der Erzählung, ein Spiel im Spiel, die Schauspieler spielen sich selbst. Die Bedeutungslosigkeit oder -beliebigkeit wird dadurch verdoppelt, was auch nicht mehr Sinn im Grotesken erzeugt. Oder es gibt Kommentarfunktionen, wie der Beischlaf des Prokuristen mit Grete auf Marionettenebene, geführt/verwirklicht von den Eltern auf Schauspielerebene. Die Eltern sind sehr interessiert an einer Verheiratung der Tochter, hier scheint es aber noch mehr ein Opfer zu sein, Tribut an den Prokuristen, Bezahlung für das Fehlen Gregors am Arbeitsplatz, Ruhigstellung des drohenden Existenzverlusts von allen. Sich prostituieren durch Arbeit bei Gregor oder bei Abhängigkeit vom Geldgeber. Wer will das schon? :-) Oder der Kommentar der Bedienerin, die Putzfrau, die komplett aus der Illusion kippt, den Regisseur aufleuchten lässt und kurz über Kafka nachdenkt, die Sekundärliteratur mit 20 Metern grob gesichtet hätte und sich fragt, warum immer noch keiner weiß, was los ist, und sozusagen für die Zuschauer das Wesen im Zimmer inspiziert.
Die Räume variieren zwischen dem Rund der Welt, herrlich gelöst mit einer kleinen Drehbühne, einer Stadt/einem Haus mit Kafkas berühmten Gängen und Spezialarchitektur sowie dem (Miniatur-)Zimmer Gregors. Alle Größen sind erlaubt, mal ist Gregor der überdimensionale Bewohner einer zu kleinen Welt, mal ist die Welt um vieles größer, die Türklinke aus Gregors Käferexistenz unerreichbar hoch. Verzerrt, unwirklich und variierend wie ein (Alp/b-)Traum scheint alles zu sein. Am Ende löst sich das Bühnentreiben auf, Gregor stirbt, seine Marionette wird immer kleiner, bis sie unsichtbar klein, nicht mehr vorhanden sein Verschwinden und Sterben symbolisiert. (Leider komplett ausverkauft.)
Hier eine Puppenlösung und Inhaltsangabe zum Original:
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