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Dichterhain, Bände 1 bis 4

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Montag, 19. Mai 2014

Wie war's bei Julia und Romeo von Mats Ek in Ludwigshafen?


  "Es ist Zeit, die Dinge auf den Kopf zu stellen", so der 68-jährige Mats Ek, Tänzer und Choreograph. Und das hat er ordentlich getan mit dem altehrwürdigen Shakespeare-Stoff Romeo und Julia. Zu sehen war das Ergebnis als deutsche Erstaufführung im Pfalzbau-Theater Ludwigshafen am 17.05.2014. Fast bis zum letzten Platz ausverkauft, deutlich über 1000 Besucher wollten sehen, was er und wie er es anstellt, die Welt auf den Kopf zu stellen. Und sie waren begeistert. Etliche Vorhänge, Bravorufe, Gejohle, stehende Ovationen. Was hat er nur gemacht?


 

Als Tanztheater bzw. Ballett gibt es Romeo und Julia zwar, aber meistens mit der Musik von Prokofjew. Ek verwendet Tschaikowskys Musik und vereint dessen Highlights zu einer geeigneten musikalischen Kulisse zum Tanzstück. Shakespeare bleibt erhalten, die Rahmenhandlung intakt. Ganz neu und ungewohnt zu einem anderen musikalischen Background, der ursprünglich so zum Stoff nicht existiert, aber im Potpourri der "Best of" seine Eignung beweist.

Es geht beim Titel weiter: Julia steht vorne! Das ist uns recht, wir leben ja schon länger in einer emanzipierten Gesellschaft, auch wenn die Berufswelt sich noch nicht ganz auf weibliche Spitzenkräfte einlässt. Julia ist allerdings auch keine Spitzenkraft, sondern ein wohlbehütetes Töchterchen im Verona des 16. Jahrhunderts, aus dem Hause der Capulet. Sie hat rein gar nichts zu melden in diesen konservativen Zeiten. Nicht mal ihren Ehemann kann sie bestimmen. Das machen die Eltern. Und das ist auch des Dramas Beginn, denn Graf Paris soll ihr Versprochener sein. Glücklicherweise gibt es Romeo, der sich unsterblich verliebt und zwischen ihnen eine unsägliche Liebe entstehen lässt. Sie lassen sich heimlich von Pater Lorenzo vermählen.


Dummerweise ist Romeo ein Montague und die beiden Familien waren so verfeindet wie heute Mafia-Clans oder russische Oligarchen. Etliche Straßenschlachten finden statt und Tote bleiben zurück. Statt Reiterei und Ritter finden wir die Capulets mit Tybalt als Gangleader auf Segways, den Elektro-Scootern. Auch die Amme Julias wird später auf solch einem Gefährt und in wichtiger Mission mit Blaulicht noch einmal versuchen, Julia von ihrem auferlegten Weg zu überzeugen. Auch Mutter Capulet und Tybalt rücken, von ihren bescooterten Gefährten eskortiert, aus, um Romeo zurückzudrängen. Das Rendez-vous von Julia und Romeo, die sich in ihrer Liebe in schwerelosem Apollo11-Zustand befinden, sich tänzerisch sehr nah und immer wieder kunstvoll verschmelzend bewegen, wird auch von den patrouillierenden Capulets gestört. Julia aber hat keine Lust mehr, unter den Rock der Amme zu schlüpfen oder dem Diktat der Mutter zu folgen.

Um Julia vor der Hochzeit mit Paris zu retten, gibt ihr im Original ausgerechnet der "Geistliche" Lorenzo, der Paris und sie trauen soll, aber Romeo und Julia unterstützt, einen Schlaftrunk mit, der ihren Tod vortäuschen soll, damit sie beerdigt in der Gruft von Romeo gerettet werden kann, wenn sie wieder erwacht ist. Diese starke Droge wird bei Mats Ek zu einem ekstatischen Tanz, der sie sterben, und Romeo ihr mit denselben Mitteln nacheifern lässt. Eine wichtige Rolle spielen vier oder fünf unbekannte, schwarz gekleidete Männer, die sie quasi abholen, ihren Tod fordern. Eine andere Abweichung: Der Freund Romeos, Mercutio, kriegt ein Ballettröckchen an und scheint aufdringlich vom anderen Ufer zu sein. Tybalt jedenfalls hasst ihn und beantwortet die Provokationen mit der Ermordung Mercutios. Verächtlich pinkelt er auf den Toten. Romeo rächt seinen Freund durch die Beseitigung Tybalts. Der Todesstich wird im Stück zum katzenhaften Anspringen.



Romeo und Julia sind bei Mats Ek Kinder des Wassers, aus ihm kommt Romeo hervor und trinkt es. Nach ihrem Tod verschwinden sie auch wieder in diesem Element - allerdings - die Welt steht Kopf. Die Beine der beiden ragen in die Luft wie auch die Beine von vielen anderen Toten um sie herum - wie Schilfpflanzen am Uferrand. Man könnte auch Kafkas Insektenbeine von Gregor Samsa aus der Verwandlung assoziieren. Der Pflanzengedanke liegt dann näher, wenn der Zuschauer daran glaubt, dass die Liebe sich als fruchtbarer Samen erweist, der etwas Neues hervorbringt. Die Verwandlung des historischen Stoffs zu einem radikal modernen Tanztheaterstück - mit großartigen ("Monumental"-)Szenen von bis zu 40 Tänzern auf der belebten Bühne mit Hüten wie bei Charles Dickens oder Elton John (England als gemeinsamer Mittelpunkt) und bunten Frauenkleidern wie Farben von Flaggen - schwebt jedoch dominant als Botschaft des Choreographen über allem. Reizvolle blendende Lichteffekte schaffen eine Romantik, die keine ist, pallisadenähnliche Kulissenwände vermitteln oft das Gefühl in einem Lager zu sein.

Ungewöhnliches Ballett zu klassischer Musik schafft Gegensätze und Divergenzen, die Langeweile oder Zuckersüßes nicht zulassen. Die Slapstick-Bewegungsabläufe und Comedy-Elemente lockern weiter auf. Die Schwere der Jahrhunderte ist wie mit einem Ruck vom Geschehen genommen.



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