SV Verlag

SV Verlag mit Handy oder Tablet entdecken!
Die neue Generation der platzsparenden Bücher - klein, stark, leicht und fast unsichtbar! E-Books bei viereggtext! Wollen Sie Anspruchsvolles veröffentlichen oder suchen Sie Lesegenuss für zu Hause oder unterwegs? Verfolgen Sie mein Programm im SV Verlag, Sie werden immer etwas Passendes entdecken ... Weitere Informationen

.

.
Dichterhain, Bände 1 bis 4

.

.
Dichterhain, Bände 5 bis 8

Übersetze/Translate/Traduis/Tradurre/Traducir/переводить/çevirmek

Posts für Suchanfrage Ute Apel werden nach Relevanz sortiert angezeigt. Nach Datum sortieren Alle Posts anzeigen
Posts für Suchanfrage Ute Apel werden nach Relevanz sortiert angezeigt. Nach Datum sortieren Alle Posts anzeigen

Dienstag, 27. Oktober 2009

Lyrik: Eva Strittmatter - "Seele seltsames Gewächs". Ein Gastbeitrag von Ute Apel, Leipzig


„Gedichteschreiben ist keine Fähigkeit, die man erwirbt und die einem zur Verfügung steht, wenn man will... Ach, nein, wenn es so wäre, ginge es mir gut.“
Das sind die Einleitungsworte zu einem neuen Gedichtband Eva Strittmatters. In ihm vereinen sich bislang unveröffentlichte Gedichte mit einer Auswahl aus bereits bekannten Werken der Dichterin. Der Buchtitel ist der ersten Zeile des Gedichtes „Gegenblüte“ entnommen, in dem die Entfaltungsmöglichkeiten der Seele beschrieben ist.
Zu sieben Gedichten malte Linde Kauert mehrfarbige Bilder, die den Band ganzseitig schmücken.

(Foto: viereggtext)

 Der künstlerischer Weg der Malerin und Verlegerin Linde Kauert führte in den letzen Jahren immer mehr zur Gestaltung von Bildern zu Literatur.
Die Gedichte im Buch wurden mit "Anmerkungen" Eva Strittmatters über die Entstehung von Lyrik bereichert, dem Band „Poesie und andere Nebendinge“ entnommen, der 1983 im Aufbau-Verlag erschien wie diese:
Ich reflektiere Leben, reflektiere Erfahrung, aber das muß ich für mich allein tun. Der Preis für meine Poesie, den ich selber zahle, ist Abgeschiedenheit und Einsamkeit. Ich bin ein phasenweise, sehr einsam lebender Mensch. Wenn ich diese Einsamkeit nicht herstelle, schreibe ich keine Gedichte mehr. Dann aber, wenn es mir gelingt, Gedichte zu schreiben, lebe ich wie in einer Hülle aus Worten. Wie sie in mir entstehen, das geht manchmal über längere Zeit, über Tage sogar, umgeben sie mich ständig.“

Vom Schreiben


Natürlich könnte ich
Auch komplizierter schreiben
Und könnte Dichtung als
Geheimmagie betrieben.
Ich könnte Chiffren erfinden,
die nur fünf Leute verstehn,
Und die anderen wären die Blinden,
Wir sechs allein könnten sehn.
Ich will aber einfach bleiben
Und nah am alltäglichen Wort
Und will so deutlich schreiben,
dass die Leute an meinem Ort
Meine Gedichte lesen
Und meine Gedanken verstehn
Und sagen: so ist es gewesen,
Und das haben auch wir schon gesehn.

Besonders berührend ist der Abdruck handschriftlicher Fassungen einiger Gedichte. Dabei wird der mit den Jahren sanfte Wandel in den Schriftzügen Eva Strittmatters deutlich. Ein Buch für die Seele.
Eva Strittmatter wurde 1930 in Neuruppin geboren. Im Osten Deutschlands hatten ihre Bücher Auflagen von rund 2 Millionen Exemplaren. Im Westen dagegen wurde sie, bis auf wenige Ausnahmen, nicht zur Kenntnis genommen, bemühte sich jedoch auch nicht aktiv um die Gunst der westdeutschen Journalisten. Hermann Kant sagte einmal von der Autorin: ,,Wir haben diese Gedichte nötig.''

Freitag, 21. August 2009

Hörbuch-Tipp: Eva Strittmatter - In einer anderen Dämmerung. Gedichte und Selbstauskünfte. Gastbeitrag von Ute Apel, Leipzig


(Über die Autorin:

Eva Strittmatter wurde 1930 in Neuruppin geboren. Sie studierte von 1947 bis 1951 Germanistik in Berlin, war von 1951 bis 1953 Lektorin beim Deutschen Schriftstellerverband, arbeitet seit 1954 als freie Schriftstellerin. 1975 erhielt Eva Strittmatter den Heinrich-Heine-Preis. Sie veröffentlichte Kritiken, Kinderbücher, Gedichte und Prosa: „Ich mach ein Lied aus Stille“ (1973), „Mondschnee liegt auf den Wiesen“ (1975), „Die eine Rose überwältigt alles“ (1977), „Zwiegespräch“ (1980), „Heliotrop“ (1983), „Atem“ (1988), „Unterm wechselnden Licht“ (1980), „Der Schöne (Obsession) (1997), „Briefe aus Schulzenhof“ (I 1977, II 1990, III 1995), „Poesie und andere Nebendinge“ (1983), „Mai in Pieštány“ (1986) und Kinderbücher wie u.a. „Brüderchen Vierbein“ (1958), „Vom Kater, der ein Mensch sein sollte“ (1959), „Ich schwing mich auf die Schaukel“ (1975). Die Schriftstellerin lebt in Dollgow, Ortsteil Schulzenhof, und Berlin.)

Das Hörbuch enthält zwei CDs, eine mit Gedichten von Eva Strittmatter, die die meist gelesene deutsche Lyrikerin selbst spricht, und eine zweite CD mit Selbstauskünften der Autorin und Beiträgen von Peter Schreier, Hubertus Giebe und Hermann Kant, langjährigen Freunden der Familie, über ihr Leben. Untermalt sind die Beiträge durch leise Musik von Chopin.

Mit zwölf Jahren beginnt Eva Strittmatter in ein blau marmoriertes Buch Gedichte zu schreiben. Nach dem Abitur studierte sie Germanistik, Romanistik und Pädagogik in Berlin. Die schnell eingegangene Ehe mit einem Mitstudenten, aus der ein Sohn hervorgeht, scheitert.

Als wissenschaftliche Mitarbeiterin und Lektorin des Schriftstellerverbandes der DDR lernt sie den Romanautor Erwin Strittmatter kennen, dessen erster Roman "Der Ochsenkutscher" eben erschienen war: "Er war gönnerhaft. Er hat mich altklug und väterlich ausgefragt, bis er sich mir schließlich genähert hat..." Die beiden werden ein Paar. Erwin Strittmatter sagte danach: "Es wird entweder die letzte Liebe für mich oder eine große Katastrophe." "Es wurde weder die letzte Liebe, noch eine große Katastrophe, aber das Große kann stehen bleiben", meint seine Gefährtin dazu.

"...Dieses Gefühl, sich eine Haut aus Worten zu machen, dass man sich sozusagen eine zweite Haut schafft, um sich herum etwas schafft, was einen schützt, oder in dem man lebt...", erklärt sie ihr Schreiben. Dem entgegen stand und steht ihr Alltag, ihr Leben an der Seite von vier Söhnen und eines Mannes, für dessen Werk und künstlerisches Schaffensvermögen sie enorme Kraftanstrengungen auf sich nahm und selbst nach seinem Tod als Bewahrerin seines Nachlasses noch immer auf sich nimmt. "Mit Familie und Haushalt wollte er nichts zu tun haben und so ist es auch gekommen."

Eva Strittmatter fühlte sich in die Sprache ihres Mannes ein, so sehr, dass sie bis zur Selbstaufgabe seine Ehefrau, Gefährtin und wichtigste Kritikerin des Werkes wurde. "Jeder hat die Sache des anderen als seine angesehen."

Sie schafft die Balance zwischen Mann, Söhnen und eigenen Gedichten. Für Eva Strittmatter gibt es immer einen "langen" Tageslauf, sie versorgt, bewirtet, vermittelt, streitet, ordnet, beantwortet Briefe... In einer schwierigen Situation der gemeinsamen Ehe, einer Liaison ihres Mannes, beginnt sie Gedichte, erst für sich selbst, dann als Kontinuum, zu schreiben. "Ich wollte ihn verlassen, mich von ihm trennen... "Er hat nie sein Verhalten eingerichtet auf mich. Ich war völlig eingestellt auf sein persönliches und dichterisches Leben, er aber nicht auf mich. Für jede Sache, die er mir angetan hat, habe ich mich entschuldigt, sonst wäre es nicht wieder in Gang gekommen... Einmal bin ich mit sieben Koffern nach Berlin gefahren..."

Die Gedichte der Autorin bestehen aus Sehnsucht, Sensibilität und bildhaften, leisen und menschlichen Tönen. Natur wird zum Raum eigener Gestaltungsmöglichkeiten, zur wichtigen Metapher. Das Schreiben muss sich Eva Strittmatter immer erkämpfen, sich selbst als Dichterin ernst nehmen.

So berichtet sie vom Kennenlernen bis zum Tod Erwin Strittmatters über viele Konflikte und wunderbare Gemeinsamkeiten des Lebens auf Schulzenhof.

Aber auch die erste CD, auf der die Lyrikerin Texte aus ihren Gedichtbänden liest, lebt von einer ruhigen, einfach menschlichen Sprache der Autorin.

"Was soll man auch sagen?", beendet Eva Strittmatter ihren Bericht zum Tod ihres Mannes 1994 angesichts der Sprachlosigkeit, dem Verschweigen der letzten Wahrheit, wenn ein Mensch nach vierzig Jahren des gemeinsamen Lebens gehen muss... Im selben Jahr verlor sie auch ihre Mutter und ihren Sohn Matti.



Eva Strittmatter: In einer anderen Dämmerung: Gedichte und Selbstauskünfte [Audiobook], Eulenspiegel Verlag 2009. Von und mit Eva Strittmatter (Sprecherin)
(Vormals: Aber das Große kann stehen bleiben - Gedichte und Selbstauskünfte, 2002.)
ISBN-10: 3359011163
ISBN-13: 978-3359011163



______________________________________

Sonntag, 20. März 2011

Weniger ist manchmal mehr – die Leipziger Buchmesse 2011 ist Geschichte. Ein Messebummel mit Ute Apel

Manchmal denke ich wehmütig an die Zeit zurück, als die Buchmesse noch in den historischen Handelshäusern der Innenstadt stattfand und man zwischen dem Seitenblättern auf dem Weg von einem Ausstellungsort zum anderen die Frühblüher auf dem Sachsenplatz betrachten konnte, den Frühlingswind um die Nase geweht bekam und begriff, was es heißt, wenn eine Messe Flair hat.

Auch das zwischenzeitliche Ausruhen in einem Café war möglich ...

Leider haben auch die Buchhändler in der Leipziger Innenstadt wenig von der Ausstellung am nördlichen Stadtrand. Ihre Umsätze steigen in dieser Zeit nicht wesentlich. Wer etwas Neues entdeckt, kauft das Werk sofort in der Messebuchhandlung „draußen“.

Foto: audiamo
Heute Abend verkündete mein Lieblingsradiosender, dass wieder 6000 Besucher mehr als im Vorjahr zur Leipziger Buchmesse 2011 auf das Neue Messegelände gekommen wären. So klettern die Zahlen von Jahr zu Jahr nach oben. Als bräuchte die Leipziger Buchmesse Rekorde und eine Legitimation ihres Daseins...  Was diese Messe sicher auch nicht braucht, ist noch ein Schoko-Diät-Ratgeber, noch ein Kochbuch mehr und noch einen Z-Prominenten mit Biografie...

Die Quantität steigt, nicht aber die Qualität. Weniger ist manchmal mehr.

Ich hatte in diesem Jahr das Glück, die Messe schon am Donnerstag, dem Eröffnungstag, mit einer Freikarte, die mir eine liebe Freundin schenkte, besuchen zu können. Mir  begegneten nicht Heerscharen nach dem Vorbild ihrer Comic-Helden kostümierten Jugendlichen auf dem Weg in Halle 2, die mich immer in Versuchung bringen, „Helau!“ oder „Alaf!“ zu rufen... Was das mit dem Lesen zu tun hat, erschließt sich mir nicht (mehr). Wahrscheinlich werde ich alt. Ich musste mich ebenfalls nicht im Schritttempo durch Menschenmassen schieben lassen.

Nein, ich hatte wirklich Glück. Mir begegnete ein Bekannter, der wahrscheinlich zu der Lesung und Vorstellung seines satirisch-kritischen  Romans über den DDR-Literaturbetrieb eilte und schon zweimal Preisträger eines mdr-Literaturwettbewerbs war.

Ich nahm mir Zeit, um dem liebenswerten Herrn Schubert mit den leuchtenden Augen an seinem Stand vom Schubert-Verlag Leipzig zu besuchen und ihm viel Erfolg zu wünschen. Ebenso konnte ich mit meinem Verleger sprechen und ihm für die ansprechende Gestaltung meines Büchleins „Unterschiedliche Arten von Mut“ danken.

Eine Stunde verweilte ich hinter der LVZ-Autorenarena, um bei einem Kaffee den Lebenserinnerungen von Otto Mellies und dann den bissig-satirischen Bemerkungen von Peter Ensikat zu lauschen. Ich ergab mich der Muße, in den künstlerischen Arbeiten der Studenten der Burg Giebichenstein zu blättern und die schönsten Bücher aus aller Welt zu betrachten. Zwei davon blieben mir im Gedächtnis. Eines kam aus Iran und faszinierte mich durch die großen aufklappbaren Fotos und Zeichnungen, obwohl mir der Inhalt leider verschlossen blieb. Ein anderes Buch, dass mir besonders gefiel, kam aus Tschechien. Die Gold-, Silber- und Bronzemedaillengewinner in der Buchgestaltung durchstöberte ich ebenfalls.

Ich besuchte wie jedes Jahr den Stand des Oberlausitzer Verlages, denn das bin ich meiner Omi schon schuldig, die aus dem Zittauer Gebirge stammt. Über den Buchtitel „Lausitzer Granitschädel“ muss ich schmunzeln.

Abends dann blätterte ich völlig kaputt vom Schlendern und Schauen in meiner „Beute“ und lauschte der Messekolumne von Clemens Meyer im Rundfunk, um festzustellen, dass ein Messebesuch in jedem Jahr gleich anstrengend ist, was ich von dem Leipziger Schriftsteller in seinem Rundfunkbeitrag auch noch bestätigt bekam.

Das Schönste ist aber sowie das Lesefest „Leipzig liest“ in der Leipziger Innenstadt und an vielen weiteren Orten in der Stadt mit einer schier unermesslichen Zahl an Veranstaltungen. Trotzdem kam ich in diesem Jahr in Schwierigkeiten das Richtige auszuwählen. Ich fand einfach wenig, was mich interessierte.

Foto: audiamo
Doch das Albertinum wollte ich als Leipzigerin endlich sehen. Da ich keine Studentin mehr bin, erlaubte mir die Buchvorstellung von Klaus Modicks „Sunset“ über die Freundschaft von Lion Feuchtwanger und Bertolt Brecht gleichzeitig die beeindruckenden Räume und des Foyer des Gebäudes kennenzulernen und etwas für meine Bildung zu tun.

Ein wunderbares, unvergleichliches Erlebnis  verschaffte mir die musikalische Lesung von Barbara Thalheim zu ihrem Buch „Vor dem Tod ist alles Leben“ in der neuen Spielstätte des Kabaretts „Pfeffermühle“. Ich lauschte den Chansons und den Geschichten der Künstlerin über ihre Kindheit, über die Insel Hiddensee sowie ihren kritischen Anmerkungen zu den aktuellen Geschehnissen in Gesellschaft und Politik.

Vor und nach der Veranstaltung konnte ich mit der Verlegerin der „Edition Zwiefach“ , Frau Linde Kauert, über eines von Eva Strittmatters letzten Büchern „Seele. Seltsames Gewächs“ sprechen. „Da ist eine ganz Große gegangen.“, äußerte die Malerin traurig, die mit dem ehemaligen künstlerischen Leiter des Aufbau Verlages einen kleinen Verlag leitet, in dem schon 12 grafisch wunderbar gestaltete Bücher erschienen sind.

Es bedeutete mir sehr viel, als Barbara Thalheim mir mein Buch signierte und mich mit den Worten verabschiedete: „Sie müssen eine sehr sympathische Frau sein.“, nachdem ich mit ihr kurz über ihr Konzert vor zwei Jahren in der Inselkirche Hiddensee sprach. Es gibt von der Insel Geliebte und Ungeliebte, erwähnte die Sängerin während ihres Auftritts. Vielleicht bin ich eine von der Insel Geliebte...


20.03.11                                                                                                                               Ute Apel


************************

Dienstag, 10. August 2010

Nachlese: Jurij Brězan - Der alte Mann und das enge Weite

Jurij Brězan
Der alte Mann und das enge Weite
Bautzen 2006, 46 Seiten, Hardcover,
14,90 €, Lusatia Verlag






Auf die Frage eines neugierigen Redakteurs, ob es sich lohne, alt zu werden, antwortete Jurij Brězan: „Meine Mutter pflegte in ihren Achtzigern uns, ihren Kindern, manchmal aufseufzend zu sagen: "Werdet nicht alt. Es ist nicht schön". Es ist nicht schön, lahme Knie, holperndes Herz … Es ist schön, kleine Freuden aufzusammeln in der Familie, unter Freunden, im Garten vor dem ersten blühenden Löwenzahn, den Wunderfarben des Herbstes, der letzten Rose, den Raureif auf Büschen und Bäumen und oben die Sonne und ihr strahlend blauer Himmel.“
Es lohnt schon, das Altern, wenn es einem Kopf und Seele so belässt, dass man sein Leben in die richtige Waagschale legt.“
In „Der alte Mann und das enge Weite“ umschreibt der Autor ein Stückchen Land um sein Haus, das er selbst bestellte. Es bietet ihm mit den Pflanzen und Tieren darauf ein Gleichnis für die Enge und öffnet den Blick für das Weite der Welt.
Er regt ihn immer und immer wieder zu Metaphern an. („Es gibt Mittel gegen Wühlmäuse, aber nicht gegen das „Große Geld“). Der Garten bringt Neugier und Erkenntnis.
In dessen weiter Enge gibt es jeden Tag Wunder zu bestaunen: den Austrieb der zarten, jungen Blätter, den Einfall einer großen Wolke von Wiedehopfen oder die Ringelnatter, die den Weg zum schützenden Wald kennt. Hier begibt er sich auf die Suche nach der wahren Lebensordnung der Menschen. Er erkennt, dass bisweilen das klügste Buch keine Antworten weiß und keinen Rat zum Handeln geben kann, aber vielleicht ein Bäumchen, das, schon aufgegeben, doch noch wurzelt.
Jurij Brězan vergleicht auch seine Literatur mit dem Wuchs eines Baumes: das feine Gezweig des Erfahrenen, der Stamm denkbarer Fragen und die Wurzeln aus gewussten Antworten.
Das Weite... Ich bin widerwillig, aber den Zustand akzeptierend – ortsgebunden, lese, habe die Medien und als Depot, Filter und Waage fast hundert Jahre Lebens. Die wenigen fehlenden werden, fürchte ich oder hoffe ich, wie Sie wollen, das Bild nicht wesentlich ändern. Von meinem Hügelchen, das Nahe ein Teil von ihr, ist die Welt zu sehen, aber nicht ihre Kleinheiten, die verwirren und verfälschen.“
Der alte Mann erklärt einer jungen Journalistin das Werden und Vergehen, die Kleinheit und die Größe, das Willige und das Eigenwillige. Die Dame, ein Großstadtmensch, möchte mit ihm nach freundlichen Höflichkeiten über Literatur sprechen.
Doch der alte Mann hat keine Lust darüber zu sinnieren. Er will stattdessen lernen, ihr alles „Gewächs im Garten botanisch vorzubeten“.
Der Lusatia Verlag Bautzen legte mit der kurzen Erzählung des großen sorbischen Autors ein von Werner Schinko liebevoll illustriertes, kleines Wunderwerk der Buchkunst vor.

Jurij Brĕzan wurde am 9. Juni 1916 in Räckelwitz bei Kamenz geboren. Früh prägte ihn das gespannte Verhältnis von Sorben und Deutschen in der Lausitz. Als die Nazis an die Macht kamen, schloss er sich einer sorbischen Widerstandsgruppe an. 1938 wurde er verhaftet. Als Soldat nahm er von 1942 bis 1945 am Zweiten Weltkrieg teil, der für ihn in amerikanischer Gefangenschaft endete.
Seit 1949 arbeitete er als freier Schriftsteller, schrieb sorbisch und deutsch, vertrat den Schriftstellerverband der DDR als Vizepräsident.
Brĕzan war nicht nur Chronist der sorbischen Geschichte, sondern auch ein Streiter für den Erhalt der sorbischen Kultur im Alltag. Er nahm sich nicht nur in seinen Werken der Sorgen und Empfindungen seines sorbischen Volkes an und pflegte liebevollen Kontakt zu Kindern und jungen Erwachsenen. So unterstützte er die Proteste gegen die Schließungen sorbischer Schulen in der Lausitz vor vier Jahren.
Am 12. März 2006 starb Jurij Brĕzan kurz vor seinem 90. Geburtstag.
Zu seinen bekanntesten Werken gehören die Trilogie des Felix Hanusch (1958-1964). „Die schwarze Mühle“ (1968) wurde zum Sinnbild gegen das „Wölfische“ in uns. Der Roman „Krabat oder Die Verwandlung der Welt“ (1976) setzt sich mit der ethischen Verantwortung des Menschen gegenüber der Schöpfung auseinander und in „Bild des Vaters“ (1981) geht es um die Würde. Brĕzans Autobiografie „Mein Stück Leben“ (1989) ging in den Wendezeiten unter. Es folgte „Ohne Paß und Zoll“ (1999) über sein Schreiberleben.

Ute Apel

Dienstag, 12. Oktober 2010

Unabhängige Verlage in Deutschland: Unterschiedliche Arten von Mut beim Engelsdorfer Verlag

Ute Apel
Unterschiedliche Arten von Mut
Gedichte und Kurzprosa
Leipzig 2010, 82 Seiten,
Paperback, 8,50 €, Engelsdorfer Verlag




Die Autorin, die mir freundlicherweise immer wieder eine Buchbesprechung zur Verfügung stellt (siehe ihre Besprechungen hier), hat nun einen Schritt nach vorne gemacht und ihr erstes Bändchen mit Gedichten und Geschichten auf den Markt gebracht. Schon immer eine begeisterte Literaturanhängerin entwickelte sich in ihrer Jugendzeit dennoch alles anders und ging nicht in Richtung Verlage, Kultur, Buch. Von der Marktsituation her betrachtet war es vielleicht eher zu ihrem Vorteil, denn heute verdient sie als Erwachsenencoach für Berufsqualifikationen kontinuierlicher. 
Besonders aufgefallen sind mir die herrliche Beschreibung eines Gewitters im Gedicht "Fenster", das als befreiend erlebt wird. Nicht durch das Verdrängen der Schwüle, der erlösende Regen, der an die Scheibe prasselt, lange ersehnt von den Vögeln, die sich endlich satttrinken können, sondern auch als eine Befreiung für Menschen. Junge Männer, fliehen paradoxerweise aus einer Enge, vielleicht auch vor dem Regen, der Weg scheint frei, allerdings führt er ins Nass hinein oder durch es hindurch.


Fenster

Nach blutroten Sonnenflammcn
komm du, befreiendes Gewitter
mit trommelndem Hagel.
Peitsche den Regen gegen das Glas,
damit die winzigen Vögel ihre durstigen Schnäbel
schließen
und schließlich anheben zu singen.
In dunklen, nassen Scheiben spiegelt sich so klar
der vergangene Tag.
Wicken umwehen die Brennnesseln am Damm.
Aus der Enge geflohen,
jagen junge Männer mit Mopeds durch die Nacht.


Verstehen

Zuhören kann der Taube.
Er will verstehen.

Sprechen kann der Stumme.
Er ringt ums Wort.

Laufen kann der Lahme.
Er stolpert Schritt für Schritt.



In "Verstehen" zeigt die Autorin, dass jeder die Fähigkeit, die ihm durch ein Gebrechen scheinbar fehlt, dennoch innehat, jeder kann das, was ihm fehlt, auf eine andere Art und Weise.
Die Geschichten vom grünen Männlein und der kleinen Unglückshexe sind schöne kleine Metaphern für die Sehnsucht raus aus dem Zwang, der dominanten Einheitlichkeit der grünen Welt - und wieder ein Paradoxon - hinein in eine blaue Welt, allerdings als Bürgermeister. Ob dies jedoch eine Veränderung nach sich ziehen wird, bleibt offen.
Die kleine Hexe ist immer dabei, hat Schuld an Pech, Pleiten und Pannen. Weil sie so unbezwingbar auf der linken Schulter sitzt, leidet die Trägerin, sie wird krank und schief, muss sich verbiegen, um diesem Biest zu entkommen, und doch wird sie es nicht los.
Zu ihren literarischen Projekten zählen außerdem Gedanken zum alljährlichen Hiddenseeaufenthalt, die wir eventuell auch in Buchform erwarten können.


____________________________________

Dienstag, 9. Februar 2010

Lyrik: Eva Strittmatter feiert ihren 80. Geburtstag

Am 8. Feb. 2010 wurde Eva Strittmatter, Deutschlands meistgelesene Lyrikerin der Gegenwart, wie sie immer getauft wird,  80 Jahre alt. Aus diesem Anlass möchte ich mit den besten Wünschen für die Autorin einerseits auf eine Biographie von Irmtraud Gutschke, besprochen von Ute Apel, Leipzig, meiner Strittmatter-Spezialistin, hinweisen, andererseits auf einen Beitrag bei mdr figaro.

Biographie von Gutschke, I.:
Eva Strittmatter – Leib und Leben

Zum 80. Geburtstag von Eva Strittmatter, mdr figaro
Rigorose Selbstbefragung



Mehr zu Eva Strittmatter bei viereggtext:

Freitag, 9. April 2010

Filmtipp: Der Dorflehrer (Venkovský Učitel), 2008

Filmtipp: Der Dorflehrer (Venkovský Učitel)
Regie: Bohdan Sláma, 2008

(Leipzig/UA) Nach „Wilde Bienen“ und „Die Jahreszeit des Glücks“ ist seit 2008 der neue Film des tschechischen Regisseurs Bohdan Sláma in qualitätsbewussten  Kinos zu sehen.
Petr (Pavel Liška) kehrt Prag den Rücken und nimmt eine Stelle als Dorflehrer in Böhmen an. Auf dem Land lernt er die verwitwete Marie (Zuzana Bydžovská) kennen, die mit ihrem halbwüchsigen Sohn (Ladislav Šedivý) einen Bauernhof mühsam bewirtschaftet und sich um andere Dorfbewohner kümmert. Bald entwickelt sich eine tiefe Freundschaft zwischen ihnen. Sie akzeptieren einander mit ihren Zweifeln, Ängsten und ihrer Sehnsucht nach Liebe. Gegen die Einsamkeit dient ihnen die vorübergehende Zweckgemeinschaft ebenfalls. Marie erhofft sich von dieser Beziehung bald mehr, doch Petr reagiert abweisend. Seinen Schülern lehrt Petr, nur wer die Natur versteht, kann sich selbst erkennen. Als Petrs Freund aus der Großstadt unverhofft zu Besuch ins Dorf kommt, wird ihm schnell klar, dass er sich selbst jedoch noch nicht erkannt hat. Durch Eifersucht und Sticheleien setzt Petrs Freund eine Reihe von Ereignissen in Gang, die Petr, Marie und deren Sohn an den Rand des zu Ertragenden, bis hin zu Flucht und Selbstmordversuch bringen. Petrs Unentschiedenheit und Zerrissenheit zwischen Vernunft und Verlangen stellen die Freundschaft zu Marie auf eine harte Probe. Das Wissen um die Schwierigkeiten des menschlichen Daseins führt schließlich zu einer gegenseitigen Solidarität und verwischt die sozialen Unterschiede zwischen einem bildungsbürgerlichen Großstädter und einer Landwirtin.
Mit dem gleichen Satz, den man am Anfang des Filmes von Petrs Mutter hört, erklärt Marie ihrem Sohn, warum sie vergeben kann und mit Petr zusammenleben möchte, und fasst gleichzeitig die Aussage des Films zusammen: "Jeder braucht jemanden."
Bohdan Sláma gelang ein gefühlvoller und glaubwürdiger Film, der die Suche nach sexueller Identität, Verlangen, Verantwortung und Vergebung in stillen Bildern einfängt und eine warmherzige Geschichte über den wahren Wert von Liebe und Freundschaft erzählt.

Im Regiekommentar von Bohdan Sláma heißt es: „...In der Geschichte gibt es drei Hauptfiguren und jede hat einen Bruch in ihrem Leben, einen Bruch, der mit Liebe zu tun hat. In einer Kette von unerwiderter Liebe haben die Figuren keine Möglichkeit irgendeine Erfüllung zu finden und es ist das, womit sie umzugehen lernen müssen. Liebe hat so viele verschiedene Formen, wie es Menschen gibt. Und jede Beziehung zwischen Individuen hat einen absoluten Wert in sich selbst. Diesen Wert zu erkennen ist schwer, weil es uns Dinge akzeptieren lässt, die wir zuvor nicht verstanden haben, und weil es uns vergeben lässt, wo wir uns betrogen fühlen. Unsere Figuren finden vielleicht nicht die romantische Liebe schlechthin, aber sie können eine tiefe Freundschaft finden und sie können von dort aus wachsen. Wenn wir das verstehen, dann sind wir auch fähig zu vergeben. Vergeben zu können, ist die größte Fähigkeit des Menschen. Die Fähigkeit zu vergeben stellt das Vertrauen in den Sinn des Lebens wieder her...“

Die Vergebung als Liebesbeweis schlechthin...

Selbst die kleinste Nebenrolle wird mit viel Tiefe behandelt, ob der auf dem Balkon der Großstadtwohnung Bienen züchtende Vater von Petr oder der autoritäre Direktor der Dorfschule.
Besondere Anerkennung verdient aus meiner Sicht die schauspielerische Leistung von Zuzana Bydžovská als Marie, die durch ihre genaue Spielweise die Alkoholsucht, Warmherzigkeit und Selbstverzweiflung der Bäuerin wunderbar umsetzt. Diese Leistung wurde neben dem Preis für das beste Drehbuch mit dem tschechischen Filmpreis für die beste Schauspielerin gewürdigt.

Bohdan Sláma wurde 1967 in Opava geboren und studierte an der Prager Filmhochschule. Bereits zu Studienzeiten gewann er mit seinem Film "Garden of Paradise" auf einem studentischen Filmfestival mehrere Preise, sein Abschlussfilm "Weiße Akazien" wurde schon im gesamten Land gezeigt. Mit "Wilde Bienen" gewann er im Jahr 2000 in Rotterdam den Tiger Award. Sein Film "Die Jahreszeit des Glücks" wurde 2005 auf dem Filmfestival in San Sebastian sowohl mit dem Hauptpreis als auch mit dem Preis für die beste Darstellerin ausgezeichnet. Der Film wurde weltweit in mehr als 20 Ländern gezeigt.

Ute Apel

[Anmerk. d. Red.: Mittlerweile auch als DVD erhältlich]
______________________________

Freitag, 10. September 2010

Nachlese: Kehlmann - Die Vermessung der Welt

Daniel Kehlmann
Die Vermessung der Welt
Reinbek 2005, 304 Seiten, Taschenbuch,
9,95 €, Rowohlt (rororo)

„Warum er traurig war? ... Weil die Welt sich so enttäuschend ausnahm, sobald man erkannte, wie dünn ihr Gewebe war, wie grob gestrickt die Illusion, wie laienhaft vernäht ihre Rückseite. Weil nur Geheimnis und Vergessen es erträglich machten. Weil man es ohne Schlaf, der einen täglich aus der Wirklichkeit riß, nicht aushielt.“

(Leipzig/UA) Gegen Ende des 18. Jahrhunderts machen sich zwei junge Deutsche auf, um die Welt zu vermessen. Der eine, Alexander von Humboldt, kämpft sich durch Urwald und Steppe, befährt den Orinoko, erprobt Gifte im Selbstversuch, zählt Kopfläuse von Eingeborenen, kriecht in Erdlöcher, Höhlen und Stollen, besteigt Vulkane, begegnet Seeungeheuern und Menschenfressern, belädt mit Leichen sein Boot, lässt sich an den Bug von Segelschiffen binden und gefährdet mehr als einmal das Leben des ihn ständig begleitenden Botanikers Bonpland und eines ihm treu ergebenen Hundes.

„Nach einigen Stunden entdeckte Humboldt, daß sich Flöhe in die Haut seiner Zehen gegraben hatten. Sie mußten die Fahrt unterbrechen; Bonpland ordnete Pflanzen, Humboldt saß im Klappstuhl, die Füße in einer Essigwanne, und zeichnete Karten des Stromverlaufs. Pulex penetrans, der gewöhnliche Sandfloh. Er werde ihn beschreiben, aber nicht einmal im Tagebuch werde er andeuten, daß er selbst von ihm befallen worden sei. Daran sei doch nichts Schlimmes, sagte Bonpland. Er habe, sagte Humboldt, viel über die Regeln des Ruhmes nachgedacht. Einen Mann, von dem bekannt sei, daß unter seinen Zehennägeln Flöhe gelebt hätten, nehme keiner mehr ernst. Ganz gleich, was er sonst geleistet habe. ...Manchmal bezweifle er, sagte Bonpland, ob er je heimkommen werde. Das sei nur realistisch, antwortete Humboldt und überprüfte, ob die Uhren beschädigt waren.“


Der andere der beiden, Mathematiker und Astronom, Carl Friedrich Gauß, der sein Leben mit Zahnschmerzen verbringen muss und mit Frauen verbringen will, springt dann sogar noch in der Hochzeitsnacht aus dem Bett, um eine Formel zu notieren. Er beweist im heimischen Göttingen, dass der Raum sich krümmt.

„Sie krachten in das Holzgestell eines Heustapels, ein Seil riß, der Korb kippte, Gauß rollte in eine Lehmpfütze, Pilatre fiel unglücklich, verstauchte sich den Arm und stieß, als er den Riß in der Pergamenthaut sah, so unselige Flüche aus, daß der von seinem Haus herbeilaufende Bauer stehenblieb und drohend seinen Spaten aufhob. Atemlos kamen die Assistenten und falteten den zerknitterten Ballon zusammen. Pilatre hielt sich den Arm und gab Gauß einen schmerzhaft festen Klaps.
Er wisse es jetzt, sagte Gauß.
Na, was denn?
Daß alle parallelen Linien einander berührten.
Fein, sagte Pilatres.
Sein Herz raste. Er überlegte, ob er dem Mann erklären sollte, daß er nur ein geschwungenes Ruder am Korb anbringen mußte, um den Luftstrom umzulenken und den Ballon in eine bestimmte Richtung zu zwingen. Aber dann schwieg er. Er war nicht gefragt worden, und es war nicht höflich, den Leuten Ideen aufzudrängen. Es lag so nahe, daß es bald einem anderen einfallen würde. Jetzt aber wollte der Mann ein dankbares Kind sehen. Mit Mühe brachte Gauß ein Lächeln auf sein Gesicht, breitete die Arme aus und verneigte sich...“


Alt, berühmt und schon ein wenig sonderlich geworden, treffen sich Humboldt und Gauß 1828 in Berlin und stellen fest, daß sie gar nicht so unterschiedlich in ihren Gedanken und Lebensweisen sind, auch wenn der Erste die Welt bereiste und der Zweite kaum seine Heimatstadt verließ.
Doch kaum sitzt Gauß in der Kutsche, in die er nur widerwillig einstieg, sind beide Wissenschaftler plötzlich tief verstrickt in die politischen Wirren Deutschlands nach dem Sturz Napoleons.
Mit hintergründigem Humor, den es zwischen den Zeilen zu entdecken gilt, beschreibt Daniel Kehlmann das Leben zweier Genies, ihre Sehnsüchte und Schwächen, ihre Gratwanderung zwischen Lächerlichkeit und Größe, Scheitern und Erfolg, die Zeit, in die sie geboren wurden und die Zukunft, die sie vorausdachten.
Dem Autor gelang ein Roman, aus dem der Leser viel lernen kann und der gleichzeitig auf köstliche Art und Weise unterhält.

Daniel Kehlmann wurde 1975 in München geboren und lebt in Wien. Für seine Romane und Erzählungen, die in viele Sprachen übersetzt wurden, erhielt er zahlreiche Auszeichnungen, zuletzt den Candide-Preis 2005. Sein Roman „Ich und Kaminski“ wurde international zu einem großen Erfolg.
Zu seinen früheren Veröffentlichungen zählen: „Beerholms Vorstellung“ (1997), „Unter der Sonne“ (1998), „Mahlers Zeit“ (1999), „Der fernste Ort“ (2001), „Ich und Kaminski“ (2003), „Wo ist Carlos Montufar“ (2005).


Mittwoch, 9. September 2009

Film: LOL, eine liebenswerte Komödie



LOL = Laughing Out Loud®, Frankreich 2008, 103 Minuten, Regie: Lisa Azuelos



(Leipzig/UA) Vier Makkaroni auf einer trockenen Scheibe Toast? Das Tagesmenü auf einer Klassenfahrt? Diese vergnügliche Szene gehört zur französischen Komödie „LOL“, die Erinnerungen an den Kultfilm „La Boum – Die Fete“ (1980) weckt. Doch eine Kleinigkeit ist anders: Sophie Marceau, die damals als Liebeskummer geplagte 14jährige Vic ein Millionenpublikum eroberte, muss sich nun in der Rolle einer alleinerziehenden 40jährigen Mutter mit drei Kindern selbst mit einem pubertierenden Teenager herumschlagen.

Keine leichte Aufgabe, denn Lola (Christa Theret), von ihren Freunden Lol genannt, interessiert sich seit kurzem weder für die Schule noch für die Verbote ihrer Mutter, sondern nur für das andere Geschlecht. Als ihr Freund Arthur (Félix Moati) ihr nach den Sommerferien eröffnet, dass er mit einem anderen Mädchen geschlafen habe, und anschließend auch noch mit ihr Schluss macht, beginnt das Chaos. Lolas bester Freund Mael (Jérémy Kapone) tröstet sie, doch ist er gleichzeitig der beste Kumpel von Arthur. Lolas Mutter Anne hat währenddessen ganz ähnliche Probleme: Seit einiger Zeit trifft sie sich heimlich zu Rendezvous mit ihrem ehemaligen Mann Alain (Alexandre Astier) und verliebt sich auch noch in den Polizisten Lucas (Jocelyn Quivrin) vom Drogendezernat. Mutter und Tochter ähneln sich genau wie in „La Boum – Die Fete“ und haben mehr Gemeinsamkeiten, als sie glauben.

Mit ihrer flotten Teenager-Komödie führt die Regisseurin und Drehbuchautorin Lisa Azuelos dem Zuschauer ein altbekanntes Phänomen vor Augen: Manches wiederholt sich wohl immer wieder, z.B. das Verhältnis der Generationen untereinander. Im Film wird das in bezaubernden Szenen deutlich, wenn z.B. Anne von ihrer eigenen Mutter ermahnt wird, doch zum Rendezvous einen Schal umzulegen, oder wenn Anne Lola etwa beim Kiffen erwischt, aber selbst zur Beruhigung ab und zu mal eine raucht. Da ist er wieder: der innere Konflikt von Freundschaft und Autorität, den Mütter in der Erziehung ihrer Töchter austragen müssen. Den kann auch Annes „Psychotante“ mit ihrem „Hmm“ nicht lösen. Eine nette Idee fand ich es, in einer Filmszene, die einen Einkauf im Supermarkt zeigt als Hintergrundmusik die Melodie aus „La Boum – Die Fete“ laufen zu lassen. Sophie Marceau selbst antwortete in einem Interview auf die Frage: „Was ist das Wichtigste für Kinder? „Die Liebe. Wir müssen unseren Kindern sagen, dass wir sie lieben. Nur wenn wir ihnen genug Liebe geben, können sie zu liebevollen Erwachsenen heranwachsen.“ Oder wie schon Pestalozzi sagte: „Erziehung ist Liebe und Vorbild.“ Es gelang mit dem Film eine liebenswerte Komödie, die Eltern wie Teenies gleichermaßen Spaß machen wird.



Mittwoch, 18. November 2009

Leoš Janáček: Jenůfa, Oper

Inszenierung: Dietrich Hilsdorf,
Aufführung: 11. Januar 2009 in der
Oper Leipzig

Neuaufnahme: 29. Mai 2010, 19 Uhr

(Leipzig/UA) Mit seiner dritten Oper „Jenůfa“, deren literarische Vorlage das Schauspiel „Jeji pastorkyňa“ (Ihre Ziehtocher) der tschechischen Schriftstellerin Gabriela Preissová (1862-1946) ist, gelang
Leoš Janáček ein Publikumserfolg. Die Handlung um einen Kindermord im ländlichen Mähren wurde nach erster Ablehnung aus Gründen der Unglaubwürdigkeit nach einer Kürzung der Handlung während neunjähriger Entstehungszeit dann doch noch erfolgreich angenommen. Es bestand die Schwierigkeit, einen prosaischen Text zu vertonen.
Zur Handlung der Oper: Jenůfa ist unehelich schwanger von Števa. Die beiden möchten heiraten, doch die Ehe kann nicht so schnell stattfinden, denn Jenůfas Stiefmutter, die Küsterin, welche von der Schwangerschaft nichts weiß, verlangt ein Jahr des Wartens. Števas Halbbruder Laca, der Jenůfa ebenfalls liebt, verletzt Jenůfa aus Eifersucht mit einem Messer im Gesicht. Laca bereut seine Tat. Um die Schwangerschaft zu vertuschen und Jenůfa damit die „Schande“ zu ersparen, wird sie von der Küsterin in der Kirche versteckt. Auch die Entbindung findet heimlich bei der Stiefmutter statt. Doch Števa, dessen Interesse an der durch die Messerattacke im Gesicht entstellten Jenůfa schnell verebbte, nimmt die Geburt seines Sohnes nicht zum Anlass, sich um Jenůfa zu kümmern. Die Küsterin versucht daraufhin, eine Verbindung zwischen Laca und Jenůfa herbeizuführen, doch das Kind wird in den Wertvorstellungen der Dorfbewohner zum Hindernis für eine neue Liebesbeziehung. Deshalb lässt sich die Küsterin Laca gegenüber zu der Lüge hinreißen, das Kind sei gestorben.
Doch nun beginnt ein Drama: Um die Ehe zwischen Laca und Jenůfa zu retten, betäubt die Küsterin Jenůfa und ertränkt das Kind. Jenůfa erzählt sie, sie selbst habe Fieber gehabt und das Kind sei in dieser Zeit gestorben. Schließlich wird die Hochzeit geplant. Am Morgen der Hochzeit entsteht eine Tumult, als Dorfbewohner die Leiche eines Kindes unter dem Eis finden. Anhand der Kleidung erkennt Jenůfa ihren toten Sohn. Alle vermuten in ihr die Mörderin bis die Küsterin ihre Schuld eingesteht. Jenůfa verzeiht ihrer Stiefmutter. Diese wird abgeführt. Laca steht trotz allem zu Jenůfa. Gemeinsam versuchen sie einen Neuanfang.

Regisseur Dietrich Hilsdorf versetzt die Handlung in die 1990er Jahre. Die hellblau gekachelte Fassade des Gasthofs „Zur Mühle“ bröckelt. (Bühnenbild: Dieter Richter). Die Geschichte wird im dritten Akt in das Innere des Gasthofes verlegt, der Kreis schließt sich. Die Inszenierung in tschechischer Sprache erlaubt dem Zuschauer einen Blick auf kleine liebvolle Details wie Schäferhunde auf der Bühne, Rosmarintöpfe oder schlagende Kirchenfenster. In die wunderbar gelungene Chorszene im ersten Akt mischt sich ein Mann an Krücken, fahren Kinder auf dem Fahrrad vorbei. Da ist der Tunichtgut Števa (Thomas Ruud) im weißen Anzug, da ist Jenůfa (Marika Schönberg) im geblümten Kleid, die Großmutter (Diane Pilcher) beim Kartoffelschälen und eben die Küsterin (Susan Maclean), deren innere Spannungen hier ihren Anfang nehmen. Das Kreuz im riesigen Kirchenraum ist abgehängt, die Marienfigur verhüllt. So beginnt der zweite Akt. Hier an diesem heiligen Ort grübelt die Küsterin über ihrem Tötungsplan, leidet sie an sich und der Welt. Susan Maclean singt und schauspielert mit Tiefe, zeigt Hartherzigkeit, Güte, Verletztheit, Strenge und die Angst der Figur. Sie gestaltet die Szene der Janacek-Oper zum Höhepunkte der überaus gelungenen Inszenierung. Alles findet seine Umkehr, als die Küsterin versucht, die Liebe und Dorfgemeinschaft zu retten. Den Schlussakt beherrscht die hin- und hergerissene Figur des Laca, der schließlich mit unerschütterlicher Liebe zu Jenůfa steht. Das Gewandhausorchester unter Kapellmeister Axel Kober unterstrich die Handlung mit großer Virtuosität. Es ertönte lang anhaltender Applaus im Zuschauerraum. Um so erfreulicher, dass die Oper Leipzig plant, Jenůfa wieder in den neuen Spielplan zu integrieren, siehe oben.


____________________________________

Donnerstag, 24. September 2009

20 Jahre Mauerfall - Rückblick Buch: Günter Grass: Unterwegs von Deutschland nach Deutschland

(Foto: VivaoPictures, Berlin, November 1989)

Günter Grass: Unterwegs von Deutschland nach Deutschland, Tagebuch 1990

Steidl Verlag, Göttingen 1990

(Günter Grass, 1927 in Danzig geboren, wurde nach einer Steinmetz-, Bildhauer- und Grafikausbildung als freier Schriftsteller tätig. Durch viele seiner Bücher und die Zugehörigkeit zur "Gruppe 47", besonders aber durch die 1959 erschienene „Blechtrommel“ prägte er wesentlich die Literaturlandschaft der BRD mit. Weitere wichtige Werke sind: „Aus dem Tagebuch einer Schnecke“, „Der Butt“, „Die Rättin“, „Unkenrufe“, „Ein weites Feld“, "Mein Jahrhundert“, "Fünf Jahrzehnte", "Im Krebsgang und das grafische Gesamtwerk „In Kupfer, auf Stein“, „Letzte Tänze“, „Beim Häuten der Zwiebel“, „Die Box“ u.v.a.m. 1999 wurde ihm der Nobelpreis für Literatur verliehen. Damit würdigte die Akademie auch die Verbindung von Politik und literarischem Schaffen in seinen Werken.)

(Leipzig/UA) In die Feiersuppe wolle er ihnen mit dem Buch spucken... In den Taumel, der wegen des Jahrestages der Wiedervereinigung anhob und fortschreitet...

So ungefähr äußerte sich Günter Grass während einer Lesung anlässlich der Leipziger Buchmesse im März 2009 im Oberlichtsaal der Stadtbibliothek auf die Frage, warum er seine Tagebücher von 1990 veröffentlicht hätte. Günter Grass setzt mit seinem Bericht seine autobiografischen Veröffentlichungen wie „Beim Häuten der Zwiebel“ und „Die Box“ fort.

Der Nobelpreisträger beharrt auf seiner Einmischung in politische Fragen des deutschen Landes. Wie ein Seher legt er immer wieder den Finger auf die Wunde... Er erweist sich als genauer Beobachter, nimmt kleine Schwankungen in den Entwicklungen der Ereignisse sofort wahr und analysiert sie in seinen Aufzeichnungen. Am 20. Januar 1990 protokolliert er: "Alle Nachrichten aus der DDR bestätigen die Mühsal des Alltages nach dem großen Aufschwung der Revolution." An mehreren Stellen notiert Grass, dass an der Frage der deutschen Wiedervereinigung alte Freundschaften zu scheitern drohen, "es fiel mir nicht leicht", so berichtet er von der Tutzinger Tagung der Schriftsteller, "Willy Brandt grundsätzlich zu widersprechen."

Er erzählt über einen Besuch bei Christa Wolf und seinen Einsatz für die Schriftstellerin, die sich zu dieser Zeit einer Medienkampagne ausgesetzt sah.

„Unser Besuch bei den Wolfs bestätigt mir, dass es richtig war, in der gegenwärtigen Kampagne für sie Partei zu ergreifen, wie zuletzt in dem „Spiegel“-Gespräch, das morgen erscheinen wird. Merkwürdig, wie sie dominiert, wenngleich Gerhard Wolf den klareren Kopf beweist, doch hält er zumeis seine Meinung zurück; ein eingespieltes Ritual. Zwischendurch Gesprächsfetzen über Träume, Enkelkinder, den Fischer vom nahen See, der seinen Fischfang nicht mehr in der Gaststätte loswird, weil (nach Einführung der DM) keine Gäste mehr kommen...“

In Schwerin 1990 notiert er: „Nach wenig Schlaf: Lautsprecher stehen im Land. Einheit heißt ihr Gebot. Jetzt gilt es leise zu sein, damit wir einander und auch die nächste Sturmwarnung nicht überhören.“

Er ist bei aller Skepsis neugierig auf das neue Deutschland, er fährt nach Leipzig zu Pfarrer Führer, mit dem es auf der Lesung 2009 zur Buchmesse ein Wiedersehen gab, und Dresden. In Altdöbern zeichnet Grass die vom Braunkohletagebau geschundene Landschaft. Er entwirft Reden und gibt Interviews. Die Novelle „Unkenrufe“ nimmt Form an, die Recherchen zur Treuhand finden sich 1995 in „Ein weites Feld“ wieder. Der Schriftsteller unternimmt zahlreiche Reisen nach Kopenhagen, Oslo, Paris und Prag. Der Mittsechziger Grass schont sich nicht, feiert Feste, muss zu einer Operation ins Krankenhaus, erzählt über seine Zeit zu Hause in Behlendorf, pflanzt in Portugal Kakteen und nutzt die Ferienaufenthalte auf der dänischen Insel Møn zum Zeichnen und Schreiben. Im Sommer des Jahres 1990 erhält Grass einen Ehrendoktor der Universität seiner Heimatstadt Danzig. "Unterwegs von Deutschland nach Deutschland" gestattet einzigartige Einblicke in sein Privatleben, seine Arbeitsprozesse und sein politisches Engagement.

Ute Apel

______________________________

Samstag, 18. Dezember 2010

Nachlese: Schulze - Die Beste aller Welten

Gerhard Schulze
Die Beste aller Welten - Wohin bewegt sich die Gesellschaft im 21. Jahrhundert?
München 2003, 369 Seiten, Hardcover, 24,90 €, Hanser Verlag


(Leipzig/UA) Jahrzehnte meinten wir zu wissen, wie es weitergeht: Autos werden schneller, Computer leistungsfähiger, Medien aufregender und Einkommen höher.
Wirtschaftskrisen sind Durchgangsstadien zur nächsten Hochkonjunktur, sogar soziale und ökologische Probleme bringen Wachstumsindustrien und -messen hervor.
Doch das moderne Leben besteht zunehmend aus Episoden, wir denken in Skalen.
Aus der Suche nach der Besten aller Welten ist ein Steigerungsspiel geworden, deren Vorläufer der Fortschrittsgedanke war: schneller, besser, mehr, feiner, spezieller, jünger, klüger, lustiger... Zahlreiche unscharfe Begriffe tragen diese Steigerungslogik in sich: Wachstum, neu, Preisknüller, Verbesserung, Erschließung, Auto, Computer, Werbeblock, Fernsehen, Entwicklungsland ... Wer mit offenen Augen durch den Alltag geht, wird viel mehr finden. Es kommt zunehmend zur Häufung von Produkten, deren Brauchbarkeit kaum noch einzusehen ist, zu Funktionen, die niemand mehr in Anspruch nimmt -  zu einer Umkehrung des Suchens.
Für dieses Steigerungsspiel ist nichts auf der Welt so, wie es sein könnte, Dinge und Menschen scheinen noch verbesserungsfähig, egal wie weit man schon gekommen sein mag. Die Kultur der Steigerung macht sich selbst zum Gegenstand dieser Steigerung. Sie ähnelt einem Hochleistungssportler. Konsum eröffnet Beschäftigungsmöglichkeiten, schon allein das Mustern von Beständen strukturiert die Zeit und entlastet vorübergehend von der Frage, was man mit seinem Leben anfangen soll. Im bloßen „Weitermachen“ lässt sich die Sehnsucht an tieferen Sinnerlebnissen vergessen.
In der Welt der Steigerung geht es vor allem um „Sachen“. Doch schnell unterstellt man dem Partner, dem Freund, dem Kollegen Gesetzmäßigkeiten, legt ihn auf einen bestimmten Typus fest, versucht ihn ständig zu formen und umzugestalten und meist im Dienst der eigenen Interessen. Soziales Miteinander verkommt zur „Episode“, der die nächste Steigerung folgt. Doch z.B. die Beziehung zwischen Mann und Frau ist wesentlich komplizierter als eine Datenbank, ein Auto, die Konstruktion eines Hochhauses. Es gibt keine Routinefertigkeiten, die ein halbwegs begabter Mensch im Abendstudium erwerben könnte, um eine Beziehung aufzubauen oder zu reparieren.
Dazu kommt das Vermehrungsspiel, besonders das der Medien.
In seinsgerichteten Projekten spielen hingegen Variation, Metamorphose, Konversion und Improvisation die entscheidende Rolle. Wer jedes Jahr ans Meer fährt, immer an den gleichen Ort, wird es je nach Wetter, Jahreszeit und eigener Stimmung doch immer wieder anders erleben. Es ist immer derselbe Ort, aber jedes Mal anders.
Mit der zunehmenden Routine des Wandels spüren wir die Vorboten einer grundlegenden Veränderung. Die Fortsetzung des Steigerungsspiels führt zur wachsenden Ratlosigkeit und Absurdität. Es taucht nach Erichs Fromms „Haben und Sein“ eine neue Leitvorstellung von der Besten aller Welten auf. Neben das Können tritt das Sein, neben das Prinzip der Steigerung tritt die Idee der Ankunft. Je mehr wir können, um so wichtiger wird die Frage, wer wir sind und was wir wollen.
Doch es gibt noch etwas anders als Steigerung, Vermehrung und Episoden: Liebe, gute Gespräche, tiefgehende Begegnungen, die wichtiger sind als kratzfeste Badewannen, schnurlose Telefone oder das überall verkaufte Buch.
Dieses verständliche und interessante Buch von Gerhard Schulze wird für reichlich Gesprächsstoff sorgen.

Gerhard Schulze wurde 1944 geboren, arbeitet als Professor für Soziologie in Bamberg. Einem breiten Publikum wurde er bereits durch sein Buch „Die Erlebnisgesellschaft“ (1992) bekannt. 1999 erschien „Kulissen des Glücks. Streifzüge durch die Eventkultur“.

Dienstag, 6. September 2011

Utes Buchbesprechungen: Letzte Helden, Reportagen über die Helden der Arbeit in der ehemaligen DDR

Landolf Scherzer
Berlin 2010, 208 S., Originalausgabe, Taschenbuch, 9,95 €,
Aufbau Taschenbuchverlag

Es sind drei unterschiedliche Reportagen, die der Schriftsteller Landolf Scherzer in diesem Buch zusammengetragen hat: Seine Arbeit bei der Thüringer Tafel, eine Reise nach Tschernobyl und die Suche nach ehemaligen Arbeitern, die als „Helden der Arbeit“ in der DDR ausgezeichnet wurden. Stoff für die dritte Reportage zu sammeln, stellte sich als nicht einfach heraus, denn die Betriebe, in denen die Menschen gearbeitet hatten, existieren seit der Wende nicht mehr.
Auf die Idee, nach den Spuren der „Helden der Arbeit“ zu suchen, brachte den Schriftsteller ein Leserbrief. Ein Mann schickte ihm eine Seite aus dem Neuen Deutschland von 1987, auf der ein Verpflichtungsbrief von fünfzig dieser Helden für noch höhere Leistungen an Erich Honecker abgedruckt war. Scherzer recherchierte, was mit ihnen nach 1989 passiert ist, wie ihr Leben weiter verlief.
Einige der „Helden“ waren nicht mehr auffindbar. Und die, die er aufspürte, wollten nicht mit ihm reden.
Manche hatten Angst, dass sie als „systemnah“ eingestuft würden und möglicherweise ihre jetzige Arbeit verlieren könnten. Andere waren der Meinung, Reporter verzerren das Gesagte und schwiegen deshalb. Ein Baumaschinist aus Tangerhütte bringt es kurz und selbstbewusst auf den Punkt: „An meiner Arbeit ist der Sozialismus nicht kaputt gegangen!"
Ein paar der Befragten riefen den Autor nach dem Gespräch noch an und baten, nichts zu veröffentlichen. Der Autor beschreibt das so:
Manche begründeten die Notwendigkeit, etwas wegzulassen, mit ihrer Meinung, alles Persönliche sei in den Geschichten überflüssig. Nach 20 Jahren gäbe es schließlich eine offiziell feststehende politische Lesart über die DDR und das Leben ihrer Bürger. Ein „Held der Arbeit“, der in der DDR Bauingenieur war, formulierte es fachspezifisch: „Sofort nach der Wende hatten die Politarchitekten aus dem Westen das Haus DDR, wie sie es sehen wollten, schon fix und fertig auf dem Reißbrett. Aber sie zeichneten es derart hässlich, dass keiner auf die Idee gekommen wäre, es auch nur teilweise nachzubauen. Und wenn heute die Vergangenheit der DDR in der Birthler-Behörde oder in einer Stiftung offiziell aufgearbeitet wird, dann auch, weil in diesem vorgezeichneten Haus auf dem Fenster „SED-Unrechtsstaat“ oder der Tür „Missachtung der Menschenrechte“ die inzwischen verblassten Farben immer neu aufgetragen werden.“
Scherzer kommentiert seine bitteren Erfahrungen mit diesem Thema abschließend im Nachwort mit folgendem Satz: „Selbst Nichtsagen kann vielsagend sein."

Eine andere Reportage erzählt darüber, wie er für 3 Wochen im thüringischen Eisenach bei der Tafel arbeitete, wo Bedürftige sich verpflegen lassen können. Dort lernte er viele Menschen kennen. Einerseits natürlich die Bedürftigen selber und andererseits die Helfer, die manchmal selbst Bedürftige sind. Gemeinsam mit den Helfern sammelte er in Supermärkten Lebensmittel, sortierte Brauchbares aus, um zweimal in der Woche Brot, Milch, Gurken, Apfelsinen und Kartoffeln an die „Abholer“ verteilen zu können. Dabei sprach er mit den Menschen. Entstanden sind Geschichten von Abholerfamilien und die „Armut“. Hier klingt manches an, was er als Co-Autor des Buches „In einem reichen Land“ gemeinsam mit Daniela Dahn und Günter Grass veröffentlicht hat, wieder an.
Die Tafeln sind an der Abschaffung der Armut interessiert, aber ohne Armut müssten sie sich selbst abschaffen.“, bringt es ein Helfer auf den Punkt.

„Das Wort Tschernobyl heißt auf Deutsch „schwarzer bitterer Wermut“, so beginnt Scherzer seine dritte Reportage des Buches, die vom Versuch handelt, in die gesperrte Zone um Tschernobyl zu gelangen. Auf die Idee bringt ihn eine Veröffentlichung einer Ukrainerin „Eine Mohnblumenliebe“, das man ihm während einer Lesung in Berlin überreicht. Scherzer begleitet im Jahr 2007 eine Hilfsgütersendung in die Region des ehemaligen Atomkraftwerkes. Dort spricht er mit Betroffenen und dabei wird ihm klar, welche Bedeutung rote Klatschmohnblüten für Ukrainer haben. Er erfährt, wie die Behörden arbeiten und den Opfern geholfen oder nicht geholfen wird. Auch berichtet er, wo die Hilfesendungen landen und wie die Helfer arbeiten. Ein Satz, von einer Ukrainerin ausgesprochen, bringt klar zum Ausdruck, was Scherzer sagen möchte: „Wer still hilft, hilft anderen. Wer laut hilft, hilft auch sich".
Als der Autor dann schließlich nach mehreren vergeblichen Versuchen die Möglichkeit bekommt, in die Sperrzone zu gelangen, schlägt er aus. „Erlebnistourismus“ auf Kosten anderer Menschen lehnt er ab.

Landolf Scherzer wurde 1941 in Dresden geboren. Zur Zeit lebt er in Thüringen und ist als freier Schriftsteller tätig. Er verfasste literarische Reportagen über längere Zeiträume wie „Der Erste“ oder „Der Zweite“, aber auch Bücher wie „Immer geradeaus - zu Fuß durch Europas Osten" oder „Der Grenzgänger".



************************************************

Samstag, 26. November 2011

Buchbesprechung: Weiskerns Nachlass von Christoph Hein

Christoph Hein
Weiskerns Nachlass
Frankfurt 2011, 318 Seiten, Suhrkamp Verlag 

Er war nicht immer so übersättigt und zynisch gewesen. Auch er war einmal vergnügt und mit Energie in die Seminarräume gestürmt und zu seinen Vorträgen, war bemüht, die jungen Leute aufzuwecken, sie aus ihrer Lethargie zu reißen, ihnen Futter zugeben oder doch anzubieten... Zu unterrichten bereitete ihm Spaß, er genoss es, ein Lehrer zu sein. Dabei galt er, wie er wusste, als streng und anspruchsvoll, er sein nie zufriedenzustellen, doch es hieß, er sei gerecht und höre zu, was offenbar seltene Lehrertugenden waren...“

Rüdiger Stolzenburg, der Romanheld, ist 59 Jahre alt und hat seit 15 Jahren eine halbe Stelle als Dozent in einem kulturwissenschaftlichen Institut in Leipzig.
Als Dozent für Literatur und Kulturwissenschaften kennt er Schillers Antrittsvorlesung an der Jenaer Universität über den Gegensatz zwischen Brotgelehrten und Geisteswissenschaftlern. Stolzenburg ist noch Geisteswissenschaftler, Aufstiegschancen existieren allerdings für ihn nicht, mit seinem Gehalt kommt er nur schlecht über die Runden. Dürftige Honorare für freie Aufträge helfen beim Überleben.
Der Romanheld ist ein typisches Beispiel des akademischen Prekariats und des alternden, enttäuschten DDR-Wissenschaftlers. Ihm fehlt jede Hoffnung auf eine bessere Zukunft oder wie Christoph Hein in einem Interview über seine Hauptfigur sagt: „Das Leben wird für Stolzenburg noch sehr viel härter werden. Aber da sehen Sie meinen optimistischen Blick auf die Welt, dass ich rechtzeitig den Vorhang schließe.“
Die selbst gesetzten Maßstäbe an Lehre und Forschung kann Stolzenburg unter den bestehenden Verhältnissen nicht aufrecht erhalten. Für sein Forschungsprojekt über den Schauspieler, Librettisten Mozarts und Kartografen Friedrich Wilhelm Weiskern lassen sich weder Drittmittel noch Publikationsmöglichkeiten erschließen. Eine hohe Nachforderung der Finanzamtes, die ihn an den Rande des Ruins treibt, verdeutlicht Stolzenburg endgültig, dass in der privaten und beruflichen Welt, den menschlichen Beziehungen und der Gesellschaft Unverzichtbares abgewickelt wird. Moralische Werte verblassen.
Ablenkung findet er bei seinen Freundinnen, die es aber nicht wagen dürfen, zu tief in sein Leben einzudringen: Er liebt Frauen, aber er braucht die Distanz... Allein zu sein, das ist für ihn lebensnotwendig. Zu viel Nähe verträgt er nicht. So hat er „regelmäßigen, brauchbaren, unkomplizierten Sex“ mit der Friseuse Patricia, die ihn anhimmelt, die er fair behandelt, aber nicht liebt. Schließlich lässt er sie allein zurück. Eine neue Beziehung aufzunehmen, scheitert an Vorurteilen und Ängsten. Hein beschreibt nüchtern die Unfähigkeit zu lieben, nicht, weil man nicht lieben möchte, sondern weil man es verlernt hat.
Aber vielleicht, sagt er sich, ist er mittlerweile zu so etwas wie Liebe nicht mehr fähig, vielleicht ist er zu alt dafür oder zu müde. Nach wie vor ist er gern mit Frauen zusammen, er ist lieber in ihrer Gesellschaft, geht lieber mit ihnen aus als mit seinen Freunden, und die Gespräche mit Frauen sind ihm angenehmer als die etwas drögeren Unterhaltungen mit Männern... Er verträgt es nicht, wenn Tag und Nacht eine Frau um und bei ihm ist, und sei es auch nur im Nachbarzimmer. Er hat sie gern, es macht ihm Spaß, für sie zu kochen, er schläft gern mit ihnen, aber das war es dann auch.“

Um den Wissenschaftler herum zerbrechen menschliche Beziehungen, setzen Gewalt frei, geben mehr Schein als Sein preis. Schließlich wird er ahnungsloses Opfer und unfreiwilliger Verfolgter in einem Betrugsfall.
Hein zeichnet außerdem ein düsteres Bild der jüngeren Generation. So wird Stolzenburg von einer Teenager-Mädchenbande verfolgt, erpresst und niedergeschlagen. Seine Studenten versuchen ihr Diplom gegen Liebesleistungen oder Geld einzutauschen. Einige von Stolzenburgs Studenten, wie der wenig Interesse zeigende Sebastian Hollert, verfügen über ein Monatseinkommen, von dem er nur träumen kann.
Der Roman beginnt und endet an Bord eines Flugzeuges. Die Maschine gleitet ruhig dahin. Nur einer der Passagiere ist auf dem Flug nach Basel ins Grübeln gekommen. Ein Kulturwissenschaftler, also kein Grund zur Beunruhigung...
Christoph Hein bewies schon mit dem Buch „Frau Paula Trousseeau“ seine Analysefähigkeiten. Dem Autor ist ein aktueller, realistischer, literarisch gut durchdachter Gesellschaftsroman gelungen. Mich hat das Buch sehr berührt. Michael Hametner, der mdr-Literaturredakteur meint: „Hein analysiert die Verhältnisse, in denen wir leben, so präzise, dass es einem bei der Lektüre richtig kalt wird."


Über den Autor:
Christoph Hein wuchs in der Kleinstadt Bad Düben bei Leipzig auf. Er arbeitete als Montagearbeiter, Buchhändler, Kellner, Journalist, Schauspieler und Regieassistent. In Berlin und Leipzig studierte er zwischen 1967 und 1971 Philosophie und Logik. Danach wurde er Dramaturg und Autor an der Volksbühne in Ost-Berlin. Seit 1979 arbeitet er als freier Schriftsteller. Bekannt geworden ist Christoph Hein durch seine Novelle Der fremde Freund. Als Übersetzer bearbeitete er Werke von Jean Racine und Molière. Von 1998 bis 2000 war Christoph Hein erster Präsident des gesamtdeutschen PEN-Clubs und bis Juli 2006 Mitherausgeber der Wochenzeitung Freitag. Christoph Hein hat mit seiner inzwischen verstorbenen Ehefrau, der Filmregisseurin Christiane Hein, zwei Söhne, der jüngere ist der Schriftsteller und Arzt Jakob Hein. Hein ist Mitglied der Sächsischen Akademie der Künste. Lyrische Werke von Christoph Hein wurden 2009 von Hans-Eckardt Wenzel unter dem Titel „Masken“ vertont.

Dienstag, 9. Februar 2010

Lyrik: Eva Strittmatter – Leib und Leben, eine Biographie von Irmtraud Gutschke



Irmtraud Gutschke
Eva Strittmatter – Leib und Leben
Das Neue Berlin 2008

Eva Strittmatter, 1930 in Neuruppin geboren, lebt seit 1954 als freie Schriftstellerin in Schulzenhof. Bekannt wurde sie durch folgende Lyrikbände: „Ich mach ein Lied aus Stille“ (1973), „Mondschnee liegt auf den Wiesen“ (1975), „Die eine Rose überwältigt alles“ (1977), „Zwiegespräch“ (1980), „Heliotrop“ (1983), „Atem“ (1988), „Der Schöne (Obsession)“ (1997), „Liebe und Haß. Die geheimen Gedichte“ (2000), „Der Winter nach der schlimmen Liebe“ (2005), „Für meine Schulzenhof-Freunde“ (2008), „Seele Seltsames Gewächs“ (2009), „Wildbirnenbaum“ (2009)
Zu den Prosawerken zählen: „Briefe aus Schulzenhof“ (I 1977, II 1990, III 1995), „Poesie und andere Nebendinge“ (1983), „Mai in Piestany“ (1986).


Irmtraud Gutschke wurde 1950 in Chemnitz geboren und ist bei der Zeitung „Neues Deutschland“ für Literatur verantwortlich. Seit 1971 veröffentlicht sie Texte über Autoren und ihre Werke. 1976 promovierte sie über „Mensch und Natur im Schaffen Aitmatows“ Daraus entstand 1986 der Essayband „Menschheitsfragen, Märchen, Mythen. 2007 erschien in dieser Buchreihe bereits ihr Gesprächsband „Hermann Kant. Die Sache und die Sachen.“


(Leipzig/UA) Eva Strittmatters Lyrik wurde millionenfach aufgelegt. Einen Grund für das Leserinteresse formulierte sie in einem ihrer Gedichte: „Ich schreibe von der einfachen Sache: Geburt und Tod und der Zwischenzeit“. Es wurde ihr oft vorgeworfen, ihre Lyrik sei volksliedhaft, doch in ihrer Poesie finden die Menschen Halt, erleben das, was ihnen widerfahren kann.
Wiederholt hat Irmtraud Gutschke in Schulzenhof gewohnt und die Lyrikerin mit großer Sensibilität interviewt. Sie fand eine scheinbar erschöpfte Frau im Bett und Rollstuhl, die jedoch eine wunderbare Kraft ausströmte.
Es entstand ein Buch, in dem Eva Strittmatter von ihren persönlichen Erschütterungen und ihren Erfahrungen erzählt. Immer kommt auch wieder das Gespräch auf ihre Ehe mit Erwin Strittmatter. Im Dialog wird eine packende Lebensgeschichte erzählt, in der die Leser ihre Autorin wiederfinden können. Zweimal traf Irmtraud Gutschke auch Sohn Ilja an, dessen Äußerungen ebenfalls Platz im Buch finden.
Die beiden Frauen kannten sich von den Puschkin-Tagen in der Sowjetunion, an denen Schriftsteller aus vielen Ländern teilnahmen.
Das Buch lebt einerseits durch die Kraft der Fragen und Anmerkungen von Irmtraud Gutschke und andererseits durch die genaue, offene Schilderung von Eva Strittmatter.
Irmtraud Gutschke berichtete während einer Lesung in Leipzig von der bildhaften Sprache ihrer Gesprächspartnerin und von Nebensächlichkeiten wie dem Kleid, das Christa Wolf trug, als sie bei Strittmatters nach dem 11. Plenum zu Besuch war oder den Löchern in den Strümpfen der rebellischen Tanten der kleinen Eva, die für das Verständnis der Lebensgeschichte der Autorin jedoch von großer Bedeutung sind.
Eva Strittmatter berichtet über die Jahre auf dem ländlichen Schulzenhof, Erwin Strittmatters Jasnaja Poljana, das er sich bewusst schuf. Sie erzählt über ihre Kindheit und Jugend, über ihre vier Söhne, über Hermann Kant, Christa Wolf, Alfred Wellm, Peter Schreier und andere Freunde und Vertraute. Sie berichtet über Geburt und Tod, über Alltägliches und Außergewöhnliches, vom Tod ihres Ehemannes und ihres Sohnes Matthes innerhalb kürzester Zeit. Auch über ihr Alter wie z.B. in einem Gedicht aus dem „Winter nach der schlimmen Liebe“

ALLE VERANTWORTUNG LOSZUWERDEN
Und ohne allzu viele Beschwerden
Die Tage des Alters hinzubringen.
Umgeben von gealterten Dingen,
die jung unser jüngeres Leben umgaben,
Nicht die Vergangenheit umzugraben
Und nichts zu hoffen, das wäre weise.
Einfach nur leben, verborgen und leise,
Mit der Gewissheit, es wird nichts geschehen,
Ich werde auf Erden nichts Neues mehr sehen.
Glaube und Hoffnung sind hingeschwunden,
Und ist die Liebe noch überwunden,
werde ich ganz in mir genesen...
Sie aber ist das Größte gewesen.


Auch über die Arbeit an ihren Gedichten reflektiert sie, zitiert, erwähnt die Entstehungsgeschichte des einen oder anderen Werkes. In der Zusammenarbeit mit ihrem Mann entstand Großes auf beiden Seiten. Die studierte Germanistin redigierte seine Texte und profitierte auch von ihm. „Natürlich. Vor allem seine präzise Art, Natur zu sehen und zu beschreiben, hat mir viel vermittelt. Poesie ist doch das Gegenteil von dem, was man gewöhnlich dafür hält. Es geht nicht um poetische gehobene Sprache, Genauigkeit ist das Entscheidende. Die Genauigkeit der Anschauung. Ich habe durch die Zusammenarbeit mit ihm verstanden, dass es für alles einen sinnfälligen Ausdruck gibt. Der darf niemals angestrengt wirken.“
Als die beiden Frauen am Gesprächsbuch arbeiteten, erschien gerade Werner Lierschs Artikel „Erwin Strittmatters unbekannter Krieg“, der in den Medien für große Aufruhr sorgte und Eva Strittmatter tief erschütterte und entsetzte. Die Biografie des großen Schriftstellers ist eine Jahrhundertbiografie, die manchmal einfacher schien als sie war. Auch dieses Thema fand seinen Platz im Buch. Eva Strittmatter wollte es erst im Anhang wissen, doch die Gesprächspartnerinnen einigten sich doch, es in den Text aufzunehmen.
Manchen Leser erschüttert vielleicht die nüchterne Sicht auf das Jahr 1989 und Gorbatschow. Betrachtet man jedoch das Leben der Autorin insgesamt, erscheint auch das nachvollziehbar. Es ist und bleibt Eva Strittmatters Geschichte. Es erzählt eine Frau im Zwiespalt liebevoller Aufopferungsbereitschaft und dem eigenen Entfaltungswillen. Sie hat die Differenz genutzt, die daraus entstand, wie sie sich ihr Leben einst vorstellte und was schließlich Realität wurde. Sie hat daraus Kunst geschaffen, doch das soll nicht das Fazit sein.
Am Ende äußert die heute 80-Jährige die Hoffnung, dass es ihr noch gelänge "...zwei oder drei oder vier kleine Poesien zu machen."

Ute Apel


____________________________