Letzten Sonntagabend, den 09.03.2014, waren außergewöhnliche Tanzinterpretationen und choreographische Umsetzungen zu zeitgenössischer Musik im Pfalzbau Ludwigshafen/Rh. zu bewundern. Zwei kürzere Stücke vor der Pause und eine langes nachher füllten einen dichten Abend, der dennoch kurz erschien, verließ man das Haus. Die erste Stunde entzog sich dezent dem Verständnis. Es waren kaum Anhaltspunkte zu finden, was die Story ausmachte, alles ein bisschen kryptisch. Gegen Ende hin, der auffallende Spaß am Verblüffen, Überraschen und Logikauflösen bei Barak Marshall in seinem Stück über den ewigen Streit zwischen Juden und Arabern, zwischen Mann und Frau. Dazwischen Großstadtleben mit bunten Disco-, Club- und Loungeatmosphären von Wen Wei Wang. Tänzerische Spitzenleistungen, überzeugende Figuren und frischer Sex-Appeal belebten den Abend.
Es war unklar, was in FUEL (Choreographie: Cayetano Soto) mit den Figuren passiert, aber soweit kann man gehen: Zu schneidenden, schrägen und zeitgenössisch verzerrten Violinen- und Celloklängen wird eine Mechanisierung der Figuren gezeigt, eine Dominanz der Musik(peitsche), ihre unterdrückende Wirkung. Im Hintergrund Maschinenlärm und -gestampfe. Zu der Musik der amerikanischen Komponistin Julia Wolfe werden die Figuren eingenommen von diesem TREIBSTOFF, der sie zu willenlosen Marionetten macht, sie nicht aus den Klauen lässt, egal, was sie versuchen. Das Beisammensein, die Zweisamkeit - alles wird dominiert von dieser Dynamik. Es gibt kein Entrinnen, keine Pause, die Maschine, einmal angeworfen zwingt zum Danse mécanique ... Wie mir schien, eine Tanzmetapher für Aufbegehren und Unterdrücken, Gefangensein im Immergleichen und Verbot des Aufhörens, unter dem Diktat des Industriellen (Zeitalters)!
In der NIGHTBOX (Wen Wei Wang) zu New York-Bildern eine Techno-Disco, die den Großstadtpuls das ganze Stück hindurch symbolisiert. Das pulsierende Nachtleben mit dem Geschlechterreigen, den Neckereien - ägyptische Rhythmen und erotische Standbilder weisen auf Sexualität, Verführung, Verlockung und Begehren hin. Das typisch narzistische Getriebensein in einer beeindruckenden Spiegelbildsequenz mit zwei Männern eingefangen, der Kampf zweier Männer um die Frau auch hier in dutzendfacher Ausführung, der Ausklang des Stücks mit einem lyrisch-melancholischen Abschied eines Paares.
HARRY ist nun wirklich ein besonderes Meisterstück. Ein modernes, kritisches, politisches, witziges Handlungsballett, das einem viel mehr als perfekten Tanz mitteilen kann. Barak Marshall kam auch über alle Maßen positiv an. Zu Swing Jazz der 50ties, arabischen und jüdischen Klängen läuft eine Story ab rund um Harry, der ein Problem hat: "Harry makes God angry, he plays one who raps God." Es wirft einen Bogen von der Nachkriegszeit, der Entstehung Israels, zum andauernden Fight mit den Arabern / Palästinensern und der schützenden Hand der USA, die sich da im Bedeutungshintergrund tummelt. Alles reich garniert mit jüdischem Witz den Tod betreffend, dezenter Frechheit gegenüber den Christen. Harry stirbt nicht, er hat viele Leben, wird beerdigt, steht wieder auf, weil er das Keifen und Streiten am Grab nicht aushält oder weil er einfach wieder losgeschickt wird. Wie der ewige Jude auf Suche und Wanderschaft, umhergetrieben in wilden Tänzen, wird sein Liebesleben nicht akzeptiert. Hat er endlich mal eine, die passt, die er liebt - im Gegensatz zu den ganzen Interessentinnen, die alle eine Nummer zu groß oder zu klein für ihn sind, gezeigt in einer Deckel-und-Topf-Szene - geht die Menge auf ihn los und ballert wild auf die beiden. Marshall hat hier eine eine witzige Art gewählt, das Schießen zu entschärfen. Es ist alles nur Jux, Luftballone werden angestochen und platzen laut. Dabei ist das Leben in Israel gefährlich, das Schießen sehr echt und bittere Realität. Alles fließt rein, der Streit mit den Arabern, der Haß, das Spucken auf die anderen, der Hass auf das andere Geschlecht. Harry wird exekutiert, aber ist ja unsterblich. Der Streit zwischen den Geschlechtern wird deutlich als handgreifliche Szene, in der die Frauen die Männer umlegen. Dies alles zum Evergreen "Bei mir bist du scheen". Da spielen ganz andere Emotionen mit hinein, die Komplimente, die Lügen und die Enttäuschungen. Auch in einer späteren Szene sind die Frauen die Stärkeren. Das Töten scheint Lust zu bereiten und die Frauen zu beruhigen. Wie heißt es gegen Ende: "Ich habe Langeweile, willst du nicht einen Krieg beginnen?" So eine Frau zu ihrem Mann. Welche Seite hier gemeint ist, Araber oder Israelis, der Geschlechterkrieg, bleibt offen.
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