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Dichterhain, Bände 1 bis 4

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Montag, 12. Dezember 2016

Wie war's bei DER GOLDENE DRACHE in Frankfurt?

Vier asiatische Musiker und der Junge     (c) Barbara Aumüller
Ungewöhnlich, schräg und vielgesichtig ist die zeitgenössische Oper von Peter Eötvös nach einem Bühnenstück von Roland Schimmelpfennig. In Frankfurt a.M. im Bockenheimer Depot jetzt vor Weihnachten im Programm brachte eine Herausforderung auf die Bühne. Vom Komponist begeistert vertont, weil ihn die Klarheit des Textes ansprang, er sofort wusste, dass er die Musik dazu schon im Kopf hätte. 

Fünf Menschen/Schauspieler treffen sich zufällig und beschließen ein Stück zu spielen, ein Theater im Theater, ein Schaukasten - da schaut hin, was alles passieren kann. In 21 Szenen (im Original 48) spielen die fünf mit ordentlicher Bandbreite, Ausdruckskraft und schnellen Umziehzeiten 18 Rollen, darunter fünf Asiaten, eine "Ameise" (hier herrisch und konsequent erniedrigend Hedwig Fassbender) und eine "Grille" (immer bunt und virtuos Ingyu Hwang).

Vom Ensemble Modern, das diese Wochen seine ganze Vielfalt in der Frankfurter Oper präsentiert, sehr überzeugend und meisterhaft gespielt, hielt einen diese atonale, dissonante, teils aufdringliche Musik und entsprechender Operngesang im Bann. Der Komponist nennt das Stück Musiktheater, er hält es selbst nicht für eine Oper, obwohl es uns als Publikum ganz so vorkommt. Eötvös mischt die Genres und Gattungen und will sich bewusst nicht festlegen. Kabarett, Comedy, Vaudeville, Fabel, Oper, Schauspiel ... reichlich Würze.

Dazu das Gegenteil zur anspruchsvollen und fordernden Musik zu sehen, einen Haufen Abfall, Messi-Atmosphäre, in der Küche eines asiatischen Imbissrestaurants mit Gastraum. Was einem ohne Vermittlung bzw. Vorinformation nicht klar ist bis zum fortgeschrittenen Zustand des Stückes in der elften Szene, dass es tatsächlich um die Existenz asiatischer Einwanderer in unseren Gefilden geht, die in vielen Städten sich mit Gastronomie über Wasser halten und das mitunter nur noch gerade so. 

Um hier auf der Metierebene zu bleiben, kann man sich ein ähnliches Geschehen nur schwer im Kebabwirtschaftssektor vorstellen, auch viele asiatische Imbisse werden allerdings gerne und gut besucht. Aber wie es das Leben so will, manchmal passiert es eben überall, das Geld wird knapp, Limits sind erreicht, die Armut macht sich entsetzlich breit. Krankenversicherungen hat nicht jeder, Obdachlose und andere, die sich dem Arbeitsleben oder der Gemeldetheit bewusst entziehen, können ein Lied davon singen. Freiwillige Versicherungen kosten Geld, brauchen eine (Schein-)Adresse und eine Identität. Wer hat schon als Obdachloser oder Illegaler runde 2000 Euro im Jahr, um seine Krankenversicherung zu zahlen? Die wenigsten. Also weitere Schwierigkeiten. 

Um zum Stück zurückzukehren - es bleibt unklar, ob zum Betreiben eines Imbisses nicht Gesundheitsamtauflagen und Gesundheitschecks der Betreiber gehören. Kaum zu glauben, dass jemand ohne Krankenversicherung Essen verkaufen darf. Aber darum geht es nicht, das ganze Geschehen ist so verrückt, absurd, grotesk, surreal, dass es auf den Wahrheitsgehalt nicht ankommt. In dieser Geschichte geht es um den tobenden Zahn eines Jungen aus China (schön gespielt von Karen Vuong) als Pars pro toto, der an der Wurzel so vereitert zu sein scheint, so schmerzt, dass er gezogen werden muss. Dieser Umstand ist der Schlüssel zum Verständnis, dass die (illegalen) Migranten so viel Unterdrückung erfahren, dass sie krank werden, und so arm sind, dass sie einen Zahnarzt nicht bezahlen können (oder wollen wegen der unbekannten Anwesenheit). Der Junge sitzt fast die Hälfte des Stücks jammernd und ohne viel Bedeutung bei den Personen des Stücks, die sich mit ihren Eigenheiten entfalten und vorgestellt werden, bevor es klar wird, dass geholfen werden muss, und es nicht normal geht! Hier fällt der Groschen. 
Der Junge und die Stewardess
(c) Barbara Aumüller

Die Personen, die die Extraktion dann selbst vornehmen, weil der Zahnarzt nicht bezahlt werden kann, darunter zangenschwingend Hans-Jürgen Lazar und brachial gewaltig wie kurvenstark als Stewardess Holger Falk, tun dies in einer Orgie der Betäubung mit Schnaps, verrückterweise weniger für den Schmerzleidenden. Der Zahn wird mit einer Rohrzange gezogen, fliegt durch die Luft in den Wok und landet später in der Suppe von zwei Stewardessen, von denen eine ihn findet und später dem Jungen wieder symbolisch einsetzen möchte als Wiedergutmachung. Hier ist aber schon alles zu spät. Die Wunde ist so tief und unstillbar, dass der Junge daran stirbt. Als Zeichen für die tödliche Entwurzelung der asiatischen Familie, es sind fünf Mitglieder, lässt der Autor die Familie in der Wunde (!) des Jungen sitzen. Die Beerdigung geschieht illegal, kostenfrei, man wickelt den Jungen in den Wandteppich aus dem Restaurant mit einem goldenen Drachen darauf und wirft ihn in den Fluss, den Zahn hinterher. Reichlich asozial und unmenschlich die Entsorgung des Jungen.

Auch die "Ameise" und "Grille" sind Zeichen für die Beziehung von Wohlhabend und Arm, die Ameise fleißig, geizig und sich ergötzend an der schwachen Grille, die sich für Essen prostituiert, zum Tanzbär macht usw. Sie krabbelt und wälzt sich auf Geheiß im Dreck. Der Niedergang des Stolzes, der Individualität, der Familie, der Heimat, der Wurzeln verläuft synchron mit der Niederholung des goldenen Drachens von der Wand. Dennoch bleibt er ein Stück Schutz und Heimat auf der letzten Reise des Jungen. 

Ein sehr eigenwilliges "Musiktheater" mit Operncharakter, das durch seine Musik, schillernde Buntheit, schräge Lautheit und Verrücktheit sich einprägt. Die Kritik an der Migrantenpolitik, Gesellschaft und deren Verhalten gegenüber Ausländern eigentlich nur am Rand, und dennoch wirksam.

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