Sechstes Kapitel
Es geschah, daß er in solcher gemischten Stimmung einstmals zu ihr ging, und sie allein fand. Sie empfing ihn mit zutraulicher Freude, und während sie ihren Leuten befahl, sie vor jedem Andern zu verläugnen, führte sie ihn in ein kleines, sehr zierliches Gemach, welches sonst nicht für Fremde offen stand. Hier zeigte sie ihm, was sie mit hellen, lieblichen Farben seit einigen Tagen an hübschen Menschengestalten und heitern Landschaften gemahlt hatte, ihn über Verschiednes in dieser Kunst befragend, und sich zugleich auf's zierlichste über die Blödsichtigkeit und anmaaßende Dumpfheit der Franzosen für alle solche Gegenstände lustig machend. Sie blieb hierbei nicht stehn, sondern erholte sich bei Alethes Raths über viele Geschäfte des wirklichen Lebens, mit einer Zuversicht und Offenheit, die vorauszusetzen schien, sein Interesse sey auch unabtrennbar das ihrige, und nichts könne ihr begegnen, was nicht eben dadurch Anspruch auf seine Thätigkeit und Theilnahme gewinne.
Er gab sich hin der süßen Täuschung, zu ihr zu gehören, und lebte so ganz darinnen, daß eine Kammerfrau, die zu Yolanden trat, und ihr heimlich, aber doch daß er's hören konnte, einen Vornehmen des Hofes anmeldete, ihn schon durch eine solche Erwähnung recht schmerzlich verletzte. Yolande entgegnete zwar sehr unwillig: geh! Hab' ich's denn nicht gesagt, daß ich für Niemand zu Hause seyn will? – aber Alethes Brust hob sich dennoch zu einem tiefen Seufzer, weshalb sich die schöne Frau wie begütigend zu ihm wandte, sprechend: er ist ja nun schon abgewiesen; seht mir deshalb nicht finster, mein lieber Freund. – Alethes aber empfand den Zauber ihrer traulichen Hingebung zu lebhaft, um nicht den Klagen, die ihm das Herz beengten, Raum zu geben, als habe er ein Recht dazu an Yolanden, wie an eine liebende Braut. O mein Gott, sagte er, es ist nicht nur um dieses Augenblicks willen; aber muß er nicht unaufhaltbar vergehn? Und muß ich Euch nicht Morgen wieder in dem kläglichen Glanze dieses französischen Hofes antreffen? Da wird abermals die fremde, höchst widerwärtige Sprache von Euern süßen Lippen fließen, sich Reiz von ihnen borgend, und doch mir eben dadurch, daß sie so etwas wagen darf, noch mehr verhaßt. Um Euch her stehen die stattlichsten Puppen aus dieser Werkstatt, und Ihr thut, ihnen zu gefallen, als wär't Ihr auch beinah so etwas, wie sie. Der König wankt vorbei, und denkt mit einem Blick, der ärmlichen Freundlichkeit und Bewundrung voll, den Himmeln in Euern Augen eine Gnade zu erzeigen, nach denen ein Sünder, wie er, gar nicht einmal sollte aufschauen dürfen. Und Ihr nehmt es auch für eine Gnade an, oder thut doch so, während Alethes mit seinem Herzen voll brennender Lieb' und Sehnsucht an dem Spieltisch einer langweiligen Dame steht, lieber auf die gleichgültigen Karten schauend, als auf die Entweihung der höchsten Erscheinung, die er in dieser Welt jemals erblickte, die ihm – ach, laßt nur! Ich gab thörichten Worten zu schnelle Vergunst, und störe mir nur diese seelige Stunde, da es doch für Morgen nun einmal nicht anders wird, als es Gestern und Vorgestern und viele widrige Tage hindurch war. Antwortet mir nicht, ich bitte Euch, sondern laßt mich's über eine Eurer süßen Spielereien vergessen.
Yolande sah trübe zu ihm empor. O Alethes, seufzte sie, und das war Deine Klage? Das Dein Sichabwenden von mir, und Deine Verfinstrung mit all' ihrem ängstigenden Gefolge? Ich konnt' es ja freilich nicht denken, Dir liege etwas an jenen als Nichts an Nichts ausgetheilten Bröcklein, Du hoher Liebling. Eine albern verdrehte Redensart, ein modisch verschnörkelter Gruß, – was sollte das Dir! Aber was es in der bunten Gesellschaft großentheils niemals giebt, oder was dorten doch niemals gilt – Wort und Wink, aus dem innersten Gemüth hervor – das, meinte ich, seye für Alethes, und so eine hesperische Frucht gebühre dem edlen, siegenden Fremdling allein. Er will es anders; auch vom bunten Schmetterlingsstaub will er sein Theil. Nimm davon, was Dich freu'n mag, Alethes; nimm es ganz. Ich will für keinen Hof und keinen König mehr Augen haben, will Dich mit Gaben überschütten, wobei ich zwar eigentlich in Deinem Namen erröthen werde, daß solch ein klägliches Spielwerk Dir, o mein Heros, angehören darf! Welche Tänze willst Du für Dich? Mit wem soll ich zum Spieltisch gehn? Oder soll ich's mit Niemanden? Sag' es nur, Alethes, und schilt mich nicht wieder.
Er lag zu ihren Füßen, er faßte die schlanke Gestalt inbrünstig in seine Arme, als ziehe er den Himmel mit aller Seeligkeit an sein schlagendes Herz herab. Nein! rief er, Du sollst mein seyn, Du heiliges Feuer, unter den Schleiern der süßen Verborgenheit. Nein! Gönne den Faslern was gut genug ist für sie, und mir laß unbeneidet, ja unbekannt den Platz, den Du mir zartsinnig bewahrtest, das Anschauen Deines hellen, freundlichen Lebens in seiner Innigkeit, die thörichten Blicken unsichtbar bleibe, wie die Gottheit selbst.
Ihn emporhebend drückte sie einen heißen Kuß auf seine Lippen. Dann aber führte sie ihn nach der Thür. Geh, sagte sie. Wenn ich einmal Deine Frau bin, bleiben wir länger beisammen. Jetzt dunkelt der Abend, und ich dulde seinen rostenden Hauch nicht auf dem Spiegel meines Rufs. Gaukelnde Gestalten mögen die Menschen darin sehn, mehr gönn' ich ihren gift'gen Augen nicht, und meinen klaren Augen noch minder.
Alethes schied ohne Widerstand; dann ging er die schon finstern Straßen im tiefen Sinnen entlängst, noch kaum den neuen Bund begreifend, der eigentlich gar nicht einmal geschlossen, sondern nur wie ein schon längst geschloßner ausgesprochen war. Eben das aber zog ihn so zauberisch an, indem also sein ganzes Gefühl es geboten hatte, und er sich gern auch hierin von der Geliebten verstanden sah.
Eben schritt er längst dem Gegitter hin, das einen öffentlichen Spaziergang einschloß, unter dessen hochrauschenden Bäumen er Stimmen vernahm, welche durch den hier ungewohnten Laut der Deutschen Muttersprache die Aufmerksamkeit des bis dahin ganz in sich und seine Erinnerungen Versunknen erweckten. Eine Knabenstimme sang folgende Worte:
Weh, gingst mir verloren,
Bliebst mein eigen nicht!
Singe mir das Lied von vorne, sagte eine tiefe Mannsstimme. Wir Beide sind in der späten Abendstunde allein, und wenn auch so ein Franzmann vorbeirennt, versteht er' s nicht einmal.
Wie habt Ihr nur Eure Lust immer am Liede einer Kranken? erwiederte der Knabe.
Hast Du' s doch selber auswendig gelernt, und zwar vom bloßen Singenhören, sprach der Andre. Zudem weiß Niemand, wie es mit der Krankheit beschaffen ist. Manch ein frommes Gemüth passirt vor einem Treiben wie das in unserm Haushalt für schwermüthig, wenn es gleich eigentlich rechtmüthig heißen müßte.
Ihr predigt wahrhaftig, alter wilder Herr! lachte der Jüngling. Wie kommt Euch denn das einmal an? Eine so schöne Dame, und die sich in solche Abgeschiedenheit vergräbt! Was kann sie anders seyn, als krank.
Still! rief der Alte sehr ernsthaft. Steh von den frechen Reden ab, und singe statt Dessen das Lied.
Ohne weitre Gegenrede sang der Jüngling folgende Verse:
Sollt' ich doch Dich missen,
Ach, warum Dich schau'n?
Ach warum zerrissen
Mir mein Dämmrungsgrau'n?
Leis' und träumend lebt' ich
In der Still' Umfang,
Manchmal nur erbebt' ich,
Wenn Dein Name klang.
Doch auf Wassers Spiegel
Tief in stiller Nacht,
Brach der Ferne Riegel
Vor geheimer Macht.
Wiegend schwamm auf Wogen
Mir Dein Bild heran,
Abwärts bald gezogen,
Königlicher Schwan!
Weh, gingst mir verloren,
Bliebst mein eigen nicht,
Hast Dir Gluth erkoren
Für das stille Licht!
Und mein Sinn, zerrissen,
Will sich selbst nicht trau'n.
Sollt' ich doch Dich missen,
Ach, warum Dich schau'n!
Der Alte seufzte tief. – Was sie damit will, sprach er, kann freilich Niemand wissen, aber es hört sich sehr beweglich an.
Mit diesen Worten entfernten sich die Beiden, und Alethes glaubte im Halbdunkel die Gestalt von Yolandens schönem Pagen, Erwin, zu erkennen.
Er dachte aber kaum flüchtig hieran, auch das ganze unverständliche Lied rauschte ihm als nichtbedeutend vorüber, nur daß die Erwähnung eines Gewässers in stiller Nacht ihn an den Weiher erinnerte, wo er Yolandens Gestalt zum erstenmal wahrnahm, und an den Gesang, welcher dort von ihren Lippen quoll. Die Worte desselben hatten sich ihm unverlöschlich eingeprägt, und er wiederholte sie im Gehen leise vor sich hin, wobei er beschloß, Yolanden nächstens zu bitten, daß sie ihm das ganze Lied, den einweihenden Hymnus seiner Liebe, vorsinge.
Es gab aber dazu so bald keine Gelegenheit, denn die Augenblicke, welche ihm ein halb neckendes, halb begünstigendes Schicksal fortan bei der schönen Geliebten vergönnte, waren stets allzu unerwartet gewonnen, allzu flüchtig wieder verschwunden, um an etwas Andres denken zu lassen, als an die Gegenwart ganz allein. Alethes fand sich recht gestört, so wenig von dem Grünen, Knospen, und Erschließen seiner herrlichen Lebensblume zu wissen; ihm war noch immer zu Muth, als gehöre sie ihm nicht eigentlich an, wie sie so abgerissen von ihrem frühern Leben vor ihm stand, einer leuchtenden Himmelskugel vergleichbar, deren schnelles Verschwinden aus ihrem schnellen Heraufsteigen gewiß ist, so, daß der Wandrer keinen milden Trost davon auf seinem späten Pfade erwarten darf, wohl aber Blendung und tiefere Nacht. Im Gefühl dieser Unsicherheit sprach Alethes einstmals Worte, auf welche Yolande bald darauf durch folgenden Brief antwortete:
»Du hast nicht genug an dem Strahle der Morgensonne, Alethes, die Gedüfte der Wiese freuen Dich nicht, mismuthig sitzest Du an des silbernen Quelles Ufer. Ueber welche ferne Eisberge und braune Haiden das seelige Licht zu Dir heraufgewandelt sey, aus welchen kümmerlichen Saamenkörnern die Blüthen sich entfaltet haben, welchem Abgrunde die Woge entsprudle, – das willst Du wissen. – Hüte Dich! – Der Beginn alles Lebens ist unerfreulich, dem Graus und Schmerze näher verwandt, als der Lust. Aber Du beschwörest rastlos den finstern Erdgeist herauf, der an den Wurzeln des Seyns wohnt, und ich bin so ganz Dein eigen, daß ich auch darin Dir nicht entgegen seyn kann. Vernimm denn, Du kecker, Du vielgewaltiger Zaubrer!«
Man sah, daß hier die Schrift abgebrochen und erst nach einem Zwischenraume mit veränderten Zügen auf folgende Weise fortgesetzt war.
»Sey freundlich gegen mich, Alethes, und zwinge mich nicht, mein Versprechen zu halten. Ich wollte Dir meine Vergangenheit aufzeichnen, aber mir ward betrübt und weh dabei zu Sinne. Finster war ein Theil derselben, bunt verworren der andre. Vater und Geschwister haben mich nie geliebt, und doch, meine ich, lag die Schuld nicht an meinem fröhlichen, sondern vielmehr an ihrem trübseeligen Daseyn. Kein Verbrechen lastet auf jenen Tagen, aber viel Jammer und Noth. O Du lieber Alethes, habe mich doch lieb, wie ich bin, in aller meiner Liebe und Holdseeligkeit, und zwinge mich nicht, in den dunkeln Schacht zurückzukehren, der hinter mir liegt. Bleich und freudlos würdest Du mich vielleicht wiederkehren sehn, krank gewiß; und was hättest Du davon? Traust Du mir so wenig, daß Du eine Geschichtserzählung meiner vergangnen Tage verlangst, als Bewährung, ob mich das Zagen, welches ich davor empfinde, nicht erniedre, so steht es fürwahr schlecht um uns Beide, und erkläre Du mir es dann lieber gleich, damit ich die freudigen Gluthen meiner Augen in Thränen um Deine und meine Fehlschlagungen lösche. Bist Du jedoch recht in Geist und Herzen mein, wie ich Dein bin, lieber Alethes, so pflege Deiner lächelnden Blume wie ein treuer, freundlicher Gärtner, abwartend, vor welchen Sonnenblicken sich die heitern Farben entfalten, die noch unsichtbar ihr Innres durchglühen. Du wirst viel seelige Stunden verleben, wenn sich die stille Regenbogenpracht so freiwillig und lind erschließt. Mußt Du aber die Knospe gewaltsam brechen, feindseeliger Anatom, um zu wissen, was ihr kindliches Räthsel will, ach, so brich nur zu, denn Du hast auch dazu Macht, und streue vornehm die Trümmer Deiner und meiner Freuden um Dich her.«
Seit diesem Briefe verstummten Alethes Fragen; sie wichen davor zurück in's Dunkel, wie Geister vor einem magischen Siegel, und auch in sich selbst fand er sich von ihnen nicht mehr so gestört, als vordem. Ihn schmerzten jetzt nur die häufigen Unterbrechungen, denen der äußre Anstand und Yolandens Hofleben seinen Umgang mit ihr unterwarf. Und wenn sie einmal Vorwände fand, alle Besuche auf einige Stunden lang von sich zu entfernen, traf dies fast immer auf Tage, an denen Alethes durch Zusammenkünfte mit Gaston oder andern ihm wohlgesinnten Franzosen für das große Ziel seines Hierseyns festgehalten war. Er durfte dergleichen um so minder versäumen, da das Geschäft einen günstigen Gang nahm, und seinem Erfolge sehr nahe war. Um so näher aber war auch seine Abreise aus Paris, und das Beginnen einer Laufbahn, die ihn auf lange von Yolanden entfernen mußte, daher ihn die stäte Hinderung seiner liebsten Wünsche zwiefach schmerzend beengte.
Eines Abends in sehr glänzender Hofgesellschaft schien es, als habe Alethes Sehnsucht Yolandens Gemüth mit unwiderstehlicher Kraft durchdrungen. Sie hielt den Geliebten in ihrer Nähe fest, wie es sonst niemals unter Beiden öffentlich zu seyn pflegte, und flüsterte ihm endlich, schon als man beinah aufbrechen wollte, in's Ohr: Heut Nachts, Alethes! Die Ufer der Seine entlängst! Durch die Gärten hin an meine Wohnung. Sie wird Dir offen seyn! –
Damit wandte sie sich ab, in ein ämsiges Gespräch mit Gaston gerathend, um, wie es schien, den Vorzug wieder zu verwischen, den sie Heute so ungewohnter Weise dem Grafen ganz ohne Hehl gestattet hatte. Alethes fühlte sich wie betäubt, und konnte sich noch kaum überreden, recht gehört zu haben, bis ein sprechender Wink Yolandens beim Abschiede ihn seines Glücks vergewisserte.
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