Letzten Donnerstag im Studio des Theaters im Pfalzbau war die Premiere des Stücks. Regie führte Matthias Folz. Die beiden jungen Erwachsenen vom Kinder- und Jugendtheater Speyer spielten Tom und Romy sehr überzeugend, ließen alle teilhaben an diesem sehr lange dauernden Anlauf zur Nähe. Mit Blendentechnik und häufigen Positionswechseln kommt Dynamik in dieses Geschehen, das sich nur an einer Bushaltestelle abspielt.
Romy hat ein riesiges Problem, das sich im Laufe des Stücks herausstellt: In einer erzählten Traumsequenz wird klar, dass sie nicht gewollt war, ein Zufallsprodukt, ungelegen. Ihre Eltern waren kaum in der Lage, dem Kind einen Wunschnamen zu geben, drum läuft sie auch mit einem Identitätsmangel traumatisiert durch die Gegend. Sie wechselt die Namen, um jedem klar zu machen, dass ihr Ich, ihre Identität, einfach schwer zu greifen ist. Sie hasst ihre Eltern dafür, Traumbilder transportieren ihre Gefühle. Immer wieder tauchen starke unbewusste Regungen auf, die Eltern dafür zu bestrafen. Selbst das Niederschlagen des Vaters mit einem Freund zusammen steht auf ihrer unbewussten Wunschliste.
Und was treiben die beiden Jugendlichen an der Haltestelle? So zwischen 15 und 17 ist das schwer, seine Gefühle auszudrücken oder auch auszuleben. Tom jedenfalls hat sich für die Kontaktaufnahme Mut "angeschossen", nämlich beim Ballerspiel "Call of Duty", das mit anderen artverwandten Kriegsspielen Hunderttausende von Jugendlichen in Deutschland beschäftigt. Nach 30 Toten war er soweit, seine Angst war überwunden. Er fackelt nicht lang, spricht sie an und drückt ihr auch einen Kuss auf die Lippen. Romy ist in einer Privatschule in England und will gerade dahin fliegen, als sie sich treffen. Es ist Januar und diese Haltestelle wird für die folgenden 18 Monate ihr einziger Treffpunkt und Lebensraum für ihre Zuneigung. Er hat weder E-Mail-Adresse noch Handynummer von ihr, daher ergoogelt er die Zeiten, wann die Engländer Ferien machen und wann sie wohl auftauchen könnte. Es klappt! Auch das dritte Date klappt so, sie hat es bereits eingeplant und hat Kaffee, Cookies und Decke dabei, wir sind schon Monate weiter. Er holt sich seinen Kuss oder auch zwei. Dann bleibt sie aus ... Beim fünften Warten ist Weihnachten, er hat ein Nikolausmützchen auf, und tatsächlich, sie kommt wieder, will schnell wieder gehen, aber er weiß als Young Professional sofort per Handyrecherche, dass der Flieger Verspätung hat. Sie nützen die Zeit, er küsst sie natürlich, sie träumen von Kuba und dem Strand. Dann ist sie wieder weg. Das Kurzangebundene dieser Beziehung, die wenigen Minuten, die bleiben, sind typisch für Theaterstücke von Höfeld, der seine Jugendlichen oft in einem atemlosen Treiben durch die Zeit hetzen lässt. Naheliegend, wenn man die Stundenpläne und Aufgabenlisten der Kinder anschaut. Meistens prall gefüllt und für Persönliches nicht viel Platz! Früh übt sich ... Danach wartet er wieder viermal vergeblich, erst beim fünften Mal kommt sie. Er ist schon weg, nicht ohne seinem Frust Ausdruck verliehen zu haben, sie sammelt die 5 Rosen der vergangenen Wochen ein ... Um sie wiederzufinden, hängt er ein Plakat von ihr aus und bekommt Hinweise von Menschen aus allen Himmelsrichtungen ... Dann endlich! Es ist Ostern! Er möchte mit ihr nach Paris zu "Chez Pauline" essen, flirten und noch viel mehr. Aber ihre Eltern wohnen in der Nähe, sie wollen feiern, essen gehen. Er wird sauer, will sein "Recht", aber akzeptiert auch eine Parisreise an der Haltestelle. Sie spielen am Abend Paris und fühlen sich wohl, sie versorgt ihn mit Essen, sie sitzen beieinander, halten Händchen, schauen einen Mini-Eiffelturm als Parisersatz an und erfahren viel über sich. Aber beim nächsten Mal berichtet Romy wieder von ihren Traumata, worauf er empfiehlt Tetris zu spielen, weil es sofort nach schlimmen Bildern die Fantasie überlagere mit beruhigenden Bildern, wie es eine Untersuchung hinsichtlich "Call of Duty" herausfand. Und nun ist ihm ihre Desorientierung klar, sie weiß nichts mehr von ihrer Parisnacht. Sie scheint gar nicht zu existieren, glaubt er, kein Handy, keine E-Mail-Adresse ... 18 Monate und 15 Küsse ... Sie kann gar nicht küssen, obwohl sie will! Sie wurde abgelehnt, massiv enttäuscht von ihren Eltern, sie kann ihre Emotionen nicht zulassen, hat Angst vor weiterer Enttäuschung.
Es scheint sich alles aufzulösen, er ist enttäuscht. Da ruft sie an, sie hat ihr Foto auf Facebook erkannt, mit dem er sie sucht, und verabredet sich mit ihm. Die positive Zukunft ihrer Liebe scheint zu beginnen.
Ralf N. Höhfeld, geboren im Ruhrgebiet, lebt und arbeitet in Bremen als Texter und Dramatiker. Sein Jugendstück "Erschossen nach dem ersten Satz", das 1998 im Stadttheater Heilbronn uraufgeführt wurde, erhielt den Grabbe-Preis 1997 und wurde außerdem mit dem Baden-Württembergischen Jugendtheaterpreis 1998 ausgezeichnet. In seinem Jugendstück "24 Stunden in der fünften Woche" treibt Ralf N. Höhfeld seine jungen Protagonisten nach dem Motto: "Kennst du das nicht, wenn der Verstand aussetzt?" mit Höchstgeschwindigkeit durch die Pubertät.
WeitereAufführungen:
"Adipös – das fette Stück" (UA Theater der Landeshauptstadt Magdeburg 2000; Nachspiel: Staatsschauspiel Dresden 2000)
"Pärchen Passion" (UA Theater Freiburg 2002)
„Mein letzter Sexfilm meine letzte Puppe meine letzte Zigarette" (UA Schauspiel Leipzig 2004)
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