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Dichterhain, Bände 1 bis 4

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Dichterhain, Bände 5 bis 8

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Freitag, 2. Oktober 2020

Wie war's in der Oper Frankfurt a.M. in THE MEDIUM und weiteren Darbietungen?

Ein Corona-Opernabend in Frankfurt mit Sicherheitsvorkehrungen und viel Distancing, aber endlich wieder ein Opernstück nach vielen Wochen Pause, Absagen und Verschiebungen auf ganzer Linie. Der recht kurzen Operntragödie THE MEDIUM von Gian Carlo Menotti (1911-2007), die ihre Uraufführung am 08. Mai 1946 in New York erlebte, gingen zwei wunderbare Chorgesänge und ein hochinteressanter und bedeutungsschwerer orchestraler Teil voraus. Alles hatte eine Affinität zu Tod an diesem Abend, das einzig Vernünftige, was der Opernbesucher in dieser irrealen Bedrohung duch Covid-19 Sars 2 wirklich aufmerksam hören kann. Schließlich schafft diese Nähe zum Todesthema auch wieder Distanz zur Realität und macht ernst. Genug der ziellosen Heiterkeit, wir müssen der ernsten Bedrohung trotzen und sehen Schäden in der Wirtschaft an allen Enden...

Mit dem GESANG DER GEISTER ÜBER DEN WASSERN D714 für einen Männerchor (hier 27 Sänger) und tiefe Streicher von Franz Schubert erleben wir die stimmungsschwere Vertonung von Franz Schubert und einem grandiosen Gedicht von Goethe, interpretiert vom Chor und dem Opern- und Museumsorchester der Oper Frankfurt. Den Wortlaut des Gedichts muss man vor Augen haben, um die groß ausgelegte romantisch besungene Bewegung des Wassers von den Bergen herab, über Felsen und Klippen bis hin zum stillen Wiesengrund in seiner Bedeutung für die Entwicklung der menschlichen "Seele" vom Stürmischen hin zum Ruhigen nachempfinden zu können. Es zählt zu Schuberts bedeutendsten Vokalwerken und war ein sehr schöner Einstieg in den Abend.


Gesang der Geister über den Wassern

Des Menschen Seele
Gleicht dem Wasser:
Vom Himmel kommt es,
Zum Himmel steigt es,
Und wieder nieder
Zur Erde muss es,
Ewig wechselnd.

Strömt von der hohen,
Steilen Felswand
Der reine Strahl,
Dann stäubt er lieblich
In Wolkenwellen
Zum glatten Fels,
Und leicht empfangen,
Wallt er verschleiernd,
Leisrauschend,
Zur Tiefe nieder.

Ragen Klippen
Dem Sturz entgegen,
Schäumt er unmutig
Stufenweise
Zum Abgrund.

Im flachen Beete
Schleicht er das
Wiesental hin,
Und in dem glatten See
Weiden ihr Antlitz
Alle Gestirne.

Wind ist der Welle
Lieblicher Buhler;
Wind mischt vom
Grund aus
Schäumende Wellen.

Seele des Menschen,
Wie gleichst du dem
Wasser!

Schicksal des
Menschen,
Wie gleichst du dem
Wind!

Johann Wolfgang von Goethe


VIER GESÄNGE von Johannes Brahms für Frauenchor (hier 25 Sängerinnen) und die ungewöhnliche Kombination von zwei Hörnern und Harfe vereinte Texte von Ruperti, Shakespeare, Eichendorff und Macpherson. Bei Ruperti die Melancholie des Harfenklangs, die Verzweiflung, das Trauern um den Geliebten. Der Narr in Shakespeares WAS IHR WOLLT wird in seiner Liebe zurückgewiesen, was den Todeswunsch gebiert. Bei Eichendorff die Wandlung von der frohen Liebe zur unglücklichen Liebe, und schließlich das Grab als Konsequenz daraus. Macpherson über die Klage des Mädchens von Inistore, das ihren Geliebten verloren hat. Ebenfalls ein selten zu hörendes Musikstück, das durch die ungewohnte Klangkombination fesselt.

Wie bist du auf die Harfe und Hörner gekommen? Ich kann mir keine
Idee von dem Zusammenhang dieser beiden Instrumente machen, aber
ganz eigentümlich wird es sein, gewiss etwas Zauberhaftes haben? Da
war wohl in deinem Chor ein recht hübsches junges Mädchen, die Harfe
spielt, für die du es komponiert? Ich denke mir das Ganze recht schwär-
merisch, wenn nicht die Hörner etwas unsanft im Zimmer hineinfahren.
Bitte schreibe mir darüber, das interessiert mich sehr.
Clara Schumann an Johannes Brahms, 3. März 1860

DIE TRAUERMUSIK für Streichorchester von Witold Lutoslawski (1913-1994) wurde am 1958 in Katowice uraufgeführt. Sie ist unglaublich detail-, abwechslungsreich und virtuos. Dem großen Idol Béla Bartók gewidmet vermittelt sich mehr Freude am Spiel und an den Klängen als Schwermut. Der Komponist zählt zu den wichtigsten Förderern der neuen zeitgenössischen Musik in Polen und Europa. Dennoch hat er nie die 12-Ton-Musik konsequent durchgehalten. Er spielt damit, zitiert sie, aber entwickelt immer wieder eine ausgleichende Harmonie. Neue Impulse bekam er in den vielen Jahren Warschauer Herbst zur Genüge, alles Neue aus Europa und dem Westen nahm er gerne zitierend auf und veränderte es. Lutoslawski kämpfte selbst gegen Einschränkungen im Beruf und gegen Verbotsandrohungen unter der kommunistischen Doktrin. Der geforderte sozialistische Realismus ging ihm nicht aus der Feder, auch seinen Kollegen rund um das internationale Festival Warschauer Herbst nicht. Obwohl die Kommunisten vieles untersagten, blieb die polnische Musikszene frei zugänglich und offen für Interessenten, bis 1989 die Finanzierung in dem großen politischen Umbruch und der Abkehr vom Sozialismus in weiten Teilen Osteuropas nicht mehr gewährleistet war.

Gian Carlo Menottis Oper THE MEDIUM/Das Medium ist erst 80 Jahre alt, aber sie hat etwas Verstaubtes, Überkommenes. Mit dem Milieu der Séancen kennt sich nicht jeder aus. Die spiritistische Sitzung, die Kontakt zum Jenseits herstellt, deren Bewohner sich über ein Medium schriftlich oder stimmlich mitteilen. Aber vor Jahrzehnten war das ein Topic des allgemeinen Randinteresses, bereits ab 1800 aufgeblüht und stark frequentiert zwischen 1850 und 1900, auch noch danach beachtet, aber eigentlich von minderem Interesse im 20. Jahrhundert. Man kann es halten, wie man mag, den Kontakt zu Verstorbenen herstellen ist und bleibt ein sinnloses Unternehmen. Aber wer aus Verzweiflung daran glaubt, wie das Ehepaar Gobineau, das wöchentlich am Dienstag zu Baba alias Madame Flora in New York kommt, eine Emigrantin aus Europa, um ihr Kind Mickey zu hören, hält alles für bare Münze. Vor allem dann, wenn die Manipulationen an der Wahrheit entsprechend stark vorgenommen werden, ohne dass es jemand außer dem Medium und seinen Helfern Tochter Monica und dem stummen Waisenkind Toby weiß. An diesem Dienstag ist Frau Nolan auch zu Gast, sie möchte Kontakt zu ihrem Kind Doodly aufnehmen. Toby steuert die Technik im Raum über dem Sitzungszimmer, er erzeugt Geräusche und Bewegungen, lässt Monica-Doodley in einem Zerrspiegel, der hinter einem Vorhang versteckt ist, auftreten. "Mother, mother, are you there?", fragt sie in den Raum und Frau Nolan ist am Rande ihrer Nerven, so unglaublich erscheint ihr das. Das Kinderlachen von Mickey stammt ebenfalls von Monica, mehr gibt es für die Eltern Gobineau nicht zu hören, Woche für Woche. Sie zahlen und kommen, sind glücklich. Als das Medium Madame Flora plötzlich eine Hand sich um ihren Hals legen spürt, ist die Sitzung beendet. Verängstigt schickt sie die Kunden weg und betet vor Angst. Im zweiten Akt zeigt sich ein inniges Verhältnis zwischen Monica und Toby, wobei sie nur neckt, nichts Ernstes von ihm will. Toby jedoch hat sich verliebt. Baba trinkt zu viel über den frischen Schock und befragt Toby, ob er das eingefädelt hätte, sie peitscht ihn sogar, weil er nicht ja sagt. Sie möchte das ganze Schauspiel beenden. Es wird Dienstag und wieder kommen die Gäste. Baba teilt ihnen mit, dass alles Lug und Trug sei, eine bewusste Täuschung und gibt das Geld zurück. Aber die Verblendeten glauben ihr kein Wort, sie glauben an die Täuschungen und wollen nicht loslassen. Baba schickt sie weg und wirft auch ihren Ziehsohn Toby hinaus. Monica verzweifelt, sie kann ihm nicht folgen, die Treppe ist symbolisch zugeklappt. Toby schleicht sich in seinen "Arbeitsraum" und spielt das bedeutungsschwere Rufen der Doodley Nolan nach ihrer Mutter ab. Madame Flora wird fast wahnsinnig. In diesem Moment kracht der Körper des erhängten Toby durch die Falltür und hängt im dunklen Raum. Baba nimmt eine Pistole und feuert mehrmals auf den Erhängten. Ich habe den Geist erschossen, schreit sie wie verrückt, bis sie merkt, was passiert ist.

Es fällt den Zuschauern schwer sofort zu klatschen, das war dann doch zu viel aufeinander und kommt auch unvermittelt in den letzten Minuten, aber dann herzlichen Dank an das Ensemble, das Orchester. Die schwergewichtige, sich verstellende Baba (Claire Barnett-Jones), die verspielte Monica (Gloria Rehm) und der stumme Toby (Marek Löcker), alle hatten sie Freude an der Täuschung, bis das Spiel bitterer Ernst wurde. Das Stück hat etwas Amerikanisches, vor allem im akkumulativen Show-Ende. Man erahnt die Ahnenreihe Strindberg, Ibsen und Eugene G. O'Neill und erlebt die klassische Dramenkatastrophe, wie sie seit der Antike lebt.





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