Syrische Frauen |
Gespräch von Manon Glathe mit TERRE DES FEMMES-Referentin Dr. Abir Alhaj Mawas - Referentin im "Referat Flucht und Frauenrechte"
Der Bürgerkrieg in Syrien hat sich in den letzten fünf Jahren zu einer unmenschlichen Belastung für die Menschen vor Ort entwickelt. Dr. Mawas erlebte die vergangenen fünf Jahre in Aleppo und kam Anfang Oktober nach Deutschland, um bei TERRE DES FEMMES für das Referat Flucht und Frauenrechte zu arbeiten.
„Drei Jahre ohne Strom, drei Jahre ohne Internet, Monate lange ohne Wasser, alle fünf Minuten eine Rakete über dem Kopf. Das ist Terror“, berichtet sie und fügt hinzu, dass die IS-Kämpfer für die Strom- und Wasserunterbrechungen in ihrem Stadtteil verantwortlich seien. Viele Menschen seien unvorstellbaren Grausamkeiten ausgesetzt. „Vor allem in den Gebieten der radikalen Islamisten sind die Frauen stark belastet. Sie werden diskriminiert, unter Druck gesetzt und müssen sich komplett verschleiern. Selbst kleine Mädchen dürfen nicht ohne Kopftuch auf die Straße gehen.“ Unter der Terrorherrschaft des IS sei ein selbstbestimmtes Leben unmöglich. Mädchen und Frauen dürften weder zur Schule noch zur Arbeit gehen.
Wo Stillen zum Todesurteil wird
„In den Gebieten um die Stadt Al-rakha sind die Umstände besonders schlimm und die Frauenrechte werden dort besonders missachtet. Die radikalen Islamisten behandeln Frauen mit unmenschlicher Gewalt.“ Besonders ein Beispiel aus Abirs Erzählungen verschlägt einem die Sprache. Eine IS-Kämpferin, die so genannte Djihad Nikah, habe einer Frau auf offener Straße mit zwei scharfen Klingen zwischen den Zähnen die Brustwarzen abgeschnitten, da diese ihr Baby stillte. „Sie war sofort tot“, sagt Abir, die mit eindringlicher Stimme von dem Vorfall berichtet. Ein solch barbarisches Verhalten ist für uns schwer vorstellbar, doch Abir betont immer wieder „das ist dort Realität“.
Familien wollen sich durch Frühehen schützen
Die ausländischen IS-Kämpfer aus Algerien, Marokko, Saudi Arabien, Afghanistan Pakistan oder Tschetschenien genießen einen besonderen Status in den radikalisierten syrischen Gebieten. „Im Krieg haben IS-Kämpfer Anspruch auf alle Frauen, die sich im Kriegsgebiet befinden“ erzählt Abir. Viele syrischen Mädchen und Frauen würden vergewaltigt und für Kurz-Ehen missbraucht. Väter, die sich beschützend vor ihre Töchter stellten würden sofort getötet. Die brutale Vorgehensweise der IS-Kämpfer werde daher hingenommen. „Kämpfer haben Macht und Anspruch über alles.“
Abir Mawas, die während der letzten Jahre als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität in Aleppo gearbeitet hatte, engagierte sich ehrenamtlich beim UNFPA, dem United Nations Population Fund. Dort traf sie syrische Mädchen und Frauen die Opfer von Gewalt wurden. „Ich kann nachvollziehen, warum viele Familien ihre Töchter schon früh verheiraten“, sagt sie. „Ein Ehemann dient den Mädchen und Frauen als eine Art Schutz“. Auch wenn ein Ehemann seine Frau im Ernstfall nicht beschützen kann, ist es, laut Abir, dennoch wahrscheinlicher, dass sich ein IS-Kämpfer für ein unverheiratetes Mädchen entscheidet.
Integration ist nicht nur Lesen und Schreiben lernen
Nach ihrer Promotion in Sozialwissenschaft studierte Abir Alhaj Mawas in Deutschland an der Technischen Universität in Chemnitz. Das Leben in Europa lehrte sie vor allem die Unterschiede zwischen den Kulturen. Oft seien die Europäer nicht mit den kulturell bedingten Gewohnheiten des arabischen Raumes vertraut und entwickelten daher keine wirkungsvollen Integrationsstrategien. Das Lebensmodell der selbstständigen Europäerin habe bei vielen arabischen Frauen keine Vorbildfunktion, da die gesellschaftlichen Rollenbilder vollkommen anders angelegt seien. Laut Abir sind frontale Integrationskurse kein guter Ansatz. „Die Leute sollten in offener Runde miteinander diskutieren können oder eine Party, Feste feiern“. Nur so könnten gesellschaftliche Werte langfristig übermittelt werden. Außerdem spricht sie über das Potential von Migrantinnen, die bereits erfolgreich integriert sind, und den neu angekommenen Frauen als Vorbild dienen könnten. „Das lebende Beispiel – sie kam nach Deutschland ohne Ausbildung und hat es geschafft- ist wesentlich wirkungsvoller als der Ansatz des Frontalunterrichts im Klassenzimmer“, meint Abir.
„Es hängt nicht immer nur am Mann – auch die Frau muss Initiative zeigen und sich bewegen“
Viele geflüchtete Frauen kennen nach Einschätzung von Dr. Abir ihre Möglichkeiten in Deutschland, doch sie sind oft in ihren traditionellen Strukturen gefangen. „Die Frauen wissen, dass sie einen Anspruch auf Bildung haben.“ Laut Abir tragen sie Mitverantwortung an ihrer Rolle und ihrer gesellschaftlichen Stellung.
„Wir wollen nicht, dass unsere Töchter wie die deutschen Frauen leben“
Die kulturellen Wertvorstellungen des Heimatlandes spielen in vielen arabischen Familien in Deutschland eine große Rolle. Da die deutsche Rechtslage den Mädchen viel mehr Freiheiten gewährt als die syrische, sähen sich viele Familien in der Pflicht, ihre eigenen Regeln aufzustellen. „Deswegen werden die Mädchen hier in Deutschland viel extremer kontrolliert als in Syrien“, erklärt Abir, deren Familie selbst noch in Syrien lebt. Hier fällt vor allem die ungleiche Behandlung zwischen Mädchen und Jungen auf. Junge Männer erführen meist keine Reglementierungen in ihrem Privatleben. „Viele Familien sagen: ‘Wir wollen nicht, dass unsere Töchter wie die deutschen Frauen leben‘, da das zum Beispiel das Recht auf Sex vor der Ehe einschließen würde“, erklärt Abir.
Hoher Bildungsstandard bei syrischen Frauen
„Frauen in Syrien kann man nicht mit Frauen in anderen Ländern im arabischen Raum vergleichen. Der Bildungsstandard ist wirklich sehr hoch“ betont Abir. Vor dem Krieg seien die meisten Frauen in sozialen Berufen oder in der Verwaltung tätig gewesen, doch jetzt, während des Kriegs, gingen viele Frauen einer Arbeit nach, die unter ihrem Ausbildungsniveau liege. „Armut und Krieg machen alles kaputt, weshalb sie alles tun müssen um Geld zu verdienen“, erklärt Abir.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen