Wille zur Wahrheit. Schauspielhaus Frankfurt, Regie: Oliver Reese
Sein Hass auf Nationalsozialisten, stärkste Kritik an der Geisteshaltung der katholischen Kirche, an Politikern, am Staat, an den Österreichern riss nicht ab. Er wetterte über die Verblödung der Bürger und die, die sie betrieben. Er war mit den Theatern nicht einverstanden, mit den Verlagen, mit fast keinem. Am Ende seines Lebens - er starb 1989 - verursachte er noch nach seinem Tod einen Skandal, weil er im Testament ein Aufführungs- und Publikationsverbot aller seiner Werke in Österreich verhängte. Zuvor unter anderem der Skandal um den Roman "Holzfällen" (1984), wo der österreichische Komponist Gerhard Lampersberg, ein Bekannter und früherer Freund Bernhards, sich in der Person des Auersberger zu erkennen glaubte und per Gerichtsurteil erstreiten konnte, dass alle Exemplare des Buches beschlagnahmt werden müssten. Der Komponist zog später die Klage zurück.
Einer der größten Theaterskandale war das skandalöse Tohuwabohu um das Drama "Heldenplatz", das vor 1988 entstand, aber im Jahr 1988 spielt, dem Jahr des 50-jährigen Anschlusses Österreichs an Nazi-Deutschland. Auch das Jahr der Wahl Waldheims mit NS-Vergangenheit zum Präsidenten Österreichs. Schärfste Kritik, bissigste Bemerkungen und Entblößungen in einigen wenigen Zitaten aus dem noch nicht erhältlichen Werk führten zu einem Blätterrauschen in den Zeitungen, einem Schimpfen auf Bernhard, die Politprominenz spuckte auf ihn, die Presse, Waldheim, Vizekanzler Mock, Erzbischof Krenn, Kreisky und der Wiener Bürgermeister Zilk forderten ein Aufführungsverbot des Stückes. Österreich stand Kopf. Haider skandierte: "Raus mit dem Schuft." Aber Journalisten, Autoren, Ministerin Hawlicek und Bundeskanzler Vranitzky und andere traten für eine Aufführung ein. Es kam auch zur Uraufführung, wenn auch mit Störaktionen, Protesten, Hetze in der Kronen Zeitung und im STANDARD begleitet - und wurde eine der erfolgreichsten Aufführungen des Wiener Burgtheaters.
Thomas Bernhard ist einer der Meister des Grantelns, Schimpfens und Demaskierens auf hohem Niveau. Seine Werke zu lesen ist ein einmaliges Erlebnis. Die Direktheit, seine exakten Analysen, seine Kritik, Ironie und sein Sarkasmus, schließlich auch sein Nihilismus, seine Umdeutungen und die gezeigte Ausweglosigkeit ergreifen einen, lassen einen nicht mehr los und brennen sich als Erkenntnis ins Gehirn.
In Frankfurt a.M. im Schauspielhaus wurde am 27.06.2014 zum letzten Mal in der Spielzeit die Bühnenfassung seiner Autobiografie gezeigt. Fürs Theater arrangiert hat die fünf Bände "Die Ursache" (1975), "Der Keller" (1976) , "Der Atem" (1978), "Die Kälte" (1981), "Ein Kind" (1982) Oliver Reese, der Intendant des Schauspielhauses. Mit einer minimalistischen Bühne von Hansjörg Hartung und fünf sehr überzeugenden Schauspielern kommen die Worte Thomas Bernhards erst richtig zur Geltung, sie füllen das Theater, jede Requisite stört, selbst das Harlekinkostüm von Josefin Platt stört schon fast, hätte es nicht diese symbolhafte Aufgabe, den Autor in seiner tragikomischen Ambivalenz zu zeigen. Minimale Videoeinblendungen von Konny Keller, Schuhe, Kleidungsstücke, eine Bodenklappe sind Vehikel und Impulsgeber für den Fortgang. Samuel Becketts Bühnengestaltung bietet sich zum Vergleich an.
Den ersten Teil (Ursache) und die Salzburger Schulzeit, das nationalsozialistische und später katholische Schülerheim, bestreitet Bettina Hoppe. Mit eindringlichen und sehr gut gelungenen Pfeifmelodien schafft sie ein Klima zwischen Melancholie, Idylle und Spiel mir das Lied vom Tod. Die kühle Verbissenheit und schonungslose Offenheit Bernhards nachempfindend stellt sie den Zugang zum gewichtigen Rest her.
Im Rückblick auf die Kindheit und Jugend wird klar, was den im Februar 1931 geborenen und im Februar 1989 gestorbenen Bernhard immer wurmte: im Prinzip schon das Dasein, das muss man vorab sagen. Ferner die Vertreter der Schule, des Staates, die Familie, das verlogene Idyllebild Salzburg. In unzähligen Attacken wird die Mozart- und Hoffmannsthal-Stadt abgewatscht, bespuckt, auch mal liebevoll gestreichelt, dann wieder mit Tritten versehen. Die Stadt mit den vielen Kirchtürmen eine Stätte der Pein, Qual und Folter schon für den jungen Thomas Bernhard. Nie legte er die Abneigung ab. Die Stadt sei von Schönheit erdrückt, voll von Verleumdung und Lüge. Seine Verzweiflungszeit wäre seine Reifezeit gewesen. Selbstmordwünsche und erstickende Enge sich gegenseitig bedingend, die Geistlosigkeit eine Todeskrankheit der Stadt, diesem Todesmuseum.
In der Schrannengasse 13 der Schlafsaal mit ungewaschenen Zöglingen. Ein Kerker, Dunkelhaft. Er musste in der Schuhkammer Geige üben und hatte immer Selbstmordgedanken dort, nur es nie aus Kraftlosigkeit tun können. Im Gegensatz zu den anderen, die sich aus den Fenster stürzten oder im Abort erhängten. Ein Luftangriff auf den Dom, der ein Loch in den Turm riss, ließ ihn die Geige zerstören.
Pädagogik war ihm im Internat nicht mehr als großdeutsche Vernichtungskunst. Hoppes genüssliches Zertreten einer Mozartkugel unterstreicht das und Bernhards Abneigung gegen das äußerlich so idyllische Salzburg. Er fühlte sich geschädigt, deformiert und war voller Wut auf den SA-Offizier Grünkranz, Leiter des Internats. Die beiden Ängste in der Schulzeit waren Grünkranz und der Krieg! Der Geistesmord dieser Gestalten, nach Grünkranz ein katholischer Geistlicher, der die Vernichtung weiterführte. Thomas B. wusste, dass er gehen musste, um zu überleben, und verließ das Gymnasium mit 15 Richtung Arbeitsamt.
Der zweite Teil (Keller) setzt nahtlos mit Viktor Tremmel ein, der junge Bursch Bernhard mit kurzen Hosen, fest entschlossen aus Todesangst ins Arbeitsamt gestürmt und die Beamtin im Arbeitsamt zur Verzweiflung bringend, eine Arbeit in der entgegengesetzten Richtung finden zu wollen. Ganz andere Umgebung, Denk- und Handlungsweise, entnazifiert und ohne Unterdrückung. Ein Wunsch, den sie kaum erfüllen konnte, ja auch gar nicht erahnte, bis sie eine wüste Adresse im Armenviertel Scherzhauserfeldsiedlung fand, die sie niemals empfohlen hätte: die Lebensmittelhandlung von Karl Podlaha. Dorthin ging er. Den lebhaften, vielseitigen Ausführungen Tremmels assistierend spielt Hoppe pantomimisch den jungen Lehrling hinter dem Ladentisch, der alles akurat und ordentlich erledigt, Lebensmittel verkauft und und den Laden reinigt.
Podlahas Keller ist der Ort der Erkenntnis, auch wenn er in dieser Vorhölle Scherzhauserfeldsiedlung zur nachfolgenden Hölle Krankheit liegt. 1) Der Wille zur Wahrheit ist wie alles verfälscht, Wahrheit ist Fälschung. 2) Alle Menschen fliehen vom ersten Moment an in eine Richtung, den Tod. Um diese Erkenntnisse zu ertragen und um sich künstlerisch fortzubilden, wie es sein Zufluchtsort Großvater Johannes Freumbichler ihm immer empfahl, nahm er Gesangsunterricht in der Pfeiffergasse.
In "Atem", dritter Teil der Autobiografie, dann die Wende in seiner Gesundheit. Nach langer, noch nicht ausgeheilter Grippe musste er beim Podlaha Äpfel vom LKW laden und holte sich dabei eine feuchte Rippenfellentzündung, die punktiert wurde. Das geschah mit 18 Jahren, erzählt und dargestellt von Josefin Platt in harlekinscher Schminkmaske und reduziertem Harlekinkostüm. Eingesetzt von Oliver Reese in der Phase, in der gar unglaubliche Interpretationen und Darstellungen aus dem Krankenhaus das Schicksal eröffnen, das den verschmitzten, aber gebeutelten Grantler ereilen wird. Die Absaugung des Sekrets in ein Podlaha-Gurkenglas trieb ihn in die Bewusstlosigkeit, dann in ein Sterbezimmer zu Todgeweihten. Die vielen Infusionsschläuche ließen ihn das Ganze als ein Marionettentheater wahrnehmen.
Eine Krankenschwester hätte ihn beinahe unter einem Wäscheberg erstickt. Dagegen die erstmalige Achtsamkeit seiner Mutter: Sie fütterte ihn mit Orangenspalten, der Moment, in dem er am meisten Liebe und Nähe von ihr erlebte. Er bekam auch Besuch von seinem Großvater, der ihm sagte, er habe die Krankheit selbst erfunden, um in den Denkbezirk seines Bewusstseins zu gelangen. Er könne ihn auch wieder verlassen. Und grüßte ein letztes Mal an der Tür des Saals. Er starb kurz darauf, er, der Thomas B. die Schule des Lebens war. Von ihm hatte er das meiste gelernt. Bernhard fühlte sich für immer aus der Schule entlassen.
Die Klaviernoten zur Zauberflöte, die ihm zufällig in die Hände gefallen waren, machten ihm dagegen klar, dass er nie mehr singen könnte. Ganz wichtige Erkenntnis in dieser Zeit der Punktionen, die ihn sich elend fühlen ließen, den Husten evozierten, war auch, dass das Leben ein schäbiger Betrug, ein abgerissener Veranstaltungskalender war.
Und dann die Überweisung ins Erholungsheim Grafenhof, vierter Teil (Kälte), degoutante Schilderungen der Lungenkranken, die Erläuterungen zum Umgang mit dem Sputum. Vincent Glander übernahm die Rolle des Autors im Sonntagsstaat eines Beerdigungsbesuchers zwischen "Prozession" und "Schubert". Alles schien ihm wie eine Prozession, in der die Monstranzen die braunen Glasspuckflaschen waren, deren Inhalt den Lungen entlockt wie Klänge beim Saitenspiel. Die Schubert-Messe sonntags in der Kirche eine Aufführung mit gewaltigem Schlusshusten aller prägte sich ein. Passend dazu der Regieeinfall Frühschoppen aus der Sputumflasche. Hier muss der 15-Jährige (Viktor Tremmel) ans Werk, warum auch immer. Bernhard war in dieser Behandlungsphase bereits tuberkelfrei. Oliver Rees setzt hier wieder die Zeitklammer ein, indem Viktor Tremmel eine frühere Phase aus Teil 2 lebendig hält. Ganz wesentlich die Aussage: "Ich war ein Versager, ich habe überall versagt."
Rückblick auf seine nichteheliche Geburt, er trug den Namen seiner Mutter, seinen Vater Alois Zuckerstätter hatte er nie kennengelernt. Der bestritt die Vaterschaft, sie wurde aber amtlich festgestellt, zahlte nie Unterhalt und kam schon mit 40 bei einem Gasunfall in Berlin um. Was Thomas B. als Kind wusste war, dass der Vater sein Elternhaus angesteckt hätte. Sein Name durfte im Haus der Mutter nie fallen. Der Sohn durfte sich monatlich das Staatsgeld von 5 Mark im Amt abholen, immer wieder der schmachvolle Gang zu Dr. Popp. Unehelich zu dieser Zeit war in den Augen der Öffentlichkeit ein starker moralischer Makel.
Sie heiratete später und hieß dann Fabian. Während seiner Grafenhof-Zeit, als ein falsche Pneumothorax-Therapie beide Lungenflügel komprimierte und ein Gegendruck durch Schaffung eines Pneumothorax in der Bauchhöhle dies beheben sollte, starb Thomas B. Mutter mit 46 Jahren an Gebärmutterkrebs. In der Todesanzeige stand Hertha PAVIAN, statt Fabian. Alles Heilige kaputt, zerschlagen, schon immer in seinem Leben.
Er war sich aber sicher, eines erreicht zu haben: "Ich wollte immer ich werden, nicht etwas!"
In "Kind", Teil 5, dann der tiefe Blick in die kindlichen Demütigungen. Ein von Peter Schröder hervorragend und überzeugend gespielter Klein-Thomas auf dem Fahrrad unterwegs, ausgebüchst, um den Großvater zu besuchen. Eine gerissene Kette bringt ihn zu Fall, er landet im Graben, Wunden, die Angst vor der Mutter, dazu ein Unwetter. Er rettet sich zum Großvater, der Aufwärtsentwicklung in seinem Leben, während die Mutter ihn sicher brutal mit dem Ochsenziemer und psychologischer Vernichtung schlagen würde: "Du bist mein Tod! Du hast mir gerade noch gefehlt." Und immer die Einsicht beim Kind, dass sie ihren Mann schlug, nicht ihn. Zur Beruhigung der Gemüter und Einkehr ein genialer Einfall von Oliver Reese, Hostien wie Erdnüsse zu verteilen, alle knabbern eine Runde. Die Scheinmoral der Christen und ihre wahre Gesinnung, wir waren alle gute Menschen. Innerhalb der Zeitklammer finden die Vertreter der biografischen Phasen final zusammen zum multiplen Spiel der Persönlichkeit.
Resultat seiner Bestrafungen war eine Eunuresis, die die Mutter wieder brutalst behandelte, sie hängte die verschmutzten und ungewaschenen Laken auf der Straßenseite vors Fenster, für jeden erkennbar, der Junge hat ins Bett gemacht, was demütigte und demütigte. Im NS-Schülerheim dann Frühstücksentzug, das nasse Laken ins Gesicht gehauen, stigmatisiert und wieder ausgestoßen als Bettnässer, allerdings noch weniger schlimm als bei seinem Freund, der sich einkotete.
So erlebte man an diesem spannenden und fesselnden Abend die dramatische Persönlichkeit des Thomas Bernhard, der aus diesem Scheißleben ein 22-bändiges Kunstwerk geschaffen hatte. Das Stück mit einer Pause dazwischen und Einführung des Dramaturgen Michael Billenkamp zuvor beleuchtete den Autor Thomas Bernhard genau, sein Denken, das sich in allen Werken kaleidoskopartig verändert, aber immer doch um diese essentiellen Erlebnisse und deprimierte, resgnierte und gleichzeitig auch zum Durchhalten ermutigende Weltsicht dreht. Ich bin gespannt auf weitere Thomas-Bernhard-Inszenierungen im Schauspielhaus Frankfurt.
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