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Dienstag, 13. Oktober 2015

Wie war's bei NACH DEM FEST von Hans Op de Beeck in Frankfurt am Main?



Anton, gut zu Fuß, und Vater  (Torben Kessler, Peter Schröder)
(c) Birgit Hupfeld

Warum sollten kompetente Installationskünstler keine Theaterstücke schreiben können? Wer Dinge und Menschen in Räumen so anordnet, dass sie vieldeutig und ästhetisch wirken, kann das auch auf der Bühne. Allerdings: Das Stück muss ja auch geschrieben werden. Und auch das hat funktioniert bei dem begehrten Installationskünstler Hans Op de Beeck aus Belgien. Er hat einige Short Stories online stehen, worin man seinen Stil erkennen kann. Es sind übrigens auch Inhalte des Bühnengeschehens verarbeitet. So zum Beispiel in SPA - Prof. Bernhard Böhm, der im Stück das Rad mit seiner wissenschaftlichen Schrift "Die Welt ist keine Scheibe" neu erfunden hat, im Seniorenrückzugsritual lebt und in der Wellnesslandschaft seine von der Tochter verordnete Ruhe abfeiert. Aber auch in MY BROTHER'S GARDENS klingt das Leben von Sohn Anton im Rollstuhl an. Als Maler mit immergleichem Tagesablauf - das gilt auch für die anderen Figuren - widmet er sich dem Thema Garten, das er bereits 800-mal gemalt hat, zuletzt in nachtdunklen Farben, um nicht zu sagen in Schwarzweiß, weil ihn Gärten bei Nacht begannen zu interessieren.

Selbst die Regie und Kostüme ließ Op de Beeck sich nicht aus der Hand nehmen und bringt überall Können ins Scheinwerferlicht. Der Frankfurter Schauspielchef Oliver Reese hatte das alles sicher genug erkannt und dem Künstler im Kammerspiel eine Chance geboten. Für Theaterbesucher eher unbekannt hat er nun sein Bühnendebüt gegeben und überzeugt mit einem fesselnden, humorvollen, aber auch gleichtönigen Stück in der Tradition des Absurden Theaters. Im Medien- und Methodenmix aus Architektur, Bühnenbild, Film, Design, Schauspiel und Installation entspannt sich für 75 Minuten ein fast traumhaft schwebendes Geschehen um eine Familie, die ihre Eigenheiten, ihre Verluste und Geheimnisse hat.


Wie es zu Anfang bezeichnend heißt, "...das Fest ist rum, (...) schaler Geschmack des Abgestandenen", ist das Leben für alle Beteiligten zum Stillstand gekommen, sofern es jemals eine Bewegung gab. Vermittelt wird alles durch Mitteilungen der Figuren über sich oder über die anderen. Eine Erzählerin führt in das Geschehen ein, kommentiert das Bild, und nach und nach sprechen die Personen über sich und die anderen. Um den Illusionscharakter immer wieder aufzuweichen, hören auch die Kinder mit und kommentieren das Gesagte, obwohl sie ganz woanders sein sollten laut Stück, aber so hat man denn alles zusammen auf dem Tableau. Mit diesem Witz werden alle auch amüsant vorgeführt, man will das nicht glauben, dass sie alle so saft- und kraftlos sind. Der Vater über seine Kinder und deren Sicht, die Schwester über ihren Bruder, der Bruder über sich. So setzt sich das Puzzle zusammen.  Vater Bernhard hat seine Frau Frauke durch Krankheit verloren, ist nun mit über 60 Jahren von der Tochter fürsorglich in die "Choreografie der Wellnesssenioren" eingebunden worden und ist nicht glücklich mit diesem Zustand. Eine Wellnessanlage als Modell um ihn herum. Er raucht heimlich, obwohl er es nicht mehr tun soll, und liegt ganz in SPA-Weiß (für ihn zu) faul auf der Haut. Er spürt das kommende Rentenalter, den Abschluss des Lebens auf sich zukommen und ist eigentlich nicht mit dieser Rollenzuteilung einverstanden. Sein Zustand ist noch ein temporärer, aber dennoch als Abschluss seines aktiven Lebens ein (fremd-)geplanter. Es kommt ganz anders ... scheinbar.


Lauren (Franziska Junge)
(c) Birgit Hupfeld
In endlosen Schleifen wiederholen sich auch die Rituale beim Maler Anton in einem grauen Atelier, der seit 8 Jahren in einem Rollstuhl sitzt und dessen Partnerschaft zu Elise in einer heißen abgelegenen Gegend fast wie unter Automaten abläuft. Wie es scheint ein freiwillig geplanter Rückzug ins Immergleiche, denn er kann auch problemlos laufen, wie sich im Verlauf herausstellt. Das Leben der Tochter Lauren im Haus des Vaters ist ein weiterer Rückzug, ein Verstecken vor dem Leben. Sie hat sich in eine digitale Welt in Schwarz in ihrem Zimmer zurückgezogen, schläft an allen möglichen und unmöglichen Stellen im Haus und sieht sich als "ewige Verbindung" zu Bruder Anton. Sie scheint nicht deprimiert zu sein, vielmehr zeigt sie belustigt-resignative Tendenzen bei sonst guter Laune, obwohl sie den Verlust ihres Kindes zu beklagen hat, einen Klaus Kloss heiratete, was eine Mésalliance war. Das "Leiden" ihres Bruders findet sie wie der Vater schlimm. Ihre Beziehung zu Anton ist eine symbiotische.


Ganz in Weiß: Hanna und Prof. Böhm
(Verena Bukal, Peter Schröder)
(c) Birgit Hupfeld
Vater und Sohn leiden am wiederkehrenden Trauma der Vergangenheit - die Mutter und ihr Sterben. Anton, der nach Aussage von Lauren, die "Leere nach dem Fest" empfinde, im Gegensatz zu ihr, die ihr Leben als Fest erlebe, ist von einer verklärten Erinnerung ans Krankenbett, einem "Schweben" der abgemagerten Mutter, eingenommen. Dieses Bild möchte er immer wieder und wieder in seinen Gärten inszenieren, in seiner Einmaligkeit festhalten. Seine Bilder wurden in dieser Entwicklung schwarz und schwärzer, so dass nichts als der Tod inszeniert wurde, den er in seiner Einmaligkeit und Aussagelosigkeit festhält. Am Ende des Stückes kommt es zu einer Vorwärtsbewegung des Vaters, der auf seiner nächtlichen, schlafwandlerischen Odyssee durch Gesundheitsbezirke und große Krankenhaussäle auf eine komatöse junge Frau trifft, die ihn wohl auch an seine sterbende Frau Frauke erinnert. Die zufällige Begegnung mit der jungen und schwangeren Krankenschwester Hanna am Krankenbett der Unbekannten wird zu einem Neubeginn. Sie hat ihren Vaterkomplex, und er kann wieder Vater sein für ein uneheliches Kind in ihrer und seiner Familientradition, ohne die Vaterrolle in der Beziehung übernehmen zu wollen. In diesem Zusammenhang wird auch das eigentlich völlig belanglose Geheimnis gelüftet, dass nur der verstorbene kleine Simon, der zwischen dem verstorbenen Kind der Tochter und seiner Frau angesiedelt ist, sein einziges leibliches Kind ist. Das Kind von Lauren soll durch einen Treppensturz umgekommen sein. Nur die Vermutung, es könnte ein (nicht wirklicher, nur formal juristischer) Inzest sein, bringt eine Spur Brisanz. Aber es bleibt sekundär. Der Neubeginn des Vaters ist also auch wieder eine Wiederaufnahme der Erziehung von fremden Kindern.

Op de Beecks Theaterstück ist eine klassisch statische Kreislaufangelegenheit. Es tut sich nichts im Leben, es dreht sich alles im Kreis. Es gibt nur Rituale, Beziehungslosigkeit trotz Beziehungen, Zufallsergebnisse, Genussunterschiede, Pseudorollen. Das Leben ist farblos. Als Anton überfahren wird, rückt seine Schwester Lauren in das Atelier und Rollstuhl vor und lebt nun als Betroffene "nach dem Fest" ihr Einerlei und wohl Todeserfahrung. Klassisch absurde Theaterstücke schimmern hier durch.


Hans Op de Beeck, 1969 im flämischen Turnhout geboren, studierte an der Hogeschool Sint- Lukas in Brüssel, am Hoger Instituut voor Schone Kunsten in Antwerpen und am P.S.1 Studio Program in New York. International bekannt wurde Op de Beeck mit seinen Modellen und begehbaren Installationen, Konstruktionen so gewöhnlicher wie fiktiver Orte, die den Betrachter in ein magisches Spiel zwischen Realität, Illusion und eigenen Erinnerungen ziehen. In Deutschland zeigten zuletzt 2012 der Kunstverein Hannover mit »Visual Fictions« und 2014 die Sammlung Goetz in München mit »Stille Kulisse und wandernde Komparsen« umfassende Einzelausstellungen des Künstlers. Op de Beecks Werkum fasst Installationen, Videoarbeiten, Fotografie, Animationsfilme, Zeichnungen und Aquarelle. Meist im Zusammenhang mit seinen visuellen Arbeiten entstehen außerdem Kurzgeschichten und Gedichte. »Nach dem Fest« am Schauspiel Frankfurt ist seine erste Schauspielarbeit.

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