Die Rückkehr des Thomas Becket (c) Monika Rittershaus |
In Frankfurt/Main wurde gestern die Oper ASSASSINIO NELLA CATTEDRALE / MURDER IN THE CATHEDRAL von Ildebrando Pizzetti (1880-1968) mit großem Zuspruch wiederaufgenommen. Zwischen 1955 und 1957 komponiert und betextet kam die Oper am 1. März 1958 im Teatro alla Scala, Mailand, zur Uraufführung. In dieser Tragedia musicale in zwei Akten und einem Intermezzo (Text von Ildebrando Pizzetti) nach dem Drama MURDER IN THE CATHEDRAL (1935) von T. S. Eliot, in der englischen Fassung von Geoffrey Dunn, geht es um den sagenumwobenen katholischen Märtyrer und Heiligen Thomas Becket (*1118 +1170). Er wurde Lordkanzler Englands unter König Heinrich II. von England, was eine sehr kooperative Verbindung gewesen sein soll, und 1162 bis zum Tod - vom Papst ernannt - Erzbischof von Canterbury. Diese Ernennung bedeutete für Becket ein In-Opposition-Treten zum König, weil er als Erzbischof Gottes Anweisungen zu folgen hätte und nicht denen eines weltlichen Herrschers. Verurteilt als Verräter und Meineidiger floh er 1164 zunächst nach Frankreich und wurde dort von König Ludwig VII. aufgenommen. Becket reichte im Konflikt mit seinen Ansichten bei Papst Alexander III. ein Gesuch zum Rücktritt von seinen Kirchenämtern ein, was dieser jedoch ablehnte. Die englische Krone stellte ihm daraufhin eine Falle, den Mordplan schon lange in der Schublade. Zu Weihnachten 1170 kam Becket auf Einladung Heinrichs II. wieder zurück, lehnte aber die Reinthronisierung als Lordkanzler zu Gunsten seines religiösen Amtes und Auftrags ab und wurde wegen seines Glaubens, dem er nicht abschwören wollte (und konnte), ermordet. Dieser "Kirchenfürstenmord" fand traditionell um ein hohes Kirchenfest statt, um ein Zeichen gegen das Christentum zu setzen und unterlag einem Tötungsritual wie in anderen Kulturen. Seine aufkommende Heiligenwirkung und Märtyrerrolle missfiel auch den nachfolgenden Herrschern, die seine Grabstätte immer wieder schänden ließen, um ihn zu erniedrigen, seine Macht zu verringern.
Die Zeit der Handlung ist dann auch der 25. bis 29.12.1170.
Es geht um das heute nicht mehr so stark bestehende Dilemma, dass sich die Christen den Sohn Gottes, den großen Propheten des Christentums als den Gesandten Gottes vorstellen, für dessen Anhängerschaft der Gläubige sich jeglicher staatlichen Führung entziehen sollte. Aber eben auch nicht ganz. Wurden doch Worte von Christus in der Bibel festgehalten, die schwer diskutiert, fordern: "Gib des Kaisers, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist." Mit dieser Legitimation nahmen sich beide Seiten, was sie kriegen konnten. In späteren Zeiten war es eher so, dass von konservativen Führungskräften eine deutliche Zugehörigkeit zur Kirche erwartet wurde, wenn es um staatliche Berufe ging, auch heute noch. Also Gehorsam, Treue, Loyalität zu Regierungen wie in der Religion.
Die letzte Versuchung des Thomas Becket (c) Monika Rittershaus |
Eliot hat in seiner Versdichtung, die dem Libretto von Pizetti zugrundeliegt, diesen Konflikt in sehr emotionsstarke, aber auch kritisch-dramatische Worte gefasst, die uns heute, wenige Jahrzehnte nach dem Erscheinen als sehr schmachtend und überladen, bisweilen sogar kitschig vorkommen. Das Leiden, Märtyrertum wird ausführlich besungen, faszinierend jedoch der Gewissenskonflikt, in dem sich Becket (sehr imposant und überzeugend John Tomlinson) befindet. Es ist einerseits ein historisches Phänomen, die revolutionäre Haltung der frühen Christen, die Abkehr von Herrschern, die sich wie Götter feiern ließen, und Gottes Wort über das staatliche zu stellen. Andererseits haben wir diese Zeiten eben noch nicht hinter uns. Wer sich die religiöse Legitimierung der Herrschaft anschaut, sieht, dass von den 12 israelischen Stämmen über die Kaiser Roms und die Kaiser des Westens die Theokratie, der Kaiser und König als Gott, bis ins Mittelalter und noch über die Französische Revolution hinaus von Gott eingesetzt galten. Selbst der deutsche Kaiser Wilhelm I. und II. hat noch genug davon. Hat sich nach 1789 in Europa zwar viel geändert, blieb es in England bei der protestantischen Staatskirche. Aber auch in Grönland, Island, Dänemark und Norwegen. Die katholische Religion wurde in Argentinien und Costa Rica Staatsreligion. In einigen Staaten bestimmt das Katholische wesentlich das Geschehen, ohne Staatsreligion zu sein, so in Peru, in der Dominikanischen Republik, und das Evangelisch-Lutherische in Finnland. Der Islam dominiert den gesamten Orient von Marokko bis Pakistan und noch einige kleine asiatische Länder dazu. Er ist viel präsenter im Staatsgeschehen, im Sinne von diktatorisch, dominant und unterwerfend, als andere Religionen, obwohl auch die das Kämpfen um die Herrschaft kennen. Der Blick ins Weltgeschehen beschert uns seit Jahrhunderten und extrem in den letzten Jahrzehnten erbitterte religiöse Anschauungskriegen zwischen Schiiten und Sunniten, wie sie bei uns eigentlich nur noch ansatzweise in Nordirland zu sehen sind.
Die Oper in Frankfurt assoziiert in der stringenten, auch mit Übertreibungen arbeitenden Inszenierung von Keith Warner einen anderen Zeitrahmen, als das Stück vorgibt. Der Zuschauer fühlt sich mit diesem Bühnenbild von Tilo Steffens und den Kostümen von Julia Müer einerseits im Hafen von Dover der 20er-, 30er- und 40er-Jahre, man denkt zunächst auch an New York. Die Gemeinde vor allem ein Frauenverein, eine Schwester der Heilsarmee als gute Seele. An einer Seite, die auch Schiffswand sein kann oder Gefängnis, auch wie in einem alten Kloster hinter Gittern versteckt der Männerchor. Die Zeit: drei Weihnachtsbäume zu Beginn. Über eine Riesengangway kommt Thomas Becket von der sicheren Höhe des Schiffes in dieses später tödliche Verlies, das Gefängnis ohne Ausweg. Die versammelte Gemeinde erschrickt über die Botschaft, dass der Erzbischof zurückkehrte. Es werden Stimmen laut, dass er alle ins Unheil und Verderben zöge, die Gemeinde noch stärker belastetete als zuvor. Durch eine außerordentliche Ausnutzung der Bühnentiefe entsteht aber auch die Imagination eines Kirchenschiffes, die Kathedrale verschmilzt mit allem. Klare Aufforderungen, dass er zurück nach Frankreich gehen sollte, wollen Unheil abwenden. Becket jedoch fordert zum Handeln auf, egal, was passiere, nicht zum Leiden: "Der Handelnde leidet nicht, und der Leidende handelt nicht." Dieser Leitspruch war auch Antrieb für sein Kommen, aber seine Forderung verkehrt sich für ihn ab dem Zeitpunkt ins Gegenteil, an dem der Herold ihm verkündet, dass der König ihn zum Kanzler machen würde, wenn er sein Kirchenamt ablegte. Denn Becket bleibt seinem Amt treu - im Übrigen kann er es auch nicht anders aus Loyalität gegenüber dem Papst, sein "heiliges Amt selbst gegen Könige" beizubehalten. Die Gemeinde hat verstanden, dass er mit dieser Konfrontation sowohl den Unmut auf ihre Religion auf sie lenkt als auch Unterdrückung und Verfolgung. In einer Vision wird er von vier Versuchungen heimgesucht: Das Lasterhafte schwebt wie in einer Revue mit einer Gondel von oben herab und bietet ihm Sinnesfreuden mit einem vertuntetem Mann, aufreizender Frau und Mädchen an, so wie damals, als er noch die Lust genoss (sieh an!), andere Versucher locken ihn zu Politik und zum Weltlichen zurück, sogar der Verrat an seinem Bischofsamt - es einzusetzen für politische Zwecke - wird ihm von einem Geistlichen unterbreitet. Die vierte Versuchung erscheint als Jesus selbst mit Dornenkranz und Kreuz, der ihn zu Märtyrertum überreden möchte, ihn auffordert, seinen Weg zu Ende zu gehen. Sogar die verehrte religiöse Figur wird zum persuasiven Versucher. Als ob Becket es nie wollte. (Er ist wohl auch ein Stück weit gemachter Märtyrer, ein in den Tod getriebener, denn er hatte nie die Wahl auszusteigen, ohne sein Gesicht zu verlieren und die Verfolger beider Seiten auf sich zu ziehen. Seine vom Papst verordnete Sturheit schädigt auch die Gemeinde.)
Doch über allem dominiert der wahre Christus, der an einem überdimensionalen Kreuz auftaucht. Becket widersetzt sich, hadert mit sich und der Welt, bis er zum Entschluss kommt, seinen Weg zu gehen bis zum Tod: "Ein wahrer Märtyrer ist, wer alles Wollen von sich geworfen hat." Zwei Gemeindesschwestern legen ihm einen Foltergürtel um den Leib, mit dem er sich kasteit, die Qualen Jesu erlebt. Die Ritter (Beau Gibson, Simon Bailey, Sebastian Geyer, Alfred Reiter) treten zum ersten Mal in senfgelben Dandyanzügen späterer Jahrhunderte auf, quälen, treten, schlagen ihn, machen sich lustig über den Sohn eines Krämers, der den wichtigen Posten eines Kanzlers wegen eines Bischofsamtes ablehnt, gar nach Frankreich floh. Da seine Häscher wiederkommen wollen, flieht Becket auf Gesuch seiner Gemeinde widerwillig in die Kathedrale, zum Ort der Bluttat und verbietet die Türen abzuschließen, weil Gottes Haus jedem offen stehe. Seine Mörder kehren zurück und richten ihn mit Stichen in den Körper und Schlägen auf den Kopf hin. Nach Brechtscher Verfremdungsmanier treten die Ritter vors Publikum, erklären und entschuldigen ihre Tat, dass sie in ferne Länder fliehen müssten (wie nicht gefasste Nazis), betonen die Notwendigkeit, dass er ein Verräter am König gewesen wäre und "in geistiger Umnachtung den Freitod suchte" - eine fadenscheinige Erklärung, wie man sie von Gewalt- und Lügenpolitik gar zu oft hört. Alle, die nichts vermögen, den Mangel innehaben, aber Stärke propagieren, verunglimpfen ihre Gegner als psychisch krank. Noch heute. - Dieser Text stammt von Pizetti. Der Chor kommentiert das Geschehen, das Sterben von Heiligen und Märtyrern werde die Erde heiligen, während die Mörder triumphierend mit seinem Herz in der Hand über Beckets Leiche stehen. Als religiöses Symbol für christlichen Opfertod im Hintergrund während der Ermordung ein zweites, riesiges Herz mit einem Schwert hineingebohrt, aufbewahrt in einem großen Schrein.
Die Ermordung des Thomas Becket (c) Monika Rittershaus |
Weitere Vorstellungen findet statt am 26. April und 8. Mai 2015, jeweils um 19.30 Uhr.
An den ursprünglich geplanten Aufführungstagen 14. und 25. Mai 2015 wird nun Puccinis La Bohème gezeigt.
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