SV Verlag

SV Verlag mit Handy oder Tablet entdecken!
Die neue Generation der platzsparenden Bücher - klein, stark, leicht und fast unsichtbar! E-Books bei viereggtext! Wollen Sie Anspruchsvolles veröffentlichen oder suchen Sie Lesegenuss für zu Hause oder unterwegs? Verfolgen Sie mein Programm im SV Verlag, Sie werden immer etwas Passendes entdecken ... Weitere Informationen

.

.
Dichterhain, Bände 1 bis 4

.

.
Dichterhain, Bände 5 bis 8

Übersetze/Translate/Traduis/Tradurre/Traducir/переводить/çevirmek

Posts mit dem Label Wartezeiten werden angezeigt. Alle Posts anzeigen
Posts mit dem Label Wartezeiten werden angezeigt. Alle Posts anzeigen

Donnerstag, 18. September 2025

Wie war Franz Müntefering, Stoiker und Meister der präzisen Abstraktheit?

Franz Müntefering 
Foto: Arne Poehnert


Wer vor der Bühne der Oper Frankfurt am 16. September 2025 Augenzeuge wurde, wie Michel Friedman Franz Müntefering das Zauberwort "fremd" zum Thema Fremdsein entlocken wollte, musste staunen. Friedman wollte es genau wissen: Wie begegnete Deutschland in der Vergangenheit dem Fremdsein? Welche Rolle spielten die Juden, jahrhundertelang ausgegrenzt bis ausgestoßen und vernichtet – eine Erfahrung, die einen kolossalen Grad an Fremdheit erzeugt hatte? Und heute? Wie sollen die Überlebenden und Ankommenden aus fernen Ländern verstehen, was bei uns abläuft, wenn selbst Einheimische manchmal nur den halben Durchblick haben, Kollisionen von Bestimmungen herrschen, außerdem Wartezeiten, Arbeitsverbot, Ausgrenzung unerwünschter Länder, Kriminalität, Wohnungsprobleme, Integrationsunklarheit? 

Müntefering hörte geduldig zu, nickte weise und lieferte die Antwort eines Zen-Meisters der Politik mit dem Prolog: "Ich kenne das Wort fremd gar nicht!". Wieso denn das, das ist ja theoretisch unmöglich? Demokratie wirke auf den Ebenen der Einzelnen, der Diskussionen in Parteien, Vereinen, Verbänden und Clubs, auf Landesebene, und letztlich auf Bundesniveau via Bundestag. Nur dort – durch intensive Mitarbeit – könne sich Realität formen, Entwicklung stattfinden. Wer nicht mitmacht, dürfe sich über das Chaos des Alltags nicht wundern. Was einzig und allein zählt ist die Lebendigkeit der Diskussion.

Das heißt für uns, in diesem Modell bleiben Leute, die Fremdheit empfinden, eben in der Mehrheit allein gelassen in dem Gefühl, das ihnen eher niemand individuell hilft, eventuell noch das Amt, das sie unterstützt, eventuell noch Sozialarbeiter und Kursleiter mit ihrer Einführung in deutsche Geschichte und andere Beschäftigte im Integrationsapparat. Raus aus dem Fremdsein kommen sie nur, wenn sie unsere Sprache lernen, Kontakt suchen und diskutieren mit anderen, was eigentlich mit Ihnen geschieht. Sie kämen auch raus dem Gefühl, wenn sie arbeiten dürften. Fremdsein und Unerwünschtheit führen auch zur illegalen Befriedigung der Wünsche durch Kriminalität. 

Zurück zum Dialog auf der Bühne: Je detaillierter die Frage, desto allgemeiner die Antwort. Müntefering jonglierte mit Begriffen wie Verantwortung, Partizipation und Verteidigung der Demokratie, als wären sie Bälle auf einem Drahtseil, während das Publikum gebannt zusah und zuhörte, wie ein virtuoser Politiker die Wiederholung der Reduktion aufs Wesentliche meisterte. Niemand erhielt einen Schritt-für-Schritt-Plan, wie Fremdheit in Deutschland überwunden werden könnte – aber alle gewannen den klaren Eindruck: Demokratie lebt, atmet, diskutiert und schreitet voran nur durch das Mitmachen auf allen Ebenen.

Es war fast komisch: Die Fragen, die nach klaren, intellektuellen oder konkret Auskunft gebenden Antworten lechzten, trafen auf eine Mauer aus Prinzipien, auch Wiederholungen, Belanglosigkeiten, aber viel Engagement und Aufruf, aktiv, mitgestaltend, demokratisch zu leben. Müntefering blieb unerschütterlich, widerstand allen Versuchen, ihn auf konkrete Positionen festzulegen. Stattdessen vermittelte er: Reformen müssen gelebt, Demokratie verteidigt und Mitwirkung ernst genommen werden – egal, ob es um historische Ausgrenzung, aktuelle Zuwanderung oder gesellschaftliche Entwicklungen geht.

Am Ende entließ uns Michel Friedman angesichts der Erfolglosigkeit, Konkretheit beim Befragten zu bekommen, 15 Minuten früher. Die Zuschauer etwas verwirrt, ein bisschen erleuchtet, gestärkt und ziemlich belustigt. Franz Müntefering hatte triumphiert – nicht durch Detailwissen, sondern durch die unerschütterliche Widerstandskraft gegen konkrete Positionen und Fragen durch eine Mauer aus Prinzipien, Haltung und die subtile Kunst der abstrahierenden Reduktion. Ein Mann, ein Prinzip, eine Botschaft: Demokratie lebt nur durch Beteiligung - eventuell hätten wir alle diskutieren müssen, um uns die Antworten selbst zu erarbeiten.