Rechtsextremismus entsteht selten aus Ideologie allein. Empirische Forschung und Sicherheitsberichte zeigen seit Jahren, dass Radikalisierung häufig dort ansetzt, wo soziale Bindungen brüchig werden und institutionelle Anerkennung fehlt. Schule ist dabei kein Randfaktor, sondern einer der zentralen Orte gesellschaftlicher Integration – oder Desintegration (BfV 2024; bpb 2023).
Schule als Ort früher Exklusion
Für viele Kinder und Jugendliche in strukturschwachen Regionen – etwa in Teilen der Westpfalz oder des Saarlands – ist Schule der erste Ort, an dem sie systematisch erfahren, nicht mithalten zu können. Sprachdefizite, Lernschwierigkeiten, instabile familiäre Verhältnisse oder psychische Belastungen aus vielerlei Gründen sind bekannt, werden aber häufig nur verwaltet statt kompensiert. Verfassungsschutzberichte weisen darauf hin, dass gerade junge Menschen mit diskontinuierlichen Bildungsbiografien überdurchschnittlich häufig in extremistischen Milieus auftauchen (BfV 2024).Was pädagogisch als „Förderbedarf“ beginnt, wird biografisch oft zur Stigmatisierung. Studien der Bundeszentrale für politische Bildung zeigen, dass frühe schulische Abwertung das Vertrauen in demokratische Institutionen nachhaltig untergräbt (bpb 2022).
Kränkung als politischer Rohstoff
Rechtsextreme Ideologien wirken nicht primär über Argumente, sondern über emotionale Umdeutung. Persönliches Scheitern wird externalisiert: Schuld sind „die da oben“, „das System“, „die Fremden“. Schule erscheint in diesen Narrativen als Beweis für strukturelle Ungerechtigkeit – ein Motiv, das in rechtsextremer Propaganda regelmäßig aufgegriffen wird (KAS 2020).
So wird individuelle Frustration politisiert. Besonders anfällig sind Jugendliche, die keine Sprache für eigene Ohnmacht entwickeln konnten. Gewalt, Provokation und Abwertung ersetzen Anerkennung. Der Verfassungsschutz spricht hier von einem Radikalisierungspfad über biografische Kränkungen, nicht über ideologische Schulung (BfV 2023).
So wird individuelle Frustration politisiert. Besonders anfällig sind Jugendliche, die keine Sprache für eigene Ohnmacht entwickeln konnten. Gewalt, Provokation und Abwertung ersetzen Anerkennung. Der Verfassungsschutz spricht hier von einem Radikalisierungspfad über biografische Kränkungen, nicht über ideologische Schulung (BfV 2023).
Schulabbrüche und Übergangslosigkeit
Ein stabiler Befund aus Kriminologie und Extremismusforschung ist der Zusammenhang zwischen Schulabbrüchen, prekären Übergängen in Ausbildung und erhöhter Radikalisierungsanfälligkeit (BKA 2024). Besonders gefährdet sind junge Männer, die nach der Schule in Phasen von Arbeitslosigkeit, Gelegenheitsjobs oder "informeller Ökonomie" geraten. Mit diesem Ausdruck sind Betriebe, meist Kleinbetriebe, sowie Selbstbeschäftigte gemeint, die nicht staatlich registriert sind und nicht zur steuerlichen Erfassung heranziehbar sind. Es ist Schwarzarbeit, die ihre Sozialversicherung durch Sozialgeldbezug anhängt.In Regionen mit schwachem Ausbildungsmarkt – etwa in Teilen der Südwestpfalz – verstärkt sich dieses Risiko. Der Verlust gesellschaftlicher Anschlussfähigkeit erzeugt ein starkes Bedürfnis nach Zugehörigkeit. Rechtsextreme Gruppen bieten genau das: klare Rollen, einfache Erklärungen, symbolische Aufwertung (Correctiv 2023).
Digitale Radikalisierung und schulische Überforderung
Schule hat ihr Monopol als Sozialisationsinstanz verloren. Digitale Räume prägen Identität früher und nachhaltiger als Unterricht. Verfassungsschutz und bpb weisen übereinstimmend darauf hin, dass Radikalisierung heute häufig niedrigschwellig, fragmentarisch bzw. als punktuelle Reaktionsbildung erfolgt – über Chats, Gaming-Plattformen oder Social Media (bpb 2024).Wer in der Schule scheitert, findet dort Anschluss. Problematisch ist weniger offene Propaganda als die Normalisierung von Abwertung und Gewaltfantasien. Ohne ausreichende Medienbildung und stabile pädagogische Beziehungen bleibt Schule hier oft machtlos.
Prävention beginnt bei Struktur, nicht bei Gesinnung
Der Zusammenhang zwischen Schulschwierigkeiten und Rechtsextremismus ist kein Automatismus, aber ein strukturelles Risiko. Prävention bedeutet daher nicht nur politische Bildung, sondern vor allem institutionelle Verlässlichkeit: kleinere Klassen, belastbare Förderangebote, funktionierende Übergänge in Ausbildung und ausreichend ausgestattete Schulsozialarbeit (bpb 2023; Landesberichte RLP/Saarland).Wo Schule als fairer Ort erlebt wird, verliert der Rechtsextremismus seine wichtigste Ressource: die Kränkung. Demokratie beginnt nicht mit Appellen, sondern mit der Erfahrung, gesehen und gebraucht zu werden.
Regionale Perspektive: Westpfalz und Saarland
In der Westpfalz und im Saarland treffen Bildungsungleichheit, Strukturwandel und demografische Schrumpfung zusammen. Sicherheitsberichte zeigen hier keine Massenbewegungen, wohl aber kleine, flexible rechtsextreme Gruppen, die besonders auf sozial abgehängte Jugendliche zielen (Verfassungsschutz RLP 2024; Saarland 2024).Der entscheidende Punkt ist kein ideologischer Rechtsruck der Jugend, sondern eine Erosion von Bindung. Rechtsextremismus schafft diese Probleme nicht – er organisiert sie politisch.
Wer Rechtsextremismus bekämpfen will, ohne über Schule zu sprechen, bekämpft Symptome, nicht Ursachen. Schulschwierigkeiten sind ein Frühindikator gesellschaftlicher Spaltung. Wo Schule scheitert, beginnt Radikalisierung oft leise – lange bevor sie sichtbar wird.
Quellenliste
Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV).
(2023–2024). Verfassungsschutzbericht des Bundes.
https://www.verfassungsschutz.de
Bundeskriminalamt (BKA).
(2024). Lagebild Politisch motivierte Kriminalität.
https://www.bka.de
Bundeszentrale für politische Bildung (bpb).
(2022–2024). Dossiers zu Rechtsextremismus, Jugend & Radikalisierung.
https://www.bpb.de
Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS).
(2020). Rechtsextreme Narrative, Emotionen und Radikalisierung.
https://www.kas.de
Ministerium des Innern Rheinland-Pfalz.
(2024). Verfassungsschutzbericht Rheinland-Pfalz.
https://mdi.rlp.de
Ministerium für Inneres, Bauen und Sport Saarland.
(2024). Lagebild Politisch motivierte Kriminalität.
Correctiv.
(2023). Recherchen zu rechtsextremen Netzwerken und Rekrutierungsstrategien.
https://correctiv.org
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