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Dichterhain, Bände 1 bis 4

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Dichterhain, Bände 5 bis 8

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Samstag, 22. September 2012

Dichterhain: ELFENFÄDEN TREIBEND, Teil I, von Volker Friebel

Elfenfäden, treibend
 

Bad Cannstatt
1
Nachgesonnen über das Leben,
das aber einfach nur ist. Eine Kuckucksuhr.
Zwei Boxer im Ring. Das Lächeln einer jungen Frau,
über ihrem Buch versunken im Stadtpark.
Ein altes Paar, das sich im Zug gegenüber sitzt.
Herzen überall, Herzen, doch etwas verdunkelt sie,
etwas wirft Schatten.
Nur im Waldbach siehst du unvermindert
das Gleißen.
Niemand ist hier.
Steine, bunt im strömenden Wasser.
Sobald du einen herausnimmst und trocknest,
verblasst seine Farbe.
Wir sind erleuchtet, heißt es,
aber wir wissen es nicht.
Woher kommen die Schatten,
wenn nicht von uns?
 

2
Im Museumspark auf dem Hügel bei Cannstatt
der Säulengang, Springbrunnenplätschern ...
Dieser Statue fehlt der Kopf. Aber die Brüste sind da,
und Rosen blühen ringsum.
Vielleicht ist es einfach die Nähe,
die uns hell macht, im Schatten der Erde.
Vielleicht entsteht das Helle in uns,
wenn wir beisammen sind und einander erkennen.
 

3
Es sind unsere Augen,
die dem kreisenden Vogel am Himmel
die Schönheit geben. Seine Augen
schauen nach Mord. Vielleicht heißt erkennen
unser Verlangen im anderen finden,
und dort heimisch werden,
weil wir überall sind.
 

4
Findest du dich im Verlangen der Kiefer?
Enganliegende Borke, jede Woche
ein neues Kleid, einen Rahmen mit Fotos
aus anderen Wäldern, Spechtgetrommel
was wo passiert in der Welt, Wahlen
zur Königin ihres Forstes, Mineralien
aus der fruchtbaren Ebene, während
die hiesigen eben dort hin transportiert werden,
in Kästchen mit der Aufschrift „Die Kraft
des Bergwalds“, Schönheitsoperationen
für ihre Zapfen, die in die Schule sollen,
hinter die sieben Berge ins Hexenhaus.
„Der Verzicht nimmt nicht. Der Verzicht gibt“,
schrieb ein Mensch. „Er gibt
die unerschöpfliche Kraft des Einfachen.“
Die Kiefer verzichtet nicht. Immer
ist sie ganz, was sie ist.
 

5
Brunnenrauschen in Bebenhausen.
Zwischen zwei Mörsern im Garten des Jagdschlösschens
lehnt ein Stückchen Beliebigkeit, halbherzig
ist es mal dies und mal das, halbherzig
lebt es Aspekte, gelegentlich schwingt es
Reden vom Aufstand, verstummt dann mitten im Wort.
Zu Hause warten Posteingang, Postausgang,
kleine Geschäfte, ansonsten will die Welt
lieber nichts von ihm,
außer, irgendwann einmal,
etwas Erde,
zurück.
 

6
Es sind die vielen kleinen Bequemlichkeiten,
Zerstreuungen, der Sand ist es, nicht der Felsen im Meer,
die Waschmaschine, nicht der Liebesschwur,
die kleinen Kitzel beim Schauen und Spüren,
die Vielfalt der Düfte in der Parfümerie,
die langen Reihen der Filme
in deinem langen Regal.
Reiß aus dem Buch eine Seite heraus: Es wird Schicksal.
Und wertvoll die Seite, die fehlt.
Häng alle Bilder ab, stell deine Möbel auf die Straße,
streich alles weiß und setz dich auf das leere Parkett.


[...Fortsetzung morgen]

© Volker Friebel
Er wurde an einem Schneesonntag gegen Ende des Jahres 1956 in Holzgerlingen geboren, mitten in Schwaben. Er ist Psychologe (promoviert), und tätig als Ausbilder, Autor, Musiker. Er lebt in Tübingen.
Aus: Zonen der Kampfjets. Gedichte und Haiku. 2010

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