![]() |
Ian Koziara (Parsifal) umringt von Klingsors Zaubermädchen und Chor Foto: Monika Rittershaus |
Brigitte Fassbaender (85) beweist mit ihrer Inszenierung von Richard Wagners Parsifal an der Oper Frankfurt im Mai 2025 einmal mehr ihre außergewöhnliche Fähigkeit, klassische Werke neu zu denken und ihnen eine andere gesellschaftliche Dimension zu verleihen. Ihr Parsifal zusammen mit dem Dirigent Thomas Guggeis verkörpert eine Interpretation, die sich vom traditionellen religiösen, archaischem Heldentum des Mannes distanziert und stattdessen eine entmythologisierte Sichtweise auf das Werk bietet. Eine beeindruckende Leistung, die sicherlich noch lange diskutiert wird. Die musikalische Qualität der Aufführung dank Guggeis muss hier betont werden, insbesondere die herausragenden Leistungen von Ian Koziara (Parsifal), Nicholas Brownlee (Amfortas), Jennifer Holloway (Kundry) und Andreas Bauer Kanabas (Gurnemanz) sowie Iain Macneil (Klingsor) neben den Gralsrittern und Klingsors Zaubermädchen.
Der erste Aufzug zieht sich etwas zäh in seiner langsamen, kontemplativen Entwicklung dahin. Fassbaenders Ansatz mit der ironischen modernen Brechung der Mystik mit der fast brechtschen Kundry schafft es nur teilweise, die Grundstruktur des ersten Aufzugs zu überwinden. Der zweite Aufzug ist deutlich belebter und dramatischer, der dritte wieder etwas weniger Bewegung, aber Gruppenbilder und entspannte Aussicht auf ein positives Ende.
Es gibt einige interessante Parallelen zwischen Wagners Parsifal und Wolfram von Eschenbachs Parzival. Wagner hat sich stark von Wolframs mittelalterlichem Epos inspirieren lassen, aber er verändert zentrale Aspekte der Geschichte und ihrer Bedeutung. Sowohl bei Wolfram als auch bei Wagner steht die Suche nach dem Gral im Mittelpunkt. Doch während Wolframs Parzival eine klassische ritterliche Entwicklung durchläuft, ist Wagners Parsifal stärker von religiöser Symbolik und Erlösungsideen geprägt.
In beiden Werken leidet der Gralskönig Amfortas an einer schweren Wunde, die ihn daran hindert, seine Aufgabe zu erfüllen. Der eigene Speer, Zeichen der Macht, wird gegen den Besitzer gewendet, bei Wolfram ist die Wunde eine Folge eines Kampfes, während sie bei Wagner eine tiefere metaphysische Bedeutung erhält – als Strafe für sündhafte Begierde.
Klingsor, Herr der verführerischen Zaubermädchen, fügte ihm die Wunde zu, als Amfortas sich Kundry annäherte. In Wolframs Version ist Kundry eine vielschichtige Figur, die Parzival auf seiner Reise begleitet. Wagner macht sie zu einer verfluchten Frau, die zwischen Verführung und Erlösung schwankt. In Wolframs Parzival ist die entscheidende Handlung, dass Parzival die richtige Frage stellt („Was fehlt dir?“), um den Gralskönig zu erlösen. Wagner übernimmt dieses Motiv, aber er erweitert es um eine tiefere spirituelle Dimension. Wagner hat dennoch Wolframs mittelalterliche Erzählung verwendet, um sie zu einem frauenfeindlichen, männerheroischen Bühnenweihfestspiel mit einer Mischung aus christlicher Symbolik und mythologischen Themen zu transformieren.
Die Inszenierung Fassbaenders hebt die Geschlechterproblematik und Rolle der Frau hervor, gibt dem Gralskult etwas ganz Merkwürdiges, es ist eine Versammlung von Männern, die bei Berührung mit Frauen zum ewig körperlich und seelisch verletzten, entmachteten Antihelden werden. Erst die Hilfe eines Unbefleckten, eines „reinen Tors“ kann den Fluch zum Weichen bringen. Die Wiederherstellung der heroischen Männlichkeit durch Rückkehr der Kampfkraft durch einen Helfer. Für Amfortas ist der Gralskelch voll mit reinem Blut der Helden, die durch Frauen vom rechten Weg abgebracht wurden. Auch Amfortas blutet ohne Ende, aufgrund seiner ewigen Schmach des Fehltritts. Er sucht den Tod, will getötet werden zur Erlösung wie einst Jesus. Diese radikale Umdeutung des vergossenen Blutes Jesu bedeutet nichts anderes als ein Fortrücken von Religion hin zu einer Ersatzmythologie frauenfeindlicher Geister, was geradezu absurd erscheint, aber in den Männerbündnissen der Nazis, der soldatischen Kameradschaft und durch Hitler gefeiert wurde.
Die Verweltlichung, Unschärfe sakraler Elemente soll wohl durch die unscharfe Projektion von Claude Monets „Kathedrale von Rouen“ als Pausenbild verdeutlicht werden. Ich bin davon nicht begeistert, sie wirkte nicht überzeugend, wobei die weltliche Ausrichtung der Kirche wie die Einmischung des Vatikans in die (Rassen-)Politik ja dadurch angedeutet wird. Diese Assoziation bleibt dennoch blass.
Fassbaender unterläuft bewusst das Pathos von Wagners Bühnenweihfestspiel und zeigt eine Welt, in der die alten Rituale an Wert verlieren. Die Gralsenthüllung im zweiten Aufzug wird nicht als mystischer Höhepunkt inszeniert, sondern als rituelle Anbetung eines überdimensionalen Kelches mit Blut gefüllt, um den herum die Gralsritter, selbst kleine Jungen sind dabei, wohl alle im Junggesellenbund vereint, Brezeln essen und sich wie in einem Salon unterhalten. Die Getränkefrage lassen wir hier beiseite. Was aber ist mit den Müttern der Kinder? Schicken sie ihre Kinder gerne in einen solch elitären Kreis der Verzweifelten? Sind ihre Männer schwer gezeichnet durch den Zeugungsakt? Oder ist dies alles nur den latent Homosexuellen vorbehalten?
Die Gralsenthüllung als Blutverheißung unterläuft die übliche mystische Erhabenheit und gibt dem Ritual eine fast makabre Note. Statt einer transzendentalen Offenbarung scheint hier eine düstere Realität durchzuschimmern: ein Bund, der sich nicht durch göttliches Licht, sondern durch Opfer und Schmerz erhält, durch das Leiden von geschädigten Männern, die seit ihrer Verletzung der Tabus durch unerlaubten Frauenkontakt sozusagen fast schon psychisch behindert sind.
Interessanterweise gibt es eine einfache Lösung des Problems. Wenn geschädigte Männer sich von ihrem Leid, ihrer Schmach trennen, indem sie diese nicht mehr als solche wahrnehmen, steht der Weg zur Liebe offen. Sie können sich frei und ungezwungen um ihre Geliebte kümmern und das Dasein endlich genießen.
v.l.n.r. Jennifer Holloway (Kundry), Ian Koziara (Parsifal) und
Nicholas Brownlee (Amfortas) sowie Ensemble
Foto: Monika Rittershaus
Die Geliebte hier ist Kundry, eine der vielschichtigsten und faszinierendsten Figuren in Wagners Parsifal. Sie verkörpert widersprüchliche Rollen und bewegt sich zwischen Verführung, Fluch und Erlösung. Kundry erscheint in zwei vollkommen gegensätzlichen Formen. Im zweiten Aufzug ist sie die sinnliche Verführerin, die Parsifal mit ihren Worten und ihrer Leidenschaft zu Fall bringen will. Sie steht im Dienst von Klingsor, dem Zauberer, und verkörpert die Kraft der körperlichen Begierde. Im ersten und dritten Aufzug erscheint sie jedoch als dienende Büßerin der Gralsgemeinschaft, gezeichnet von ihrem ewigen Fluch. Sie ist rastlos, spricht abgehackt und zeigt große Verzweiflung über ihr Schicksal. Kundry trägt einen uralten Fluch: Sie hat einst über den leidenden Christus als Frau des Herodes gelacht und wurde dafür verdammt, ewig zwischen Leben und Tod umherzuirren. Ihre Rastlosigkeit und ihr Schicksal als ewige Dienerin zeigen sich in ihrem getriebenen Wesen. Die berühmte Szene im zweiten Aufzug, in der sie Parsifal küsst, ist ein entscheidender Moment. Sie offenbart ihm nicht nur körperliche Leidenschaft, sondern auch tiefere menschliche und emotionale Sehnsucht. Doch statt ihn zu gewinnen, führt dieses Erlebnis dazu, dass Parsifal die Verbindung zwischen Lust und Leid erkennt – die gleiche Verbindung, die Amfortas in seiner Wunde leidend hält.
Im traditionellen Deutungsmuster stirbt Kundry am Ende, nachdem Parsifal die Gralsgemeinschaft und Amfortas erlöst hat. Die Wunde Amfortas schließt sich, als er seinen Speer zurückbekommt. Doch in modernen Inszenierungen – wie der von Brigitte Fassbaender in Frankfurt – wird ihr Schicksal neu interpretiert. Hier entscheidet sie sich für eine eigene Zukunft, geht mit Amfortas, obwohl sie auch Parsifal liebt, und bricht mit der alten Ordnung.
Kundry steht symbolisch für die ambivalente Sicht auf Weiblichkeit in Wagners Werk. Sie ist eine Gestalt, die einerseits mit Schuld und Verführung verknüpft wird, andererseits aber auch eine zentrale Rolle in der Erlösung und Veränderung spielt. In modernen Inszenierungen wird sie oft als eine starke, eigenständige Figur dargestellt, die aus den festgefahrenen Strukturen ausbricht.
Ihre Figur bleibt eine der vieldeutigsten in Wagners Werk – gefangen zwischen Vergangenheit und Zukunft, zwischen Fremdheit und Eingliederung, zwischen Sünde und Heil.
Dem Speer gebührt auch viel Aufmerksamkeit: Der heilige Speer spielt eine zentrale Rolle und symbolisiert sowohl Macht als auch Erlösung. Amfortas verliert den Speer an Klingsor, der ihn gegen ihn wendet und ihm eine Wunde zufügt, die nicht heilt. Diese Verletzung wird zum Sinnbild für die unaufhörliche Qual und die Unfähigkeit der Gralsritter, sich selbst zu erneuern. Der Speer ist nicht nur eine Waffe, sondern auch ein Schlüssel zur Erlösung. Parsifal muss ihn zurückgewinnen, um Amfortas zu heilen und die Gralsgemeinschaft zu retten. In Fassbaenders Inszenierung wird der Speer nicht als strahlendes Symbol der Reinheit gezeigt, sondern als ein Objekt mit ambivalenter Bedeutung. Klingsor übergibt ihn kampflos sterbend an Parsifal, was die Idee einer heroischen Eroberung unterläuft. Am Ende bringt Parsifal den Speer zurück, doch die Inszenierung verzichtet auf eine ausgebaute Erlösungsszene. Stattdessen bleibt vieles in der Schwebe. Als Phallussymbol der Macht bleibt er kontinuierlicher Begleiter, verletzt, tötet und heilt.
Klingsors Reich ist als eine Art Gegenwelt zur Gralsgemeinschaft inszeniert – eine Welt der Sinnlichkeit, des Spiels und der Illusion. Besonders auffällig ist die Gestaltung des Zaubergartens, der als Nachbildung der Venusgrotte von Schloss Linderhof (Ludwig II.) erscheint. Statt eines klassischen Zauberers wird Klingsor als eine Art Gentleman mit Zylinder dargestellt. Er zieht die Strippen in einem erotischen Brautgarten und herrscht über eine Welt, die mit der unterirdischen Venusgrotte identisch ist. Seine Zaubermädchen sind nicht nur Verführerinnen, sondern auch Teil eines Spiels, das Klingsor kontrolliert. Verfällt ein Gralsritter einem Mädchen ist er verletzt und für immer ein Blutender. Ihre Bewegungen sind leicht und verspielt, im Kontrast zur schweren, leidvollen Welt der Gralsritter. In dieser Umgebung wird Kundry nicht nur als Verführerin gezeigt, sondern als eine Figur, die zwischen beiden Welten hin- und hergerissen ist. Keine Frage, dass die Identität in einer solchen Männerwelt schwer wanken kann.
Gerade in einer modernen Inszenierung wie der von Brigitte Fassbaender wird deutlich, wie stark sich Dogmen durch Interpretation verändern lassen. Statt die ursprüngliche Sichtweise zu übernehmen, nutzt sie meisterhaft die Struktur von Parsifal, um festgefahrene Ideen zu hinterfragen. Aber zugleich bleibt Wagner in seiner Musik und seinem Gedankengebäude präsent – es ist eine feine Balance zwischen Treue zum Original und kritischer Neuinterpretation.