Verena Bukal als Kurtisane Denise, Till Weinheimer als bigamer Priester Foto: Birgit Hupfeld |
Ein Kaleidoskop der Beziehungen tut sich mit Joël Pommerats Theaterstück DIE WIEDERVEREINIGUNG DER BEIDEN KOREAS auf. Es sind eher abwegige Konstellationen, Ausnahmesituationen, Ungewöhnliches und Absurdes. Völlig unerwartet nimmt das Geschehen nach wenigen Minuten eine teils kaum erwartete, teils fest berechenbare Wendung, um jeden Schleier von Normalität und Bürgerlichkeit herunterzureißen. Die Problematik intensiv, jedoch aufgrund der Unerwartetheit und Reaktionen der Beteiligten erstauntes Lachen. Es ist die Entrüstetheit über die Vorkommnisse, die scheinbare Moral oder ganz im Gegenteil die Missachtung der Moral von Moralträgern, wie einem Priester. Oft ist es the worst case und gelegentlich schwebt Roald Dahl mit durch den Raum. Erstaunlich, was Pommerat alles ausgetüftelt hat.
Thomas Huber als Monsieur Dengè, Franziska Junge als überraschte Miriam Foto: Birgit Hupfeld |
In 19 Szenen, wobei 17 und 19 zwei Teile einer Szene sind, mit 51 verschiedenen Charakteren, spannt der Autor seinen Bogen von Scheidung bis unmögliche Liebe, von Fremdgehen bis Schlussmachen, von lesbischer bis zu pädophiler Liebe und nimmt so gut wie alles auf den Arm, die Lächerlichkeit der Verletzung, der Moral, der Eifersucht, der Unmöglichkeit, des Todes - einfach alles! Schwarzen Humor in seiner Situationskomik hat er auch.
Schaut man sich die Szenen an, sind es auch irreale Situationen. Die Befragung in 1, warum die Scheidung nach 20 Jahren eingereicht wurde, gleicht eher einem Geständnis und Erklärung, die nie vor Gericht so stattfinden würde. Eher beim Psychiater. "Es gibt keine Liebe zwischen uns, es hat sie nie gegeben." Alles Lüge! Lieber einsam sein ist ihre Devise und: "Ich hab keine andere Wahl."
Das Lesbenpaar in 2 ist bitterböse verkracht, und nachdem die eine, die kein Ende will, wiederholt fordert: "Ich möchte alles zurück, was du von mir in dir da drin rumträgst!" entspannt sich ein erbitterter Kampf der Wildkatzen. Ein Passant auf der Bank, der unfreiwillig reingezogen wird, verhindert das Schlimmste durch Einmischung. Dann eine Putzkolonne mit drei Kräften, zwei entdecken auf dem Flur etliche Meter oberhalb einen Erhängten und erkennen den Mann der Kollegin Corinne. Diese kommt und setzt sich unter die Leiche, ohne je hochzuschauen, erzählt von Scheidungsprozess, Urteil zur Unterhaltspflicht von Pascale für die Kinder, von seiner Morddrohung den Kindern gegenüber, aber auch davon, dass sie sich lieben und Patrice wieder zu ihr zurückkehren würde. Die Wahrheit wird nicht aufgedeckt, alle putzen weiter, als ob nichts wäre.
In 4 kehrt Muriel mit ihrem Freund heim, ein Unbekannter taucht auf, stellt Ansprüche von früher und Muriel verfällt ihm voller Begierde. Sie gehen, der Freund hinterher und holt sie zurück, macht aber entrüstet Schluss. Muriel ist alleine. Dass es unmöglich ist zu heiraten, wenn man alle vier Schwestern der Braut schon angemacht und zumindest geküsst hat, wird in 5 vor dem Standesamt deutlich. Zurück bleibt ungläubig der Bräutigam. Dazwischen werden Chansons dargeboten, die oft das Gesehene kommentieren, so am Anfang und zwischen 5 und 6: "Je t'embrasse ...". Die Tochter eines Komapatienten erzählt danach dem Doktor, dass sie heiraten werde, alles Leute aus der Finanzbranche, überfällt den Doktor mit einer Kussattacke, der Freund Antoine versucht sie loszureißen, während sie von der Zukunft mit ihm schwärmt und den Doktor umklammert hält.
In 7 stellt Miriam ihrem Chef Monsieur Dengé eine Falle, er habe sie im Schlaf in seinem Zimmer im Sessel genommen. Er kollabiert allmählich und hat offensichtlich eine Menge zu verbergen... Wenn ein Priester wegen einer anderen Frau bei einer Kurtisane aussteigen will (nach 7 Jahren) zahlt er einen Abstand. Denise ist trotzdem entsetzt, träumte sie doch von einer bürgerlichen Existenz. Als Wiedergutmachung und Zeichen seiner Liebe fordert sie werktäglich bis zum Lebensende abends ein Essen mit ihm bei ihr bis etwa 22 Uhr. Sie entlässt ihn nicht aus seiner Doppelwelt. "J'attends ..."
Was tun, wenn Constantin nach 10 Jahren mit seinem alten Schlüssel in sein Haus kommt, um Elisabeth, neu verheiratet, das geschuldete "Auf Wiedersehen" zu sagen? Störung, Verblüffen, Entrüstung, und weiter mit Kreuzworträtsel. Schlimm, wenn Eltern ermitteln, weil es ihrem Sohn nach dem Schullandheim schlecht geht. Noch schlimmer, wenn der Lehrer im Schullandheim ihren Sohn nach Einnässen umgezogen hat, über den Kopf gestreichelt und in seinem Bett hat schlafen lassen. Weil er ihn liebt? "Ja, weil ich ihn liebe" kommt heraus! Wut und Entrüstung bei den Eltern.
Nachbar geht zu Nachbarin, man nähert sich an, wartet auf seine Partner und lauscht den Geräuschen im Treppenhaus. Die Partner kommen auch und haben Sex im Treppenhaus oder nebenan. Die Wartenden werden ebenfalls zärtlich, liegt ja nahe ... "Je pense à toi ..." Eltern streiten sich und sehen einen riesigen Riss in ihrer Beziehung, weil der Vater den Sohn in den Krieg schickt, die Mutter es verhindern will. Ein Ehepaar spielt wiederholt die entsetzten Eltern, weil die Kinder nach der Rückkehr vom Theater weg sind. Das Zimmermädchen wird blamiert, obwohl es bestellt wurde, auf Kinder, die es nicht gibt, aufzupassen. "Die Kinder sind das Wichtigste für unsere Beziehung. Ohne die Kinder wären wir kein Paar."
Eine Behinderte in 14 ist erneut schwanger, sie will nicht abtreiben, aber sie soll auch kein Kind bekommen. "Weil es das Kind unserer Liebe ist", will sie es, der Vertreter der Gesundheitsbehörde versucht ihr den Blödsinn Liebe auszureden. Serge und Cécile sind seit 17 Jahren verheiratet, sie hat eine Totalamnesie, weiß nichts mehr, nur die Umarmung versteht sie noch, jede Umarmung ist wie die erste: "Früher war es so, als ob Nord- und Südkorea sich vereinigen würden." "Si tu parle avec moi..."
Eine Frau nach dem Sex mit ihrem Partner sagt klar: "Wir lieben uns, aber das reicht nicht!" und geht. Er verzweifelt darüber. In 17 und 19 treffen ein Mann und eine Dirne aufeinander, sie bietet sich an und geht runter von 120 € auf Umsonst, da sagt er ja und geht mit. In 19 kehren sie zurück und sie redet ihm ins Gewissen, nachdem er ja zufrieden sei, könnte er auch mind. 5 bezahlen, was er murrend tut. In 18 entwickelt sich aus einer Freundschaftsidylle auf dem Rasen mit Gitarrenmusik eine wüste Schlägerei, weil der andere auf den Fehlern seines Freundes rumreitet und es 1000-fach wiederholt.
Soviel zu Beziehungen, eindringlich und hervorragend unter der Regie von Oliver Reese mit vielen Kostüm-, Charakter- und Situationswechseln präsentiert von Verena Bukal, Franziska Junge, Corinna Kirchhoff, Josefin Platt, Carina Zichner, Mitglied im SCHAUSPIEL- studio,Thomas Huber, Peter Schröder, Marc Oliver Schulze, Till Weinheimer.
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