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Mittwoch, 13. Mai 2015

Leb wohl, Günter Grass! Wie war DIE BLECHTROMMEL im Frankfurter Schauspiel?

NICO HOLONICS ALS OSKAR MATZERATH     (c) Birgit Hupfeld

Das große Vermächtnis des Literaturnobelpreisträgers in einem Ein-Mann-Stück auf der Frankfurter Schauspielbühne. Bedeutet das eine qualitative Reduzierung des umfangreichen Stoffes, etwa nur einen Ausschnitt aus dem dichten Geschehen? Wird eine Bühnenfassung dem Roman noch gerecht? Alle Sorgen und Bedenken sind unberechtigt, zerstreuen sich allmählich nach dem hineinfindenden Zuschauen.

Oliver Reese hat ein feines Destillat aus dem Roman hergestellt, das Essentielle herausgearbeitet, Nico Holonics eine schauspielerische Höchstleistung hingelegt, die ihresgleichen sucht. Mit seiner virtuosen Art, ganz verschiedene Stimmhöhen, Stimmungsbilder, Persönlichkeiten und Altersstufen zu befördern, spielt er nicht nur den Oskar sehr authentisch, selbst wenn man bei Oskar Matzerath immer noch das Bild von David Bennent aus Volker Schlöndorffs Verfilmung aus dem Jahr 1979 vor Augen hat, sondern ersetzt auch andere Schauspieler durch schnelle Rollenwechsel und Switchen zwischen den Szenen hervorragend. Die anderen maßgebenden Figuren in Günter Grass' hochliterarischer Dark Comedy werden in Reeses Inszenierung in ihrer fiktiven Wesensart nur zitiert, sind dennoch mehr als präsent. In dramatischer Umsetzung mit minimalsten Mitteln - Oskar, seine rot-weißen Blechtrommeln und ein übergroßer Stuhl auf der erdigen deutschen Schollen-Bühne, der die Körpergröße von 94 cm suggeriert - wird das Grasssche Konstrukt aus Absurdem, Groteskem, Komischem und Historischem zu einer Metonymisierung der deutschen Problematik auf der Bühne.


(c) Birgit Hupfeld
Im Hintergrund die nationalsozialistische Geschichte, wie nebenbei. Der SA-Mann Meyn, wegen Tierquälerei aus der Reiter-SA entlassen, der Katzenzerschlager, der den Uhrmacher und Katzenfreund auf dem Gewissen hat, war bei der Reichskristallnacht dabei, als sie den Laden von Sigismund Markus, dem jüdischen Spielzeughändler, zerschlugen, auch die Blechtrommeln vernichteten, aber Markus nichts antun konnten, weil er sich bereits durch Gift umgebracht hatte, als die Scheiben zersplitterten.

"Es war einmal Oskar Matzerath, der auf seinen Spielzeughändler angewiesen war. Es war einmal ein Spielzeughändler, der hieß Sigismund Markus, und nahm mit alles Spielzeug dieser Welt."

Oskar brachte bei einem NSDAP-Treffen die Musiker der Partei sogar unerkannt dazu, nach dem Rhythmus seiner Trommel zu spielen und die Marschmusik hinter sich zu lassen.

Dieser klein bleibende Oskar, der Glasschreier und Blechtrommler, ist ein Opfer der Geschichte und seines Ödipuskomplexes, dessen Lösung, Befreiung und Abstoßung der Väter bzw. Schuld an deren Tod ihn wieder wachsen lässt. So grotesk die Geschichte mit dem sich versteckenden Joseph Koljaicek, ein Brandstifter, unter dem Rock der Großmutter und einem Koitus in extremer Situation mit dem späteren Produkt Agnes, Oskars Mutter, beginnt, so absurd verläuft sie bis zum Tod von Alfred Matzerath, der das "Bonbon", die NSDAP-Mitgliedsnadel mit geöffnetem Verschluss, und mit abstehender Nadel schwer verschluckbar, von Oskar in höchster Not, es verschwinden zu lassen, gereicht bekommt.


"Ich, Oskar Matzerath, der Blechtrommler, brachte erst meine Mama, dann Bronski 
und Matzerath, meinen Vater, ins Grab." Das ist das Credo des armen Kleinen.

Der eingedrungene Russe und Befreier, der das Würgen Matzeraths 1945 in Danzig beobachtete, erschießt ihn aus Angst und befreit Oskar von seinem Fluch. Er lässt die Blechtrommel Blechtrommel sein, beginnt zu wachsen. Allerdings kommt er im Buch ja auch nicht weiter als 121 cm. Aber immerhin. Er müsste also noch ein paar Väter "beseitigen", um bei Normalgröße anzukommen.


(c) Birgit Hupfeld
Oskar hatte nicht nur einen Hass auf Matzerath, der ihm schließlich noch die erste Liebe Maria wegnahm, sie fast gleichaltrig mit Oskar zur Frau nahm, sie schwängerte, weil Oskar ihm auf den Rücken sprang, den Coitus interruptus vereitelte. Während der Schwangerschaft packten Oskar teuflische Gelüste, den Blähbauch mit einer Schere zu zerstechen. Oskar hielt sich nach der Geburt für den Vater, da er erste sexuelle Spiele mit ihr hatte, man muss hier nur Umkleidekabine und Brause sagen. Oskar hielt auch immer seinen Onkel, Jan Bronski, für seinen Vater, wegen der blauen Augen und weil er seine Mutter Agnes begehrte. Ihm schreibt er auch - neben seiner eigenen, weil er es nicht verhinderte - Schuld zu am Tod seiner Mutter, Agnes Matzerath, die sich wohl wegen einer verbotenen Schwangerschaft von Bronski mit Fisch zu Tode isst. Darum lieferte er Bronski auch durch Vorgaukelung, dass dieser ein Entführer sei, von ihm, dem Kind, den  Deutschen aus, als diese in der Danziger Post auftauchen. Wo ja auch die letzte heile Blechtrommel im Kinderzimmer der Post zu finden war, ihm durch Detonationen draußen und Maschinengewehrsalven in die Arme fiel. Bronski wurde von den Deutschen erschossen. 
Im Juli 1942, nachdem "sein" Sohn Kurt zur Welt gekommen war, trat Oskar die Flucht in Bebras Fronttheater an, ein Liliputaner, den Oskar schon früher mit seiner Glasschreierei beeindruckte. Im Theater beglückte er Frontsoldaten, die Abwechslung und Kultur suchten, liebte eine Zwergin und verlor sie. 
1945 kehrte er zurück, müde und geläutert, besuchte seinen Sohn bei Maria und Alfred, um ihm zum dritten Geburtstag eine Blechtrommel zu schenken, die Kurt, anscheinend sehr kräftig und groß, zertrampelte. Oskar, ein Opfer, sogar mit religiösem Auftrag, der Fels der neuen Kirche zu sein, bringt Jesus in der Herz-Jesu-Kirche Danzigs dazu, die Blechtrommel zu spielen. Er schreit seinen Hass und Ablehnung der Religion heraus, schließt mit ihr ab. 
Mit seiner Maria und seinem "Sohn" kann er ab 1945, nach dem Erschießen Matzeraths und der russischen Eroberung Danzigs, der Kapitulation des Deutschen Reichs, mit 21 Jahren ein Stück des weiteren Wegs gehen und wachsen ...

Ein wunderbares Stück deutsche Literatur, erlebbar in 135 Minuten mit Pause im Theater. Ein beeindruckendes Revival der wesentlichen Strecken des Romans, das all die Groteskheit des Romans selbst, der deutschen Geschichte und des Lebens Revue passieren lässt. Es sei allen empfohlen, die Grass, die deutsche Literatur und schauspielerische Leistung schätzen. Nico Holonics verliert auf dem Weg durch die Matzerath-Saga keinen Atem, obwohl er Passagen bestreitet, die viel Kondition verlangen.





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