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Dichterhain, Bände 1 bis 4

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Dichterhain, Bände 5 bis 8

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Donnerstag, 8. März 2018

Wie war's bei A WINTERY SPRING und DIE BRONZENE SCHLANGE im Bockenheimer Depot, Frankfurt?

v.l.n.r. Brandon Cedel (Bassbariton), Alison King (Sopran) und
Deanna Pauletto (Alt)    Foto: Monika Rittershaus

Saed Haddads (geb. 1972) Oper "A Wintery Spring" gekoppelt mit "Die bronzene Schlange" vom Barockkomponisten Jan Dismas Zelenka thematisierten im Frankfurter Bockenheimer Depot die unheilvolle, schwere Lage der Menschen muslimischen, christlichen und jüdischen Glaubens im Nahen Osten seit der alttestamentarischen Zeit bis zur Gegenwart. Das Inferno kennt keine Grenzen. Die Muslime sind Hauptakteure, aber auch Hauptbetroffene.

Ein großer Einschnitt in das freie religiöse Leben der Moderne fand ab etwa 1910 statt, dem Jahr als die Osmanen die Türkei mit Konstantinopel und alle Länder bis Ägypten eroberten. Eine Parallele zum heutigen Einfall der ISIS in viele Länder der Region Naher Osten bis nach Nordafrika kann leicht gezogen werden. Keine Spur von den großen Heeren der Osmanen mehr, aber ein Krieg der Überrumpelung von vor allem schnellen und brutalen Kommandos im Namen eines grausamen und blutigen Allahs. Die neue moslemische Herrschaft der Osmanen zu Beginn des Jahrhunderts zeigte sich in Jordanien, Libanon und Syrien, und vor allem der Türkei durch Ermordung von  Hunderttausenden, Millionen von Christen. Das Verbrechen an den armenischen Christen 1914 ging als einer der ersten Völkermorde der Moderne in die Geschichte ein. Kreuzigungen und Hinrichtungen der religiös Andersdenkenden waren an der Tagesordnung, Vertreibungen und Enteignungen ebenso. Der Komponist zieht eine Parallele zum Arabischen Frühling 2010, der sich zu einer Katastrophe entwickelte, weil alle Bestrebungen der Neuerungen wieder religiös eingefärbt und intolerant waren. Es scheint fast, als ob nur ein Verbot aller Religionen aus der Misere des orientalischen Kapitalismus im Namen des Islams helfen könnte. Oder es gibt Dekaden von Religionskriegen der Strömungen untereinander, was sich zurzeit zur Katastrophe innerhalb der islamischen Welt entwickelt hat. Hier Demokratie zu implantieren geht fast nicht.

Assad vernichtet neben ISIS und systemkritischen Terroristen vor allem sein eigenes Volk, Iran unterstützt Syrien, Türkei greift Kurden als Staatsfeinde an, die mittlerweile in drei Richtungen kämpfen, gegen ISIS, Türkei und kurdenfeinliche andere moslemische Kräfte. Christen und Muslime fliehen vor Angriffen, Hinrichtungen und Bombardierungen aus allen Richtungen ...

In Haddads dramatischem Lamento in drei Szenen werden Gedichte von Khalil Gibran, Libanon, zu Texten formuliert, die elementare Botschaften zur Lage des Volkes im Nahen Osten mitteilen. Die Auftragsarbeit des Komponisten ein Stück wertvolle zeitgenössische Oper. Auf einer Bühne, die eine Wüste oder karges Land darstellt, singen (relativ kurz) solo oder gemeinsam zwei Frauen, Sopran und Alt, und ein Mann mit Baritonstimme. An drei Stellen der Bühne, Rückwand, vorne links auf einer Stellwand und vorne rechts auf einem Leuchtschrift-Laufband fließen die Gibrantexte ein ebenso wie gehighlightete positive und negative Seinsarten, Emotionen, Charaktereigenschaften. In diesem Spannungsfeld das  Lamento gesungen in wie gesagt nur wenigen und kurzen Passagen zu einer mehr westlichen modernen Musik, wo vieles anklingend enthalten ist von Smetana über Boulez bis seriell. Eine fesselnde anspruchsvolle abstrakte Musik, fern von Kitsch, mit vielen Gegensätzen von laut und leise, zentrierend und ausbreitend, vertikal und horizontal.


 Alison King (Sopran) und Brandon Cedel (Bassbariton)
Foto: Monika Rittershaus
Die ganze Oper lebt durch eine elementare Gegensätzlichkeit und Konfrontation von altem und neuem Denken, entscheidener, befehlender versus stiller Anführerschaft, Rückwärtsgewandtheit und Zukunftstreben, Dunkelheit und Licht. Der Komponist macht seine Landsleute verantwortlich für ihr Sterben, er kann ihre Haltung nicht verstehen, es war ein kampfloses Untergehen seines Volkes, seiner Vorfahren. Ähnliches haben Angehörige des jüdischen Volks gedacht: Warum lassen wir uns tatenlos in die Vernichtung führen? Nur wenige leisteten Widerstand gegen die Gewehrmündungen des Hakenkreuzes, der Aufstand im Warschauer Ghetto war ein Beispiel. Und so leiden und sterben viele, viele Menschen auch im Nahen Osten, weil sie nichts tun wollen. Die Flucht ins Ausland ist noch die sinnvollste Tat für Zivilisten, sie schützt die Familie, rettet die Kinder. Wenn sie denn möglich ist. Den Juden war sie zu ganz großen Teilen nicht möglich. Wer in dieser Hölle des Nahen Ostens bleibt, muss mit seinem Tod und der seiner Familie rechnen. Aber auch die Mörder werden gerichtet ...

"... meine Landsleute starben nicht als Rebellen. Sie wurden nicht auf dem Schlachtfeld getötet. Meine Landsleute starben am Kreuz. Sie starben mit ausgestreckten Armen nach Osten und Westen, während ihre Augenhöhlen auf die Schwärze des Firmaments starrten."


v.l.n.r. Cecelia Hall (Egla), Judita Nagyová (Namuel)
                      und Dmitry Egorov (Azaria)      Foto: Monika Rittershaus                        

Die zweite Oper von Zelenka war mir persönlich zu einfach von der Struktur, der Aufstand gegen Moses, der sein Volk durch viele Nöte ins gelobte Land führte. Nicht wenige seiner Anhänger klagten ihn an, sie vernichten zu wollen. Gott schickte ihnen Schlangen zur Strafe, und angesichts des Todes freuten sie sich über Moses Trick eine bronzene Riesenschlange als Statue aufzustellen, die die Schlangen vertrieb. Die Rebellen besannen sich und priesen ihren Führer ... Die barocke Musik zwar schön, aber die endlose Wiederholung der Texte machte alles zäh und fast nervend, bei weitem nicht so feinsinnig und sensibel wie Haddads Gibraninterpretationen. Beeindruckend die Exponierung des symbolischen Wertes Gleiches mit Gleichem zu verjagen. Es würde aber auch bedeuten, dass eine scheinbare oder tatsächlich errichtete Schreckensherrschaft andere Schreckensanhänger vertreiben könnte. Das Bühnenbild auch hier gelungen, Regieeinfälle von Corinna Tetzel sehr gut, so die Tütenmasken, die die Schauspieler aussehen ließen wie Schlangenfänger mit Schutzhandschuhen. Auch der Golfspieler als Zeichen für die Langeweile und den Zeitvertreib beim Warten auf eine Lösung. Sehr ansprechende Stimmen und Sänger, von Cecilia Hall über Dmitry Egorov (typisch barocke Countertenor/Falsett-Passagen) bis zu Michael Porter.

Beide Opern bestens interpretiert und gespielt vom Ensemble Modern Frankfurt.

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