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Donnerstag, 26. Juni 2014

Wie war es bei Strindbergs EIN TRAUMSPIEL in den Kammerspielen/Schauspielhaus Frankfurt am Main?


AGNES (LISA STIEGLER)

August Strindberg, einer der Meister der Darstellung von Ehedramen (TOTENTANZ), der beißenden Seinskritik und der Hoffnungslosigkeit hat mit EIN TRAUMSPIEL 1901 ein kaum spielbares Stück kreiert, dass die Möglichkeiten der Bühnennutzung extrem ausreizt bzw. überschreitet. Ursprünglich sind über drei Dutzend Protagonisten unterwegs, herrscht die Kurzszenen- und Blitzlichttechnik, ganz nach dem Assoziationsprinzip der Träume. Manche Dinge sind daher nur schwer darstellbar. Die Zuschauer werden mit allerhand Erschreckendem konfrontiert. 

Christoph Preuss hat in Frankfurt am Main eine interessante und spielbare Variante geschaffen, indem er die Botschaft des Stückes in einem Lupenzoom kondensiert und fokussiert hat.

Ich besuchte die letzte Vorstellung in der Spielzeit 2014 am 23.06. und ich muss sagen, die Inszenierung hat mich überzeugt. Die Durchdringung des Stoffes und interpretatorische Leistung des Regisseurs hat es auch den fünf Schauspielern plus 1 Musiker ermöglicht, eine homogene Form zu spielen, auch wenn sie so nicht  im Original besteht. Die Absurdität des Geschehens ist typisch für die Traumwelt, allein das ist schon faszinierend in einem Fluss und Guss zu erleben. 

Nicht umsonst warnte die Dramaturgin Claudia Lowin bei ihrer Einführung davor, dass die Atmosphäre des Spiels bei einigen Leuten einschläfernd gewirkt hat, obwohl sie es nicht wollten. Und passend zur Absurdität des Geschehens bekam man auch gleich einen typisch absurden Theatereffekt in der permanenten Störung durch herumgeisternde Techniker bereits während der Einführung zu spüren. Es war nicht inszeniert. Die Tür zum Technikraum wurde mindestens zehnmal in 15 Minuten geöffnet und geschlossen :-), Kommen und Gehen. Harold Pinter, Ionescu oder andere hätten ihre Freude gehabt.

Preuss hat alles so angelegt, dass wir schon zu Beginn mit unserer Aufmerksamkeit durch Musik (es stehen 4 Klaviere und eine Orgel zur Verfügung) und transparenten Vorhang in Endlosschleifen in einen vorbewussten Zustand absanken, der die Aufnahme des Ganzen wesentlich erleichterte. Ich war zwar nicht betroffen, aber bei diesem hypnotisierenden Kunstgriff rutscht der ein oder andere schon leicht vom Stuhl oder sinkt sein Kopf auf die Seite ...  Wir kamen der Anziehung des Stücks entgegen.


Hauptort des Geschehens ist metaphorisch betrachtet das Dasein als eine Grotte, in der die Geplagten, der Mensch an sich, ihr Dasein mit den Füßen im Schlamm fristen müssen, während ... der Wasserspiegel steigt. Merken Sie, wo wir bei Strindberg eigentlich stehen? Mitten in der Welt des Samuel Beckett und all seinen Verehrern. Und das schon lange vor Beckett.

Die Wiederholung der Qual, der Ticks, der Wünsche, der Ängste, des Begehrens treibt uns durch das Leben, macht es zu einer Stätte des Leids. Es gibt sozusagen keine andere Kost, jede Woche derselbe Speiseplan... Wie im Knast oder im Lager. Wir folgen der Göttertochter Agnes, die der Vater Indra auf die Erde geschickt hat, um die Menschen zu besuchen, ihr Dasein zu erkunden. Sie - ein farbenprächtiger gut gelaunter Paradiesvogel, der uns an Inkafrauen erinnert -,  sehr überzeugend gespielt von Lisa Stiegler, erlebt dieses Dasein und empfindet es. Sie beschreibt und erzählt es, trifft Vertreter der gesellschaftlichen Schichten, was bei Strindberg etliche Figuren sind, hier nur der skurrile Advokat (Sascha Nathan), der Liebhaber Agnes' und Dichter (Nico Holonics), der verträumte Offizier, der hinter die verschlossenen Türen gelangen möchte und nie ankommt (Christoph Pütthoff), ein eigenbrödlerischer Musiker, der unentwegt sein Lied spielt (Kornelius Heidebrecht) und eine multifunktionale Frau (Franziska Junge für alle angedachten Frauenrollen). Ein sehr gutes und ansprechendes Team, das trotz der endlosen Textschleifen und extremen Schlamm- wie Blutzumutung am Ende alles hervorragend stemmt. 



Unser Leben im Morast -
FRANZISKA JUNGE unter Schlamm und Blut
Ob nun dieses Schlamm-auf-euer-Haupt und obendrein Blut-über-die-Frau in dieser Kneipp-Gardena-Mischung am Ende als Steigerung der Anfangsaussage von Agnes "Lehm an den Flügeln, Scheiße an den Füßen" und als Allegorie für die geplagte Frau und Menschin sein muss, würde ich verneinen. Muss Theaterblut fließen und Schlamm geworfen und geschmiert werden, um die Theatralik und Aussage zu erhöhen? Nur um des Schock Willens? Sehr gut dagegen die Traumwogen, dargestellt mit einer goldfarbenen Rettungsdecke, die Fortbewegung der Schauspieler in Zeitlupentempo wie ein Schweben, der erste Schluss und Schlussverbeugung lange vor Schluss um Kreisbewegung und Nichtlogik zu betonen. Hier auch die Blumenübergabe und Foto durch den Souffleur, Illusionsdurchbrechung mit einem Gag, denn Franziska Junge geht erst leer aus, dann kriegt sie ein Blümchen, Agnes dagegen zweimal mit Sträußchen beschenkt. 


Videoprojektion FRANZISKA JUNGE und
CHRISTOPH PÜTTHOFF
Traumatische Erlebnisse von wem auch immer, passend für viele, tauchen auf, der Gelddiebstahl, der ewig im Gewissen bohrt, die Braut, die nicht zur Hochzeit kommt, der ewig auf sie wartende ehemalige Dieb. Gibt es einen Zusammenhang? Lamenti und Klagen über Verbrechen, Morde, Missstände: "Wenn doch die Gottheit einmal hier herunterkäme". Das Leben im Hinterhaus wird mit dem Erstickungstod gleichgesetzt - und hier eine weitere außergewöhnliche Idee, die Schauspieler gleich anzuziehen, Tüten überziehen zu lassen, die zu Leinwänden einer Überkreuzprojektion werden. Es könnte jeder und jede sein, es gibt keinen individuellen Bezug mehr: Junge spricht auf Nathans Tüte, Pütthoff auf Stieglers. Wir hören Schimpfen, Klagen, Leiden, Sterben. Grimassen heben die Ernsthaftigkeit auf. 

Sozialkritisch und umstürzlerisch die Szene um den Strand der Schande, hervorragend umgesetzt mit engen schwarzen "Häuten". Hier gibt es kostenloses Baden für Arme nur, wenn sie sich ertränken. Misslingt es, wenigstens Prügel in der Polizeistation. Gegenübersteht die reiche Adels- und Kaufmannschicht. Der Morast, der die Erde kennzeichnet, noch einmal buchstäblich fühlbar über die Häupter geschmiert.

Ein Alptraum die aggressive Standpauke für einen regredierten promovierten Träumer, der sich in der Volksschule wähnt und sein Urtrauma der Fehlleistung sowie Alptraum der Verfolgung und Attackierung durch einen unangenehmen Pädagogen mit extremen Ängsten und Stottern erlebt. "Ich muss reifen!" 

Agnes will gehen, aber kann diese Erde nicht mehr verlassen, sie ist verurteilt zu bleiben.  Und damit wären wir wieder bei Beckett und z.B. "Warten auf Godot" oder "Endspiel", alles geht von vorne los. Das Immergleiche und die ewigen Wiederholungen in Text und Bild ...

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