Die Marquise de Merteuil und die Mutter von Cécile de Volanges (c) Birgit Hupfeld |
Der Handlungstrang entwickelt sich nach der Romanvorlage, weicht aber am Ende ab. Das schlimme Romanschicksal der Marquise de Merteuil - an Blattern erkrankt und entstellt fern der Gesellschaft zu enden - wird ebenso ausgespart wie der Selbstmord der Madame de Tourvel oder das Schicksal der Cécile.
Die Marquise und der Vicomte (c) Birgit Hupfeld |
Der Casanova Vicomte de Valmont zählt zu den Liebhabern der Marquise, die sie sich über die Jahre herangezogen hat. Ihn möchte sie erneut mit einer besonderen Zuneigung (er darf mindestens eine Nacht mit ihr verbringen) belohnen, wenn er ihr einen Herzenswunsch erfüllen würde. Ihr früherer Liebhaber Comte de Gercourt hat sich von ihr abgewendet, entzieht ihr seine Gunst, was der Marquise ein Dorn im Auge ist. Er möchte statt die reife Dame beehren die 15 Jahre junge Cécile de Volanges heiraten, und zwar eigensinnig, wie er in diesen Dingen ist, als Jungfrau. Der Vicomte soll ihm nun einen Strich durch die Rechnung machen, seine Braut entjungfern und ihrem untreuen Liebesdiener einen Strich durch die Rechnung machen. Doch de Valmont lehnt ab, weil es ihm zu einfach ist, so eine unerfahrene junge Frau zu erobern. Er hat ein Auge auf die sittsame, gestrenge, tugendhafte und religiöse Frau Präsidentin de Tourvel geworfen, die ebenfalls sehr jung, ihn wahnsinnig reizt zu "erlegen". Sie ist die Freundin seiner betagten Tante Madame de Rosemonde. Nach vielerlei erotischem Gesäusel, eiskaltem Kalkül und Machtansprüchen der Marquise und Verlockungen erledigt der Vicomte
Der Vicomte zwischen der Tourvel (li) und Cécile (c) Birgit Hupfeld |
Laclos' Roman verursachte wie Goethes DIE LEIDEN DES JUNGEN WERTHER einen regelrechten Run auf das Buch. War Goethe eine unglückliche Liebesgeschichte ohne Anzüglichkeiten, bot Laclos ausgefeilt konstruiert, psychologisch raffiniert, delikat unverschämte und berechnende Charaktere, wurde das Intrigenspiel der verwiteten, aber - natürlich gesellschaftlich bestens getarnt - sexuell sehr aktiven Marquise de Merteuil in den besten Jahren detailliert ausgebreitet und entwickelt. Zahlreiche Chevaliers und Comtes glaubten sich zu erkennen in dieser Skandalveröffentlichung und fühlten sich geehrt. Die erste Auflage war innerhalb von vier Wochen vergriffen, die französische Aristokratie suchte sich in dieser entlarvenden Gesellschaftsstudie zu entdecken. Acht weitere Auflagen folgten noch im ersten Jahr der Veröffentlichung, Raubdrucke verbreiteten das Werk in ganz Europa. Auch die Königin las es. Laclos selbst geriet in den Ruf, sich selbst mit dem skrupellosen Vicomte de Valmont dargestellt zu haben, und die Väter und Männer sperrten ihre Töchter und Frauen weg, wenn er kam.
Es gab etliche Filmversionen, am bekanntesten 1988 von Stephen Frears mit John Malkovich als Vicomte und Michelle Pfeiffer als Marquise oder 2003 von Josée Dayan mit Catherine Deneuve, Rupert Everett und Nastassja Kinski in einer Fernsehfassung. Auch für die Bühne fanden Adaptionen statt. Die wichtigsten waren Heiner Müllers Theaterstück Quartett und die in San Francisco uraufgeführte Oper The Dangerous Liaisons von Conrad Susa.
Was unterscheidet das zu Beginn noch zäh und trocken wirkende, dann aber durch die psychologischen Abgründe an Fahrt und Spannung gewinnende Theaterstück von den anderen Produktionen? Auf einem beleuchteten Schachbrett begegnen sich die Hauptprotagonisten Vicomte (schön den Casanova mimend und von der Regie zu einem splitternackten Gockelparcours am vorderen Bühnenrand entlang verdonnert, dabei immer wieder "Erfolg!" ausrufend: Manuel Harder) und die Marquise (sehr verlockend, streng, selbstsicher und berechnend gespielt von Sabine Waibel). Die Regie hat das ganz süffisante, intrigante, erotisierte und skrupellose Geschehen in einen zweistündigen nahtlosen Ablauf umgewandelt, in dem sich die Personen fern von Zeitabläufen und Orten an einem angedeuteten barocken höfischen Ort mit einem Stab von affektierten Pag(inn)en, einigen royalistischen Chaiselongues, Laternen-Kandelabern, Kronleuchtern, Spiegeln (!), üppigen Bilderrahmen und einer Art Glockenstrang zum Wechseln der Bilder (als Vorhangersatz und Episodenzähler quasi) von einer Szene in die andere gleitend begegnen. So kann die Marquise direkte Zeugin von Vorgängen sein, die sie im Roman nur aus den Brieferzählungen erfahren kann, und in das Geschehen eingreifen, sie kann regelrecht teilhaben. So vermag sie es, voller Begehren die junge geschändete Cécile zu küssen, nachdem der Vicomte sie besuchte. Sie beobachtet die Vergewaltigungen des Vicomte an seinen Pagen, seine Eroberung der Cécile, das Bezwingen der de Tourvel - alles in einer Artikulation von sekundärem Lustgewinn, in dem sie den Vicomte für sich handeln lässt. Alle Handlungs-, Orts- und Zeitebenen verschmelzen zu einer Hauptebene. Auch das kommentierende und erläuternde Wort des Vicomte hat neben den tatsächlichen Handlungen Platz. Allerlei aufgeregtes Kandelaberumstoßen des Vicomte oder des Chevaliers gesellt sich zu grobem Spiel mit den Pagen und zu Schreianfällen der betrogenen Cécile (beeindruckend gespielt von Lisa Stiegler). Die Eroberung und Einwilligung der Madame de Tourvel wird mit einer sich entkleidenden und mit dem Rücken zum Publikum stehenden Katharina Bach dargestellt, bald darauf verdeckt durch einen Spiegelwall, der die begehrlichen Betrachter spiegelt inklusive de Valmont statt das Objekt der Begierde. Madame de Rosemonde wird von einem Mann dargestellt (sehr überzeugend und immer das Publikum belustigend Till Weinheimer). Es bleibt unklar, ob der Rollentausch dazu dient, dass der Vicomte aus Rivalitätsgründen die Madame de Tourvel erobern möchte, oder aus einem anderen Grund. Sehr überzeugend und einprägend das Schlussbild aus lauter leeren Barockbilderrahmen in enormen Größen, in denen die betrogenen, gesellschaftlich geschädigten und moralisch vernichteten Frauen Cécile und de Tourvel, der Rächer Danceny sowie die anderen Figuren als historische Romanfiguren festgehalten werden. Davor die Marquise, die vergeblich versucht den getöteten Vicomte wieder in neue Spielchen zu verwickeln.
Ich persönlich finde die theatralische und metaphorische Verdichtung der lustvollen Intriganz der Marquise in der vorliegenden Form interessanter als die filmischen Darstellungen.
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