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Mittwoch, 7. November 2012

FRITZIPOLD - Hör auf deinen Bauch von Alice Höller



[...]
Die Einladung

Wenige Tage nach der Abreise von Bens Oma sitzen Ben und Fritzipold nachmittags zusammen und malen. Bis Ben plötzlich eine Einladung wieder einfällt. 
„Fritzipold, was hältst du davon, wenn wir mal zu einem Kinder-Kampfsporttraining gehen würden?“, fragt Ben ihn.
„Wie kommst du denn jetzt darauf? Und was ist das überhaupt – Kampfsport?“, möchte Fritzipold ganz erstaunt wissen.

Irgendwie hört sich das für ihn schon so nach Bewegung an – und damit liegt er richtig.

„Ich weiß auch nicht so genau, was das ist“, gesteht Ben. „Aber meine Freundin Lynn macht das und sie sagt, das wäre toll!“
Fritzipold ist nun hin und her gerissen: Einerseits ist er neugierig, was das wohl sein könnte, andererseits hat er keine Lust, sich mehr als unbedingt nötig zu bewegen.

„Na ja, du kannst ja gerne mitmachen. Ich persönlich würde es lieber beim Zugucken belassen“, grinst Fritzipold wieder so doll, dass sein spitzer Zahn etwas hervorlugt.
Einige Tage später ist es dann soweit: Ben, seine Eltern und Fritzipold sind in der Turnhalle, wo das Kampfsporttraining stattfindet.
Sie müssen sich ihre Schuhe ausziehen und setzen sich auf eine Bank. Denn diese Trainingshalle, auch Dojo genannt, wird nicht in Straßenschuhen betreten. Viele Kinder kommen in weißen Anzügen rein, auch der Trainer trägt einen solchen Anzug.
„Was sind denn das für komische Anzüge?“, fragt Fritzipold neugierig nach. „Die können doch Pullis anziehen, dann brauchen sie sich nicht so einen Gürtel darum zu knoten“, überlegt er weiter.

„Das sind Gi‘s – Kampfsportanzüge. Die halten es gut aus, wenn an ihnen gerissen wird, weil der Stoff ziemlich fest ist. Es kommt später beim Training vor, dass man an den Anzügen reißen muss, weil man seinem Partner nicht weh tun möchte, aber dafür muss man schon eine ganze Weile trainieren“, erklärt ein Vater freundlich.

„Die Gürtel nennt man übrigens Obi“, ergänzt noch eine andere Mutter. 
„Warum müssen die sich denn die Anzüge ausziehen?“, fragt Fritzipold nun noch erstaunter nach.
„Nein, sie müssen sich nicht ausziehen“, grinst der Vater, der die Erklärung übernommen hat, „sie ziehen sich an den Jacken. Das tun sie, wenn sie Wurfübungen durchführen. Sonst müssten sie sich fest an den Armen oder in die Hüfte packen. Das sind Schmerzen und blaue Flecken, die sie sich mit Hilfe der Jacken und der stabilen Anzüge ersparen können.“

„WAS? Die werfen sich auf den Boden? Also nein, nein, nein – ich glaube nicht, dass das etwas für meinen Ben ist!“, kreischt Fritzipold erschrocken auf.

„Ich sag doch, das dauert eine ganze Weile, bis sie soweit sind. Vorher lernen alle Kinder erst einmal fallen“, möchte der Vater endlich die Erklärungen abschließen, da das Training jeden Moment losgehen wird.

„Oh Jabbel – Dabbel, also Fallen kann mein Ben schon richtig gut. Das braucht er gar nicht mehr zu lernen“, grinst Fritzipold froh und erleichtert.
Was Fritzipold allerdings nicht weiß, ist, dass es nicht das Fallen an sich ist, was geübt wird, sondern das Fallen ohne sich weh zu tun. Das richtige Abrollen und das richtige Abfangen, um schlimme Verletzungen zu vermeiden.

„Pst, es geht los!“, flüstert eine Mutter, die neben ihnen auf der Bank sitzt und ihrem Kind beim Training zuschaut.
Plötzlich wird es still, dann ruft eines der Kinder so ein komisches Wort, das man nicht verstehen kann und alle verbeugen sich.
Die Mutter neben ihnen rutscht etwas näher, um ihnen so leise erklären zu können, was dort gerade passiert: 
„Das ist die Begrüßung – sie begrüßen sich respektvoll und versprechen sich damit, im Training respektvoll und fair miteinander umzugehen.“

Gebannt schaut Fritzipold den Kindern und Ben zu.

„HEEEEEYYYYYYAAAAA!!!!“, brüllen die Kinder plötzlich los und machen einen Schlag und direkt danach einen Tritt nach vorne.
„UHHHUAAAAAHHH!“, brüllt nun auch Fritzipold, springt von der Bank und flitzt so schnell er mit seinen kurzen Beinen nur kann, durch die ganze Turnhalle.
Völlig erschöpft und außer Puste bleibt er an einer dicken Matte stehen und zittert am ganzen Körper vor lauter Angst.
„W-w-was wa-wa-war d-d-das denn?“, fragt er stotternd und immer noch ängstlich.
„Ein sehr wirkungsvoller Schrei, der den Angreifer fern halten oder abschrecken soll!“, lacht der Trainer. Beim Blick auf Fritzipold kann er sich ein „Und es scheint wohl zu funktionieren“ nicht verkneifen.

„Aber ich habe doch niemandem etwas getan!“, wehrt Fritzipold sich. „Ich bin völlig harmlos und ein ganz ein liebes Mumsel, ehrlich. Fragen Sie Ben, der kann das bestätigen!“ Hilfe suchend schaut er sich nach Ben um.
„Du warst auch gar nicht gemeint! Ich sage es wirklich nicht gerne, aber es gibt Menschen, die Kindern wehtun möchten. Wir möchten das aber nicht, also bringen wir den Kindern hier bei, wie sie sich wehren können, wie sie auch gegen Erwachsene eine Chance haben können“, erklärt der Trainer dem immer noch erschrockenen Fritzipold.

„Am liebsten werden die Kinder als Opfer gewählt, die so aussehen, als wären sie furchtbar schüchtern. Die leisen, unauffälligen Kinder sind es, die diese Menschen sich gerne für ihre Zwecke nehmen. Sie wissen, dass sie die ängstlicheren Kinder besser dazu bringen können, niemanden etwas davon zu erzählen.“ 
„Was für Zwecke denn?“, möchte Fritzipold wissen.

„Hm, wie soll ich dir das erklären? Ich sagte ja bereits, dass es Menschen gibt, die Kindern wehtun möchten. Dazu haben sie leider viele Möglichkeiten. Manche dieser Menschen entführen die Kinder. In ihrem Versteck tun sie ihnen weh. Das meinte ich vorhin. Sie wissen, dass sie die ängstlicheren Kinder besser dazu bringen können, niemanden etwas davon zu erzählen. Das nennt man Missbrauch“, erklärt der Trainer ernst.

Mit vor Entsetzen geweiteten Augen schaut Fritzipold ihn an und ist sich nicht sicher, ob er die Frage, die ihm gerade auf der Zunge liegt, stellen soll oder nicht. Möchte er die Antwort darauf wirklich hören?

Er kann nicht an sich halten: „Was machen solche furchtbaren Menschen denn mit den Kindern?“

„Manche streicheln die Kinder wie den Ehepartner und denken, dass es den Kindern auch gefallen würde. Das tut es aber nie!
Wie du sicherlich weißt, streicheln verliebte Paare sich gerne an allen Körperstellen, auch an ihren Geschlechtsteilen: am Penis oder der Scheide. Das ist bei Kindern absolut verboten! Nur wenn das Kind es will, darf Mama oder Papa beim Waschen helfen. Du wirst selbst am besten spüren, welche Berührung sich für dich gut und richtig anfühlt, bei jeder anderen solltest du handeln.

Es gibt auch Menschen, die Kinder gerne schlagen. Ich würde dir lieber schönere Dinge erzählen. Leider ist das aber die Wahrheit.
Ich bin sehr dafür, dass man Kinder schon früh genug darauf hinweist, dass es unter all den tollen, lieben und netten Menschen auch ganz wenige gibt, die es leider nicht sind“, beendet er nun seine Erklärung, um Fritzipold wieder zurück auf die Bank zu bitten.
Das Training geht weiter.

[...]

Aus: "Fritzipold - Hör auf deinen Bauch" von Alice Höller

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