Marina Abramović, geboren in Belgrad, ist seit den 1970er-Jahren Pionierin auf dem Feld der Performance-Kunst. In ihren Werken ist ihr Körper sowohl Gegenstand als auch Medium. Ihre Performances wurden u. a. aufgeführt im Centre Georges Pompidou in Paris, der Neuen Nationalgalerie in Berlin, dem Museum of Modern Art und dem Guggenheim Museum in New York sowie bei der Documenta. Sie erhielt zahlreiche Auszeichnungen, darunter für ihr Werk Balkan Baroque den Goldenen Löwen als beste Künstlerin der 47. Biennale di Venezia. Ihre Retrospektive The Cleaner ist von 2017 bis Januar 2020 in zahlreichen europäischen Metropolen zu sehen. Am Opera Ballet Vlaanderen in Antwerpen gestaltete sie Bühne und Konzept für Pelléas et Mélisande.(Stand: 2020)
7 DEATHS OF MARIA CALLAS
Ein Opernprojekt von Marina Abramović (2020)
Premiere am 01. September 2020
Uraufführung
Mit Musik von Marko Nikodijević und Szenen aus Werken von Vincenzo Bellini, Georges Bizet, Gaetano Donizetti, Giacomo Puccini und Giuseppe Verdi
Mit deutschen und englischen Übertiteln | Neuproduktion
20.00 Uhr – 21.35 Uhr
Nationaltheater
„Vissi d’arte“ – ein Leben für die Kunst. Kurz bevor die berühmte Sängerin Floria Tosca dem bestialischen Zyniker Scarpia das Messer in die Brust stößt, besingt sie in wehmütiger Rückschau ihr Leben. Auch wenn die Arie die Ruhe vor dem Sturm markiert – den Tod ihres Widersachers –, weist dieser Wendepunkt in Giacomo Puccinis Oper auch auf Toscas Schicksal hin. Oft hat die Primadonna assoluta des 20. Jahrhunderts, Maria Callas, diese Arie gesungen. Seit Jahrzehnten ist Marina Abramović vom Leben der „Tigerin“ – wie die Callas genannt wurde – fasziniert. Nun hat sie das Opernprojekt 7 Deaths of Maria Callas konzipiert, in der exemplarisch sieben Bühnentode anhand der musikalisch wie szenisch prägenden Höhepunkte aus der jeweiligen Oper – alles Arien, die für Maria Callas von großer Bedeutung waren – nachempfunden werden. In sieben Filmen wird Marina Abramović zusammen mit Willem Dafoe sieben Mal sterben und am Ende des Abends, wenn es um den realen Tod von Maria Callas 1977 in Paris geht, selbst als Performerin auf der Bühne stehen. Ergänzend zu den bekannten Arien aus dem 19. und 20. Jahrhundert wird der serbische Komponist Marko Nikodijević für die musikalische Gestaltung der Oper Musik komponieren und dabei schildern, dass Callas’ bedingungsloses Leben für die Kunst nie eine Trennung zwischen Bühnenerscheinung und Privatperson zuließ.
Inhalt:
1. Violetta stirbt an Tuberkulose.
Ich bin eine flackernde Flamme auf einer einsamen Kerze. Den Elementen
ausgesetzt: Wind und Regen, Liebe und Hass – Krankheit und Gesundheit.
Die Flamme kann mich erwärmen oder verbrennen. Sie kann meinen
Weg erhellen und mein Wegweiser sein. Aber wenn sie ausgeht, ist sie
erloschen. Dann ist sie für immer aus.
Arie der Violetta aus La traviata, 3. Akt: „Addio, del passato“
2. Tosca stürzt sich in die Tiefe.
Es ist nicht gefährlich zu springen. Es ist nicht gefährlich zu fallen. Der
Luftstrom, das Blut durch die Venen. Aufgehängt und doch fallend. Du
hast Zeit zu fühlen, Zeit zu lieben. Für immer. Nein, es ist nicht gefährlich
zu fallen. Erst wenn du landest, wird es gefährlich.
Arie der Tosca aus Tosca, 2. Akt: „Vissi d’arte“
3. Desdemona wird von Otello erdrosselt.
Es gibt eine Intuition, eine Vorahnung, ein Gespür, einen Verdacht, ein
Fürchten und eine Warnung. Desdemona wusste es. Sie zog sich ihr
Brautkleid an und betete. Als Otello kam, war sie vorbereitet.
Arie der Desdemona aus Otello, 4. Akt: „Ave Maria“
4. Cio-Cio-San nimmt sich das Leben.
In der Wissenschaft steht der Butterfly-Effekt für eine Wirkung, bei der
kleine Ursachen zu unvorhersehbaren Konsequenzen führen. Im Aberglauben
ist der Schmetterling dein Geliebter, der dich besucht. In der
Mythologie ist der Schmetterling eine menschliche Seele; ob lebend,
sterbend oder schon tot ...
Arie der Cio-Cio-San aus Madama Butterfly, 2. Akt: „Un bel dì, vedremo“
5. Carmen wird von Don José erstochen.
Ihre Furchtlosigkeit fasziniert mich. Ihre Liebe zur Freiheit spiegelt meine
wider. Ihre schwellende Sexualität stärkt sie. Sie weiß, was sie will, und
nimmt es sich. Die Liebe führt ihr Herz. Ihre Schönheit und ihr Körper
gehören nur ihr.
Arie (Habanera) der Carmen aus Carmen, 1. Akt: „L’amour est un oiseau
rebelle“
6. Lucia stirbt im Wahnsinn.
Wenn sich das Universum gegen dich verschwört, auf deinem Herzen
trampelt, deine Seele zerquetscht und in dein Gehirn eindringt, wirst du
verrückt. Und wenn du verrückt wirst, bist du nicht mehr länger für dich
verantwortlich. Auch nicht für die um dich herum. Liebe wird zu Hass,
Hass wird zu Liebe, und der Tod wird zur ultimativen Befreiung.
Arie der Lucia aus Lucia di Lammermoor, 3. Akt: „Il dolce suono“
7. Norma geht ins Feuer.
Du gehst in Richtung des Scheiterhaufens. Die ersten Schritte sind warm,
dann wird es immer heißer. Deine Haut kribbelt, deine Augen tränen,
deine Haare sind versengt. Weitergehen. Deine Haut wird rot, bevor sich
Blasen bilden. Aber du gehst weiter. Der Geruch von brennendem Fleisch.
Deine Haut wird schwarz. Blindheit. Haare in Flammen. Angesengte Lunge.
Doch du gehst weiter – jeder Schritt erfordert unfassbar viel Anstrengung.
Kurz bevor das Feuer dich verschlingt, merkst du, dass du nicht allein
bist. Dann der letzte Schritt in die Flammen – vereint.
Arie der Norma aus Norma, 1. Akt: „Casta Diva“
8. Maria Callas stirbt an gebrochenem Herzen.
Marina Abramović begibt sich in das Schlafzimmer von Maria Callas
in der Avenue Georges-Mandel Nr. 36 in Paris, in dem die Sängerin am
16. September 1977 im Alter von 53 Jahren verstarb.
Aber ist Maria Callas wirklich schon tot oder existiert sie weiter,
oszillierend zwischen Leben und Tod? Marina Abramović gleitet in Callas’
vergangenes Leben, dem sie sich bedingungslos aussetzt. Sie sieht
sich auf dem Bett Fotos an, sie betrachtet sich im Spiegel, öffnet das
Fenster und atmet Pariser Luft, bevor noch einmal die Stimme von Maria
Callas erklingt.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen