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Donnerstag, 10. Juli 2014

Wie war's bei DOGVILLE von LARS VON TRIER im Schauspielhaus Frankfurt a. M.?

       
Vertreter der Gemeinde Dogville   (c) Birgit Hupfeld


DOGVILLE - ein Kaff in den USA mit diesen typisch skurrilen und verkommenen, verrückten, exaltierten oder debilen xenophoben Typen, wie man sie aus Filmen kennt. Eigentlich ein Film von Lars von Trier, der ihn 2002/2003 drehte, als ersten Teil einer Amerika-Trilogie, die noch heute auf eine Fortsetzung durch den dänischen Regisseur wartet. Grace wird im Film von unbekannten Verbrechern verfolgt, schlupft in diesem Dorf unter, wird missbraucht und erniedrigt, bis ihr die Sinne reißen und der Kragen platzt, sie erschießt alle, vom Geliebten Tom bis zur letzten Maus.


       Karin Henkel, mittlerweile 44 Jahre, nahm sich in diesem Jahr den Film vor und machte ein Theaterstück draus (Premiere war am 11. April 2014). Sie ist Theaterregisseurin, hatte ihr Studium der Geschichte und Germanistik kürzer gefasst, um schnell in der Theaterregie Fuß zu fassen. Und sie hatte es geschafft. Ab ihrem 25. Lebensjahr lieferte sie etliche Inszenierungen zwischen Hamburg, Wien, München und Zürich ab, die Einladungen zu renommierten Theatertreffen erhielten. Sie selbst hat den Caroline-Neuber-Preis der Stadt Leipzig erhalten.

       Sie bringt einige Kunstgriffe zur Geltung, um aus dem klassischen American End eine andere Story zu zimmern. Das heißt, die Handlung bleibt sonst gleich und vergleichbar, aber das Bloody Shooting im Sinne eines Amoklaufs am Ende des Films setzt sie an den Anfang. Nichts anderes als ein Kunstgriff, den es auch im amerikanischen Film zuhauf gibt. Das Ende wird vorab gestellt, um dann die Handlung, den Weg dahin erfahren zu wollen. Da sie aber ein anderes Ende zimmert, erscheint der Schluss am Anfang des Stückes im Nachhinein wie das Ende, das man den Dogvillern eigentlich wünscht, sie aber nicht ereilt! Stattdessen dürfen sie weitermachen. Das ist viel schlimmer! Ich habe mir die vorläufig letzte Vorstellung am 06.07.2014 im Schauspielhaus Frankfurt a.M. angeschaut.

       Dogville ist das Zuhause von Dogs - Hunden. "Wenn man ihnen zu fressen gibt, dann fressen sie, bis die Bäuche platzen." Und genau das passiert - im übertragenen Sinne. Bezeichnenderweise ist ein Grab in der Mitte der Bühne, ein großes Kreuz darauf und ein ewiges Grablicht. Grace (Claude de Demo souverän, attraktiv und sicher) wird verfolgt von unbekannten Verbrechern, unklar ist es, warum. Unbekannte Männer, die da waren, hatten sich nach Grace erkundigt. Sie hätten Verbindungen zur Polizei, erzählen sich die Dogs. Und dann gibt es noch den Vater, der im Off agiert. Eigentlich scheint es so, als ob der Vater überprüft, wo sie ist und wie es ihr geht.

       Zu all dem Treiben spielen vier Musiker in fast jüdischem Outfit eindringliche, düstere Musik von Jörg Gollasch, akustisch und optisch schräg zum Geschehen gestellt.

       Tom (Torben Kessler überzeugend und glaubwürdig), Möchtegern-Literat und Führer einer religiösen Sekte, möchte Grace (= die Gnade) in Dogville unterbringen. Er schlägt den Sektenmitgliedern und Bewohnern vor, sie zu verstecken, dafür arbeitet sie aber für die Leute. Die Bewohner diskutieren die Frage "Hilfe oder nicht? Asyl gewähren oder nicht?", wissen, dass es Probleme machen kann. Warum sollen sie eigentlich helfen? Wegen der Religion?, fragen sie sich fremdenfeindlich und scheinheilig als Sektenmitglieder. Tom wird der enge Vertraute und fast Geliebte von Grace, er wird aber später auch ihr Verräter. In seiner Doppelfunktion als  brechtscher Kommentator erklärt er dem Publikum, was er selbst mit seinen Handlungen bezweckt oder was die Bewohner nun an kommentarbedürftiger Handlung zeigen. Und die Gemeinschaft dieser Bürger wird schlagartig zum Anschauungsobjekt im Fokus der Zuschauer. Grace, eine Gnade für Dogville als begehrtes Objekt des Versuchs, sie wird Anlass zur Sünde und zur Buße. Sie sind wie überall, die Bürger, die mitmachen, ihren Vorteil suchen und unberechenbar sind. Toms Vater (Thomas Huber als gealterter Toupetträger) begrüßt Grace, überstimmt und manipuliert die anderen und schon kommt die erste Aufgabe: verstecken. Denn die Polizei rollt auf das Dorf zu. Eine LED-Laufanzeige ist ein weiteres kommentierendes Mittel. Wir waren bislang in der Phase "Alles war wie immer, nur ein bisschen anders." Die Phasen sind Befindlichkeits-, Stimmungsmesser.

       Nun die Phase "Kleine Äpfel". Grace will jedem alles recht machen. Sie wird logischerweise (ja, wieso eigentlich logischerweise?) ausgenutzt, weil sie so in der Falle steckt. Nachdem sie nun laut Gerüchten auch wegen Banküberfällen gesucht werde, glauben manche, sie sei gefährlich. Und hier beginnt die Gefräßigkeit der Dogs, das Ende der scheinbaren Gutheit: Sie wollen Mehrarbeit als Gegenleistung für ihr Schützen und Verstecken. Toms Dad schlägt sogar noch weniger Lohn vor.


Der schmierige Chuck wirbt um Grace.   (c) Birgit Hupfeld
       Phase: "Große Äpfel": Die Freundlichkeit geht zu Ende. Grace darf nicht wie die anderen über die Erde des Grabhügels laufen, nein, sie muss die Steine benutzen. Sie muss es "ordentlich" machen. (Das ließ mich doch innerlich laut lachen, denn ich hatte eine unheimliche Begegnung mit einem mobbenden Schulleiter, der von mir als Späteinsteiger verlangte, dass ich als einziger die Schüler nicht mit Strichen bei Fehlverhalten erziehen sollte, obwohl das ganze Kollegium dies machte! Die Folgen waren vorprogrammiert. Das war auch ein Dog, sogar ein Dogleader!) Nun beginnt eine Phase, in der der Apfel- und Nasen-Chuck (Manuel Harder als ungepflegter, schlecht frisierter Bürger) und Toms Vater mit sexuellen Übergriffen und Annäherungsversuchen ihre Ansprüche an Grace ausweiten wollen. Chuck spielt den Verzweifelten, dass er sie verpfeifen wollte, sie, die er begehrt(!), und Toms Vater zieht sich hilflos auf seine Blindheit zurück, die man bislang kaum merkte. Tom kommentiert zum Publikum: "Ich rate Ihnen, es so zu nehmen, wie es kommt." Bill, ein junger erwachsener Behinderter, will auf den (gepamperten) Hintern geschlagen werden, richtig fest zum Lustgewinn. Dummerweise erfüllt Grace seinen Wunsch, damit er Ruhe gibt. Das ganze Lüsterne, Sündige innerhalb der "Religionsgemeinschaft" - keiner denkt daran, wenn er die Leute sieht - wird durch eine fast rennende Flagellantenprozession aus dem Zuschauerraum über den Steg auf die Bühne unterstrichen. Wir tun's und wir büßen ... Prompt die erste Vergewaltigung durch Chuck in der Dusche.

       Phase: "Am nächsten Tag schlug das Wetter um." Liz, die Schwester von Bill, beschwert sich am nächsten Tag, und Chucks Frau Vera stellt sie zur Rede wegen dem Techtelmechtel mit ihrem Mann im Obstgarten und Dusche.

       Phase: "Keine Äpfel". Sie werden brutal und peitschen, schlagen sie zur Strafe, bis Tom sie befreit. Die Menschen sind einen Moment wie leblose Figuren, Puppen, Maschinen in einer Geisterstadt. Tom möchte, dass Ben, der Kurier, Grace evakuiert, um sie scheinbar zu retten. Er setzt aber nur einen weiteren Dog in Bewegung. Der will Geld, kassiert und verlangt noch mehr von ihr, am besten abgeleistet mit Sex. Sie wehrt sich wie bei Chuck, aber er vergewaltigt sie ebenfalls. Er sperrt sie ein, die anderen werden wach und bestrafen sie wegen ihrer Amoralität durch Pranger. Die Meute ist losgelassen, sie unterstellen ihr noch einen Gelddiebstahl im Dorf und ketten sie an das Kreuz auf dem Grab. Die Kinder, denen sie am Anfang geholfen hatte, verhöhnen sie, alle restlichen Männer im Dorf vergewaltigen sie auch noch.


Grace wird von Tom nach ihrer Auspeitschung und Prügelstrafe
durch die Frauen getröstet.   (c) Birgit Hupfeld

       Phase: "Kahle Äste". Tom verlangt von Grace die Wahrheit zu sagen, es nicht zu verschweigen, was da passiert ist. Er gesteht ihr seine Liebe und möchte auch Sex, er sei der Letzte, der ihn noch nicht bekommen hätte von ihr. Zögernd sagt sie ja, er aber nutzt ihr Einschlafen, um die Polizei zu rufen. Er informiert schnell die anderen, was kommen wird, und alle geben ihr schlagartig mehr "Freiheit". Damit die Polizei sie nicht findet, wird sie lebendig eingesargt. Sie ruft verzweifelt nach ihrem Vater, keiner hört sie mehr. "There is no reason to change anything" heißt es auf dem Laufband. Tom singt ein Lied, das Leben in Dogville geht weiter wie zuvor. Sie werden, falls jemals die Polizei kommt, ihr etwas vorspielen und von nichts wissen. Beim nächsten Opfer dasselbe. Diese Bürger haben keinerlei Moral, sind Tiere, Vergewaltiger, Ausnutzer, Vernichter eines wehrlosen Opfers, und das alles im Namen ihrer Religion, die keine gute ist. Sie sind Initiatoren der Sünde, um ihre Buße tun zu können. Sonst funktioniert das religiöse Schema nicht. Wie wahr.

       Ein eigenwilliges, am Anfang verworrenes Geschehen, das aber in seiner destruktiven Zielgerichtetheit immer klarer wird. Man fühlt sich erinnert an die Meute in Süskinds "Parfum", die den Parfümhersteller Grenouille auffrisst. Hilfe wird zur Vernichtung, Gutheit und Liebe zum schönen Schein und Religion zur perversen Gesinnung. Ein ordentliches Stück Regiearbeit von Karin Henkel. Eine aufwändige Drehbühne von Jens Kilian lässt das Geschehen zeitweise hinter Glasscheiben verschwinden. Das Versuchslabor Dogville von Regie und Kommentator Tom wird noch deutlicher.

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