Die Halbtote
Ein kurzer Auszug
Wie fühlt sich der Tod an? Gefühllos? Ein an den Kräften zerrendes Band des
verloren Seins in einem Kreis der ewigen Nacht? Der Tod ist in seiner gesamten
Gestalt und Weise, wie er Leben nimmt, natürlich. Ja an jedem Lebensanfang steht
ein lebenauslöschendes Schicksal, das sich erfüllen wird, egal was man tut. So
mögen die Menschen noch so schnell voraneilen, die Medizin noch bessere
Medikamente entwickeln, nichts stoppt den Lauf des vorbestimmen Weges. Du
stirbst nur einmal. – Wirklich? Das sagen sie alle, denn so steht es geschrieben! In
Büchern, den Texten der Wissenschaft, den Erfahrungen der Menschen. Nur ein
Leben. Dieses eine!
Das dachte auch ich, bevor die Kette der Ereignisse begann. Wie gerne würde ich
wieder in einen Zustand des Unwissens fallen, in dem die Rationalität siegt. So
sehr möchte ich ihnen allen wieder Glauben schenken – Sokrates, Galen, Versal,
waren sie nicht auf dem richtigen Weg? Ich glaubte nicht, ich sah nur. Was ich
nicht sah, war nicht vorhanden – zumindest nicht für mich.
»Habe keine Angst vor dem Tod«, hörte ich meine Mutter immer wieder sagen.
»Er berührt jeden nur ein einziges Mal.«
Das stimmte auch, bis ich diesen Namen bekam. Er sollte Schrecken bringen,
Angst vor dem Dunklen, noch mehr Furcht vor dem Hellen.
Was war das auf der anderen Seite dieser Tür? Regentropfen? Meine Lippen
verzogen sich zu einem närrischen Lächeln. Meine Finger griffen nach dem
metallenen Bügel meines schwarzen Regenschirms. Ich öffnete die hölzerne Tür,
die wie immer auch an diesem Abend klemmte. Ein Luftzug zischte an meinem
Gesicht vorbei. Diese Stimme, kalt und erbarmungslos, schien mich wieder zu
rufen. Ja, ich würde wieder Verderben bringen. Ich trat aus dem Haus und ging
langsamen Schrittes mit erhobenem Schirm durch die dunklen Gassen. So kühl
das Wetter heute auch war, ich spürte es nicht. – Oder nicht mehr? Meine Schritte
hallten in der verlassenen Straße wieder. Schließlich blieb ich stehen, vor dieser
Tür. Weiß, mit netten Verzierungen von Schlingpflanzen, die jegliche schlechte
Vorahnung im Keim ersticken. Hinter dieser Tür, in diesem Raum, zu dieser
Stunde, bei diesem Atemzug würde eine weitere Seele fallen. – In meine Arme?
Nein, in seine Hände! Und ich wusste nur zu gut, wie kalt sie waren. Zögernd
blickte ich auf die Tasse nieder, die von ihrem Besitzer verwahrlost auf der Straße
stehen gelassen wurde. Zu Hälfte war sie noch mit Tee gefüllt, der nun von den
Tropfen verdünnt wurde, die in diesen fielen. Tropfen für Tropfen. Tropf, tripf,
tropf. Eine Brise wehte von den Dächern zu mir hinüber und sag es, mein Lied.
Meine Lippen öffneten sich leicht, ich machte meine Stimme bereit. Mit großen
Augen und unschuldigem Lächeln klopfte ich an die Tür, mein Lied summend. Der
Griff bewegte sich nach unten, der Spalt zwischen Tür und Türpfosten wurde
größer.
»Ja?«
Ich summte mein Lied.
»Kann ich dir helfen, mein Kind?«
Na, na, meine Stimme liebkoste jeden Ton.
»Bist du allein?«
Mhmm Ah.
Die Person in der Tür machte einen Schritt zurück. Die Verunsicherung nahm
Besitz von ihr. Nervös drehte sie an der Türklinke.
»Nein ich kaufe nichts. Sprich zu mir oder geh!«
Langsam in erhabener Art und Weise hob ich meinen Kopf und fixierte den Mann
mit meinem Blick. Lächelnd wog ich meinen Kopf zur Seite und hob meine Hand
zum Händedruck. Er blieb unerwidert.
»Wer bist du?«
(c) Julia Molnar (aus: Die Halbtote)
Ein kurzer Auszug
Wie fühlt sich der Tod an? Gefühllos? Ein an den Kräften zerrendes Band des
verloren Seins in einem Kreis der ewigen Nacht? Der Tod ist in seiner gesamten
Gestalt und Weise, wie er Leben nimmt, natürlich. Ja an jedem Lebensanfang steht
ein lebenauslöschendes Schicksal, das sich erfüllen wird, egal was man tut. So
mögen die Menschen noch so schnell voraneilen, die Medizin noch bessere
Medikamente entwickeln, nichts stoppt den Lauf des vorbestimmen Weges. Du
stirbst nur einmal. – Wirklich? Das sagen sie alle, denn so steht es geschrieben! In
Büchern, den Texten der Wissenschaft, den Erfahrungen der Menschen. Nur ein
Leben. Dieses eine!
Das dachte auch ich, bevor die Kette der Ereignisse begann. Wie gerne würde ich
wieder in einen Zustand des Unwissens fallen, in dem die Rationalität siegt. So
sehr möchte ich ihnen allen wieder Glauben schenken – Sokrates, Galen, Versal,
waren sie nicht auf dem richtigen Weg? Ich glaubte nicht, ich sah nur. Was ich
nicht sah, war nicht vorhanden – zumindest nicht für mich.
»Habe keine Angst vor dem Tod«, hörte ich meine Mutter immer wieder sagen.
»Er berührt jeden nur ein einziges Mal.«
Das stimmte auch, bis ich diesen Namen bekam. Er sollte Schrecken bringen,
Angst vor dem Dunklen, noch mehr Furcht vor dem Hellen.
Was war das auf der anderen Seite dieser Tür? Regentropfen? Meine Lippen
verzogen sich zu einem närrischen Lächeln. Meine Finger griffen nach dem
metallenen Bügel meines schwarzen Regenschirms. Ich öffnete die hölzerne Tür,
die wie immer auch an diesem Abend klemmte. Ein Luftzug zischte an meinem
Gesicht vorbei. Diese Stimme, kalt und erbarmungslos, schien mich wieder zu
rufen. Ja, ich würde wieder Verderben bringen. Ich trat aus dem Haus und ging
langsamen Schrittes mit erhobenem Schirm durch die dunklen Gassen. So kühl
das Wetter heute auch war, ich spürte es nicht. – Oder nicht mehr? Meine Schritte
hallten in der verlassenen Straße wieder. Schließlich blieb ich stehen, vor dieser
Tür. Weiß, mit netten Verzierungen von Schlingpflanzen, die jegliche schlechte
Vorahnung im Keim ersticken. Hinter dieser Tür, in diesem Raum, zu dieser
Stunde, bei diesem Atemzug würde eine weitere Seele fallen. – In meine Arme?
Nein, in seine Hände! Und ich wusste nur zu gut, wie kalt sie waren. Zögernd
blickte ich auf die Tasse nieder, die von ihrem Besitzer verwahrlost auf der Straße
stehen gelassen wurde. Zu Hälfte war sie noch mit Tee gefüllt, der nun von den
Tropfen verdünnt wurde, die in diesen fielen. Tropfen für Tropfen. Tropf, tripf,
tropf. Eine Brise wehte von den Dächern zu mir hinüber und sag es, mein Lied.
Meine Lippen öffneten sich leicht, ich machte meine Stimme bereit. Mit großen
Augen und unschuldigem Lächeln klopfte ich an die Tür, mein Lied summend. Der
Griff bewegte sich nach unten, der Spalt zwischen Tür und Türpfosten wurde
größer.
»Ja?«
Ich summte mein Lied.
»Kann ich dir helfen, mein Kind?«
Na, na, meine Stimme liebkoste jeden Ton.
»Bist du allein?«
Mhmm Ah.
Die Person in der Tür machte einen Schritt zurück. Die Verunsicherung nahm
Besitz von ihr. Nervös drehte sie an der Türklinke.
»Nein ich kaufe nichts. Sprich zu mir oder geh!«
Langsam in erhabener Art und Weise hob ich meinen Kopf und fixierte den Mann
mit meinem Blick. Lächelnd wog ich meinen Kopf zur Seite und hob meine Hand
zum Händedruck. Er blieb unerwidert.
»Wer bist du?«
(c) Julia Molnar (aus: Die Halbtote)
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