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Dichterhain, Bände 1 bis 4

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Dichterhain, Bände 5 bis 8

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Sonntag, 10. März 2024

Wie war's in der Oper DER TRAUMGÖRGE von Alexander von Zemlinsky in der Frankfurter Oper?

Dieser ominöse Titel lässt einen doch zunächst einmal grübeln, wer und was ein Traumgörge ist. Und wer war der Komponist Alexander von Zemlinsky? 

Zuzana Marková (Gertraud; auf der Bank
stehend) und AJ Glueckert (Görge; liegend)
(Bildnachweis: Barbara Aumüller) 

Wer ihn noch nicht kennt stößt auf einen Wiener Komponisten, der im Oktober 1871 in Wien geboren wurde, eine Menge komponiert hat, neun Opern, neun Orchesterwerke, drei Bühnenwerke, neun Chorwerke und viele Lieder. Er wurde Musikdirektor in Prag, Gustav Mahlers Abgang an der Wiener Hofoper 1907, später der Erste Weltkrieg verhinderten eine Aufführung von DER TRAUMGÖRGE, und der Zweite Weltkrieg und seine NS-Vorbereitung ab 1933 verunmöglichte bereits eine Beschäftigung von jüdischen Könnern und Aufführungen von jüdischen Komponisten. 

Das Umfeld und seine Kollegen waren Arnold Schönberg, mit dem er auch eine Oper komponierte und das Libretto schrieb (SAREMA), Alban Berg, Gustav Mahler, der von Zemlinskys Musik begeistert war, und die Uraufführung in Wien im Oktober 1907 plante, aber wegen seiner strengen Art in Missgunst geraten und Opfer einer antisemitischen Pressekampagne geworden war, schließlich als Kapellmeister und Operndirektor der Wiener Hofoper entlassen wurde. Mahlers Inszenierung von Richard Strauß SALOME wurde als skandalös bezeichnet und verboten. DER TRAUMGÖRGE kam nicht zur Uraufführung, und das blieb so bis 1980! 

Zemlinsky war, wie viele renommierte Künstler in dieser Zeit, ebenfalls Jude und musste 1938 fliehen. Er ging nach New York, wurde krank und starb 1942. Zemlinsky suchte die Figur des Görge bewusst aus, weil sie seiner Lage und seiner Stimmung am nächsten kam. Der Komponist war sehr klein, 1,59 cm, und ein verträumter Typ, visionär im Schaffen, sehnte sich nach Liebe, fühlte sich oft missverstanden. Er war verheiratet und hatte mindestens ein Kind. 

Es war im Wesentlichen Heinrich Heines Zyklus von drei Gedichten DER ARME PETER, der ihm ins Auge stach. Die Figur des Peter stirbt allerdings einen einsamen Tod. Der Librettist Leo "Feld" (1869-1924), der eigentlich Hirschfeld hieß, traf sich oft mit Zemlinsky und schlug vor, noch VOM UNSICHTBAREN KÖNIGREICHE von Richard Volkmann zu verwenden. Die Geschichte des Jörg diente ebenfalls als Muster des Görge, Außenseiter, Träumer, am Ende ein Happy End, beide finden ihre Traumfrau und lassen sich an einem sicheren Ort nieder, bei Volkmanns Jörg ein unsichtbares Königreich, das die verächtlichen Nachbarn nicht sehen können.

DER TRAUMGÖRGE ist ein Mann, der sehr interessiert ist an der Welt der Bücher, dem Märchen ganz besonders gefallen, und der insgesamt einen somnambulen, entrückten, versponnenen, depressiven, völlig anderen Eindruck hinterlässt als andere Männer. Görge ist ein Außenseiter, den man nicht versteht, dem Normalität zuwider ist, der damit gar nicht zurechtkommt. 
vorne v.l.n.r. Liviu Holender (Hans) und
AJ Glueckert (Görge) sowie im Hintergrund Ensemble
(Bildnachweis: Barbara Aumüller) 


Am Beginn der Oper steht eine Szene mit einer jungen Frau aus der konträren Welt, dem normalen, bürgerlichen Milieu. Görge (hochgradig souverän AJ Glueckert, Tenor) erzählt Grete (zu kurz gekommen bei Görge: Magdalena Hinterdobler, Sopran) eine unheimliche Geschichte über seine Katze. Grete ist von der Geschichte beunruhigt und beschwert sich darüber, fordert, dass Görges Märchenbücher alle verbrannt werden sollten. Görge weist dies zurück: Seine Bücher seien sein wertvollster Besitz. „Die alten Geschichten müssen lebendig werden!", ruft er. Gretes Vater ist Müller und spekuliert mit der Ehe der beiden, um die Kontrolle über Görges Erbe, die Mühle, zu behalten. Grete, die Görge zwar mag (mehr noch die Mühle), aber nicht versteht, wendet sich auch logischerweise dem Hans (sehr sportlich, herausfordernd und dynamisch: Liviu Holender, Bariton) zu, der pompös als begehrenswertes Mannsbild im Kontrast zum Träumer auftritt, begrüßt und gefeiert wird, ein Draufgänger, Raufbold, der wieder in sein Dorf zurückkehrt. Er lacht Görge aus. Der erinnert sich lieber, wie seine Mutter ihm früher Geschichten erzählte. Die Leitlinie Mutterbindung, Typfixiertheit - Gertraud - Traumbild ist, um es hier vorwegnehmend zu markieren, eine wichtige Säule im Gefühlsleben (nicht nur) des Görge. Nicht von ungefähr sieht er eine Prinzessin im Traum, die für ihn geschaffen ist. Er entzieht sich daher der Verheiratung mit Grete, die nie erfüllend sein könnte.

Im zweiten Akt, anderes Dorf, ein Jahr später, entsteht ein Gesellschaftsbild wie aus dem Nationalsozialismus, obwohl das Geschehen lang davor spielt. Im Grunde begann die brutale Ausgrenzung von Menschen, die anders sind, eine andere Religion, Hautfarbe, politische Vorstellungen, andere Gesinnung haben, die nicht dabei sein dürfen, 
schon Jahrhunderte vorher - oder gar schon seit es Feinde des Judentums gibt? So gab es bereits im Mittelalter im christlichen Europa den Zwang, bestimmte Abzeichen zu tragen.  Abhängig von Land oder Gebiet mussten sie meist gelbe Flecken, Sterne oder Ringe an der Kleidung tragen oder den sogenannten Judenhut aufsetzen. 
Es wird eine beginnende Revolte in einem Dorf gezeigt, in dem 
Iain MacNeil (Kaspar; mit Gitarre) und Ensemble
(Bildnachweis: Barbara Aumüller) 
 Görge jetzt lebt. Kaspar ist der Anführer und drückt seine Wut über die Macht der Grundbesitzer aus. Görge sei der Mann, den sie bräuchten, um Rekruten anzuwerben, Verhandlungen zu führen, weil er sich gut ausdrücken kann. Marei interessiert sich für Görge, der nur Augen für Gertraud (stolz, kämpferisch und solidarisch: Zuzana Marková, Sopran) hat. Sie wird vom Gastwirt belästigt. Gertraud ist eine Ausgegrenzte. Görge, selbst etwas verkommen durch Trinken, hat Verständnis für ihre Notlage, äußert allerdings riesige Selbstzweifel. Er verachtet die Dorfbewohner, ist aber auch wütend über seinen eigenen sozialen Abstieg. Gertraud beruhigt ihn, tröstet ihn. Sie schlägt ihm vor, sich dem Kampf anzuschließen. Was sie nicht weiß ist, dass Kaspar und die Dorfbewohner auf einem Verzicht Gertrauds bestehen, wenn er sich ihnen anschließen will. Gertraud ist entschlossen, sich ihm nicht in den Weg zu stellen. Görge lehnt die Pläne der Dorfbewohner jedoch ab und beschließt, bei Gertraud zu bleiben. Er findet die weiß gekleidete Gertraud mit einem Kranz und erkennt, dass sie über Selbstmord nachdenkt.
Zuzana Marková (Gertraud) und
AJ Glueckert (Görge) 
(Bildnachweis: Barbara Aumüller) 

Gertraud gibt zu, dass sie ihn liebt, und Görge stellt mit Entsetzen fest, dass er gegenüber ihren Gefühlen blind war. Als um sie herum die Pfingstfeuer zu brennen beginnen, bittet Görge sie, seine Frau zu werden und mit ihm in sein Haus zurückzukehren, wo er sein Erbe zurückfordern wird. Marei (temperamentvoll, aber geht auch leer aus: 
Juanita Lascarro, Sopran) beschuldigt unterdessen Gertraud, Görge verhext zu haben. Der Mob setzt Gertrauds Haus in Brand ("Hexenverbrennung"), doch Görge hält sie davon ab, die Meute mutig alleine anzugreifen. Beide ziehen gemeinsam ab. Dennoch wird ein Massen-Bullying deutlich, die Bewohner schließen das Paar bedrohlich in der Inszenierung vollkommen in ihrer Mitte ein. Hier scheint die Zukunft noch sehr, sehr ungewiss, zeigt sich aber stark kontrastiv im Nachspiel regelrecht idyllisch. Nicht nur hier zeigt die kreative Hand der Inszenierung ihre Stärke.

Im Nachspiel/Epilog sieht man Görge und Gertraud wieder ein Jahr später zurück in Görges Heimatdorf. Sie genießen die Ruhe des Abends und lesen gemeinsam eines von Görges Büchern. Eine Abordnung von Dorfbewohnern, angeführt von Hans und Grete, erscheinen, um ihnen für alles zu danken, was sie im vergangenen Jahr für das Dorf getan hatten. Insbesondere die Eröffnung einer Schule gefällt den Leuten. Görge und Gertraud sprechen über die Bedeutung der alten Märchen. In seiner Liebe zu Gertraud wurden die Märchen wieder lebendig. Görge hat im Mondlicht eine bestätigende Vision, Gertraud als seine wunderschöne Traumprinzessin mit Rosen in den Händen ist Wirklichkeit geworden.
AJ Glueckert (Görge) und
Zuzana Marková (Prinzessin Gertraud)
(Bildnachweis: Barbara Aumüller)


Zemlinsky arbeitet mit Stimmungen und wiederkehrenden, abgewandelten Motiven, die mit bestimmten Instrumenten gekoppelt sind, aber so, dass eine Gleichzeitigkeit vieler Motive mit entsprechenden Instrumenten möglich ist. Dies ist ein wesentliches Merkmal seiner Oper: Anhäufung/Schichtung von Motiven, sowohl positive als auch negative Stimmungen (vgl. Carola Frances Darwin, Sheffield 2009)
. Chromatik und Dissonanz stehen für Richtungslosigkeit, düstere Stimmung, Wut und Verzweiflung, Desillusionierung, Unverständnis, Beziehungszustände (z.B. ist Grete mit ihrem Verlobten hörbar nicht im Einklang, Görges und Gertrauds unglückliche Außenseitererlebnisse im zweiten Akt klingen völlig disharmonisch. Wie Antony Beaumont es beschreibt: "... asynchrone Polyphonielinien, reich gewürzt mit Hilfs- und Übergangsnoten, treffen in einer Harmonie aufeinander, die ständig am Rande des Unbekannten schwebt, und bewegen sich in einem harmonischen Rhythmus, der so schnell ist, dass selbst bekannte Akkorde oft unerkannt bleiben. Weder Melodie noch Basslinie bestimmen die Richtung des harmonischen Flusses. Kein Grundriss bestimmt die Klangstruktur. Dennoch wird nichts dem Zufall überlassen: Melodie, Harmonie, Dynamik, Tempo, Textur, Klangfarbe und Register folgen alle einer minutiös aufgezeichneten seismischen Kurve, die im Einklang mit dem Drama Zeile für Zeile, Szene für Szene steigt oder fällt. Es ist eine hochentwickelte Kunst.

Die musikalische Leitung hat Markus Porschner, der mit dem Opern- und Museumsorchester die ganze Stimmungsvielfalt meisterhaft darbietet.









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