Peter Grimes (Vincent Wolfsteiner) (c) Monika Rittershaus |
Die Oper von Benjamin Britten wurde 1945 uraufgeführt und spielt im Jahr 1830. Sie geht zurück auf die Verserzählung „The Borough“ (1810) von George Crabbe. Regisseur Keith Warner hat mit Dr. Crabbe (Michael Benthin) den Ursprungsautor in der Frankfurter Oper in diesem Erfolgstück am Geschehen beteiligt.
Peter Grimes (zerrissen und besessen, sehr beeindruckend gesungen vom Tenor Vincent Wolfsteiner) ist ein Outsider, ein alleinstehender Fischer, der, wie im Verlauf des Gesprächs mit der sozial engagierten und kinderlieben Ellen Orford (kraftvolle Stimme und interessant Sara Jakubiak, USA), einer verwitweten Lehrerin, klar wird, durch das Aufnehmen von regelmäßiger Arbeit aus seinem vorausgegangenen schwierigen Dasein von ihr herausgeholt wurde. Für Peter Grimes ist es eine unerfüllte und ungelebte Liebe. Er begehrt sie, aber sein Zerrissensein, sein Andersein, seine Besessenheit, der größte Fischer am Platz werden zu wollen, bringt alles zum Scheitern. Ellen hat erkannt, dass sie ihn nur durch eine Sinngebung und Zielsetzung aufrichten kann, und dieses Ziel bzw. diesen Sinn wurde sie selbst. Peter träumt von Glück und Ehe mit ihr, gemeinsamem Haus, Kindern und Wohlstand, aber es steht noch etwas anderes im Raum, etwas das den ganzen Abend virulent ist und nicht wirklich deutlich artikuliert.
Seine Gewinnsucht scheint es zu sein, warum er Lehrjungen für wenig Geld aus dem Waisenhaus "erwirbt" und sie ausbilden will, vielleicht um sie später beim Fischen einsetzen zu können. In seiner Firma, seinem Unternehmen. Als Lieferant fungiert der Apotheker Ned Keene (geschäftstüchtig Bariton Iurii Samoilov, Ukraine), der auch mit Opiat für Mrs Sedley (als exaltiert-empörte Witwe die Mezzosopranistin Hedwig Fassbender) ganz gut verdient, zumal die Gute reichlich abhängig ist. In ihrer Wartezeit auf neues Laudanum trinkt sie Brandy, der wohl eine annähernde Wirkung hat, in der Dorfwirtschaft, wo die beiden Nichten der Wirtin (als kräftige Auntie Mezzosopranistin Jane Henschel) leichte Mädchen mimen, um schnell an Geld zu kommen. Der Kunstgriff des Autors Crabbe besteht auch darin die Süchte der beiden Personen in einem Apotheker zu spiegeln, der ihre "Krankheiten" versorgt.
Es klingt neben dem Mordlüstigen noch der Beigeschmack des virulenten, aber unterdrückten pädophilen Hintergrunds mit, und eben sogar die Brisanz des Sittlichkeitsverbrechens. Alle Lehrjungen kommen um, scheinbar durch einen Unfall, einmal auf hoher See, beim letzten durch einen Sturz von den Klippen. Die Bevölkerung ist bereits stark beunruhigt, sieht ihn als Kindermörder, aber der Richter erkannte vor dem aktuellen Ereignis noch einmal einen Unfall, als Auflage empfahl man ihm, keine Kinder mehr zu beschäftigen. Captain Balstrode (imposanter Bariton James Rutherford) will ihm auch helfen und betont das ebenfalls. Wie um ihre Mordlust auszuleben jagen die Fischer einen Farbigen, den sie dann lynchen. Der kleine Lehrjunge beobachtet das. Grimes tut es weiter, er kann nicht anders, es scheint Gewalt im Spiel zu sein, der Kleine zeigt blaue Flecken und Würgemale am Hals, Ellen entdeckt das. Und prompt verschwindet der Lehrjunge.
Der Zuschauer sieht, wie Grimes dem Jungen klarmachen will, dass der schnelle Weg zum Boot eben der den steilen Hang hinunter ist. Das mag ein steilküstenerfahrener Erwachsener noch schaffen, ein schwacher Junge jedoch nicht. Wenn dieser Weg überhaupt gangbar war. Und die Aufforderung zu gehen ist doch deutlich ein Schubsen. Der von Ellen bestickte Pullover wird zerfetzt gefunden, dann der tote Junge am Strand. Die Menge ist aufgebracht, sie fordern das Todesurteil, und sei es selbst vollstreckt: "Wer sich abseits stellt und uns verachtet, den vernichten wir." Und wieder ist es Captain Balstrode, der ihm hilft, indem er ihn zu einer Selbstrichtung ehrenhalber auffordert. Er soll sich auf hoher See versenken. Und Grimes, völlig kopflos und wahnsinnig, warum es wieder und wieder geschehen muss mit den Jungen, folgt dem Rat. Vor einer riesigen Leinwand mit dem Sonnenuntergang endet das Drama.
Es bleibt alles so offen wie zu Beginn, und es bieten sich verschiedene Deutungen an. Das macht auch den Reiz des Geschehens aus, eine Oper mit einer eigentümlichen Verschobenheit zwischen dem Reiz der Musik, der Poetik der Worte und dem merkwürdig doppeldeutigen Geschehen. Die Räume im Bühnenbild von Ashley Martin-Davis sind groß, aber deutlich getrennt oder begrenzt durch eine sehr hohe Multifunktionswand. Akzente wie das Grimessche Fischerboot oder die Kneipe vom Sturm bedroht (nur Grimes ist mit dem Jungen auf hoher See), der Dorfrand mit Galgen und die riesige Sonne prägen sich ebenso wie das fantastische Chorgeschehen ein.
Stark bejubelte Aufführungen, begeisterte Zuschauer zeigen, dass sich die Benjamin-Britten-Aufnahmen in der Frankfurter Oper großer Beliebtheit erfreuen.
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