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(c) Monika Rittershaus |
"Dreimal sieben Gedichte aus Albert Girauds Pierrot lunaire, op. 21" eröffneten die Premiere des Frankfurter Doppelevents zusammen mit Michael Langemanns "Anna Toll". Schönbergs konsequent atonales Werk mit symbolistisch überfrachteten Gedichten zur Dichtkunst und über einen Dichter, der sich zumindest für einen hält, des Belgiers Albert Giraud (1884) ist auch heute noch eine Herausforderung. 1912 hatte der Komponist so gewaltiger Werke wie "Moses und Aron" die Uraufführung seines durch und durch atonalen Werkes in Berlin. Vier Monate später in Prag reichte die musikalische Provokation voll aus für einen Theaterskandal. Die Kritiker litten in der Mehrheit unter den ungewöhnlichen Klängen und Gedichten, die auch heute merkwürdig blutarm, konstruiert und symbolistisch/expressionistisch todestrunken und dem Tode ausgeliefert wirken. Igor Strawinski, schon fasziniert, fühlte sich an den Kult um den Engländer Aubrey Beardsley erinnert, der sehr jung eigenwillige Karikaturen/Zeichnungen erstellte, in denen der Schwarzweiß-Kontrast dominierte. Auch die Giraudschen Gedichte greifen wiederholt Bilder von Nacht und Mond auf, der weiß angestrahlte Flecken auf Pierrots Kleidern oder auf Flächen, Gegenständen, Gesichtern etc. hinterlässt. "Eine bleiche Wäscherin wäscht zur Nachtzeit bleiche Tücher ..." heißt es in "Eine blasse Wäscherin". In fast allen Gedichten, ob "Mondestrunken", Colombine", "Der Dandy","Der kranke Mond", "Nacht", "Gebet an Pierrot", "Galgenlied", "Enthauptung" oder "Die Kreuze" werden diese an sich dezent gespenstisch dargebotenen, aber auch romantisch wirkenden Szenerien poetisch gefüllt, sodass eine Ästhetik entsteht, die heute von Modebewegungen wie z.B. "Gothic" neu zelebriert zu werden scheint. Wie transsylvanische Erotik wirkende Verse und christliche Bilder, apotheotisch die Madonna zur Mutter aller Verse erstehen zu lassen führen zum freiwilligen Opfertod des Dichters.
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"Steig, o Mutter aller Schmerzen auf den Altar meiner Verse" fiebert der Dichter, sich als Sohn und Dichtkunsterbe der Göttin verstehend. Der Dichter möchte sich opfern, seine Gedichte "als blutige Hostie" erkennen und "Heilige Kreuze sind die Verse, dran die Dichter stumm verbluten". In die Nähe des Rausches gerückt mit einer Sisha und "türkischem Tabak" fantasiert das lyrische Ich von einer erbarmungslosen Suche nach noch mehr Ausdruckskraft bis hin zur Durchbohrung der Schädeldecke, um im Innern mehr zu entdecken. Die Bizarr- und Groteskheit der Innenwelt zeigt sich auch in absurden Verzerrungen der Außenwelt, das Mobiliar vergrößert, Stühle schießen zum Himmel empor. Im Frankfurter Bockenheimer Depot
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in Szene gesetzt wird die Dichterwelt erlebbar in einem bizarren Rahmen, wo sich die stimmgewaltige Sängerin Laura Aikin in silbernem Zirkusdirektor-Galalook souverän im Gesang und dominant wie eine Dompteuse gebärt und dem jungen Dichter und Ödipus Welt beibringt. Dabei fing alles so harmlos an. In einer Bar bei „Moon River“ und „Blue Moon“ ...
Im zweiten Stück vom 1983 in Moskau geborenen Komponist Michael Langemann, Schüler Manfred Trojahns sowie George Benjamins, unternimmt der Komponist einen unterhaltsamen Ausflug in das Liebesleben moderner westlicher Gesellschaften. Und selbst islamische, mit Sprenggürtel und Koran bewaffnete, schaffen etwas Ähnliches, schenkt man dem neu erschienen Roman von Ramita Navai, "Stadt der Lügen", Glauben. Im heiligen Teheran, der Hochburg des Extremen, gibt es eine Undergroundszene, die man auch in Wien oder Berlin finden könnte. Arthur Schnitzlers "Anatol", aber auch deutlich der "Reigen" stehen Langemann Pate, daneben der Flaneur Peter Altenberg.
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Was Sigmund Freud in der Psychoanalyse entdeckte, bringt auch Arthur Schnitzler etwa zur gleichen Zeit zur Sprache: tabuisiertes Begehren, Lust am Leben, der Liebe, dem Sex als Sprache des Es, im Widerstreit mit Ich und Über-Ich. Freud sah sich geradezu als Seelenverwandter und gestand dies Schnitzler auch in einem Brief. Er wunderte sich, warum er nicht früher den Kontakt zu dem Schriftsteller suchte.
Alles, was in der bürgerlichen wilhelminischen Gesellschaft verschwiegen, vertuscht oder weggesperrt wurde, interessierte die beiden. Ebenso die Todesstrebungen, das Denken und Spielen mit dem Ende, in Beziehungen, im Leben. Und die Doppelmoral, zerbricht sich doch Anatol allen Ernstes den Kopf, ob seine (Haupt-)Geliebte ihn wirklich liebt, pflegt er selbst ganz ungeniert etliche Liebschaften.
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Die maskuline Egozentriertheit wird bei Langemann zur femininen. Aus Anatol wird Anna Toll, die ihr Begehren auslebt, narzistisch zur Queen gekrönt im Mittelpunkt aller sie begehrender Männer und Frauen stehen möchte. Mit Maxi führt sie eine homoerotische Freundschaft, aber ihr (Haupt-)Geliebter soll ihr unter Hypnose seine wahren Gefühle und seine Abhängigkeit verraten und bekräftigen. Alle Beteiligten sind dependente Anhänger der lustvollen und libertinären Sprache des Begehrens, wie im "Reigen" drehen sich die Beziehungen im Kreis, die Partner switchen weiter im Beziehungskarussell und jeder von ihnen ist ein riesiger Narzist, geblendet von seinem Spiegelbild. Anna Toll zerbricht sich am Hochzeitstag den Kopf, ob ein früherer Geliebter tatsächlich nun Gift nehmen würde, wäre sie nun "fest" vergeben. Es wird alles zur Farce, die Bemühungen um Besitz des Partners und Dauerhaftigkeit vergeblich. Wie wahr dieses Abbild unserer Psyche, die andere Dynamiken sucht als die feste Normen- und Werteordnung, auch wenn sie Letztere als verbindlichen Kulturcodex des gesellschaftlichen Miteinanders zumeist akzeptiert, in anderen Fällen ja sogar dringend braucht. Insofern erscheinen alle fortgeschritten einerseits in der Entbindung von der Konventionalität und andererseits im permanenten Bemühen das Liebesspiel dauerhaft am Laufen zu halten. In dieser Unverbindlichkeit entstehen freilich nicht minder tragische Einzelschicksale, die nicht mehr an der Enge, sonder an der Weite und Beliebigkeit leiden.
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Das Bühnenbild von Bernhard Niechotz und die Regie von Hans Walter Richter haben diese libidinöse Kreisdynamik in einem passendem Szenario verwirklicht, die Spirale klar erkennbar, die Tatorte dicht nebeneinander. Die Musik Langemanns eine ganz andere, Atonalität eher dezent, dafür bekannte Melodien angedeutet, Verdi, Wagner, Bernstein oder Richard Strauss zur musikalischen Interpretation und Akzentuierung anklingen lassend, die Operette mit einem heiteren swingenden Grundton ausstattend. Maxi (Nora Friedrichs)und Anna Toll (Elizabeth Reiter) zwei überzeugende reizende Gewächse, Baron Diebl (Magnús Baldvinsson), der Jägersmann, zum Fetisch für die konservative Damenwelt ausstaffiert mit absolut kessen Strumpfhaltern und Riesenboxershorts. Arthur (Dominic Betz), der wie ein alter Ego von Schnitzler erscheint, verzweifelt am meisten an dieser Unverbindlichkeit, damit hat er sich - wenn auch klar erkennbar - einer Kategorisierung und Wertung entzogen.
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