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Dichterhain, Bände 1 bis 4

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Dichterhain, Bände 5 bis 8

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Freitag, 24. März 2017

HKW Berlin: Die Jetztzeit der (Zombies und) Monster: Ist der Nationalismus unumgänglich?


Zur Eröffnung reflektierte Lawrence Liangs heutige Nationalismen und das panasiatische Ideal Jawaharlal Nehrus. Cemil Aydin untersucht kosmopolitische Imperien und pluralistische Visionen. In Kudzanai Chiurais Performance The State of Nation spricht die Premierministerin eines fiktiven Staates am Tag der Unabhängigkeit zu ihrer Nation. Den Begriff „Zivilisation“ und welche rassistischen Hierarchien damit verknüpft sind, diskutieren Brigitta Kuster, David Scott, Christian Nyampeta und Antony T. Anghie.

Lawrence Liang
„Another Asia“. Möglichkeiten der Zukunft einer gescheiterten Idee
Im März 1947 organisierte Jawaharlal Nehru, Chef der Übergangsregierung Indiens, eine Konferenz in Neu Delhi. Die Asian Relations Conference setzte sich zum Ziel, Asien im Kontext der Entkolonialisierung konzeptionell neu zu entwickeln und bestimmte Fragen zu klären – wie beispielsweise die der Staatsbürgerschaft und der Migration (im Kolonialismus konnten sich die Menschen innerhalb Asiens relativ frei bewegen). Aus heutiger Perspektive erscheint die Konferenz als Höhepunkt einer damals noch denkbaren panasiatischen Idee, obwohl sie gleichzeitig deren Untergang einläutete. In seiner Präsentation geht der Rechtswissenschaftler und Autor Lawrence Liang der Frage nach, wie diese Geschichte des Scheiterns dazu genutzt werden kann, den Nationalismus in Asien neu zu denken.
Kudzanai Chiurai
The State of the Nation

In der Performance des Künstlers Kudzanai Chiurai, performt von Zaki Ibrahim, richtet sich die erste Premierministerin eines afrikanischen Staates am Tage der Unabhängigkeit an ihre Nation. In ihrer Rede thematisiert sie die verschaltete Vergangenheit und Gegenwart des (Post-)Kolonialismus auf dem afrikanischen Kontinent, die von der Erfahrung extremer Gewalt geprägt sind. Zugleich markiert die Ansprache aber einen Moment der Hoffnung, in dem es möglich scheint, emanzipatorische Zukünfte in der Zeit nach der Unabhängigkeit zu verwirklichen. Nach der Performance wird per Konferenzschaltung ein Gespräch zwischen Rana Dasgupta und dem Künstler stattfinden.
Cemil Aydin
Verlorene Zukünfte kosmopolitischer Imperien. Kann die Geschichte des 20. Jahrhunderts von nationalistischen Narrativen befreit werden?

Im Nachklang des Ersten Weltkrieges wurde das von Woodrow Wilson entwickelte Ideal homogener Nationalstaaten zum Allheilmittel ernannt: Es sollte die Wunden heilen, die durch multiethnische und religiös plurale Imperien entstanden waren. Diese scheinbare Wunderpille entpuppte sich jedoch als tödliches Gift, das Millionen Menschenleben zerstörte, weil es dazu genutzt wurde, ethnische Säuberungen und sogar Völkermord zu rechtfertigen. Die zeitgenössische internationale Ordnung scheint trotz alledem darauf abzuzielen, genau dieses Ideal zum Naturzustand zu erklären und damit auf ein historisches Narrativ zu setzen, das den Nationalismus als unumgänglich darstellt. Angesichts dieses Dilemmas wirft der Historiker Cemil Aydin einen Blick auf die kosmopolitischen Imperien der Vergangenheit und greift die mit ihnen verloren gegangenen, pluralistischen politischen Visionen wieder auf.


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Die Entwicklung des internationalen Rechts und des internationalen Systems von Nationalstaaten baut auf der Idee der „Zivilisation“ auf. Die Teilnehmer*innen gehen diesem Erbe und den damit verknüpften rassistischen Hierarchien des Kolonialismus nach, die sich bis heute in das globale, nationalstaatliche Regelwerk eingeschrieben haben. Anhand einer Reihe von Dokumenten unterziehen sie gerade jene historischen Momente einer Re-Lektüre, an deren Beispiel das „zivilisatorische“ Denken deutlich wird. 

Die Künstlerin und Kulturwissenschaftlerin Brigitta Kuster untersuchte den Zivilisationsbegriff und dessen Gegenspieler im Verhältnis zur „Kultur“ und bringt Aspekte dessen zur Sprache, was in der kolonialen Produktion sozialer Differenz verworfen wurde.

David Scott untersuchte die UN Resolution 1514 (XV) vom 14. Dezember 1960, die kolonialen Ländern und Bevölkerungen ihre Unabhängigkeit gewähren sollte. Er beleuchtet Hintergrund und Entstehung der Resolution sowie die einzelnen Artikel, konzentriert sich auf die in der Resolution verwendete Sprache und fragt, was sie für die Gegenwart bedeutet.

Der Künstler Christian Nyampeta übertrug die Geschichte der Kontinuität in einen räumlichen Kontext, indem er eine begehbare, indexikalische Installation entwirft, in der ein Moment der Diskontinuität entsteht: Gegenläufige Lesarten historischer Verläufe knüpfen neue Verbindungen und laden zum Dialog ein. 

Der Experte für Internationales Recht Antony T. Anghie warf einen Blick auf die größeren Zusammenhänge: Er macht deutlich, wie die im 19. Jahrhundert entstandenen imperialen Unterscheidungen zwischen „zivilisierten“ europäischen und „unzivilisierten“ nicht-europäischen Ländern in das neue Vokabular eingeschrieben wurden, das sich im Prozess der Entkolonialisierung entwickelte.


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Fr, 24. März 2017

Konversationen

Mit Boaventura de Sousa Santos und Samar Yazbek; Arjun Appadurai, Cemil Aydin und Rana Dasgupta, Keller Easterling, Bernd Kasparek und Kim Rygiel

17:30 – 18:30h
Boaventura de Sousa Santos und Samar Yazbek
Für wen gelten die Menschenrechte?

70 Jahre nach der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte zeigt sich, dass nichts an diesen Rechten „universell“ ist. Woran liegt das? Wo liegen die Widersprüche zwischen der kriegsanfälligen Weltordnung und dem Schutz, den jeder Mensch angeblich genießt? Welche alternativen Modelle der Menschenwürde könnten eine hoffnungsvollere Perspektive bieten?


19 – 20h
Arjun Appadurai, Cemil Aydin und Rana Dasgupta
Sind Nationen die Totengräber des Kosmopolitismus?

Viele Nationen haben offensichtlich die Grenzen ihres multikulturellen Potenzials erreicht: Die Zeit scheint gekommen, sich von dem Überlegenheitsgefühl gegenüber den früheren Imperien zu verabschieden. Lassen sich im Rückblick auf diese Imperien Räume identifizieren, die mehr Vielfalt zuließen, als die Nationalstaaten von heute das tun? Könnten die alten Imperien die nötige Inspiration liefern, um einen Ausweg aus den politischen Sackgassen unserer Zeit zu finden?


20:30 – 21:30h
Keller Easterling, Bernd Kasparek und Kim Rygiel
Zonen der Ausnahme: Wo gelten welche Regeln (nicht)?

In den letzten Jahren sind immer mehr Sonderwirtschafts- und Sonderrechtszonen entstanden, in denen eigene Regeln gelten – „archipelagos of exceptions“, wie Keller Easterling sie nennt. Auf der einen Seite eine Unzahl „freier“ Räume, die Steuererleichterungen oder den Wegfall anderer Formen staatlicher Kontrolle gewähren, Gated Communities oder Luxuswohnanlagen; auf der anderen Seite Zonen, in denen das Recht auf Rechte aufgehoben ist, „black sites“, an denen Migrant*innen und Geflüchtete gegen ihren Willen festgehalten werden. Aber auch drittens autonome Zonen, Räume, die eine Verweigerungshaltung ermöglichen, und Schlupflöcher. Welche Verbindungen bestehen zwischen diesen Ausnahmezonen? Und an welcher Stelle kommen die „smarten Grenztechnologien“ von Nationalstaaten ins Spiel?


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Sa, 25. März 2017
Das Nationalstaatensystem

Mit Ann Cotten und Hito Steyerl



Hito Steyerl
„Gott ist doof“. On Artificial Stupidity

Eines der Monster, das in jüngster Zeit im Dunstkreis künstlicher Intelligenz (AI) erschaffen wurde, ist Roko’s Basilisk, ein Gedankenexperiment: Würdest du dabei mithelfen, superintelligente AI zu entwickeln, ja oder nein? Und wenn du wüsstest, dass sie ohnehin entwickelt werden und diejenigen, die ihre Mithilfe verweigert haben, mit Folter bestrafen würde? Die Künstlerin Hito Steyerl untersucht den Hype um AI. Auf der einen Seite scheint sie die produktive Störung ökonomischer, militärischer, medizinischer und sozialer Techniken zu befördern und verspricht eine nie dagewesene Effizienz, eine wissenschaftliche Lösung aller Probleme. Auf der anderen Seite steht gerade die Wissenschaft unter Beschuss: Institutionalisierte Religionen einerseits und ausbeuterische Unternehmen mit ihren politischen Handlangern andererseits haben sich zum Angriff auf die Geisteswissenschaften und die Klima- und Evolutionsforschung formiert. Roko’s Basilisk steht für eine Zukunft, in der Nationalstaaten kläglich scheitern und an ihre Stelle eine Vielzahl konkurrierender Unternehmen tritt – jedes für sich ein Staat im Staat. Was, wenn dieses System außer Kontrolle gerät?

Ann Cotten
Utopie als Knoten in der Zunge

Nicht nur beim Sprechen, sondern auch in der Realität ist das geforderte Menschenbild oft das Kleid, an dem sich der ertrinkende Staat erhängt. Wird Strenge besser durch Ästhetik, Stimmung und Gruppenzwang als durch Gesetze, Drohungen und Bestimmungen geregelt? Um vergleichen zu können, sucht die Schriftstellerin Ann Cotten nach Ästhetiken, die ungeschriebene ethische Kodices jenseits von Nation transportieren. Ein Vergleich von real existierenden subkulturellen "Tribes" sowie funktionierenden Alternativgesellschaften, samt all ihren Krankheiten, mit utopischen Entwürfen zeigt einen klaffenden Abgrund, der auch mit kolonialistischen, "weißen" Denkmustern zu tun hat. "Man sollte" steht Ordnungen gegenüber, die das zivilisierte Leben in dysfunktionalen Realitäten ermöglichen und gestalten (we've gotta). Die große Bewegung des Afrofuturismus soll den Weg weisen - wenn ich sie überhaupt lesen kann.

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