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Dichterhain, Bände 1 bis 4

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Dichterhain, Bände 5 bis 8

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Donnerstag, 12. Juni 2025

Wie war's bei Aribert Reimanns Oper MELUSINE im Bockenheimer Depot?



Anna Nekhames (Melusine)   Foto: Barbara Aumüller

 


Aribert Reimanns Oper Melusine wird derzeit im Bockenheimer Depot in Frankfurt a.M. aufgeführt und bietet eine faszinierende Gratwanderung zwischen Naturmärchen, Futurismus und Postmoderne. Die Oper, die ursprünglich 1971 bei den Schwetzinger Festspielen uraufgeführt wurde, basiert auf der französischen Sage und dem Drama von Yvan Goll (siehe weiter unten).

Cecilia Hall
(Madame Lapérouse)
Foto: Barbara Aumüller


Die Handlung dreht sich um Melusine, eine junge Frau, die sich gegen die fortschreitende Zerstörung der Natur stellt. Sie lebt mit ihrer Mutter Madame Lapérouse und ihrem Ehemann Max Oleander in einer Villa am Rand eines alten Parks. Während Melusine sich mit den Geistern des Parks verbunden fühlt, steht ihre Mutter den weltlichen Dingen näher. Als der Park verkauft wird und einem Schloss weichen soll, fordert Pythia, Schutzgeist des Parks, Melusine auf, dies zu verhindern. Pythia verleiht ihr mit einem Fischschwanz eine magische Anziehungskraft auf Männer und ringt ihr das Versprechen ab, sich jedoch nie zu verlieben. Doch Melusine trifft auf den Grafen von Lusignan, und das Geschehen nimmt seinen tragischen Verlauf. Sie schmilzt dahin, auch er ein Opfer der Liebe. Pythia macht ihre Drohung war und steckt das mittlerweile gebaute Schloss an, in dem sich Melusine und der Graf aufhalten. Pythia hat noch einmal gesiegt, der weitere Verlauf bleibt offen.

Die Inszenierung im Bockenheimer Depot hebt die zentrale Liebesszene besonders hervor und zeigt Melusines inneren Konflikt zwischen individueller Behauptung, Verlangen und Begehren sowie gesellschaftlichem Druck. Besonders herausragend ist die Leistung der russischen Sopranistin Anna Nekhames, die mit ihrer außergewöhnlichen Technik und emotionalen Tiefe die Titelrolle verkörpert.

Liviu Holender (Graf von Lusignan) und
Anna Nekhames (Melusine)

Regisseurin Aileen Schneider wollte mit dieser Inszenierung einen Denkprozess anstoßen: Worauf ist der Einzelne bereit zu verzichten, um die Natur zu erhalten? Doch letztlich kann kein noch so hohes Ideal der Verführung durch menschliche Liebe etwas entgegensetzen. Die Regisseurin schafft es meisterhaft, klassische Mythologie mit futuristischen Elementen und dunkler abstrakter Dystopie zu verbinden. Sie nutzt die musikalische Sprache von Reimann, die zwischen expressiver Atonalität und fast schon hypnotischen Klangflächen wechselt, diese Vielschichtigkeit szenisch perfekt erlebbar zu machen.

Das Licht, die an ein Raumschiff oder völlig futuristische Stadtgestaltung erinnernde, hypermoderne kreisförmige Bühnenarchitektur und die surrealen und dadaistischen Anspielungen in der Kostümgestaltung erinnern an eine Welt, in der Mensch und Natur schon lange entfremdet sind. Nicht nur die Figur der Melusine mit ihrem hybriden Wesen – halb Mensch, halb Wasserwesen – auch der Landvermesser, die Maurer spiegeln dieses Spannungsverhältnis zwischen Traum, Künstlichkeit, Groteskheit und extremer Moderne perfekt wider. Dada und Expressionismus, Futurismus und Science Fiction halten Äußeres und Inneres zusammen. 

Aileen Schneider hat wirklich ein Händchen dafür, klassische Stoffe in ein neues, aufregendes Licht zu rücken. Ihre Inszenierungen fordern das Publikum intellektuell heraus und reißen es zugleich emotional mit. Gerade bei Melusine hat sie es geschafft, die Balance zwischen Mythos und moderner Gesellschaftskritik auf eine visuell beeindruckende Weise zu gestalten. Neben Melusine im Bockenheimer Depot hat sie unter anderem Philip Glass’ In der Strafkolonie nach Franz Kafka am Staatstheater Augsburg sowie The Sound of Voice, ebenfalls von Philip Glass, an der Hamburger Staatsoper inszeniert. Ihre Arbeiten zeichnen sich durch eine starke visuelle Ästhetik und tiefgehende gesellschaftliche Reflexionen aus.

Besonders spannend ist ihre Herangehensweise an klassische Stoffe: So transferiert sie diese oft in futuristische oder dystopische Szenarien, um aktuelle Themen wie Umweltzerstörung, soziale Ungleichheit oder technologische Entwicklungen zu beleuchten. Ihre Inszenierungen sind nicht nur visuell beeindruckend, sondern regen auch zum Nachdenken an. Sie ist außerdem Hessenmeisterin 2022 und Rheinland-Pfalz Vizemeisterin 2024 im Poetry Slam, Dramatikerin und Moderatorin.


Anna Nekhames (Melusine; Bildmitte) und Ensemble
Foto: Barbara Aumüller


Wer Yvan Goll nicht einordnen kann: Er war eine faszinierende literarische Figur, die sich zwischen mehreren Strömungen bewegte, sowohl als Vertreter des deutschen Expressionismus als auch eine prägende Stimme des französischen Surrealismus. Seine Werke spiegeln die avantgardistischen Bewegungen des frühen 20. Jahrhunderts wider, insbesondere den Dadaismus und die Neue Sachlichkeit.

Goll war ein Kosmopolit, der sich in verschiedenen literarischen Kreisen bewegte – von den Dadaisten in Zürich bis zu den Surrealisten in Paris. Sein Werk umfasst Lyrik, Dramen und Prosa. Seine Gedichte, darunter Johann Ohneland, zeigen eine tiefgehende Reflexion über Identität und Entfremdung. Er war zudem ein wichtiger Exilliterat, der während des Zweiten Weltkriegs nach New York floh und dort weiter publizierte.

Golls literarische Bedeutung liegt in seiner Fähigkeit, verschiedene Stile und kulturelle Einflüsse zu vereinen. Er war in den 1920er Jahren eng mit avantgardistischen Theaterbewegungen verbunden und beeinflusste das experimentelle Theater dieser Zeit maßgeblich. Seine Werke zeigten eine Vorliebe für das Absurde, Satirische und Symbolhafte, was ihn in die Nähe von Autoren wie Brecht, Artaud und Piscator brachte.

Gerade sein Drama Methusalem oder Der ewige Bürger war ein Paradebeispiel für die innovative Bühnenästhetik der Zeit. Es nahm viele Elemente des späteren absurden Theaters vorweg und war eine scharfe Kritik an der fortschreitenden Technokratisierung und Bürokratisierung der Gesellschaft.

Claire Goll war eine faszinierende und kontroverse Figur in der Literaturgeschichte. Sie war nicht nur die Ehefrau von Yvan Goll, sondern auch eine eigenständige Schriftstellerin, Journalistin und Übersetzerin. Ihre Werke bewegten sich zwischen Expressionismus und Surrealismus, und sie war eng mit der Pariser Avantgarde verbunden.

Besonders bekannt wurde sie durch ihre Gedichtsammlungen, die sie oft im Wechselgesang mit Yvan Goll schrieb, sowie durch ihre Romane wie Der Neger Jupiter raubt Europa. Nach Yvan Golls Tod widmete sie sich intensiv seinem literarischen Erbe, allerdings nicht ohne Kontroversen – sie manipulierte nachweislich Texte und war in einen berüchtigten Streit mit Paul Celan verwickelt, die sogenannte „Goll-Affäre“.

Ihre Memoiren Ich verzeihe keinem sind eine literarische Chronique scandaleuse, die viele Persönlichkeiten ihrer Zeit kritisch beleuchtet. Trotz ihrer umstrittenen Aktionen bleibt sie eine bedeutende Stimme der deutsch-französischen Literatur.

Die Goll-Affäre war eine literarische Kontroverse, die sich um Paul Celan und Claire Goll drehte. Nach Yvan Golls Tod im Jahr 1950 war Celan zunächst in die Herausgabe von dessen Werken involviert. Doch Claire Goll begann später, Celan öffentlich des Plagiats zu beschuldigen, indem sie behauptete, er habe Gedichte ihres verstorbenen Mannes übernommen und als seine eigenen ausgegeben. Diese Vorwürfe führten zu einer langjährigen Auseinandersetzung, die Celan zutiefst erschütterte. Die Affäre hatte weitreichende Folgen für sein Ansehen und seine psychische Gesundheit. Trotz zahlreicher Unterstützer, darunter Ingeborg Bachmann und Peter Szondi, blieb der Schatten der Anschuldigungen über Celans Werk bestehen. Claire Goll führte eine regelrechte Kampagne gegen ihn, die sich bis in die 1960er Jahre erstreckte und in verschiedenen Publikationen und Briefen weitergeführt wurde.

Die Affäre wird oft als Beispiel für die Schwierigkeiten von Exilliteraten und die Macht von Diffamierungskampagnen im Literaturbetrieb gesehen. Celan selbst betrachtete die Vorwürfe als einen persönlichen Vernichtungsfeldzug, der antisemitische Untertöne hatte.




Montag, 9. Juni 2025

Welche weiteren ehemaligen UdSSR-Staaten will sich Russland zurückholen?

 



Russland hat in den letzten Jahren immer wieder seinen Einfluss auf ehemalige Sowjetstaaten ausgeweitet oder territoriale Ansprüche geltend gemacht. Besonders betroffen sind Länder, die historisch enge Verbindungen zu Russland haben oder strategisch wichtig sind.

Mögliche Ziele Russlands im Rahmen der Re-Sowjetisierung 

  1. Ukraine – Russland führt Krieg zur Eroberung der gesamten Ukraine und hat bereits die Krim annektiert und Separatisten in der Ostukraine etabliert.

  2. Belarus – Enge politische und militärische Zusammenarbeit mit Russland, oft als „verlängerter Arm“ Moskaus betrachtet.

  3. Moldau – Die abtrünnige Region Transnistrien wird von Russland unterstützt und könnte ein nächstes Ziel sein.

  4. Georgien – Russland kontrolliert bereits die abtrünnigen Regionen Abchasien und Südossetien.

  5. Kasachstan – Russland hat wiederholt angedeutet, dass es Ansprüche auf russischsprachige Gebiete im Norden Kasachstans haben könnte.

  6. Baltische Staaten (Estland, Lettland, Litauen) – Obwohl sie NATO-Mitglieder sind, gibt es russische Einflussversuche, insbesondere durch hybride Kriegsführung und Desinformation.

Russlands Strategie basiert oft auf historischen Argumenten, wirtschaftlichem Druck und militärischer Präsenz. 

Es ist allen klar geworden, dass auch Nicht-Ex-UdSSR-Staaten wie 

7. Polen

8. Bulgarien

9. Rumänien

10. Finnland 

11. Dänemark  

12. Großbritannien

13. Frankreich

14. Deutschland 

 

Putin eher stören, als er sie in ihrem antidiktatorischen Engagement akzeptieren könnte. Orban grenzt sich und Ungarn verblüffenderweise ganz aktuell ab, indem er Russland für nicht stark genug hält, seine Pläne umzusetzen. Dabei ist er jedoch putinorientiert ...


Mehr Informationen zu den postsowjetischen Staaten finden Sie hier.

Samstag, 7. Juni 2025

Heute Premiere im Bockenheimer Depot in Frankfurt a.M.: M E L U S I N E





 Premiere / Frankfurter Erstaufführung 


Freitag, 6. Juni 2025, um 19.00 Uhr im Bockenheimer Depot

MELUSINE

Oper in vier Akten von Aribert Reimann
In deutscher Sprache mit deutschen Übertiteln

Musikalische Leitung: Karsten Januschke; Inszenierung: Aileen Schneider Mitwirkende: Anna Nekhames (Melusine), Zanda Švēde (Pythia), Cecelia Hall (Madame Lapérouse), Jaeil Kim (Oleander), Liviu Holender (Graf von Lusignan), Dietrich Volle (Geometer), Frederic Jost (Maurer), Andrew Kim (Architekt), Morgan-Andrew King (Oger) u.a.

Weitere Vorstellungen: 8., 11., 13., 15., 17., 22., 25. Juni 2025
Alle diese Vorstellungen beginnen um 19.00 Uhr. Preise: € 20 bis 80 (12,5% Vorverkaufsgebühr nur im externen Vorverkauf)

Die Inszenierung von Aileen Schneider zeigt Melusine als Repräsentantin einer idealistisch- lösungsorientierten Gesellschaft, die bei einem Coming of Age-Prozess zu beobachten ist. Dafür transferiert sie das Stück in eine unbestimmte Zukunft, in der die Ressourcen knapp sind und es so gut wie kein Wasser mehr gibt. In dieser zeit- und zukunftslosen Sphäre werden die Zuschauenden zum Teil des Raumes und damit der Stückrealität. Platziert in einem Rund um die Spielfläche herum, sind sie stumme Beobachterinnen und Beobachter eines Kampfes zwischen verzweifeltem Aufbegehren und einer transzendenten Akzeptanz des Unaufhaltsamen.


Freitag, 6. Juni 2025

Warum verstößt Putin mehr als einmal gegen die Genfer Konventionen und gegen die UN-Charta?

UN-Sitz New York
Photo by Airam Dato-on from Pexels

Wladimir Putin und die russische Regierung wurden mehrfach beschuldigt, gegen die Genfer Konventionen und die UN-Charta zu verstoßen, insbesondere im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine. Dabei ist Russland Mitglied des ominösen UN-Sicherheitsrates, indem auch die USA sitzt, mit Recht, alles nach ihren Vorstellungen - auch entgegen der Meinung der UN-Vollversammlung - zu verändern. Russland und China haben Veto-Recht. Der Sicherheitsrat beschloss 2025, dass Russland kein Aggressor sei. Soweit die Verbiegung im Ukraine-Krieg. In Wirklichkeit ist es der
Aggressor und Invasor! Hier besteht klarer Korrekturbedarf.


Verstöße gegen die Genfer Konventionen

Die Genfer Konventionen regeln den Schutz von Zivilisten, Kriegsgefangenen und Verwundeten in bewaffneten Konflikten. Russland wird vorgeworfen, diese Prinzipien verletzt zu haben:

  • Angriffe auf Zivilisten: Berichte zeigen, dass russische Streitkräfte Wohngebiete, Krankenhäuser und Schulen bombardiert haben, was gegen die Konventionen verstößt.

  • Misshandlung von Kriegsgefangenen: Es gibt Hinweise darauf, dass gefangene ukrainische Soldaten nicht gemäß den Standards der Genfer Konvention behandelt wurden.

  • Blockade humanitärer Hilfe: Russland hat mehrfach humanitäre Korridore blockiert oder missbraucht, um militärische Vorteile zu erzielen.


Verstöße gegen die UN-Charta

Die UN-Charta legt die Grundprinzipien des internationalen Rechts fest, darunter das Gewaltverbot und die Souveränität von Staaten. Russland wird vorgeworfen, diese Prinzipien verletzt zu haben:

  • Aggressionskrieg: Der Einmarsch in die Ukraine wird als klarer Verstoß gegen das Gewaltverbot der UN-Charta gewertet.

  • Missachtung internationaler Institutionen: Trotz mehrfacher Verurteilungen durch die UN und andere internationale Organisationen setzt Russland seine militärischen Aktionen fort.

  • Gefährdung der globalen Sicherheit: Die Blockade von Getreideexporten aus der Ukraine durch russische Streitkräfte hat weltweite Auswirkungen auf die Nahrungsmittelversorgung.

Diese Verstöße haben zu internationalen Sanktionen und rechtlichen Schritten gegen Russland geführt. Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) untersucht derzeit mögliche Kriegsverbrechen und Verstöße gegen das Völkerrecht.

Details zu Genfer Konventionen und UN-Charta lesen Sie hier.


Welche Motive stehen hinter Putins Verstößen?

Wladimir Putins Motive im Ukraine-Krieg sind vielschichtig und werden von Experten unterschiedlich interpretiert. Hier sind einige der Hauptgründe, die häufig genannt werden:

1. Geopolitische Kontrolle und Einfluss

Putin sieht die Ukraine als Teil der russischen Einflusssphäre und möchte verhindern, dass sie sich weiter dem Westen, insbesondere der NATO und der EU, annähert. Laut Experten versucht er, eine militarisierte russische Gesellschaft zu schaffen, die einen langen Krieg unterstützt.

2. Historische und ideologische Gründe

Einige russische Regierungsvertreter behaupten, dass die UdSSR nie offiziell aufgelöst wurde und dass der Krieg in der Ukraine ein „interner Prozess“ sei. Diese Argumentation soll die Invasion als eine Art Wiederherstellung der alten sowjetischen Ordnung legitimieren.

3. Innenpolitische Stabilität

Putin nutzt den Krieg, um die russische Gesellschaft zu mobilisieren und seine Macht zu festigen. Er betont die Notwendigkeit der internen Mobilisierung und stellt den Konflikt als eine existenzielle Bedrohung für Russland dar.

4. Sicherheitsinteressen

Russland begründet den Krieg oft mit der angeblichen Bedrohung durch die NATO. Laut einem Faktencheck gibt es jedoch keine unmittelbare militärische Gefahr für Russland durch die NATO-Erweiterung.

5. Wirtschaftliche und strategische Vorteile

Die Kontrolle über ukrainische Ressourcen, insbesondere Getreideexporte, könnte ein wirtschaftliches Motiv sein. Russland hat mehrfach die Getreideexporte aus der Ukraine blockiert, was weltweite Auswirkungen auf die Nahrungsmittelversorgung hat.

6. Persönliche Macht und Prestige

Putin sieht sich als starken Führer, der Russland gegen den Westen verteidigt. Seine öffentliche Rhetorik betont oft die Souveränität Russlands und die Notwendigkeit, sich gegen äußere Einflüsse zu behaupten.

Diese Motive sind nicht isoliert zu betrachten, sondern greifen ineinander. 

Donnerstag, 5. Juni 2025

HIGHLIGHTS IM SPIELPLAN DER OPER FRANKFURT IM JUNI UND JULI 2025



Anna Nekhames (Sopran / Titelpartie;
Bildnachweis: Barbara Aumüller)

Premiere / Frankfurter Erstaufführung 


Freitag, 6. Juni 2025, um 19.00 Uhr im Bockenheimer Depot

MELUSINE

Oper in vier Akten von Aribert Reimann
In deutscher Sprache mit deutschen Übertiteln

Musikalische Leitung: Karsten Januschke; Inszenierung: Aileen Schneider Mitwirkende: Anna Nekhames (Melusine), Zanda Švēde (Pythia), Cecelia Hall (Madame Lapérouse), Jaeil Kim (Oleander), Liviu Holender (Graf von Lusignan), Dietrich Volle (Geometer), Frederic Jost (Maurer), Andrew Kim (Architekt), Morgan-Andrew King (Oger) u.a.

Weitere Vorstellungen: 8., 11., 13., 15., 17., 22., 25. Juni 2025
Alle diese Vorstellungen beginnen um 19.00 Uhr. Preise: € 20 bis 80 (12,5% Vorverkaufsgebühr nur im externen Vorverkauf)


Aribert Reimann (Komponist;
Bildnachweis: Schott Promotion / Peter Andersen)
Das Erbe des Avantgarde-Komponisten Aribert Reimann (1936-2024) lebt an der
 Oper Frankfurt fort. Seine 1971 uraufgeführte Oper Melusine offenbart eine äußerlich märchenhafte Handlung, was jedoch nicht darüber hinwegtäuschen kann, dass unter ihrer Oberfläche gewichtige politische Konflikte brodeln.
Das Libretto von Claus H. Henneberg zeichnet die Titelfigur als junge, verheiratete Frau, die sich von ihrem gleichgültigen bürgerlichen Umfeld eingeengt fühlt. Eine Gegenwelt findet Melusine in einem verwilderten Park, in dem Pythia als „Königin der Weiden“ herrscht. Die auf dem Parkgelände geplante Erbauung eines Schlosses kann Melusine trotz entschiedenen Widerstands nicht verhindern und verliebt sich bei Eröffnung des Schlosses in dessen Bauherrn, den Grafen von Lusignan. Pythia schwört für Melusines Verrat Rache.

Die Inszenierung von Aileen Schneider zeigt Melusine als Repräsentantin einer idealistisch- lösungsorientierten Gesellschaft, die bei einem Coming of Age-Prozess zu beobachten ist. Dafür transferiert sie das Stück in eine unbestimmte Zukunft, in der die Ressourcen knapp sind und es so gut wie kein Wasser mehr gibt. In dieser zeit- und zukunftslosen Sphäre werden die Zuschauenden zum Teil des Raumes und damit der Stückrealität. Platziert in einem Rund um die Spielfläche herum, sind sie stumme Beobachterinnen und Beobachter eines Kampfes zwischen verzweifeltem Aufbegehren und einer transzendenten Akzeptanz des Unaufhaltsamen.

Aileen Schneider, seit 2020/21 Regieassistentin und Spielleiterin an der Oper Frankfurt, inszenierte in der Vergangenheit u.a. Philip Glass‘ In der Strafkolonie nach Franz Kafka am Staatstheater Augsburg sowie The Sound of Voice, ebenfalls von Philip Glass, an der Hamburger Staatsoper. Am Pult steht Karsten Januschke, ehemaliger Kapellmeister der Oper Frankfurt, der hier zuletzt Vorstellungen von Jacques Offenbachs Die Banditen leitete. Gastengagements führten ihn in den vergangenen Spielzeiten u.a. an die Staatsoper Stuttgart, die Semperoper Dresden, die Komische Oper Berlin sowie mehrfach an das Nationaltheater Prag.
In der Titelpartie der Melusine ist Sopranistin Anna Nekhames zu erleben, die in der laufenden Spielzeit bereits die Partien der Aksinja (Lady Macbeth von Mzensk) und der Fünfzehnjährigen (Lulu) übernahm. Kürzlich trat sie beim Rheingau Musik Festival auf und sang in Begleitung des Orchestra e Coro Sinfonica di Milano unter der Leitung von Emmanuel Tjeknavorian in Carl Orffs Carmina Burana.
Die Partie der Pythia gestaltet Zanda Švēde. Seit der Spielzeit 2018/19 im Ensemble der Oper Frankfurt, begeisterte sie hier in charakterstarken Partien wie Carmen, Xerxes und Herodias (Salome). Angeführt von Liviu Holender als Graf von Lusignan, sind fast alle weiteren Rollen mit aktuellen oder ehemaligen Mitgliedern des Frankfurter Ensembles besetzt.




Premiere / Frankfurter Erstaufführung 

Sonntag, 15. Juni 2025, um 18.00 Uhr im Opernhaus


ALCINA 
Oper in drei Akten von Georg Friedrich Händel
In italienischer Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln

 Julia Jones (Musikalische Leitung;
Bildnachweis: Daniel Häker)
Musikalische Leitung: Julia Jones; Inszenierung: Johannes Erath
Mitwirkende: Monika Buczkowska-Ward (Alcina), Elmar Hauser (Ruggiero), Katharina Magiera (Bradamante), Shelén Hughes (Morgana), Clara Kim (Oberto), Michael Porter (Oronte), Erik van Heyningen (Melisso)

Weitere Vorstellungen: 22., 25., 28. Juni, 2., 4., 6. (15.30 Uhr) Juli 2025
Soweit nicht anders angegeben, beginnen diese Vorstellungen um 18.00 Uhr. Preise: € 16 bis 190 (12,5% Vorverkaufsgebühr nur im externen Vorverkauf)
Mit freundlicher Unterstützung des Frankfurter Patronatsvereins – Sektion Oper 

Von Georg Friedrich Händel (1685-1759) anlässlich ihrer Uraufführung im Londoner Covent Garden Theatre 1735 als „Zauberoper“ angekündigt, kreist die Opera seria Alcina um Liebe und Macht, aber auch um Magie, Manipulation und Verstellung.

Die Titelheldin, eine unglückliche Zauberin aus dem Renaissance-Versepos Orlando furioso, vergnügt sich auf ihrer magischen Insel mit wechselnden Liebhabern, derer sie sich alsbald durch die Verwandlung in Tiere oder Gestein entledigt. Jenseits der Zauberei ist Alcina eine charismatische Frau, die ihre politische Macht und die Leidenschaft ihrer unzähligen Liebhaber durch eigene Kraft errungen hat. Doch ihre Magie schwindet, als sie sich in Ruggiero verliebt. Er verirrt sich in Alcinas Reich und erliegt ihrer Verführung. Auch ihm würde das Schicksal seiner Vorgänger drohen, wäre da nicht seine Verlobte, Bradamante, die ihn (als Ricciardo verkleidet) zu retten und die Macht Alcinas zu zerstören versucht. Das schwindelerregende Liebeskarussell dreht sich weiter: Alcinas Schwester Morgana verliebt sich in „Ricciardo“ und macht Oronte, ihren Geliebten, eifersüchtig. Das Gefühlschaos wird vollständig, als Ruggiero glaubt, dass die als Ricciardo verkleidete Bradamante Alcina verführen wolle…

Ihre Modernität erweist die Oper nicht zuletzt darin, dass sie eine starke Frauenfigur in den Mittelpunkt stellt, wenngleich diese im Laufe der Oper einen tragischen Untergang erlebt. Getragen wird die Handlung von federnd rhythmischer, unermüdlich vorantreibender Barockmusik, aus der besonders die Countertenor-Sarabande „Verdi prati“ und die Sopran-Arie „Ah! mio cor! schernito sei!“ hervorstechen. Als Alcina wird Monika Buczkowska-Ward zu erleben sein, die seit der Saison 2020/21 zum Ensemble der Oper Frankfurt gehört. Als Ruggiero gastiert der junge Countertenor Elmar Hauser, der zuletzt als „Nachwuchskünstler des Jahres“ in der Zeitschrift Opernwelt nominiert war. Der Countertenor, der zuvor bereits Orfeo und Ariodante sang, gewann im Sommer 2024 den 1. Preis des Concorso Lirico Internazionale „CLIP“ in Portofino. Der Part der Bradamante wird von Katharina Magiera übernommen, und als Morgana steht Shelén Hughes auf der Bühne, die in diesem Jahr bereits den George and Nora Foundation Competition gewann und Finalistin des Gesangswettbewerbs „Renata Tebaldi“ war. Als Oberto, Oronte und Melisso begeistern die jungen Sängerinnen und Sänger Clara Kim, Michael Porter und Erik van Heyningen. Am Pult des Opern- und Museumsorchesters steht Julia Jones, die an der Oper Frankfurt zuletzt die musikalische Leitung von L’italiana in Londra (Cimarosa) übernahm. 

Die Neuinszenierung von Johannes Erath begreift Händels vielschichtige Charaktere als Figuren am Scheideweg: Wie verhalten sie sich in Extremsituationen? Wie reagieren sie auf unerwartete Wendungen? Wie ändern sich ihre (Irr-)Wege, Obsessionen und ihre Gefühle an einem besonderen Ort, auf einer „Zauberinsel“, wo die gesellschaftlichen Normen außer Kraft gesetzt sind? Wie weit reicht Alcinas Kunst, die Macht ihrer „Magie“?




Erste Wiederaufnahme 

Samstag, 21. Juni 2025, um 19.30 Uhr im Opernhaus



LA DAMOISELLE ÉLUE
Poème lyrique von Claude Debussy

Johanna Wokalek (Jeanne d'Arc); 
Bildnachweis: Barbara Aumüller)
JEANNE D’ARC AU BÛCHER
Dramatisches Oratorium von Arthur Honegger
In französischer Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln



Musikalische Leitung: Titus Engel; Regie: Àlex Ollé
Mitwirkende La Damoiselle élue: Elizabeth Reiter (Die Auserwählte), Katharina Magiera (Eine Erzählerin)
Mitwirkende Jeanned’Arc au bûcher: JohannaWokalek(Jeanned’Arc), SébastienDutrieux (BruderDominique), Idil Kutay (Die Heilige Jungfrau), Elizabeth Reiter (Heilige Margarethe), Katharina Magiera (Heilige Katharina), Peter Marsh (Porcus, Ein Herold, Kleriker), Kihwan Sim (Stimme, Ein Herold).

Weitere Vorstellungen: 27., 29. (18.00 Uhr) Juni, 3., 5. Juli 2025
Soweit nicht anders angegeben, beginnen diese Vorstellungen um 19.30 Uhr. Preise: € 16 bis 121 (12,5% Vorverkaufsgebühr nur im externen Vorverkauf) 


Ein Opern-Doppelabend am Ende der Spielzeit 2016/17 kombinierte zwei höchst gegensätzliche Werke der Musikliteratur: die zwanzigminütige, als Frühwerk entstandene Kantate La Damoiselle élue des französischen Komponisten Claude Debussy (1862-1918) als seinerzeit Frankfurter Erstaufführung des Werks und das szenische Oratorium Jeanne d’Arc au bûcher des Schweizers Arthur Honegger (1892-1955). Regie führte der katalanische Regisseur Àlex Ollé, der dem international tätigen spanischen Künstlerkollektiv La Fura dels Baus angehört. Er legte mit dieser Produktion sein Frankfurter Hausdebüt vor, dem er 2019/20 seine Sicht auf Puccinis Manon Lescaut folgen ließ.

Der Doppelabend Damoiselle / Jeanne d’Arc erhielt enthusiastische Kritiken: „Ein unglaubliches Spektakel (…)“, resümierte seinerzeit die Kritikerin des Kulturportals www.faustkultur.de; und in der Süddeutschen Zeitung konnte man lesen: „Chor, Extrachor, später auch der Kinderchor der Oper Frankfurt und das Frankfurter Opern- und Museumsorchester laufen hier zu Hochform auf (…).“ Das besondere Interesse von Presse und Publikum erregte allerdings die Besetzung der Titelpartie von Jeanne d’Arc au bûcher mit der aus zahlreichen Theater- und Filmproduktionen bekannten deutschen Schauspielerin Johanna Wokalek (Der Baader Meinhof Komplex, Die Päpstin). Nun kehrt sie mit dieser Rolle anlässlich der ersten Wiederaufnahme an die Oper Frankfurt zurück. „In der Frankfurter Neuproduktion ist es Johanna Wokalek, die im Mittelpunkt des kaum anderthalb Stunden dauernden Werks steht und darin mit äußerster szenischer Wucht und darstellerischer Eindringlichkeit fasziniert.“ (Wiesbadener Kurier) 
 
In La Damoiselle élue schaut eine jung verstorbene Frau vom Himmel auf ihren Geliebten herab und gibt sich ihrer Sehnsucht hin. – Die Titelfigur von Jeanne d’Arc au bûcher reflektiert kurz vor ihrem Tod auf dem Scheiterhaufen Stationen ihres kurzen Lebens: Nach dem angeblich mit göttlicher Hilfe errungenen Sieg über England und Burgund im Hundertjährigen Krieg wird sie als Hexe angeklagt, um sehr viel später – rehabilitiert – zur französischen Nationalheldin zu werden.

Die ursprünglich für März 2020 geplante Wiederaufnahme des pausenlosen Doppelabends musste aufgrund der Pandemie abgesagt werden und kann nun, fünf Jahre später, endlich nachgeholt werden. Die musikalische Leitung der Wiederaufnahme liegt bei dem Schweizer Titus Engel, der als Spezialist sowohl für Alte als auch für Neue Musik gilt. 2013/14 debütierte er an der Oper Frankfurt mit Telemanns Orpheus im Bockenheimer Depot, 2016/17 gefolgt von Mozarts Betulia liberata am selben Ort. In der Folge leitete der Dirigent Vorstellungen von Salome und Maskerade sowie in der laufenden Spielzeit die Neuproduktion von Reimanns L’invisible. Die Besetzung bleibt im Vergleich zur Premiere größtenteils unverändert: So ist auch diesmal wieder an der Seite von Johanna Wokalek der französische Schauspieler Sébastien Dutrieux als Bruder Dominique zu erleben. Angeführt von Elizabeth Reiter (Die Auserwählte / Heilige Margarethe) und Katharina Magiera (Eine Erzählerin / Heilige Katharina) sind beide Künstlerinnen wie in der Premiere sowohl in La Damoiselle élue als auch in Jeanne d’Arc au bûcher zu erleben, im zuletzt genannten Werk an der Seite von Peter Marsh (u.a. Porcus) und der neu in die Produktion einsteigenden Idil Kutay (Die heilige Jungfrau). Die türkische Sopranistin wurde zur Spielzeit 2023/24 neu ins Frankfurter Opernstudio aufgenommen.



Liederabend

Dienstag, 3. Juni 2025, um 19.30 Uhr im Opernhaus  
Marina Rebeka (Sopran;
Bildnachweis: Jānis Deinats)


MARINA REBEKA, Sopran 
MZIA BAKHTURIDZE, 
Klavier 

Klavier- Werke von Giuseppe Verdi, Francesco Paolo Tosti, Ottorino Respighi, César A. Cui, Peter I. Tschaikowski und Sergei W. Rachmaninow 

Preise: € 16 bis 132 (12,5% Vorverkaufsgebühr nur im externen Vorverkauf)

Mit Marina Rebeka ist anstelle von Asmik Grigorian gleichfalls ein echter Weltstar in der Liederabend-Reihe der Oper Frankfurt zu erleben: Seit ihrem Durchbruch bei den Salzburger Festspielen 2009 ist die lettische Sopranistin auf allen großen internationalen Bühnen zuhause, darunter die New Yorker Metropolitan Opera, die Mailänder Scala, das Royal Opera House Covent Garden in London, die Wiener Staatsoper und das Opernhaus Zürich. Gemeinsam mit

Dirigenten wie Riccardo Muti, Zubin Mehta, Antonio Pappano oder Yannick Nézet-Séguin präsentiert Rebeka dabei ein Repertoire, das vom Barock über den Belcanto und Verdi bis hin zu Tschaikowsky und Britten reicht. Neben zahlreichen preisgekrönten Aufnahmen bei Labels wie Warner Classics, Deutsche Grammophon, Decca und BR-Klassik entwickelt die Sopranistin zudem immer wieder spannende Konzert- und Liederabendprogramme –auf das Frankfurt-Debüt dieser Ausnahmekönnerin darf man entsprechend gespannt sein. 

Karten für die genannten Veranstaltungen sind bei unseren bekannten Vorverkaufsstellen, online unter www.oper-frankfurt.de oder im telefonischen Vorverkauf 069 - 212 49 49 4 erhältlich.

 

Samstag, 31. Mai 2025

Severin Groebners Neuer Glossenhauer #71: Schon gehört?

 

Da werd’ ich doch gelb vor Empörung! © Foto: Dominic Reichenbach / Artwork: Claus Piffl


























Schon gehört?

Dieser Newsletter kommt zu spät. Viel zu spät.
Aber ich musste mich erst erholen. Von den Nachrichten. Und den Reaktionen darauf. Habt Ihr das gehört:
„Am Hamburger Hauptbahnhof sticht eine geistig verwirrte Frau um sich und verletzt mehrere Menschen, teilweise sogar sehr schwer.“

Das war die schreckliche Meldung.
Dann kamen die Reaktionen.

Da waren sofort Politiker in den Sozialen Medien, die gesagt haben: „Da muss man etwas tun! Das geht doch nicht so weiter! Das ist das Resultat sich unkontrolliert ausbreitender Frauenrechte, die in unserer Gesellschaft überhand genommen haben.“
Und dann waren auch gleich Männer aus der Öffentlichkeit zu hören, die meinten, sie würden sich tagsüber gar nicht mehr aus dem Haus trauen, weil das Straßenbild von Frauen dominiert wird. Frauen, von denen nicht wenige aggressiv wirkten.

Natürlich gab es kurz Einwände, dass diese Frauen vielleicht abgekämpft und müde wären, von der Doppelbelastung schlecht bezahlter Job und stressige Familie. Aber die wurden schnell zur Seite gewischt von einem beherzten Patriarchen, der im eleganten Anzug aufgestanden ist und mit sonorer Stimme gesagt hat: Man könne diese Probleme von gewaltorientierten Frauen in der Öffentlichkeit nicht mehr klein reden. Und auch das Argument, die Frau wäre geistig verwirrt, lasse er auch nicht gelten, schließlich wäre diese Verwirrtheit im Charakter des Weibes bereits angelegt.
Und dann hat er ein bisschen jovial gelacht.

Aber Recht habe er, sagen daraufhin andere, denn dass Frauen diese psychischen Herausforderungen haben, das würden nicht nur führende Biologisten und Incels sagen, nein, das sage einem doch der gesunde Männerverstand.
Da nimmt die Debatte Fahrt auf. Profilneurotische Prominente mit Testikeluntergrund fordern auf YouTube Männerschutzzonen. Ein Boulevard-Blatt titelt: „Kommt jetzt das Frauenverbot auf öffentlichen Plätzen?“ Einer prägt die Formulierung: „Wenn ich einen Handtasche sehe, habe ich Angst.“ Schließlich wisse er nicht, was da drinnen ist. Vielleicht Strickzeug? Mit langen langen Nadeln!?

Das ist eine gute Gelegenheit, dass auch andere, neue, unbekannte Gefahren entdeckt werden können. Stricken zum Beispiel. Dieser Trend des Knitting, der sich übers Internet immer mehrt verbreite. Schon hört man die besorgten Warnungen: Jugendliche kommen auf die Wolle. Handarbeitsunterricht ist eine Einstiegsdroge!
„Wir haben früher noch Karten gespielt, Schwule verprügelt oder einfach grundlos uns die Birne weggesoffen, heute fangt die Jugend dagegen immer öfter mit dem Stricken an.“, klagen um den Nachwuchs besorgte Burschenschafter.
Und dass das Ortsschild der oberösterreichischen Gemeinde Nitting regelmäßig von Unbekannten nachts entwendet werden würde, wäre da noch die harmloseste Entwicklung.

Gegenargumente dringen kaum mehr durch. Dass die Frau in Hamburg ja ein Messer und keine Stricknadeln verwendet hatte und obendrein geistig verwirrt war, interessiert da nicht mehr.  Wer kennt schon den Unterschied zwischen Messer und Nadeln? Beides Gegenstände, die Frauen in diesem seltsamen Ritus der „Haushaltsführung“ verwenden. Echte Männer verstehen davon nichts - und wollen auch nichts verstehen.
Und wessen Oma selbst noch gestrickt hat, der schweigt jetzt besser verschämt.

„Strickverbote jetzt! Die Feminisierung unserer Jugend muss aufgehalten werden! Sonst ist Hamburg bald überall!“, schallt es da schon aus der AfD.
Auf die Behauptung, dass die AfD mit Alice Weidel selbst eine Frau als Vorsitzende hat, reagiert die Partei mit einer Presse-Erklärung: Frau Weidel würde ja selbst auf Frauen stehen, wäre damit eigentlich ein echter Kerl. Man solle sich im Gegenteil mal lieber die Gleichstellungsbeauftragten dieser Republik genauer anschauen. Das wären doch die Menschen, die der aggressiven Ideologie der Gleichwertigkeit der Geschlechter und damit dem Messer- und Stricknadelterror den Weg bereiten würden.
Gerüchte, dass die Attentäterin eine Stelle bei der Stadt im Bereich Familienbetreuung hatte, werden rasch widerlegt  - und trotzdem weiter fleißig auf allen Plattformen geteilt.

Nach wenigen Tagen beginnen selbsternannte „Männerschutzbünde“ in den Innenstädten zu patrouillieren. Es kommt zu Übergriffen, wahllos werden Frauen jedes Alters niedergeschlagen. „Penistragende Europäer gegen die Feminisierung des Vaterlandes“ finden sich zusammen.
In Interviews stellen sich die lautstarken, gewaltbereiten Demonstranten als Opfer dar und fordern, Deutschland müsse endlich „von den Taliban“ lernen.
Und dann …

…ist Schluss.
Denn das habt Ihr natürlich nicht mitbekommen.
Hat ja auch nicht stattgefunden.
Und es gibt ja auch in Oberösterreich keine Gemeinde namens Nitting. Nein, die liegt in Frankreich.

Und auch sonst wäre so eine Reaktion undenkbar.
Denn nach diesen Maßstäben wären ja auch nach der Amokfahrt von Mannheim im März, bei der zwei Menschen getötet wurden und mehrere andere teilweise schwer verletzt, alle Autos verboten worden.
Oder nachdem im Mai in Berlin ein Polizist von Fussballfans bewusstlos geprügelt worden war, hätte man sicher auch sämtliche Fussballspiele abgesagt und die gesamte Sportart samt ihrer aktiven Sportler, Fans und Funktionäre polizeilich überprüft.
Und nach dem Mord an einer 30jährigen in Augsburg hätte es ja auch eine Rasterfahndung unter Einbeziehung aller Männern der gesamten Bundesrepublik gegeben.

Weil das nämlich jemand gefordert hätte.
Nur, das fordert keiner.
Das ist unsinnig. Geht ja nicht.

Also geht schon. Aber nur, wenn die verdächtigen Gewalttäter Ausländer sind. Oder Einwanderer. Oder Asylwerber. Dann geht’s.
Dann heißt es wieder: „Habt Ihr schon gehört? Da muss man etwas tun!“

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groebner live:
„ÜberHaltung“ - letzte Chance
30.5. 
Kabarett Niedermair Wien - 13.6. Lustspielhaus München

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„Nicht mein Problem“
Monatsrückblick in den „Radiospitzen“ auf Radio Bayern2 - 31.5. 15:05 & 22:00

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Auftritt im 
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Mittwoch, 28. Mai 2025

Fantasien zur Nacht (Music): Ariana Grande - God is a woman

 





Lyrics:

You, you love it how I move you
You love it how I touch you
My one, when all is said and done
You'll believe God is a woman
And I, I feel it after midnight
A feelin' that you can't fight
My one, it lingers when we're done
You'll believe God is a woman
I don't wanna waste no time, yeah
You ain't got a one-track mind, yeah
Have it any way you like, yeah
And I can tell that you know I know how I want it
Ain't nobody else can relate
Boy, I like that you ain't afraid
Baby, lay me down and let's pray
I'm tellin' you the way I like it, how I want it
And I can be all the things you told me not to be
(Yeah)
When you try to come for me, I keep on flourishing
(Yeah)
And he see the universe when I'm the company
It's all in me
You, you love it how I move you
You love it how I touch you
My one, when all is said and done
You'll believe God is a woman
And I, I feel it after midnight
A feelin' that you can't fight
My one, it lingers when we're done
You'll believe God is a woman
I'll tell you all the things you should know
So, baby, take my hand, save your soul
We can make it last, take it slow, hmm
And I can tell that you know I know how I want it, yeah
But you're different from the rest
And boy, if you confess, you might get blessed
See if you deserve what comes next
I'm tellin' you the way I like it, how I want it
And I can be all the things you told me not to be
(Yeah)
When you try to come for me, I keep on flourishing
(Yeah)
And he see the universe when I'm the company
It's all in me
You, you love it how I move you
You love it how I touch you
My one, when all is said and done
You'll believe God is a woman
And I, I feel it after midnight
A feelin' that you can't fight
My one, it lingers when we're done
You'll believe God is a woman, yeah, yeah
Yeah, yeah
(God is a woman, yeah)
My one
(One)
When all is said and done
You'll believe God is a woman
You'll believe God
(God is a woman)
Oh, yeah
(God is a woman, yeah)
(One)
It lingers when we're done
You'll believe God is a woman




Du, du liebst es, wie ich dich bewege.
Du liebst es, wie ich dich berühre.
Mein Einziger, wenn alles gesagt und getan ist,
wirst du glauben, dass Gott eine Frau ist.
Und ich, ich spüre es nach Mitternacht,
ein Gefühl, gegen das du nichts ausrichten kannst.
Mein Einziger, es bleibt, wenn wir fertig sind,
wirst du glauben, dass Gott eine Frau ist.
Ich will keine Zeit verschwenden, ja
Du bist nicht einseitig, ja
Mach es so, wie du willst, ja
Und ich kann dir sagen, dass du weißt, dass ich weiß, wie ich es will
Niemand sonst kann das nachvollziehen
Junge, ich mag es, dass du keine Angst hast
Baby, leg mich hin und lass uns beten
Ich sage dir, wie ich es mag, wie ich es will
Und ich kann all das sein, was du mir verboten hast
(Ja)
Wenn du versuchst, mich zu bekommen, blühe ich weiter auf
(Ja)
Und er sieht das Universum, wenn ich in seiner Gesellschaft bin
Es ist alles in mir
Du, du liebst es, wie ich dich bewege
Du liebst es, wie ich dich berühre
Mein Einziger, wenn alles gesagt und getan ist
Wirst du glauben, dass Gott eine Frau ist
Und ich, ich spüre es nach Mitternacht
Ein Gefühl, gegen das du nicht ankämpfen kannst
Mein Einziger, es bleibt, wenn wir fertig sind
Du wirst glauben, dass Gott eine Frau ist
Ich werde dir alles sagen, was du wissen solltest
Also, Baby, nimm meine Hand, rette deine Seele
Wir können es dauerhaft machen, lass es langsam angehen, hmm
Und ich kann dir sagen, dass du weißt, dass ich weiß, wie ich es will, ja
Aber du bist anders als die anderen
Und Junge, wenn du beichtest, wirst du vielleicht gesegnet
Sieh, ob du verdienst, was als Nächstes kommt
Ich sage dir, wie ich es mag, wie ich es will
Und ich kann all das sein, was du mir verboten hast
(Ja)
Wenn du versuchst, mich zu bekommen, blühe ich weiter auf
(Ja)
Und er sieht das Universum, wenn ich in seiner Gesellschaft bin
Es ist alles in mir
Du, du liebst es, wie ich dich bewege
Du liebst es, wie ich dich berühre
Mein Einziger, wenn alles gesagt und getan ist
Wirst du glauben, dass Gott eine Frau ist
Und ich, ich spüre es nach Mitternacht
Ein Gefühl, gegen das du nicht ankämpfen kannst
Mein Einziger, es bleibt, wenn wir fertig sind
Wirst du glauben, dass Gott eine Frau ist, ja, ja
Ja, ja
(Gott ist eine Frau, ja)
Mein Einziger
(Einziger)
Wenn alles gesagt und getan ist
Wirst du glauben, dass Gott eine Frau ist
Du wirst an Gott glauben
(Gott ist eine Frau)
Oh, ja
(Gott ist eine Frau, ja)
(Einziger)
Es bleibt, wenn wir fertig sind
Du wirst glauben, dass Gott eine Frau ist


Wie war's bei Wagners PARSIFAL in der Frankfurter Oper unter der Regie von Brigitte Fassbaender?

 


Ian Koziara (Parsifal) umringt von
Klingsors Zaubermädchen und Chor
Foto: Monika Rittershaus



Brigitte Fassbaender (85) beweist mit ihrer Inszenierung von Richard Wagners Parsifal an der Oper Frankfurt im Mai 2025 einmal mehr ihre außergewöhnliche Fähigkeit, klassische Werke neu zu denken und ihnen eine andere gesellschaftliche Dimension zu verleihen. Ihr Parsifal zusammen mit dem Dirigent Thomas Guggeis verkörpert eine Interpretation, die sich vom traditionellen religiösen, archaischem Heldentum des Mannes distanziert und stattdessen eine entmythologisierte Sichtweise auf das Werk bietet. Eine  beeindruckende Leistung, die sicherlich noch lange diskutiert wird. Die musikalische Qualität der Aufführung dank Guggeis muss hier betont werden, insbesondere die herausragenden Leistungen von Ian Koziara (Parsifal), Nicholas Brownlee (Amfortas), Jennifer Holloway (Kundry) und Andreas Bauer Kanabas (Gurnemanz) sowie Iain Macneil (Klingsor) neben den Gralsrittern und Klingsors Zaubermädchen.

Der erste Aufzug zieht sich etwas zäh in seiner langsamen, kontemplativen Entwicklung dahin. Fassbaenders Ansatz mit der ironischen modernen Brechung der Mystik mit der fast brechtschen Kundry schafft es nur teilweise, die Grundstruktur des ersten Aufzugs zu überwinden. Der zweite Aufzug ist deutlich belebter und dramatischer, der dritte wieder etwas weniger Bewegung, aber Gruppenbilder und entspannte Aussicht auf ein positives Ende. 

Es gibt einige interessante Parallelen zwischen Wagners Parsifal und Wolfram von Eschenbachs Parzival. Wagner hat sich stark von Wolframs mittelalterlichem Epos inspirieren lassen, aber er verändert zentrale Aspekte der Geschichte und ihrer Bedeutung. Sowohl bei Wolfram als auch bei Wagner steht die Suche nach dem Gral im Mittelpunkt. Doch während Wolframs Parzival eine klassische ritterliche Entwicklung durchläuft, ist Wagners Parsifal stärker von religiöser Symbolik und Erlösungsideen geprägt.
In beiden Werken leidet der Gralskönig Amfortas an einer schweren Wunde, die ihn daran hindert, seine Aufgabe zu erfüllen. Der eigene Speer, Zeichen der Macht, wird gegen den Besitzer gewendet, bei Wolfram ist die Wunde eine Folge eines Kampfes, während sie bei Wagner eine tiefere metaphysische Bedeutung erhält – als Strafe für sündhafte Begierde.
Klingsor, Herr der verführerischen Zaubermädchen, fügte ihm die Wunde zu, als Amfortas sich Kundry annäherte. In Wolframs Version ist Kundry eine vielschichtige Figur, die Parzival auf seiner Reise begleitet. Wagner macht sie zu einer verfluchten Frau, die zwischen Verführung und Erlösung schwankt. In Wolframs Parzival ist die entscheidende Handlung, dass Parzival die richtige Frage stellt („Was fehlt dir?“), um den Gralskönig zu erlösen. Wagner übernimmt dieses Motiv, aber er erweitert es um eine tiefere spirituelle Dimension. Wagner hat dennoch Wolframs mittelalterliche Erzählung verwendet, um sie zu einem frauenfeindlichen, männerheroischen Bühnenweihfestspiel mit einer Mischung aus christlicher Symbolik und mythologischen Themen zu transformieren.

Die Inszenierung Fassbaenders hebt die Geschlechterproblematik und Rolle der Frau hervor, gibt dem Gralskult etwas ganz Merkwürdiges, es ist eine Versammlung von Männern, die bei Berührung mit Frauen zum ewig körperlich und seelisch verletzten, entmachteten Antihelden werden. Erst die Hilfe eines Unbefleckten, eines „reinen Tors“ kann den Fluch zum Weichen bringen. Die Wiederherstellung der heroischen Männlichkeit durch Rückkehr der Kampfkraft durch einen Helfer. Für Amfortas ist der Gralskelch voll mit reinem Blut der Helden, die durch Frauen vom rechten Weg abgebracht wurden. Auch Amfortas blutet ohne Ende, aufgrund seiner ewigen Schmach des Fehltritts. Er sucht den Tod, will getötet werden zur Erlösung wie einst Jesus. Diese radikale Umdeutung des vergossenen Blutes Jesu bedeutet nichts anderes als ein Fortrücken von Religion hin zu einer Ersatzmythologie frauenfeindlicher Geister, was geradezu absurd erscheint, aber in den Männerbündnissen der Nazis, der soldatischen Kameradschaft und durch Hitler gefeiert wurde.

Die Verweltlichung, Unschärfe sakraler Elemente soll wohl durch die unscharfe Projektion von Claude Monets „Kathedrale von Rouen“ als Pausenbild verdeutlicht werden. Ich bin davon nicht begeistert, sie wirkte nicht überzeugend, wobei die weltliche Ausrichtung der Kirche wie die Einmischung des Vatikans in die (Rassen-)Politik ja dadurch angedeutet wird. Diese Assoziation bleibt dennoch blass.

Fassbaender unterläuft bewusst das Pathos von Wagners Bühnenweihfestspiel und zeigt eine Welt, in der die alten Rituale an Wert verlieren. Die Gralsenthüllung im zweiten Aufzug wird nicht als mystischer Höhepunkt inszeniert, sondern als rituelle Anbetung eines überdimensionalen Kelches mit Blut gefüllt, um den herum die Gralsritter, selbst kleine Jungen sind dabei, wohl alle im Junggesellenbund vereint, Brezeln essen und sich wie in einem Salon unterhalten. Die Getränkefrage lassen wir hier beiseite. Was aber ist mit den Müttern der Kinder? Schicken sie ihre Kinder gerne in einen solch elitären Kreis der Verzweifelten? Sind ihre Männer schwer gezeichnet durch den Zeugungsakt? Oder ist dies alles nur den latent Homosexuellen vorbehalten?

Die Gralsenthüllung als Blutverheißung unterläuft die übliche mystische Erhabenheit und gibt dem Ritual eine fast makabre Note. Statt einer transzendentalen Offenbarung scheint hier eine düstere Realität durchzuschimmern: ein Bund, der sich nicht durch göttliches Licht, sondern durch Opfer und Schmerz erhält, durch das Leiden von geschädigten Männern, die seit ihrer Verletzung der Tabus durch unerlaubten Frauenkontakt sozusagen fast schon psychisch behindert sind. 

Interessanterweise gibt es eine einfache Lösung des Problems. Wenn geschädigte Männer sich von ihrem Leid, ihrer Schmach trennen, indem sie diese nicht mehr als solche wahrnehmen, steht der Weg zur Liebe offen. Sie können sich frei und ungezwungen um ihre Geliebte kümmern und das Dasein endlich genießen. 



v.l.n.r. Jennifer Holloway (Kundry), Ian Koziara (Parsifal) und
Nicholas Brownlee (Amfortas) sowie Ensemble

Foto: Monika Rittershaus


Die Geliebte hier ist Kundry, eine der vielschichtigsten und faszinierendsten Figuren in Wagners Parsifal. Sie verkörpert widersprüchliche Rollen und bewegt sich zwischen Verführung, Fluch und Erlösung. Kundry erscheint in zwei vollkommen gegensätzlichen Formen. Im zweiten Aufzug ist sie die sinnliche Verführerin, die Parsifal mit ihren Worten und ihrer Leidenschaft zu Fall bringen will. Sie steht im Dienst von Klingsor, dem Zauberer, und verkörpert die Kraft der körperlichen Begierde. Im ersten und dritten Aufzug erscheint sie jedoch als dienende Büßerin der Gralsgemeinschaft, gezeichnet von ihrem ewigen Fluch. Sie ist rastlos, spricht abgehackt und zeigt große Verzweiflung über ihr Schicksal. Kundry trägt einen uralten Fluch: Sie hat einst über den leidenden Christus als Frau des Herodes gelacht und wurde dafür verdammt, ewig zwischen Leben und Tod umherzuirren. Ihre Rastlosigkeit und ihr Schicksal als ewige Dienerin zeigen sich in ihrem getriebenen Wesen. Die berühmte Szene im zweiten Aufzug, in der sie Parsifal küsst, ist ein entscheidender Moment. Sie offenbart ihm nicht nur körperliche Leidenschaft, sondern auch tiefere menschliche und emotionale Sehnsucht. Doch statt ihn zu gewinnen, führt dieses Erlebnis dazu, dass Parsifal die Verbindung zwischen Lust und Leid erkennt – die gleiche Verbindung, die Amfortas in seiner Wunde leidend hält.

Im traditionellen Deutungsmuster stirbt Kundry am Ende, nachdem Parsifal die Gralsgemeinschaft und Amfortas erlöst hat. Die Wunde Amfortas schließt sich, als er seinen Speer zurückbekommt. Doch in modernen Inszenierungen – wie der von Brigitte Fassbaender in Frankfurt – wird ihr Schicksal neu interpretiert. Hier entscheidet sie sich für eine eigene Zukunft, geht mit Amfortas, obwohl sie auch Parsifal liebt, und bricht mit der alten Ordnung. 

Kundry steht symbolisch für die ambivalente Sicht auf Weiblichkeit in Wagners Werk. Sie ist eine Gestalt, die einerseits mit Schuld und Verführung verknüpft wird, andererseits aber auch eine zentrale Rolle in der Erlösung und Veränderung spielt. In modernen Inszenierungen wird sie oft als eine starke, eigenständige Figur dargestellt, die aus den festgefahrenen Strukturen ausbricht.

Ihre Figur bleibt eine der vieldeutigsten in Wagners Werk – gefangen zwischen Vergangenheit und Zukunft, zwischen Fremdheit und Eingliederung, zwischen Sünde und Heil. 

Dem Speer gebührt auch viel Aufmerksamkeit: Der heilige Speer spielt eine zentrale Rolle und symbolisiert sowohl Macht als auch Erlösung. Amfortas verliert den Speer an Klingsor, der ihn gegen ihn wendet und ihm eine Wunde zufügt, die nicht heilt. Diese Verletzung wird zum Sinnbild für die unaufhörliche Qual und die Unfähigkeit der Gralsritter, sich selbst zu erneuern. Der Speer ist nicht nur eine Waffe, sondern auch ein Schlüssel zur Erlösung. Parsifal muss ihn zurückgewinnen, um Amfortas zu heilen und die Gralsgemeinschaft zu retten.  In Fassbaenders Inszenierung wird der Speer nicht als strahlendes Symbol der Reinheit gezeigt, sondern als ein Objekt mit ambivalenter Bedeutung. Klingsor übergibt ihn kampflos sterbend an Parsifal, was die Idee einer heroischen Eroberung unterläuft. Am Ende bringt Parsifal den Speer zurück, doch die Inszenierung verzichtet auf eine ausgebaute Erlösungsszene. Stattdessen bleibt vieles in der Schwebe. Als Phallussymbol der Macht bleibt er kontinuierlicher Begleiter, verletzt, tötet und heilt.  

Klingsors Reich ist als eine Art Gegenwelt zur Gralsgemeinschaft inszeniert – eine Welt der Sinnlichkeit, des Spiels und der Illusion. Besonders auffällig ist die Gestaltung des Zaubergartens, der als Nachbildung der Venusgrotte von Schloss Linderhof (Ludwig II.) erscheint.  Statt eines klassischen Zauberers wird Klingsor als eine Art Gentleman mit Zylinder dargestellt. Er zieht die Strippen in einem erotischen Brautgarten und herrscht über eine Welt, die mit der unterirdischen Venusgrotte identisch ist. Seine Zaubermädchen sind nicht nur Verführerinnen, sondern auch Teil eines Spiels, das Klingsor kontrolliert. Verfällt ein Gralsritter einem Mädchen ist er verletzt und für immer ein Blutender. Ihre Bewegungen sind leicht und verspielt, im Kontrast zur schweren, leidvollen Welt der Gralsritter. In dieser Umgebung wird Kundry nicht nur als Verführerin gezeigt, sondern als eine Figur, die zwischen beiden Welten hin- und hergerissen ist. Keine Frage, dass die Identität in einer solchen Männerwelt schwer wanken kann.

Gerade in einer modernen Inszenierung wie der von Brigitte Fassbaender wird deutlich, wie stark sich Dogmen durch Interpretation verändern lassen. Statt die ursprüngliche Sichtweise zu übernehmen, nutzt sie meisterhaft die Struktur von Parsifal, um festgefahrene Ideen zu hinterfragen. Aber zugleich bleibt Wagner in seiner Musik und seinem Gedankengebäude präsent – es ist eine feine Balance zwischen Treue zum Original und kritischer Neuinterpretation.