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Dichterhain, Bände 1 bis 4

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Dichterhain, Bände 5 bis 8

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Dienstag, 23. Dezember 2025

Schule und Rechtsradikalismus (Teil II) - Vom Schulproblem über die Radikalisierung zum Drogendeal


Schulschwierigkeiten, Rechtsradikalisierung und der Weg in den Drogenmarkt

Radikalisierung ist selten ein linearer Prozess. Zwischen schulischem Scheitern und politischem Extremismus liegt häufig ein sozialer Zwischenraum, den Sicherheitsbehörden und Jugendforschung seit Jahren beschreiben: "informelle Ökonomien", gemeint sind damit inoffizielle Tätigkeiten, also Schwarzeinnahmen in diversen Bereichen, hier insbesondere der lokale Drogenhandel und/oder Schwarzarbeit, teils gekoppelt mit Sozialgeldbezug. Dieser Raum wirkt weniger als Ursache, sondern als Beschleuniger von Radikalisierung, indem er ökonomische Teilhabe, Status und Gewalt normalisiert ... im Sinne von "ich bin ja doch etwas wert" (BKA 2024; bpb 2023).

Schulversagen und der Verlust institutioneller Bindung

Empirische Studien zeigen, dass Jugendliche mit instabilen Bildungsbiografien* ein erhöhtes Risiko haben, sich dauerhaft von staatlichen Institutionen zu entfremden (DJI 2021; bpb 2022). Schulabbrüche, wiederholtes Sitzenbleiben oder frühe Aussonderung in wenig durchlässige Bildungsgänge erzeugen nicht nur Qualifikationsdefizite, sondern auch biografische Kränkungen.

Verfassungsschutzberichte verweisen darauf, dass rechtsextreme Milieus gezielt an diese Erfahrungen anknüpfen, indem sie Schule als Symbol eines „ungerechten Systems“ deuten (BfV 2024). Radikalisierung beginnt hier nicht mit Ideologie, sondern mit dem Gefühl, strukturell ausgeschlossen zu sein.

„Gescheiterte Schüler mit Geschäftssinn“

Polizeiliche Lagebilder zur Rauschgiftkriminalität beschreiben seit Jahren ein wiederkehrendes Muster: Im unteren bis mittleren Drogenhandel finden sich überdurchschnittlich häufig junge Männer mit abgebrochener Schullaufbahn, aber ausgeprägtem praktischem Organisations- und Geschäftssinn (BKA 2023).

Diese Akteure sind nicht primär suchtgetrieben. Sie handeln rational, nutzen lokale Netzwerke, digitale Kommunikationswege und informelle Vertriebsstrukturen. Der illegale Markt bietet ihnen etwas, das Schule und regulärer Arbeitsmarkt nicht mehr leisten: Anerkennung, Einkommen und Handlungsmacht (DJI 2021).

Schnittstellen zwischen Drogenmilieu und rechtsextremer Szene

Verfassungsschutzberichte und investigative Recherchen zeigen, dass sich in strukturschwachen Regionen zunehmend Mischmilieus bilden, in denen Drogenkonsum, gelegentlicher Handel, Kampfsport und rechtsextreme Radikalisierung überlappen (BfV 2024; Correctiv 2023).

  • Dabei geht es weniger um organisierte Kriminalität als um lokale Kleingruppen, die
  • Drogenhandel zur Lebensfinanzierung nutzen,
  • Gewaltbereitschaft normalisieren und 
  • ideologische Versatzstücke (Teile der rechtsextremen Glaubenssätze, wie z.B. Rassismus, Judenhass) funktional einsetzen.

Ideologie wirkt hier häufig nachgeordnet. Sie liefert nachträglich eine moralische Rechtfertigung für einen bereits etablierten Lebensstil jenseits legaler Normen (bpb 2023).

Drogen als soziales Bindemittel

In diesen Milieus fungieren Amphetamine, Cannabis und zunehmend Kokain nicht nur als Konsumgüter, sondern als soziale Währung. Sicherheitsbehörden beschreiben Drogen als Mittel zur Herstellung von Loyalität, Abhängigkeit und Hierarchie (BKA 2024).

Rechtsextreme Akteure profitieren davon, weil sie:
  • Konsum rhetorisch externalisieren („entartet sind die anderen“),
  • Handel pragmatisch tolerieren,
  • und Gewalt als notwendiges Mittel der „Selbstbehauptung“ legitimieren (BfV 2023).
So verwischen die Grenzen zwischen politischer und krimineller Szene – insbesondere bei Jugendlichen ohne stabile Bildungs- und Erwerbsperspektive.

Regionale Beobachtungen: Westpfalz und Saarland

Lagebilder aus Rheinland-Pfalz und dem Saarland zeigen keine großflächigen Strukturen, wohl aber kleine, mobile Gruppen, die zwischen Drogenhandel, Gelegenheitskriminalität und politischer Radikalisierung wechseln (Verfassungsschutz RLP 2024; Saarland 2024).

Treffpunkte sind selten formale Orte wie Schulen oder Parteibüros, sondern:
  • Bahnhofsbereiche,
  • Parks,
  • private Wohnungen,
  • Fitnessstudios und informelle Treffpunkte.

Auffällig ist, dass der Einstieg meist ökonomisch erfolgt. Politische Radikalisierung folgt der sozialen Integration in ein Milieu – nicht umgekehrt (Correctiv 2023).

Prävention: Wo Bildung versagt, übernimmt der Markt

Der zentrale Befund ist unbequem: Wo Schule keine Perspektiven eröffnet und Übergänge in Ausbildung scheitern, entsteht ein Vakuum, das informelle Märkte füllen. Rechtsextremismus dockt dort an, wo ökonomische Rationalität ohne demokratische Einbettung entsteht (bpb 2023).

Wirksame Prävention muss deshalb Bildungs-, Sozial- und Sicherheitspolitik zusammendenken:
  • frühe Intervention bei Schulabbrüchen,
  • realistische Übergänge in Ausbildung,
  • Schulsozialarbeit mit Zeit und Handlungsspielraum,
  • gemeinsame Betrachtung von Extremismus und Kriminalität (BKA 2024).

Schluss

Schulschwierigkeiten, Rechtsradikalisierung und Drogenhandel sind keine identischen Phänomene, aber sie teilen strukturelle Ursachen: Exklusion, Anerkennungsdefizite und fehlende Perspektiven. Der Drogenmarkt wirkt dabei als Bindeglied zwischen gescheiterter Bildung und politischer Radikalisierung.

Wer Rechtsextremismus wirksam bekämpfen will, muss daher nicht nur Ideologien analysieren, sondern auch die sozialen und ökonomischen Zwischenräume, in denen sie anschlussfähig bei unseren Kindern und Jugendlichen werden. Im Schulbereich sind also vielmehr Fachkräfte erforderlich als nur die Lehrer, denn es geht um gescheiterte Erziehung zu Hause, ungeeignete Erziehungsinhalte, fehlendes Bildungsgut und mangelndes gesellschaftliches Bewusstsein wie Verantwortung. Das Spektrum reicht vom Sozialarbeiter über psychologische Krisenspezialisten bis hin zu polizeilichen Kräften in Zivil.


Ein wenig durchlässiger Bildungsgang ist ein Bildungsweg, bei dem Wechsel, Aufstiege oder Umstiege zwischen verschiedenen Schulformen oder Qualifikationsniveaus schwer möglich sind, nur durch vermehrte Zeitinvestition und Mühe.


Quellen

Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV).
(2023–2024). Verfassungsschutzberichte des Bundes und der Länder.
https://www.verfassungsschutz.de

Bundeskriminalamt (BKA).
(2023). Rauschgiftkriminalität – Bundeslagebild.
https://www.bka.de

Bundeskriminalamt (BKA).
(2024). Lagebild Politisch motivierte Kriminalität.
https://www.bka.de

Bundeszentrale für politische Bildung (bpb).
(2022–2024). Jugend, Radikalisierung und soziale Exklusion.
https://www.bpb.de

Deutsches Jugendinstitut (DJI).
(2021). Übergänge Schule–Beruf und soziale Exklusion.
https://www.dji.de

Correctiv.
(2023). Recherchen zu Mischszenen aus Extremismus und Kriminalität.
https://correctiv.org

Ministerium des Innern Rheinland-Pfalz.
(2024). Verfassungsschutzbericht Rheinland-Pfalz.
https://mdi.rlp.de

Ministerium für Inneres, Bauen und Sport Saarland.
(2024). Lagebild Politisch motivierte Kriminalität.
https://www.saarland.de/innenministerium


Montag, 22. Dezember 2025

Schule und Rechtsradikalismus (Teil I) - Schulschwierigkeiten als Einfallstor für Rechtsextremismus




Rechtsextremismus entsteht selten aus Ideologie allein. Empirische Forschung und Sicherheitsberichte zeigen seit Jahren, dass Radikalisierung häufig dort ansetzt, wo soziale Bindungen brüchig werden und institutionelle Anerkennung fehlt. Schule ist dabei kein Randfaktor, sondern einer der zentralen Orte gesellschaftlicher Integration – oder Desintegration (BfV 2024; bpb 2023).

Schule als Ort früher Exklusion

Für viele Kinder und Jugendliche in strukturschwachen Regionen – etwa in Teilen der Westpfalz oder des Saarlands – ist Schule der erste Ort, an dem sie systematisch erfahren, nicht mithalten zu können. Sprachdefizite, Lernschwierigkeiten, instabile familiäre Verhältnisse oder psychische Belastungen aus vielerlei Gründen sind bekannt, werden aber häufig nur verwaltet statt kompensiert. Verfassungsschutzberichte weisen darauf hin, dass gerade junge Menschen mit diskontinuierlichen Bildungsbiografien überdurchschnittlich häufig in extremistischen Milieus auftauchen (BfV 2024).

Was pädagogisch als „Förderbedarf“ beginnt, wird biografisch oft zur Stigmatisierung. Studien der Bundeszentrale für politische Bildung zeigen, dass frühe schulische Abwertung das Vertrauen in demokratische Institutionen nachhaltig untergräbt (bpb 2022).

Kränkung als politischer Rohstoff

Rechtsextreme Ideologien wirken nicht primär über Argumente, sondern über emotionale Umdeutung. Persönliches Scheitern wird externalisiert: Schuld sind „die da oben“, „das System“, „die Ausländer“. Schule erscheint in diesen Narrativen als Beweis für strukturelle Ungerechtigkeit – ein Motiv, das in rechtsextremer Propaganda regelmäßig aufgegriffen wird (KAS 2020).

So wird individuelle Frustration politisiert. Besonders anfällig sind Jugendliche, die keine Sprache für ihre eigene Ohnmacht entwickeln konnten, sie nie artukieren durften. Gewalt, Provokation und Abwertung ersetzen Anerkennung. Der Verfassungsschutz spricht hier von einem
Radikalisierungspfad über biografische Kränkungen, nicht über ideologische Schulung (BfV 2023).

Schulabbrüche und Übergangslosigkeit

Ein stabiler Befund aus Kriminologie und Extremismusforschung ist der Zusammenhang zwischen Schulabbrüchen, prekären Übergängen in Ausbildung und erhöhter Radikalisierungsanfälligkeit (BKA 2024). Besonders gefährdet sind junge Männer, die nach der Schule in Phasen von Arbeitslosigkeit, Gelegenheitsjobs oder "informeller Ökonomie" geraten. Mit diesem in gewisser Weise unpassenden Ausdruck sind Betriebe, meist Kleinbetriebe, sowie Selbstbeschäftigte gemeint, die nicht staatlich registriert sind und nicht zur steuerlichen Erfassung heranziehbar sind. Es ist Schwarzarbeit, die ihre Sozialversicherung durch Sozialgeldbezug anhängt.

In Regionen mit schwachem Ausbildungsmarkt – etwa in Teilen der Südwestpfalz – verstärkt sich dieses Risiko. Der Verlust gesellschaftlicher Anschlussfähigkeit erzeugt ein starkes Bedürfnis nach Zugehörigkeit. Rechtsextreme Gruppen bieten genau das: klare Rollen, einfache Erklärungen (unabhängig vom Wahrheitsgehalt), symbolische Aufwertung (Correctiv 2023).

Digitale Radikalisierung und schulische Überforderung

Schule hat ihr Monopol als Sozialisationsinstanz verloren. Digitale Räume prägen Identität früher und nachhaltiger als Unterricht. Verfassungsschutz und bpb, Bundeszentrale für politische Bildung, weisen übereinstimmend darauf hin, dass Radikalisierung heute häufig niedrigschwellig, fragmentarisch bzw. als punktuelle Reaktionsbildung erfolgt – über Chats, Gaming-Plattformen oder Social Media (bpb 2024).

Wer in der Schule scheitert, findet dort Anschluss. Problematisch ist weniger offene Propaganda als die Normalisierung von Abwertung und Gewaltfantasien. Ohne ausreichende Medienbildung und stabile pädagogische Beziehungen bleibt Schule hier oft machtlos.

Prävention beginnt bei Struktur, nicht bei Gesinnung

Der Zusammenhang zwischen Schulschwierigkeiten und Rechtsextremismus ist kein Automatismus, aber ein strukturelles Risiko. Prävention bedeutet daher nicht nur politische Bildung, sondern vor allem institutionelle Verlässlichkeit, die nicht überall gegeben ist: kleinere Klassen, belastbare Förderangebote, funktionierende Übergänge in Ausbildung und ausreichend ausgestattete Schulsozialarbeit (bpb 2023; Landesberichte RLP/Saarland).

Wo Schule als fairer Ort erlebt wird, verliert der Rechtsextremismus seine wichtigste Ressource: die Kränkung. Demokratie beginnt nicht mit Appellen, sondern mit der Erfahrung, gesehen und gebraucht zu werden.

Regionale Perspektive: Westpfalz und Saarland

In der Westpfalz und im Saarland treffen Bildungsungleichheit, Strukturwandel und demografische Schrumpfung zusammen. Sicherheitsberichte zeigen hier keine Massenbewegungen, wohl aber kleine, flexible rechtsextreme Gruppen, die besonders auf sozial abgehängte Jugendliche zielen (Verfassungsschutz RLP 2024; Saarland 2024).

Der entscheidende Punkt ist kein ideologischer Rechtsruck der Jugend, sondern eine
Erosion von Bindung. Rechtsextremismus schafft diese Probleme nicht – er organisiert sie politisch.

Wer Rechtsextremismus bekämpfen will, ohne über Schule zu sprechen, bekämpft Symptome, nicht Ursachen. Schulschwierigkeiten sind ein Frühindikator gesellschaftlicher Spaltung. Wo Schule scheitert, beginnt Radikalisierung oft leise – lange bevor sie sichtbar wird.


Quellenliste

Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV).
(2023–2024). Verfassungsschutzbericht des Bundes.
https://www.verfassungsschutz.de

Bundeskriminalamt (BKA).
(2024). Lagebild Politisch motivierte Kriminalität.
https://www.bka.de

Bundeszentrale für politische Bildung (bpb).
(2022–2024). Dossiers zu Rechtsextremismus, Jugend & Radikalisierung.
https://www.bpb.de

Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS).
(2020). Rechtsextreme Narrative, Emotionen und Radikalisierung.
https://www.kas.de

Ministerium des Innern Rheinland-Pfalz.
(2024). Verfassungsschutzbericht Rheinland-Pfalz.
https://mdi.rlp.de

Ministerium für Inneres, Bauen und Sport Saarland.
(2024). Lagebild Politisch motivierte Kriminalität.

Correctiv.
(2023). Recherchen zu rechtsextremen Netzwerken und Rekrutierungsstrategien.
https://correctiv.org

Sonntag, 21. Dezember 2025

Ukrainische Tradition: Shchedryk (Kiew) forever!

Mykola Leontowytsch





 

Shchedryk 

ein Lied, das um die Welt geht

  

 

Mykola Leontowytsch wurde 1877 in Podolien geboren, als Sohn eines Priesters. Er studierte Theologie, Musik, Chorleitung. Nichts an seinem Lebenslauf deutet auf Weltruhm hin. Er war Lehrer. Einer von vielen. Er unterrichtete Kinder, leitete Dorfchöre, sammelte Volkslieder – nicht aus folkloristischem Ehrgeiz, sondern aus der Überzeugung, dass in diesen Melodien etwas mitklang, das sonst verloren ginge: Erinnerung, Lebensgefühl, Identität.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts arbeitete Leontowytsch in verschiedenen Regionen der Ukraine, auch im Osten des Landes, im industriellen Grenzraum des später sogenannten Donbass. Eisenbahnen durchzogen die Landschaft, Kohle und Erz bestimmten den Alltag, Dampflokomotiven schrieben ihre Wolken in den Himmel. Es war eine Zeit der Umbrüche: Industrialisierung, politische Spannungen, das langsame Auseinanderbrechen des Zarenreichs.

In dieser Welt, fernab der Metropolen, arbeitete Leontowytsch an einem alten Volkslied, einer shchedrivka – also eigentlich einem Neujahrsgesang, der Wohlstand verheißt. Der Text ist schlicht: Eine Schwalbe fliegt ins Haus, kündet vom kommenden Glück. Kein Christentum, kein Pathos, kein Glockengeläut. Nur Wiederholung. Kreisende Bewegung. Erwartung.

Zwischen 1901 und 1919 bearbeitete Leontowytsch dieses Lied immer wieder neu. Fünf Fassungen sind überliefert. Er reduzierte, verdichtete, verschob Akzente. Aus der volkstümlichen Melodie entstand eine strenge, fast moderne Komposition: ein obsessives Ostinato, vier Töne, immer wiederkehrend, wie ein pochender Puls.

1916 wurde Shchedryk in Kyjiw erstmals öffentlich aufgeführt.

Kurz darauf zerfiel die Welt, in der es entstanden war.

Revolution, Bürgerkrieg, wechselnde Besatzungen. 1921 wurde Leontowytsch in seinem Elternhaus von einem Agenten der sowjetischen Geheimpolizei erschossen. Er war 43 Jahre alt. Sein Werk blieb, sein Leben endete durch Gewalteinwirkung der herrschenden KPdSU.

Doch sein Lied Shchedryk reiste weiter.

Der Ukrainische Nationalchor brachte das Lied nach Europa und in die USA. 1921 erklang es in der Carnegie Hall. Dort hörte es der Dirigent Peter J. Wilhousky, der Jahre später einen neuen englischen Text schrieb. Aus der Schwalbe wurden Glocken. Aus einem Neujahrslied ein Weihnachtslied. Der neue Titel: „Carol of the Bells“. Die Herkunft geriet in den Hintergrund, die Melodie blieb.

Mehr als hundert Jahre später liegt über denselben Regionen, in denen Leontowytsch arbeitete, wieder Krieg. Städte wie Pokrowsk stehen für Frontnähe, Evakuierung, Zerstörung. Wo einst Kinder sangen, stehen Häuser ohne Dächer. Anderes komplett zerstört und zerschossen. Wo Musik geprobt wurde, horchen Menschen auf Raketenalarme und anfliegende Drohnen. Die Geräuschkulisse hat sich sehr, sehr einseitig verändert, nicht jedoch die Tiefe der Erinnerung an Lieder, Gedichte, Literatur, Bilder.

Denn Musik, Literatur und Kunst sind widerstandsfähig. Sie brauchen keine Stille. Sie entstehen auch im Lärm, im Verlust, im Exil. Shchedryk hat Imperien überlebt, Ideologien, Morde, Kriege. Es klingt heute in Konzertsälen, Kirchen, Kaufhäusern – oft losgelöst von seiner Geschichte, und doch trägt es sie in sich.

freepik


 

 


Wenn in warmen Wohnungen zur Weihnachtszeit „Carol of the Bells“ erklingt, dann ist es mehr als ein festlicher Klang. Dann spricht darin eine andere Stimme mit: die eines Lehrers, der Noten schrieb, während draußen Züge fuhren und Schnee fiel; die Stimme einer Kultur, die nicht ausgelöscht werden konnte. Die Stimme des Herzens, der Leidenschaft, der Liebe zum Leben, ganz im Gegensatz zu den einfallenden Russen, die den Tod lieben. Und sie bekommen ihn millionenfach. 

Shchedryk ist kein harmloses Weihnachtslied. Es ist ein Dokument. Ein Beweis dafür, dass aus einem Funken Seelensprache, egal wo auf der Welt, ein Weltenmeer der Seelensprache und des Gefühls werden kann. Dass aus einem einfachen Volkslied eine globale Hymne der Liebe und Verzückung entstanden ist. Dass aus Schmerz Dauer der Liebe wächst.


Solange diese Melodie erklingt,
lebt die Ukraine weiter -
nicht als Symbol,
sondern als Stimme:
im Lied, im Gedächtnis,
und im Atem der winterkalten Luft.



7 Versionen von Hunderten 

 

Freitag, 19. Dezember 2025

Severin Groebners Neuer Newsletter #89 - Kritik des reinen Chorgesangs


Gesanglich immer zwischen Rosarot und Himmelblau © Foto: Dominic Reichenbach, Artwork: Claus Piffl

Kritik des reinen Chorgesangs

Und schon wieder ist aus dem Samstag ein Dienstag geworden.
Und wenn man so hinterher ist, weiß man dann eigentlich gar nicht, ob man seiner Zeit voraus oder eigentlich zu spät ist. Aber das weiß man ja zur Zeit überhaupt nicht. Sind das da draußen die späten Zwanzigerjahre des 21. Jahrhunderts oder doch die frühen Dreißigerjahre des 20.?
Es ist verwirrend. So wie die Weltlage ist, ist ja auch „verwirrend“ noch der freundlichste Ausdruck. Und humoristisch herausfordernd.
Da mir leider die nötigen Skills fehlen, ich also keinerlei Fähigkeit besitze, mich über Terrorismus lustig zu machen, konzentriere ich mich auf etwas anderes:
Den neuen Koralmtunnel zwischen Steiermark und Kärnten.

Ich hab früher immer geglaubt, man schreibt die Koralm eigentlich „Chor-Alm“ und vor meinem geistigen Auge stand da immer ein Chor zwischen Kühen auf grünen Wiesen oder verschneiten Hängen herum und hat vor sich hingeträllert. Das ganze Jahr. Zu jeder Witterung. Regen, Sonne, Nebel, Schnee… egal. DoReMiFaSoLaSiDoooo!
Deswegen sind dann auch alle stehen geblieben und haben der Musik gelauscht, weshalb sich ein Stau gebildet hat und nichts weiter gegangen ist.

Jetzt nach der Tunnel-Eröffnung singen die da oben immer noch weiter, aber die Bahn braust unter ihnen durch und keiner hört was vom Gesang. Von exakt jenem Gesang, den es ohnehin nur in meinem Kopf gegeben hat. Denn mein Kopf - das wissen regelmäßige Leser dieses Newsletters - ist recht immun gegen korrekte (oder korekkte? Oder korekte? Oder Chor-eckte?) Orthografie. Dafür gibt’s dort meist schöne Musik*.

Sonst beschäftigt er sich mit weniger schönen Fragen.
Wie zum Beispiel: Was machen eigentlich Außenminister?
Gut, bei den Außenministern der europäischen Staaten wissen wir, was sie tun. Die treffen sich regelmäßig in Brüssel, beraten die Lage, und wenn sie dann beraten haben, versuchen Sie mit dem Kollegen der USA in Kontakt zu treten und… tja, da fängt schon das Problem an. Mit wem wollen sie denn in den USA reden?
Denn der Außenminister der USA ist… verschwunden?
Wo ist der? Und was macht der eigentlich beruflich? Sicher etwas Wichtiges. In Dubio pro Rubio. Nur leider weiß man es eben nicht.

Das ist aber gerade Trend. Denn auf der anderen Seite der Beringstraße, in der von der Geheimdienst-Mafia geführten Großtankstelle namens Russland, gibt es ja auch keinen Außenminister mehr.
Lawrow, der Mann der mit seinem Namen (Love-Rough) und seinem Gesicht (erster Platz im Hermann-Monster-Look-a-Like-Contest ohne Schminke) die Schwierigkeit verkörperte, Russland zu mögen, einer der besten teuersten Speichellecker vom Capo di Capi ist ebenfalls verschwunden.
Wohin? Ist er aus einem Fenster gefallen? Hat er hat eine unheilbare Krankheit, weil er einen Tee getrunken hat? Oder hat er womöglich sein Gewissen entdeckt - und ist somit für das Regime unbrauchbar geworden?

Man weiß es nicht.
Der Trend geht jedenfalls weg vom Außenminister - hin zum Sondergesandten.
Vielleicht war das auch der Grund, warum die erste Reise vom deutschen Außenminister What-a-Fool nach China abgesagt wurde, weil der noch auf dem alten Protokoll bestanden hatte. Die Chinesen hätten ihn gerne mit frischgebackenen Sondergesandten überrascht, aber der Deutsche wollte so etwas Seltsames treffen, wie einen Amtskollegen.
Da mussten die Chinesen erst suchen, wo die den wieder abgestellt hatten.

Damit konnte ja in China keiner rechnen.
Denn die sind schon im 21. Jahrhundert. Die hätten wahrscheinlich für den deutschen Gast einen Chefunterhändler gehabt. Oder einen Reality TV Star. Oder einen Geheimdienstoffizier. Einen Schwiegersohn… oder sonst irgendwelche Menschen, die man plötzlich aus dem Hut zaubert und danach wieder verschwinden lässt.
Zusammen mit den „fixen Zusagen“, die sie gegeben haben.

So macht man das heute.
Nicht nur bei Verhandlungen, auch bei Öltankern.
Schwups. Und weg sind sie. Das sind die neuesten internationalen Gepflogenheiten: Öltanker kapern. Das macht Spaß. Die USA machen das. Der Iran macht das. Nur in Deutschland verbietet es das Höchstgericht. Auch hier also: Man hinkt in Germanien der Zeit hinterher.

Dieser Trend wird sich demnächst natürlich auch im politischen Personal niederschlagen. Mein Tipp für den nächsten US-Handelsminister: Johnny Depp.
Der hat mit seiner Rolle als Pirat in „Fluch der Karibik“ ausreichend Erfahrung für die Etikette des 21. Jahrhunderts gesammelt. Obendrein hat er ein Alkoholproblem, manchmal schwierigen Umgang mit dem weiblichen Geschlecht und neben seinem Nachnamen wirkt der des US-Präsidenten richtig intelligent.
Das sind so Leute, die jetzt in der US-Administration gebraucht werden.

Denn für die richtigen Aufgaben haben die ja… na? Genau: Sondergesandte.
Die verhandeln dann mit der Ukraine über einen Waffenstillstand. In Berlin.
Für die USA. Oder für Russland. Weiß man nicht so genau.
Ist ja sichtlich kein Nicht-nur-Gesandter, sondern ein Sondern-auch-Gesandter.

Auf jeden Fall singt er das Lied, des’ Brot er isst.
Denn das sind die neuen Aufgabengebiete - und damit sind nicht Gebiete gemeint, die man aufgeben muss (Muss man sich merken: Ein köstlicher Wortwitz für Verhandlungspausen mit Krimsekt) - des „diplomatischen Chors“.

Oder wie man das auch immer schreibt.

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groebner live:

Kommende Jahresrückblicke zusammen mit Tilman Birr & Elis C. Bihn als „Die Lesebühne Ihres Vertrauens“:
27. 12. im Filmklubb Offenbach.
28. 12. (bereits ausverkauft) und 29. 12. in der KÄS in Frankfurt.

Das neue Programm „Ich bin das Volk!“
Gibt’s am 2. und 3. Jänner im Kabarett Niedermair
Am 15. Jänner im Dachbodentheater in Bruck/Mur
Und am 16. und 17. Jänner im Theatercafé in Graz
Und am 24. Jänner in der ARGE Kultur in Salzburg

Alle Termine gibt es 
hier.

groebner gesehen:
Der freundliche Sender 3Sat hat mein Programm „
ÜberHaltung“ ausgestrahlt.
Für alle, die es noch nicht gesehen haben, die haben jetzt in der Mediathek (Achtung Wortwitz) 
das Nachsehen.

groebner gehört:
*Satire-Pop-Album 
„Nicht mein Problem“

Zusammen mit den sehr geschätzten Kolleginnen und Kollegen Fine Degen, Ella Carina Werner, Jess Jochimsen und Sascha Bendiks (ich schätze alle mindestens drei Jahre jünger) war ich auf Schloß Kapfenburg und habe dort bei für SWR Kultur die
„Nacht der Poeten“ mit lustigen Texten bestritten.
Teil eins könnt Ihr Euch hier 
anhören.
Teil zwei jetzt auch, nämlich 
hier.

„Ende der Welt“ auf Bayern 2 und in der ARD-Audiothek, wo ich nachdenke, wie eine 
Welle und das Verschwinden einer Regierung zusammenhängen könnte. Oder wie schwer das Leben auf Probe ist.

In Bayern 2 hab ich auch auf den 
November gerückblickt.

Und einen ganz neuen Song (ist die Zugabe vom neuen Programm, aber psst!) kann man direkt 
auf der Homepage hören.

groebner gefolgt:
Videos auf 
YouTube, auf Instagram oder auf Facebook zu sehen.



Der „Neue Glossenhauer“ ist ein Projekt der freiwilligen Selbstausbeutung, wer es dennoch materiell unterstützen will, hier wäre die Bankverbindung für Österreich:
Severin Groebner, Bawag, IBAN: AT39 6000 0000 7212 6709
Hier die jene für Deutschland:
Severin Groebner, Stadtsparkasse München, IBAN: DE51 7015 0000 0031 1293 64

Donnerstag, 18. Dezember 2025

Wie kann ich jemandem beim Ausstieg aus dem Drogenkonsum in der Westpfalz und im Saarland helfen?

Abhängigkeit
Bild von Okan Caliskan auf Pixabay

Der Weg aus dem „Sumpf“ der Abhängigkeit ist schwer, aber möglich. Entscheidend ist, dass Betroffene nicht alleine bleiben, sondern Unterstützung annehmen.

1. Erste Schritte
  • Ehrlichkeit mit sich selbst: Anerkennen, dass ein Problem besteht.
  • Vertrauen aufbauen: Mit Freunden, Familie oder Beratungsstellen sprechen.
  • Kleine Ziele setzen: Reduktion oder Pausen können ein Anfang sein.
2. Professionelle Unterstützung
  • Suchtberatungsstellen: Bieten vertrauliche Gespräche, Informationen und Begleitung.
  • Therapieangebote: Psychologische Betreuung hilft, Ursachen zu verstehen und neue Strategien zu entwickeln.
  • Medizinische Hilfe: Ärztliche Begleitung ist wichtig, um körperliche Folgen zu behandeln und Entzug sicher zu gestalten.
3. Soziale Stabilität
  • Tagesstruktur schaffen: Arbeit, Ausbildung oder feste Aktivitäten geben Halt.
  • Neue soziale Kontakte: Austausch mit Menschen, die nicht konsumieren, stärkt den Ausstieg.
  • Selbsthilfegruppen: Gemeinschaft mit Gleichgesinnten motiviert und verhindert Rückfälle.
4. Persönliche Stärkung
  • Sport und Bewegung: Baut Stress ab und verbessert das Körpergefühl.
  • Kreative Aktivitäten: Musik, Kunst oder Schreiben helfen, Emotionen auszudrücken.
  • Achtsamkeit und Resilienz: Lernen, mit Druck und Krisen ohne Drogen umzugehen.

Aus dem Sumpf herauszukommen bedeutet Mut zeigen, Hilfe annehmen und neue Perspektiven entwickeln. Jeder Schritt zählt – auch kleine Fortschritte sind Erfolge. Mit professioneller Begleitung, sozialen Netzwerken und innerer Stärke ist ein Leben ohne Drogen möglich.

Was muss ich tun, wenn meine Freunde drogenabhängig werden und nicht mehr davon loskommen?

Das ist eine sehr ernste und schwierige Situation. Wenn Freunde drogenabhängig werden und scheinbar nicht mehr davon loskommen, kannst du einiges tun – aber wichtig ist: Du trägst nicht die Verantwortung für ihre Heilung, sondern kannst nur unterstützen und ermutigen.

Was du tun kannst

1. Gespräch suchen
  • Sprich ruhig und ohne Vorwürfe mit ihnen über deine Sorgen.
  • Zeige, dass du dir Gedanken machst und nicht verurteilst, sondern helfen willst.
  • Höre zu – oft brauchen Betroffene jemanden, der sie ernst nimmt.
2. Hilfe anregen
  • Ermutige sie, sich an Suchtberatungsstellen, Ärzte oder Therapeuten zu wenden.
  • Biete an, sie zu einem Termin zu begleiten – das senkt die Hemmschwelle.
  • Informiere dich selbst über Hilfsangebote, damit du konkrete Anlaufstellen nennen kannst.
3. Grenzen setzen
  • Mach klar, dass du ihren Konsum nicht unterstützt (kein Geld geben, keine Drogen dulden).
  • Schütze dich selbst: Wenn ihr Verhalten dich belastet oder gefährdet, zieh dich zurück.
  • Bleib konsequent, auch wenn sie dich unter Druck setzen.

4. Unterstützung im Umfeld
  • Sprich mit anderen Freunden oder Familienmitgliedern, damit ihr gemeinsam helfen könnt.
  • Wenn die Situation gefährlich wird (z. B. Gewalt, schwere gesundheitliche Krisen), zögere nicht, professionelle Hilfe einzuschalten.

Wichtig

  • Du kannst niemanden zwingen, aufzuhören – die Entscheidung muss von dem Betroffenen selbst kommen.
  • Deine Rolle ist, Unterstützung und Orientierung zu geben, aber auch auf dich selbst zu achten.
  • Es ist völlig legitim, dir selbst Hilfe zu holen, wenn dich die Situation überfordert.
Wenn Freunde drogenabhängig werden, ist es entscheidend, sie mit Empathie zu begleiten, professionelle Hilfe zu ermutigen und gleichzeitig die eigenen Grenzen zu wahren.

Wie helfen wir wirklich?

Empathie statt Druck
Menschen in Abhängigkeit fühlen sich oft schuldig oder wertlos. Druck oder Vorwürfe verstärken nur die Abwehr. Hilfreicher ist es, Verständnis zu zeigen und kleine Schritte zu ermutigen.

Motivation fördern
Abhängige haben häufig ambivalente Gefühle („Ich will aufhören, aber ich kann nicht“). Gespräche sollten diese Ambivalenz anerkennen und positive Zukunftsbilder aufzeigen.

Selbstwirksamkeit stärken
Viele Betroffene glauben, sie hätten keine Kontrolle mehr. Es hilft, kleine Erfolge sichtbar zu machen (z. B. ein Tag ohne Konsum).

Rückfälle akzeptieren
Rückfälle sind Teil des Prozesses. Wichtig ist, sie nicht als „Versagen“ zu sehen, sondern als Lernschritt.

Angehörige schützen
Freunde und Familie müssen ihre eigenen Grenzen wahren, sonst droht Co-Abhängigkeit. Es ist legitim, sich selbst Hilfe zu holen.


Im Landkreis Kusel und im gesamten Bezirksverband Pfalz gibt es mehrere Fachstellen für Suchtberatung, die Betroffenen und Angehörigen vertrauliche und kostenlose Hilfe anbieten. Zentral in der Westpfalz ist die Diakonie Fachstelle Sucht Kusel, ergänzt durch weitere Beratungsangebote des Bezirksverbandes Pfalz.


Fachstellen Sucht – Landkreis Kusel & Bezirksverband Pfalz

Diakonie Fachstelle Sucht Kusel
Marktstraße 31, 66869 Kusel
Tel.: 06381 / 422900
E-Mail: fachstellesucht.kus@diakonie-pfalz.de
Website: diakonie-pfalz.de – Standort Kusel
  • Leistungen: Ambulante Suchtberatung (Alkohol, illegale Drogen, Medikamente, Glücksspiel, Medien)
  • Angehörige: Beratung und Entlastung für Familie/Freunde
  • Vermittlung: Therapieanbahnung, psychosoziale Betreuung (Substitution), Prävention
Haus der Diakonie Kusel
Marktstraße 31, 66869 Kusel
Tel.: 06381 / 422900
  • Angebote: Fachstelle Sucht, Sozial- und Lebensberatung, weitere Hilfen unter einem Dach
  • Zugang: Niedrigschwellig, vertraulich, kostenlos
Kreisverwaltung Kusel – Suchtberatung (Vermittlung)
Wilhelmstraße 19–21, 66869 Kusel
Tel.: 06381 / 9210
Info: Leistung „Suchtberatung wahrnehmen“
  • Rolle: Offizielle Anlaufstelle, vermittelt zu Fachstellen und Unterstützungsangeboten
  • Für wen: Betroffene und Angehörige
Diakonie Pfalz – Netzwerk Fachstellen Sucht (Bezirksverband Pfalz)
  • Standorte: u. a. Kaiserslautern, Pirmasens, Neustadt, Ludwigshafen, Kusel
  • Leistungen: Ambulante Beratung, Prävention, Angehörigenarbeit, Therapieanbahnung
  • Ergänzend: Stationäre Angebote, therapeutische Wohngemeinschaften, Selbsthilfe
Hinweis: Alle Angebote arbeiten vertraulich und kostenfrei bzw. mit Kostenübernahme. Termine sind meist kurzfristig möglich.


Suchtberatungsstellen im Saarland – Hilfe & Anlaufstellen

Saarbrücken
  • Caritas Suchtberatung Saarbrücken & Völklingen: Tel. 0681 / 3090650 – Beratung bei Alkohol, Medikamenten, Glücksspiel und Drogen
  • Drogenhilfe Saarbrücken gGmbH: Saargemünder Straße 76, Tel. 0681 / 98541-0 – Psychosoziale Beratungsstelle für Drogenkonsum und Angehörige
Saarlouis
  • Gesundheitsamt Saarlouis: Choisyring 5, Tel. 06831 / 444702 – Fachstelle für Suchtprävention und Beratung
  • IANUA G.P.S. mbH: Lisdorfer Straße 2, Tel. 06831 / 460055 – Ambulante Behandlung und Beratung
  • Caritasverband Saar-Hochwald e.V.: Lisdorfer Straße 13, Tel. 06831 / 93990 – Beratungsstelle für Betroffene und Angehörige
Merzig-Wadern
  • Gesundheitsamt Merzig-Wadern (bis 27 Jahre): Hochwaldstraße 44, Tel. 06861 / 801288413
  • Caritasverband Saar-Hochwald e.V. (ab 28 Jahre): Trierer Straße 213, Tel. 06861 / 912120
Saarpfalz-Kreis
  • AWO Praesent Fachstelle: Beratung für Jugendliche und Erwachsene, Präventionsarbeit, Angehörigenhilfe
Hinweis: Alle Beratungsstellen arbeiten vertraulich und kostenlos. Sie bieten Hilfe für Betroffene und Angehörige, vermitteln in Therapie und leisten Prävention.

Die häufigsten Drogen - Vergleich der Wirkungen und Risiken

Wahnbilder
Bild von Okan Caliskan auf Pixabay


Alle diese Substanzen greifen massiv in die Hirnchemie ein. Kurzfristig locken sie mit Euphorie oder Entspannung, langfristig führen sie fast immer zu Abhängigkeit, körperlichen Schäden und psychischen Störungen. Besonders gefährlich sind Crack und NPS wegen ihrer extremen Unberechenbarkeit und hohen Suchtgefahr.


Vergleich der Wirkungen und Risiken

Cannabis
  • Wirkung: Entspannung, Euphorie, veränderte Wahrnehmung
  • Kurzfristig: Koordinationsstörungen, Angst/Paranoia, Gedächtnislücken
  • Langfristig: Abhängigkeit, kognitive Beeinträchtigung, Psychose-Risiko (v. a. bei frühem/hohem Konsum)
Amphetamine / Methamphetamin
  • Wirkung: Stimulanzien: Wachheit, Antrieb, Euphorie
  • Kurzfristig: Herzrasen, Überhitzung/Dehydration, Schlaflosigkeit, Angst/Agitation
  • Langfristig: starke Abhängigkeit, Psychosen, Depressionen, Zahn-/Hautschäden, Hirnleistungsstörungen
Kokain
  • Wirkung: Intensives Hochgefühl, gesteigerte Aktivität/Selbstvertrauen
  • Kurzfristig: Blutdruck- und Pulsanstieg, Herzrhythmusstörungen, Nasenschäden (bei Schnupfen)
  • Langfristig: hohes Herzinfarkt-/Schlaganfallrisiko, starke Abhängigkeit, Angst/Depressionen
Crack
  • Wirkung: Extrem schneller, kurzer und intensiver Rausch
  • Kurzfristig: sofortiges Nachkonsum-Verlangen, Aggressivität, Schlaflosigkeit, Brustschmerz
  • Langfristig: rasche schwere Abhängigkeit, psychische Störungen, „Crack-Lunge“, sozialer Abstieg
Neue psychoaktive Substanzen (NPS)
  • Wirkung: stark variabel (stimulant, halluzinogen, sedierend)
  • Kurzfristig: unberechenbare Effekte, Überdosierungen/Intoxikationen, Verwirrtheit
  • Langfristig: Organschäden, psychische Krisen, Abhängigkeit; Risiko durch unbekannte Reinheit/Inhalte
Sonstige Drogen
  • Opiate/Opioide (z. B. Heroin, Fentanyl): starke Sedierung/Euphorie; hohes Überdosierungs- und Abhängigkeitspotenzial, Atemdepression
  • MDMA/Ecstasy: Empathie/Euphorie; Überhitzung, Hyponatriämie; langfristig Gedächtnis-/Stimmungsprobleme
  • LSD/Psilocybin: Halluzinationen; akute Angst/Panik; selten persistierende Wahrnehmungsstörungen
  • GHB/GBL*: Sedierung; Atemdepression, Bewusstseinsverlust; Abhängigkeits- und Entzugsrisiko
    = Gamma-Hydroxybutyrat (GHB), z. T. auch Gamma-Butyrolacton (GBL), auch G, Liquid Ecstasy*, GBL**, K.O-Tropfen genannt.
    * Liquid Ecstasy hat chemisch nichts mit Ecstasy zu tun.
    **GBL, eine Vorstufe von GHB, wird in der Industrie als Lösungsmittel eingesetzt. Es wird schneller vom Körper aufgenommen als GHB und ist noch schwerer zu dosieren; der Konsum von GBL hat schon zu Todesfällen geführt.
  • Ketamin: Dissoziation; Übelkeit, Blutdruckanstieg; Langzeit: Blasen-/Nierenschäden
Hinweis: Rot hinterlegte Boxen kennzeichnen besonders hohe Gefährdung (kurzfristig und langfristig).

Jugend, Cliquen und der Drogenmarkt in der Westpfalz und im Saarland – zwischen Statistik und Realität

Hanf, Bild von Miloslav Hamřík auf Pixabay



Die Westpfalz gilt als vergleichsweise ruhige Region in Rheinland-Pfalz, doch ein genauer Blick auf die Kriminalstatistiken 2023 und 2024 zeigt, dass unter der Oberfläche eine andere Realität existiert: gewaltbereite Cliquen, verdeckter Drogenhandel und risikoreiches Verhalten Jugendlicher prägen Teile des Alltags in kleineren Städten und ländlichen Landkreisen.

Offiziell wurden im Jahr 2024 29.832 Straftaten registriert — ein Rückgang von 8 % im Vergleich zu 2023. Die Aufklärungsquote liegt bei bemerkenswerten 70,7 %, die zweithöchste der letzten zehn Jahre. Während klassische Eigentumsdelikte und Kleinkriminalität abnehmen, weist die Statistik gleichzeitig auf einen leichten Anstieg bei Gewaltverbrechen hin: Messerangriffe, tätliche Auseinandersetzungen, Angriffe auf Polizeibeamte.

Parallel dazu bleibt der Drogenmarkt in der Westpfalz intakt, teilweise sogar im Aufwind. Die Teillegalisierung von Cannabis Anfang 2024 hat zwar zu einem drastischen Rückgang der offiziellen Cannabisdelikte geführt, doch Amphetamine, Methamphetamin und Kokain/Crack gewinnen zunehmend an Bedeutung, besonders im verdeckten Handel. Polizeiliche Sicherstellungen in der Region zeigen, dass auch Jugendliche in die Kreise eingebunden sein können — sei es als Konsumenten, Kurierfahrer oder kleine Dealer innerhalb von Cliquen.

Die Kombination aus weiterbestehender Substanzverfügbarkeit, zunehmender Gewaltbereitschaft und dem sozialen Umfeld von Cliquen schafft ein Spannungsfeld: Jugendliche bewegen sich zwischen harmlos wirkendem Alltag und risikoreichen Aktivitäten, die oft verborgen bleiben. Sport, Schule oder Freizeit mit Freunden können parallel zu verdeckten Deal-Ketten oder kleinen Straftaten bestehen — ein ambivalentes Bild, das Statistiken allein nicht vollständig abbilden können.


Jahr Cannabis (%) Amphetamine / Methamphetamin (%) Kokain / Crack (%) Neue psychoaktive Substanzen (NPS) (%) Sonstige Drogen (%) Bemerkungen
2023 61 % 21 % 9 % 5 % 4 % Vor der Teillegalisierung von Cannabis; alle Fälle strafbar
2024 23 % 25 % 11 % 6 % 5 % Cannabis stark gesunken wegen Legalisierung; andere Drogen relativ stabil / leicht steigend

Quellen / Referenzen Rheinland-Pfalz
  1. Polizeiliche Kriminalstatistik 2024 Rheinland-Pfalz – Jahresbericht, Polizei Rheinland-Pfalz. Link
  2. Pressemitteilung Polizeipräsidium Westpfalz 2024 – Straftatenbilanz. Link
  3. Landeskriminalamt Rheinland-Pfalz – Ein Jahr Teillegalisierung Cannabis, Bericht 2024. Link
  4. SWR-Bericht zur Zunahme von Kokain- und Crack-Delikten in Rheinland-Pfalz. Link
  5. Polizeiliche Kriminalstatistik Rheinland-Pfalz – Landesweite Übersicht, Presseinformationen 2024. Link


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Zwischen Schule, Sportplatz und geheimen Depots 

Szene: Abends auf dem Bolzplatz

Tom: „Ey, hast du gesehen, was die Polizei jetzt alles aus dem Wald gezogen hat?“

Doro: „Ach komm, die kennen uns doch eh nicht. Ich meine, klar, Cannabis ist jetzt weniger ein Problem seit April 24, aber der Rest… Amphetamine, Kokain – läuft weiter, wir wissen, wie man versteckt und vertickt.“

Tom: „Ja, stimmt schon. Unsere Depots funktionieren, niemand guckt zweimal hin. Aber manchmal fühlt es sich komisch an. Der Bolzplatz, Schule, dann das andere Zeug… passt gar nicht zusammen.“

Doro: „Na und? Wir machen beides. Sport, Freunde, Alltag. Und nachts wird geliefert, getauscht, gehandelt. Solange wir clever sind, merkt keiner was.“

Tom: „Clever sein, ja, darauf kommt es an… Aber die Zahlen sprechen Bände. Gewalt, Messerangriffe, kleine Attacken – alles steigt. Wir sind noch nicht erwischt worden, aber das ist ein schmaler Grat.“

Doro: „Tja, wir jonglieren zwischen allem und allen: unsere Beziehung, Schule, Sport, Cliquenleben und Drogenkriminalität mit Folgen.“

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Wichtige Entwicklungen im Saarland

• Rückgang der Gesamtkriminalität – aber Anstieg bei Gewalt und Drogenfällen

  • Laut der polizeilichen Kriminalstatistik 2024 sank die Gesamtzahl der registrierten Straftaten im Saarland um etwa 9,1 % gegenüber 2023. Saarland Radio+1

  • Allerdings stieg 2024 die Zahl der registrierten Messerangriffe stark — um +98,1 % auf 319 Fälle. Saarland Radio

  • Auch politisch motivierte Straftaten sowie Sachbeschädigungen nahmen zu. Saarland Radio

Diese Entwicklung — Rückgang bei vielen Delikten, aber Anstieg bei Gewalt — deutet darauf hin, dass sich das Sicherheits- und Kriminalitätsbild im Saarland verändert — möglicherweise hin zu schwerer werdenden Delikten, auch bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen.

• Zunahme von Drogenkonsum und harten Drogen — weniger Cannabis‑Delikte, mehr Amphetamine & Kokain/Crack

  • Nach dem Jahresbericht 2024 des Drogenhilfezentrums in Saarbrücken hat sich der Konsum von Crack dort binnen eines Jahres verfünffacht. Saarland Radio

  • Laut dem „Suchtatlas“ des Gesundheitsanbieters im Saarland stieg 2023 die Zahl der Menschen, die wegen Kokainmissbrauch ärztliche Hilfe suchten, deutlich. Im Vergleich zu 2019 entspricht das einer Zunahme um rund 44 %. BARMER

  • Zwar sind Drogentote im Jahr 2024 mit 31 Fällen etwas zurückgegangen im Vergleich zu früheren Jahren — das zeigt, dass nicht allein Todesfälle die Lage bestimmen, sondern Konsum und Abhängigkeit weiterhin verbreitet sind. Saarland+1

  • Polizei und Medien sprechen offen darüber, dass harten und neuen Drogen — Amphetamine, Kokain, Crack, synthetische Substanzen — zunehmende Bedeutung zukommt. Saarland Radio+2n-tv+2

• Polizeiaktionen und Sicherstellungen: organisierter Handel, große Mengen, Beschlagnahmungen

  • Bei einem Schlag gegen organisierte Drogenkriminalität wurden 2024/2023 insgesamt 48 kg Amphetamin sichergestellt. Hauptverdächtiger: ein 56-jähriger Mann aus dem Saarland. n-tv+2DIE WELT+2

  • Zudem gab es mehrere Festnahmen wegen Handel mit Cannabis und Amphetamin in „nicht geringen Mengen“ (z. B. Durchsuchungen im Raum Saarbrücken / Saarpfalz-Kreis). Presseportal+1

  • Bei einer landesweiten Kontrollaktion (2025) wurden 21 Strafverfahren eingeleitet, darunter 16 wegen Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz. Blaulichtreport-Saarland.de

Diese Hinweise zeigen, dass der illegale Drogenhandel im Saarland nicht verschwunden ist — im Gegenteil: Er scheint strukturiert, mit größeren Mengen und organisierter Kriminalität.


Leseempfehlung:

„Wir sind die Gegenwart“ – Jugendkriminalität heute