Auf der Bühne v.l.n.r. Franz-Josef Selig (Marchese von Calatrava), Michelle Bradley (Donna Leonora) und Hovhannes Ayvazyan (Don Alvaro) sowie im Film Thesele Kemane (Don Alvaro) |
In der Frankfurter Oper bietet sich zurzeit mit La Forza del Destino/Die Macht des Schicksals ein interessanter Verdi, moderner, politischer und gehaltvoller kaum zu haben. Regisseur Tobias Kratzer arbeitet auf verschiedenen medialen, chronologischen und gesellschaftspolitischen Ebenen. Der Zuschauer darf entdecken, wird überrascht und erlebt eine Abwechslung, wie sie so interpretiert kaum auf der Bühne zu sehen ist. Aus einem homogenen Illusionsrahmen mit zeitlich und örtlich zwar offener Struktur, aber traditionellem historischem Bezug, wird ein Zeitensprung, der von Verdis 7 Jahren auf über 150 Jahre ausgedehnt wird. Er schafft das durch einen Abgleich der Verdi-Handlung mit dem US-amerikanischen Hauptproblem Rassismus, das nicht nur die Indianerverfolgung und deren Ende in einem Genozid, sondern auch die Sklaverei, Unterdrückung der schwarzen Hautfarbe bis in die Jetztzeit kennt.
Michelle Bradley (Donna Leonora; ohne Hut auf der Treppe stehend) sowie Chor und Extrachor der Oper Frankfurt |
Außerdem gibt es über Video Bildkommentare und Hinweise, wie die Hinrichtung eines Schwarzen durch Erhängen gleich zu Beginn. Das Schul-, entweder verdrängt oder oft erst durch TV vermittelte mediale Wissen springt hier bereits an. "Roots", ein Publikumsmagnet aus den 70er-/80er-Jahren des letzten Jahrhunderts, wie "Fackeln im Sturm" (1985) oder unzählige kritische oder auch unkritisch-rassistische Fernseh- und Kinofilme über Rassismus, Sklaverei, Menschenraub, Gewalt und Sadismus usw. 100 Jahre später im Vietnamkrieg, die typischen "Platoon"-Signale, US-Kampfhubschrauber und Sondereinheiten auf unermüdlicher deliröser Vietkong-Jagd, ein Film von Oliver Stone, der in einer erschreckenden Direktheit den Blutrausch der Amerikaner zeigt, die diesen Krieg nie gewinnen konnten.
Auf der Bühne v.l.n.r. Hovhannes Ayvazyan (Don Alvaro), Christopher Maltman (Don Carlo di Vargas; liegend) und Michelle Bradley (Donna Leonora) sowie im Film Thesele Kemane (Don Alvaro) |
Franz-Josef Selig (Padre Guardiano; links mit rotem Umhang) und Michelle Bradley (Donna Leonora) sowie Herrenchor und Herrenextrachor der Oper Frankfurt |
Hervorragend die Musik unter der Leitung von Jader Bignaminis, das Bühnenbild und die Kostüme von Robert Sellmeier, der in Bild 2 eine so krasse Gegenwelt durch Schauspieler mit recht karikierenden und an die Augsburger Puppenkiste erinnernden Puppenmasken schafft, dass alle staunen. Auch Bild 3 eine Herausforderung! Nächster optischer und Zeitensprung: Das Kloster, in dem Leonora (Michelle Bradley) Schutz finden soll, entpuppt sich als eine amerikanische Falle (Es wird von KuKuxKlan-Mitgliedern betrieben: Nichts mit der großen Freiheit!). In Bild 4 der nutzlose, verlustreiche und im Drogendelirium geführte Vietnamkrieg mit allen Amerikanitäten wie Gogo-Bunnies im knappen Stars-and-Stripes-Stretchbody und wahlloses Erschießen, Foltern, Vergewaltigen von VietnamesInnen.
Tanja Ariane Baumgartner (Preziosilla; rechts stehend) sowie Chor, Extrachor und Statisterie der Oper Frankfurt |
Die lange, einprägsame und herrlich aktualisierte, kontrastreiche und hervorragende Oper, die (lauten) Geister bei der Premiere in Bravo und (wohl den Vietnamkrieg und seine Ausgestaltung meinend) Buh spaltend, bietet einen langen 210-minütigen Abend mit viel Opernerleben, attraktiven und gewichtigen Stimmen.
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