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| Gesamtansicht des Bühnenraums, v.l.n.r. Jarrett Porter (Punch), Alfred Reiter (Doctor), Sven Hjörleifsson (Lawyer), Danae Kontora (Pretty Polly), Cecelia Hall (Judy) Bildnachweis: Monika Rittershaus |
Was passiert, wenn Zirkus, Jahrmarkt, Puppenspiel und schwarzer Humor aufeinanderprallen? Richtig, eine Oper, die uns nicht nur lachen, sondern im selben Atemzug das Lachen auch einfrieren lässt. Die OpernsängerInnen verdienen das Horrorclown-Diplom, die Regie unter Wolfgang Nägele holt alles aus dem Einakter raus, was geht. „Punch and Judy“ von Harrison Birtwistle ist die Antwort auf die Frage: Wie viel Gewalt verträgt Zirkus auf dem Jahrmarkt? Und wie viele schockierende Kindermorde sind noch akzeptabel, bevor jemand sagt: „Moment mal, das ist zu viel! Das geht zu weit! Sind die denn alle verrückt?“ Nein, es passiert nichts anderes, das Geschehen bleibt konstant, der Anfangshorror zeigt uns deutlich, der britische schwarze Humor lebt und tobt! Babys werden zu Wurst verarbeitet und Barbiepuppen mit der Schere geköpft. Schock zu Beginn - am Ende ist die Comedy nur noch lustig. Uraufgeführt wurde Birtwistles Oper am 8. Juni 1968.
Bild Nummer 13: Danae Kontora (Pretty Polly)
Bildnachweis: Monika Rittershaus
Schrille Farben, verrückte Kostüme, schiefe Grimassen, lebendige Puppen, die sich gegenseitig an die Kleiderhaken hängen können, Mordfantasien aus altdeutschen/altenglischen Märchen und Brutalität in Technicolor – das sind die Markenzeichen dieses humoristischen Albtraums. Mitspielen auch ein Lawyer (Sven Hjörleifsson, Tenor) und ein Doctor (Alfred Reiter, Bass), die gehobene Gesellschaft ist quasi vertreten, assistiert bei den Mordfantasien, beobachtet alles). Da hätten wir zum Beispiel Punch (supercrazy und agil Jarrett Porter, Bariton), der in Giftgrün daherkommt, als wäre er der lebendige Beweis, dass es möglich ist, sich im Streben nach böser Genialität so richtig die Finger schmutzig zu machen. Und dann ist da noch Judy, seine Frau, in Blau (Cecilia Hall, Mezzosopran, auch als Fortune Teller), die brutal von ihrem Mann behandelt wird (ermordet, und weiter geht's) und den Opfergala-Look anlegt, weil sich niemand gegen Punch durchsetzt, außer, man ist Choregos. Ah, Choregos (Liviu Holender, Bariton, der auch den Mörder Jack Ketch spielt) – der Regisseur, Puppenherr, Moralapostel, und gesellschaftliche Spiegel im Spiel, der in Schwarz in der Ecke steht und den Spaß als „bloßes Spiel“ etikettiert. Wie er, der allwissende Kommentator, diese absurde Szene überblickt, erinnert an einen Tatort-Kommissar, der längst das Handbuch über die Regeln des Lebens verloren hat, aber immer noch zum Schmunzeln über die Dramatik seiner Ermittlungen fähig ist. Er verlässt seine Rolle am Ende kurzzeitig und wird noch als Mörder erhängt.
Witzigerweise kommt diese Aufführung mit dem perfekten Timing – alles passiert auf der Bühne als Scherenschnitt der menschlichen Zivilisation, das grauenhafte Spiel der Figuren im Spiel läuft, während der Kompass in der Mitte die Richtung vorgibt. 12 Uhr Nord: Wir sind am Nordpol der Verhärtung! 9 Uhr: Westlich des Verfalls! 6 Uhr Süd: Hier könnte fast Ihre Zerstörung als Zuschauer stattfinden, die spielerische gefährlich nah – oder sind wir alle willkommen? Wer hätte gedacht, dass die zeitlichen und räumlichen Koordinaten einer solchen Schwankung von Humor, Geschmack und Gewalt so packend sein könnten? Der Zirkus fängt an, seine Zelte in dieser Oper aufzuschlagen, und plötzlich sind wir alle Clowns – ob wir wollen oder nicht. Man kann nur lachen und sich amüsieren über die Absurditäten der Personen im Spiel. Punch begehrt Pretty Polly, versucht seine Ehe mit ihr statt Judy fortzusetzen, diese lehnt aber den blutigen Ring seiner Frau ab. Kein Wunder ...
Doch am Ende, wie es sich für ein richtig gutes Puppenspiel auf Jahrmarkt oder im Zirkus gehört, löst sich alles auf. Alle verlassen den Ort des Geschehens, und wir lachen darüber, wie grotesk und absurd es war, wie verrückt alles sein kann, ohne dass wir in Schwermut fallen, wie wenig sich in unserer Welt nach der Rückkehr verändert hat. Choregos, der moralische Mahner, hat seine Arbeit erledigt: Ein letzter, zynischer Kommentar über die Comedy und die Unveränderlichkeit des Zyklus, und da sitzen wir, mit einem Lächeln, das aus einem tiefen Abgrund der menschlichen Absurdität hervorgeht. Das Gegenteil von Warten auf Godot, aber auch ganz deutlich das Gefangensein im Dasein, im Kreislauf, in der Wiederholung.
v.l.n.r. Cecelia Hall (Judy), Alfred Reiter (Doctor), Liviu
Holender (Jack Ketch), Jarrett Porter (Punch; mit dem Rücken
zum Betrachter), Sven Hjörleifsson (Lawyer)
Bildnachweis: Monika Rittershaus
Was will dieses Spiel uns sagen? Das Leben ist eine groteske Puppenkomödie, in der der schwarze Humor immer noch der beste Schutzschild gegen das Grauen bleibt? Was wir als Drama und Tragödie sehen, ist vielleicht nur der nächste Akt in einem Spiel, das niemals wirklich endet und sich noch steigert. Und in dieser poppigen Zirkuswelt der Gewalt wird das Lachen zu einer Art Beruhigungsmittel, mit dem die unmenschliche Comedy des Lebens für einen Moment aufhört, uns zu erschüttern. Die Komödie endet, wie sie begann: mit einem schiefen Lächeln und dem Kompass des Lebens, der nie wirklich in die richtige Richtung weist. Aufführung für Aufführung eine lustige Horror-achterbahn durch das Entsetzen ... Für die SängerInnen und MusikerInnen eine absolute Herausforderung, ganz viele schwierige Passagen, die hohe Virtuosität und Aufmerksamkeit erfordern. Die SängerInnen werden miss-handelt und massakriert, erniedrigt und deformiert, an die Wand gehängt, wälzen sich auf dem Boden und halten heroisch ihre Rolle. Wie auf der Bühne eben.


