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Montag, 3. August 2015

Wie war's bei der Eröffnung der Nibelungen-Festspiele 2015 in Worms?

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Ortlieb und Narr
Foto: Marion Bührle
Ortlieb
Foto: Marion Bührle
In Worms gestartet sind letzten Freitag die Nibelungen-Festspiele 2015 bis zum 16. August mit einer Inszenierung fern von jeglichem Historienmuff. Mit einem großen Aufgebot an Theaterpersonal, Kostümen und historischer Bühnenszenerie vor dem altehrwürdigen Wormser Dom wird das letzte und fürchterlichste Treffen der Burgunden, Hunnen und assoziierten Kampfverbände mit dem Gegenüber zweier gigantischer Belagerungstürme inszeniert, die an eine Mischung aus "Panzern" der Perser, Römer und Griechen, Trojanisches Pferd sowie Abschreckung durch Kampfmaschinen und Rammfahrzeuge des Mittelalters erinnern. Konzipiert nicht jedoch als bloßes "Gemetzel", wie der Titel des Theaterstückes von Albert Ostermaier martialisch lautet, sondern als ein analysierendes, poetisches, leidenschaftliches, erklärendes und beleuchtendes Spiel des jungen Ortlieb, Sohn von Kriemhild und Etzel, in das nach und nach alle anderen Figuren mit einsteigen. Eine interessante Kommentatorfunktion hat das Treiben der Tanzgruppe im Vordergrund. Sie spielt das Erzählte, das Fehlende in der Handlung, nicht ohne es zu kommentieren und zu diskutieren. Das Geschehen wird auch verfremdet, z.B. tanzen viele Siegfrieds oder tauschen die Perücken. Blond überall ... Die involvierte Rockband (in den Kamptürmen unten) liefert passende, spannende harte Klänge.

Gegenüber stehen sich die Christen mit dem Dornenkranz-Totenschädel auf dem linken Belagerungsturm und die Heiden mit dem an einen Kampfelefant erinnernden Turm rechts. Verbunden sind beide Türme mit einer Hängebrücke, die auch eine weitere Spielebene über dem Geschehen am Boden darstellt und symbolisiert. Hier oben finden die Beziehungsgespräche der Brünhild (sehr, sehr stolz und überzeugend Catrin Striebeck), Krimhild (zerbrechlich, unendlich leidend, aber fit im Schwertkampf die fühlbar nahe Judith Rosmair), des Hagen und Etzels (der zurückhaltende alte Fuchs und fast unglaublich gewaltfreie Attila, authentisch durch Markus Boysen) statt. Hier wird der ermordete Siegfried vor der Tür Kriemhilds liegend gezeigt, dessen lebloser Körper, seine Wunden auf das Auftauchen des angeblich unschuldigen Hagens mit erneutem Bluten reagieren. Seine aufbrechenden Wunden sind die Lippen, die die Schandtat an ihm berichten, klagt Kriemhild. Was sie damals nicht an Vergeltung an Hagen schaffte, schafft sie am Ende. Hier steht auch Brünhild, als sie ihre Liebe und ihren Besitzanspruch an Siegfried Kriemhild kundtut, und Kriemhild, die den Betrug an Brünhild durch ihren Siegfried zur Sprache bringt.


Ortlieb und Hagen
Foto: Marion Bührle
Wer über alles Bescheid weiß ist natürlich Hagen (Max Urlacher jung und dynamisch, wendig und gar kein Steinbeißer). Er reiste zum Etzelhof, obwohl ihn die (Rhein-)Geister warnten: "Kommt Ihr zu den Hunnen, Hagen, seid Ihr verraten und verkauft." Er kommt anonym in den Burghof, als wilder Batman auf einem kettenbehangenen Kampfquad, und freundet sich mit dem wissbegierigen und standesbewussten Ortlieb an, erzählt ihm die Geschichte Siegfrieds. Der Junge (sehr einfühlsam und überzeugend den Hunnenjungen mit moderner Sidecut-Frisur und Deckwedel gespielt von Alina Levshin) tollt herum und spielt mit seinen Freunden wie auch mit dem Narr zur Kampfertüchtigung. Sein Wunsch und Ziel ist es, dereinst Hagen zu töten. Siegfried ist sein Vorbild, ihn will er rächen, weil seine Mutter Kriemhild jeden Tag um ihn trauert. Drum ist das Spiel des Narren, Siegfried als eine Missgeburt zu verkaufen, auch eine Qual für den Königssohn. Man sieht hier eine weitere Spielebene, und zwar die des Autors Obermaier und der Regie Thomas Schadts, immer wieder schalkhaft alles in Frage zu stellen. War Siegfried ein ganz anderer? Hatte er so schlechte Augen, dass er dies mit einer hohen Schlagfrequenz im Kampf wettmachen musste? Deshalb auch sein Sieg über 700 Ritter im Nibelungenland, wodurch er nach dem Erschlagen der beiden Söhne des Nibelunc, nun in Besitz des Schatzes, ja auch aus Norwegen entkommen konnte. Der Narr (Maik Solbach als wilder Turner, spöttelnder Nibelungenflüsterer und kecker Schwertkämpfer) transportiert diese "Witzeleien", man braucht ja auch einen Berg Naivität, die ganzen Stories aus dem Sagenland zu glauben. Er hat noch eine ganz andere wichtige Aufgabe. Am blutigen Ende wird er zum Chronist des Geschehens, dessen Ablauf Etzel bestimmt und ihm in die Feder diktiert. Der Zuschauer bemerkt die Abweichungen, Übertreibungen und Manipulationen und schließt hier wieder auf zur Autoren- und Regieebene. Auch Hagens Ruf zwischendrin, als er einen Mitspielenden zum Entsetzen der anderen aus Versehen wirklich ersticht: "Es ist alles Theater! Alles erlaubt!", gehört hierher. Wer zuschaut ist Zeuge der stattgefundenen, jederzeit veränderbaren Realität. Damit der Chronist es nicht weitergeben kann, ersticht Etzel ihn zuletzt mit der stählernen Schreibfeder.


Brünhild und Kriemhild     Foto: Marion Bührle
Zwei ganz besonders wichtige Charaktere sind die  beiden Rivalinnen Brünhild und Krimhild. Sie sind über Kreuz miteinander verbunden, denn der Herr Siegfrieds, Gunther, ist auch der Werber und spätere Mann Brünhilds und der Bruder Kriemhilds. Weil Gunther die Isländerin Brunhild zur Frau haben will, aber keine Chance ohne Hilfe hat, sie im Kampf zu besiegen, was Bedingung ist, andernfalls droht der Tod, besiegt Siegfried sie mit Hilfe seiner Tarnkappe und seinem Schwert, das 
ihn unbesiegbar macht. Dafür bekommt er die Schwester Gunthers, Kriemhild, zur Frau, was Brünhild erzürnt, weil der Schmied Siegfried nicht von Stande ist. Brünhild bemerkt in der Hochzeitsnacht, dass Gunther ein Schwächling ist, der mit Frauen nicht umgehen kann. Er "hechelt" und hat "Angst vor Frauen". Sie fesselt ihn, was den Vollzug der Ehe in Frage stellt. Auch hier hilft Siegfried. Er bezwingt sie nachts in Gunthers Gewand, verbindet ihr die Augen, raubt ihr einen Ring und den Keuschheitsgürtel, die er Kriemhild übergibt, während Gunther sie nach ihren Worten "missbrauchen" darf. Sie hat Gunther nie anerkannt. Kriemhild offenbart den Betrug, und Brünhild leidet darunter. 
Kriemhild und Brünhild beim Kräftemessen im 
Festsaal, Brünhild bereits in Dschihadistenkluft.
Foto: Marion Bührle
Hagen tötet schließlich Siegfried auch wegen der Schmach für seine Herrin. Vom Gold abgesehen. Ihre Liebe gilt allerdings schon immer dem starken Siegfried, gesteht sie, sie sei bei seinem Tod "hinter der Fassade" mit in seinen Tod gestürzt. Geschickt stellt der Autor die Frage, ob Hagen denn allein der Mörder gewesen sei. Oder nicht Kriemhild mit, weil sie den Keuschheitsbetrug aufdeckte, die Stelle seiner Verletzlichkeit markierte? Natürlich auch Brünhild, die seiner Ermordung zustimmte.

Das Begehren der Figuren nach dem jeweils anderen und Verfeindeten wird ganz deutlich in  diesem Stück erkennbar, neben der Gier nach dem Gold, zum Antrieb der gesamten gegenseitigen Verfolgung, Auslieferung, Vernichtung. Das Gemetzel ist - so paradox es klingt - das Produkt aus Liebe und deren Endprodukt Wut! Und weil die Liebe nicht Halt macht vor Feinden, das Begehren müsste man sagen, von einem zum anderen wandert, wo immer Macht vermutet wird, wird sie auch zum tödlichen Sog für alle. Etzel ist der Überbringer dieser eminent wichtigen Botschaft. Er liebt Kriemhild, leidet unter ihren Qualen und ihrer Trauer um Siegfried, "sie schläft mit offenen Augen, seit Siegfried tot ist, sie schreit immerzu nachts...". Liebe raubt uns die Kräfte und den Verstand, am Ende ist es Wut, sagt Etzel, und mehr, sie ist ein regelrechtes "Gift". Seine Gattin denkt da nicht anders: "Er macht Liebe, und ich liebe die Macht!" 


Brünhild, Kriemhild und Etzel    Foto: Marion Bührle
Als Etzel Brünhild erblickt, will er sie haben. Er möchte mit ihr "die Körper kreuzen", sicher, dass es ein Machtkampf ist, Kampf um das Gold, aber er will die Liebe dabei haben, weil sie ihren Hass und Leidenschaft verstärken wird. Etzel taugt uns hier als Brandbeschleuniger der späteren Katastrophe. Der kleine Ortlieb hat das Wirken der Liebe auch schon erfahren: "Ich bin ein Gefangener der Liebe". Er ahnt, was es heißt, wenn Geliebte sterben müssen und welche Hassgefühle sich daraus entwickeln können, und was es bedeutet ein Königssohn, gefangen im Königshof, zu sein.

Dagegen steht die poetische und überlieferte Einswerdung Siegfrieds mit Kriemhild als tänzerische Einlage: "Vom ersten Kuss bis in den Tod sich nur von Liebe sagen". Als reine Liebe besungen und festgehalten, aber mit im Spiel Kriemhilds Verlangen nach Hagen, der seit ihr Mann tot ist, jede Nacht im Traum erscheint und mit ihr schläft. Er ist ein Stellvertreter Siegfrieds geworden. Ortlieb spürt das in seiner letzten Konfrontation mit Hagen und bindet den Helden Siegfried durch Selbstmord an seine Person, dass Siegfried in ihm, dem Sohn, weiterlebe und geliebt werde durch seine Mutter Kriemhild. (Da ist auch jemand emotional zu kurz gekommen.) Er lässt Hagen von Tronje gar nicht erst ihn bestrafen oder richten. Er macht es selbst. Dass wir hier eine ödipale Beziehung mitklingen haben, wo der Sohn eine Vaterfigur ersetzen will, gleichzeitig sich der väterlichen Rache entzieht, macht es noch pikanter. Vielleicht auch eine kleine Analyse der Selbstmordattentäter?

Und ein weiterer Umstand sticht ins Auge, dass nämlich Brünhild sich zu Hagen in den Festsaal als Dschihadistin mit Sprengsätzen um den Bauch begibt. Den Plan zum Selbstmordattentat reicht sie im entscheidenden Moment mit dem Sprengsatzgürtel an Ortlieb weiter, der den Sprengsatz umbindet, aber nur sich umbringt. Das Zünden des Sprengsatzes ist dann wohl im übertragenen Sinn der wütenden Mutter danach überlassen. Hier sind Etzels Liebesspielchen am Wirken. Neid auf Kriemhild, die Etzels Frau sein darf. Die ohnehin hassende Brünhild gießt somit auch Öl ins Feuer. Sie reicht dem kämpferischen Jungen, Abhängigen, voller Mitgefühl mit der leidenen Mutter, die ("liebes-)giftige" Möglichkeit, sich und andere zu töten.

Und hinter allem, allem die Gier nach dem Gold der Nibelungen und Reichtum. Siegfried hat den Schatz zuerst an sich genommen, Kriemhild ihn nach Worms gebracht, großzügig Gold verschenkt, dann Hagen, der ihn nach der Ermordung Siegfrieds bei Worms (Lochheim) im Rhein versenkt haben soll. Und das krönende Finale, das Treffen auf der Etzelburg, als Abrechnung und Rückholung des Schatzes von Kriemhild geplant, artet in eine Totalvernichtung aus.


Das Bankett im Festsaal mit den Knappen
Foto: Marion Bührle
Zum eigentlichen Gemetzel sollte der Leser die Geschichte noch einmal nachlesen, wer wen in welcher Reihenfolge tötete (am besten hier in Kurzfassung), auffällig und imposant ist der Festsaal fürs Bankett mit einem Meer von Totenköpfen auf dem Boden. Ein sehr eindrucksvolles Bild, das man lange erinnert, wie auch die Rivalinnen auf der Brücke im ersten Teil oder Etzel und Brünhild in Anziehung, Etzel und der Narr und viele, viele Szenen mehr. Der Nibelungenhort, der unermessliche Schatz wird bereits zu Beginn durch eine Tänzerin in goldfarbenem hautengem Dress dargestellt, lüstern greifen viele Hände nach ihm, ein Schwert will ihn in der Mitte auseinanderschlitzen. Als ob er die schönste Frau auf Erden sei. Doch nur Hagen könnte sagen, wo er ist, er verrät allerdings nichts. Kriemhild will ihn mit der Enthauptung Gunthers zum Sprechen bringen, aber vergeblich. Daraufhin köpft Kriemhild Hagen persönlich, bringt in zum ewigen Schweigen, niemand wird je erfahren, wo der Schatz ruht. Etzel ein Graus.

Etzel beginnt hier die Geschichte umzuschreiben, er lässt Kriemhild auf dem Papier sterben, in Stücke gehauen vom erbosten Hildebrand, der der dreisten Frau der Sage nach Einhalt geboten haben soll, derweil sie im Stück bei Etzel am Hof weiterlebt. Und weil der Narr es weitererzählen könnte, muss er auch sterben. Der fehlende Hildebrand irritiert wie der tote Dietrich von Bern, ihn hat die rachsüchtige Kriemhild auch getötet, wo er doch in der Sage der einzige überlebende Anführer neben Etzel gewesen sein soll, und so endet alles mit Etzel und seiner Frau als alleinige Überlebende in einem von Rauchschwaden umzogenen Ort des Grauens. Es deutet auf ein Weiterleben und einen Neuanfang hin. Um die Burg herum darf man sich 1000 tote Knappen, 7000 tote Burgunden und 1004 tote Hunnen vorstellen, um eine unvollständige geschätzte Aufstellung zu wagen.

Beeindruckender kann man kaum inszenieren, vielleicht mit hünenhaften Recken und Riesen statt Kindern, mehr Kampfszenen und Allerlei, aber so fand dieser spannende Abend ein ungewöhnliches Ende. Jahr für Jahr soll die Nibelungensage immer wieder neu zu interpretieren, zu spielen und zu erleben sein. Das ist 2015 ausgesprochen gut gelungen. Eine moderne, stimmige Inszenierung mit vielen Anregungen zum Weiterspinnen ... Worms erwacht während der Festspiele mit seiner Geschichte wie nach einem Schlaf von 1500 Jahren.


Wer 2016 vom 15. bis zum 31. Juli bei den Festspielen, insbesondere der Premiere, dabei sein will, sollte sich frühzeitig um Übernachtungs- und Kartenarrangements kümmern. Das Festspielteam hilft Ihnen dabei.

Dienstag, 30. Juni 2015

Wie war's bei der Uraufführung von R H E I N G O L D von Rüdiger Oppermann?

Rüdiger Oppermann, das ist der deutsche und rheinhessisch-pfälzische Botschafter der Folk-Musik und World Music. Ausgezeichnet mit dem "Verdienstkreuz am Band" aufgrund seines unermüdlichen Bestrebens, Völkerverständigung zu betreiben und Musikgeschichte bzw. -ethnologie zu vermitteln, ist immer einen Besuch seiner Auftritte wert. Seine Klangwelten sind schon lange eine klingende Empfehlung aus allen Winkeln der Erde. Jedes Jahr neue Bekanntschaften mit Völkergruppen, Instrumenten, Gebräuchen und Eigenheiten, stets unterhaltsam moderiert von Rüdiger Oppermann selbst.



(c) Stefan Vieregg
Er ist ein echter Autodidakt, der sich zwar später bei unterschiedlichen Lehrern neue Impulse holte, aber im Wesentlichen die Harfe selbst studierte, kultivierte und zur Vollendung beherrschen lernte. Zuvor betrat er bei einem Gitarrenbauer noch den Zusatzweg eines Instrumentenbauers. Er "startete" seine Musiklaufbahn mit 6 Jahren und Klavierspiel, es folgten Banjo und Gitarre, heute beherrscht er eine sehr beachtliche Bandbreite von Instrumenten aus verschiedenen Nationen. Seine Entdeckung der Harfe und der Harfenistinnen begann in Kalifornien und ist heute noch nicht zu Ende.

Eine andere Schiene sind seine Motiv-Vertonungen, um sie einmal so zu nennen. Letztes Jahr, ebenfalls in Worms im Rahmen der Reihe WUNDERHÖREN, gab es als Klangwelten-Sonderprojekt eine musikalische Inszenierung von Brendans Voyage, die bereits aus der Zeit um 900 n.Chr. in einer nachweisbaren Vertonung vorliegt. Oppermanns Spezialität ist es, die historischen Werke zu analysieren und zu studieren und aus allem etwas Neues zu machen, wobei er Altbewährtes zitiert oder interpretiert. Brendan, ein irischer Heiliger, schipperte wohl 900 Jahre vor Kolumbus nach Amerika, allerdings in einer "Nussschale", wenn auch keltischen, unter primitivsten Umständen. Durch den Nordmeer-Eisbereich gelangte er tatsächlich zum anderen Kontinent. Von Brendan und der altkeltischen bzw. frühchristlichen Bildung gingen auch Alphabetisierungsbemühungen bei den Germanen aus.


Oppermanns neues Projekt heißt "Rheingold" und ist fern von Wagnerscher Nationalmystik eine Aufarbeitung der Geschichte entlang des Rheinlaufs von der Quelle bis zur Mündung in Rotterdam. Als echtes Rheinkind in Bad Kreuznach geboren, Worms, Frankenthal und Ludwigshafen aufgewachsen (heute mit Familie im nördlichen Elsass lebend) hat Rüdiger O. erst sehr viel später entdeckt, welch ungeheurer Schatz hier um den und im Rhein ruht. Musikgeschichte und Urmythologie, Geologie und Wege durch die Unterdrückung zur Freiheit.



(c) Stefan Vieregg

Die Komposition wurde am 27. Juni 2015 in Worms, im DAS WORMSER, uraufgeführt, vor etwa 600 Gästen.
In der 45-minütigen Einführung vor dem Konzert konnte er das alles erklären, wozu während des Konzerts von über 2,5 h Länge kein Raum mehr übrig war. Und er hat immer viel und Interessantes zu berichten. Vorausging eine Übersicht von Volker Gallé M.A., Kulturkoordinator der Stadt Worms, Zeitungsredakteur, Autor, Musiker und Liedermacher mit etlichen Veröffentlichungen und einer ausgeprägten Neigung zur Dichtung. Von ihm stammte der mächtige Text zu RHEINGOLD, den der versierte Schauspieler und Sprecher Berth Wesselmann aus Baden-Baden entsprechend vortrug. 

Mit mindestens 27 Musikern, darunter der Mongole Enkhjargal Dandarvaanchig und Bijan Mahdjub mit persischen Wurzeln, führte Oppermann seine teilweise neu komponierte Musik auf, teilweise nachgespielte Stücke aus der Frühzeit, dem Mittelalter etc. Ein faszinierendes Klangbild den Rhein hinunter bis zur Nordsee, sehr seltene Einlagen mit Eiszeitgesang und -musik durch den Mongolen Dandarvaanchig und mit einem speziellen prähistorischen Instrument, einer Kurzflöte mit ursprünglich zerdrücktem Schilfrohr als Doppelrohrblatt im Mundstück, und einem antiken Dudelsack aus Drakien (heute Bulgarien), beides gespielt von Mahdjub. 


Hervorzuheben auch die historische Orgel aus der Römerzeit, deren Nachbau durch die Musikwissenschaftlerin Dr. Susanne Rühling veranlasst wurde. Sie spielte das Instrument mit 14 Tasten und Halbtonschritten auch und führte vor, dass die Römer bereits über die volle Bandbreite der Töne verfügten und nicht nur Feste damit gestalteten, sondern auch Gladiatorenkämpfe mit gespenstisch bedrohlicher Musik. 




(c) Stefan Vieregg


Oppermann baute neben der Eiszeitflöte auch eine Alemannen-/Germanen-Leier nach, die er aus einer 800 Jahre alten Eiche herausarbeitete und grob im Rahmen ließ, aber bereits feiner im Sound ist. Für alle seine Pläne sucht er musikhistorische Stätten, Museen und Forschungszentren auf und studiert alte Schriften, so von Nottger aus dem 8. Jahrhundert (St. Gallen). Dieser liefert Belege für frühes Liedgut. Franz Schüssele wiederum studierte das Bauernhorn, die Bauerntrompete (auch als Alphorn unterwegs), virtuos von ihm im akustischen Erscheinungsbild beschleunigt, die in den Vogesen und im Schwarzwald sowie andernorts ganz klar deutsche und europäische Didgeridoos waren. 


Auf dem Weg des Rheins (rhenus = das Fließende) lässt uns Oppermann und mit ihm der Dichter Gallé die jahrtausendealte Tradition des Rheins, seine Urenergie und "Gewalttätigkeit" (Oppermann) spüren, sein Vorwärtstoben, delirisches, trancehaftes Versinken in Zeitlupe eines Teils der Wassermassen in 240 m Tiefe des Bodensees und Weiterexistieren wie -fließen nach Rückführung in den Flusslauf nach 250 (!) Jahren. Entlang der Kulturstrecke Rhein erwacht das mythische Geschehen hoch oben in den Bergen, oberhalb des Oberalppasses (grob östlich von Andermatt), wo noch Hinter- und Vorderhein geteilt sind und dann bei Reichenau zusammenfließen. Aus dem Tomasee entspringt der Vorderrhein und vom Rheinhochwald kommt der Hinterrhein. 


Auf 1.320 km, davon 865 km in Deutschland, kann so viel passieren, und das wird uns bei dieser Reise ganz deutlich, denn man könnte Bände füllen mit dem Geschehen. Die wesentlichen Stationen für Gallé und Oppermann sind Goldwäscherei bis hin zum angenommenen Nibelungenschatz, das "Lied vom Goldhut" (Enkhjargal Dandarvaanchig), Hexenverfolgungen und Verfolgungen/Ermordungen im Zuge des Freikämpfens mit blutigem Tribut der demokratischen Kräfte über 1789 bis 1848 und 1945. Pfarrer Weidigs Haft und Selbstmord, der Weggefährte des Dramatikers und Mitverfassers des HESSISCHEN LANDBOTENS Georg Büchner, Robert Blum und Alfred Delp aus dem Kreisauer Kreis begegnen uns hier unter anderen. 



(c) Stefan Vieregg


Oppermanns und Gallés Montagetechnik stellt ein Mosaik der Geschichte her, das uns die 80.000 römischen und persischen Legionäre am Rhein vergegenwärtigt, die römische Mythologie und Musik mit den Zweihornhelmen der Germanen verbindet. Ein römischer Sturmangriff kommt auf uns zu im Gewand einer Jazzpassage, Hildegard von Bingen, obwohl sie rheinfern wirkte, tönt mit ihren Madrigalen und Gebeten hinein (Sigi Hausen). Kriemhilds früher Traum vom Tod ihres Geliebten vermischt sich mit Etzels (so heißt Attila in der Dichtung) Gesang (Enkhjargal Dandarvaanchig), der Kriemhilds letzter Gatte war. Eine Utopie aus Mainz: Ein Jude wird Papst und gibt seinen Job wieder auf, weil er zum Vater zurückkehren will, wird von einem fulminanten, tödlich verlockenden und sirenenhaft irreführenden Loreley-Gesang (phänomenal: Jennifer Thiele) verfolgt. Und am Niederrhein und später die Verweigerung des Rheins:
"Ich gehöre nicht den Industriekapitänen, die wie Medusenhäupter sich in meinem Wasser spiegeln."
Herrlich die dortige Industriemusik vom ständigen Fallen der Hämmer in der Eisenverhüttung, nur möglich durch die Kohle des Ruhrgebiets. So schließt sich der Kreis zu Siegfried, dem Schmied, ein unterirdisches Gewerbe im 5./6. Jahrhundert mit Kohle und Holz. Im Rotterdammer Rheindelta klingt die Flussgeschichte schließlich mit lateinamerikanischen, internationalen Klängen aus.


Ein großartiger Abend mit einem großen dichterischen Wurf, uns den Rhein und seine Facetten zeigend, die Musikgeschichte aktivierend und das wahre Gold des Flusses, das in dessen Vielseitigkeit und Pluralität besteht, uns erlebbar vermittelt durch wunderschöne, gewaltige (die römische Bassposaune/Tuba von Thomas Busch!) Musik. Daneben die Urgesänge, keltischen und germanischen Einflüsse (Nibelungenlied von Jorgen Lang) und mittelalterlichen Lieder in einem hochentwickelten Kulturraum. 

Freitag, 22. Februar 2013

Heute Abend in Mannheim: DER RING







FREITAG, 22.02.2013
18:00 Uhr

D E R   R I N G (DSE)

Theo Fransz

im SCHNAWWL / Nationaltheater
Inszenierung Theo Fransz
Bühne und Kostüme Mareile Krettek
Musik Till Rölle
Dramaturgie Julia Dina Heße
ab 12 Jahren
„Alles dreht sich um Macht. Frauen und Macht. Immer.“ Das ist die Feststellung gleich zu Beginn dieser eigenwilligen Fassung des großen Ring-Mythos. Wie die Oper widmet sich auch der Schnawwl anlässlich des Wagner-Jahres dem deutschen Nationalepos – allerdings aus einer ganz anderen Perspektive. Mit dem (augenzwinkernden) Blick auf das Wesentliche wird hier die Sage des begehrtesten Fingerschmucks der Welt nacherzählt: Die Geschichte des Ring des Nibelungen, der seinem Träger nicht nur unvorstellbare Macht, sondern gleich die Herrschaft über die ganze Welt verleihen kann. Geschmiedet aus dem Gold der Rheinweiber wird er zum Symbol für unendliches Glück und unendliches Leid zugleich. Nicht verwunderlich, denn das Rheingold erlangt nur, wer auf ewig der Liebe entsagt. Dazu war einzig der fiese Zwerg Alberich bereit, nahm das Gold und schmiedete den Ring. Als er diesen jedoch durch eine List an den Gott Wotan verliert, belegt er ihn mit einem schrecklichen Fluch, der den Macht besessenen Wotan mitsamt seiner Familie in den Ruin treiben soll. Und so geht es tatsächlich mit Wotans Familienglück steil bergab, als er seine Nachkommen instrumentalisiert, um doch noch in den Besitz des Ringes zu gelangen. Neben der unerschrockenen Brünnhilde und ihrem kräftigen Neffen und Geliebten, dem Drachentöter Siegfried, warten viele Stars und Sternchen der berühmten deutschen Sage in Theo Fransz’ tempo- und geistreicher Neubearbeitung auf. Mit viel Humor, schrägen Wortgefechten und bissiger Ironie, bringt er die Welt und ihre Ordnung für Götter und Menschen gehörig durcheinander.

Regisseur und Autor Theo Fransz studierte Schauspiel an der Theaterschule in Amsterdam und war anschließend als Theater- und Filmschauspieler tätig. Seit 2001 arbeitet er als freier Autor und Regisseur. Sein letztes Stück, das er für das moks in Bremen schrieb und inszenierte, wurde zum Festival Augenblick mal! 2011 nach Berlin eingeladen und mit dem Kaas & Kappes Preis ausgezeichnet. Am Schnawwl inszenierte Theo Fransz bereits Eine Odyssee.