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Dichterhain, Bände 1 bis 4

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Dienstag, 7. April 2015

Papiertheater Kitzingen: „AttaBoy und die Entführung“


Das Papiertheater Kitzingen lädt ein: 


„AttaBoy und die Entführung“


ein modernes, frech-romantisches Märchen für Menschen 
ab 12 Jahren
von Gabriele Brunsch






TERMINE:

Samstag, 11. April, 17 Uhr
Sonntag, 12. April, 17 Uhr
Freitag, 24. April, 17 Uhr
Samstag, 25. April, 17 Uhr
Sonntag, 26. April, 17 Uhr

 Kitzingen, Grabkirchgasse 4a


Gabriele Brunsch hat im Mozartjahr das Stück 
„AttaBoy und die Entführung“
geschrieben und für das Papiertheater inszeniert. Das Stück ist sowohl besinnlich,
aber vor allem heiter und spannend bis zum letzten Augenblick.
Es geht um die Entführung aus der Depression durch die Liebe und die Kunst.

Das einstündige Stück hat 10 Szenen. Es spielt in einer Großstadt.
Matthias, Spitzname: „AttaBoy“, ist ein Student, der sich durch die
Begegnung mit den Erkenntnissen der Wissenschaft dem Leben entfremdet.
Seine Freunde und seine kleine Schwester Franzi versuchen alles, um ihn
 umzustimmen, doch erfolglos. Erst das Zusammentreffen mit einem
 sonderbaren Mädchen in der Straßenbahn krempelt sein Seelenleben völlig um.
Theater vom Allerfeinsten im 3D-Format mit vielen überraschenden Effekten.



Bitte reservieren Sie per E-Mail, telefonisch unter 09332-8692
oder direkt auf der Homepage:

Montag, 11. März 2013

Buchtipp: MÄRCHEN, DIE KINDERN HELFEN von Gerlinde Ortner

Gerlinde Ortner
Märchen, die Kindern helfen
Mit Fantasie und Märchen Erziehungsprobleme lösen

dtv, 144 S., 7,90 € 

Gerlinde Ortners fantasievolle Geschichten um kindliche Protestaktionen und sogenannte Verhaltensstörungen in einem schmalen Bändchen sind nur ein Ansatz, kein Handbuch. Sie vermitteln Eltern pädagogisches Know-how für den Erziehungsalltag. Und Kinder werden über das erprobte Mittel des Märchenerzählens zur spielerischen Mitarbeit motiviert.

Dieses psychologische Märchenbuch ist Kindern und Erwachsenen in gleicher Weise zugedacht. Die über zwanzig therapeutischen Märchen und Geschichten sollen Kindern helfen, ihre Probleme, Ängste und Aggressionen zu bewältigen. Erwachsene lernen, auf Störungen des kindlichen Verhaltens richtig zu reagieren, das Kind besser zu verstehen. Diverse kindliche Unarten, Trödeln, Unordentlichkeit und Unfolgsamkeit werden dabei ebenso zum Thema wie schwerwiegende Verhaltensstörungen, Bettnässen, Stottern oder Schwierigkeiten bei der Eingliederung in Kindergarten oder Schule.

Wie die Autorin mehrmals betont, soll es kein Erziehungsratgeber für Eltern sein. Die Autorin war Schuldirektorin und ist nun Kinderpsychologin. Sie weist aber auch darauf hin, dass die meisten Kinder gar nicht zu ihr kommen müssten, wenn sich die Eltern anders verhalten würden. Mittels Märchen soll den Eltern klar werden, wie sie reagieren könnten und wie darauf das Kind vermutlich reagieren wird.


Gerlinde Ortner, 1945 geboren, war Kinder- und Jugendpsychologin in Beratungsstellen der Stadt Wien, Psychologin an der Universitätsklinik für sprachgestörte und gehörgeschädigte Kinder und leitete anschließend eine Schule in Spanien. Derzeit arbeitet sie als Psychotherapeutin, Psychologin und Supervisorin in eigener Praxis in Wien.

Freitag, 8. März 2013

(12) Und wenn sie nicht gestorben sind ... Alleinerziehend - sieben Kinder. Ein Fall für Streetworker Busch. Ein modernes Märchen von Siglinde Goertz

Alleinerziehend - sieben Kinder. Ein Fall für Streetworker Busch
Ein modernes Märchen von Siglinde Goertz

Seufzend klappte Willi Busch die Akte zu, über der er gerade gebrütet hatte. Er stand auf und ging ans Fenster um hinauszuschauen. Max und Moritz warfen gerade die prall gefüllten Müllsäcke in den Container. Waren echt fleißig gewesen, die zwei.

Willi öffnete das Fenster und rief. „Lasst gut sein, Jungs! Macht euch weg hier, sonst schafft ihr es nicht mehr zum Ball heute Abend!“ Die beiden strahlten ihn an, schmetterten ein kräftiges „Danke“ und trollten sich. Lächelnd schaute er ihnen nach. Wie die sich gemacht hatten, in den letzten Wochen. Was waren das für Rabauken gewesen, kaum zu glauben. Und als Kinderstreiche konnte man beim besten Willen nicht bezeichnen, was die sich geleistet hatten. Diebstahl, Sachbeschädigung und Körperverletzung. Sie standen schon mit einem Bein im Jugendknast. Rapunzel und Theo zuliebe hatte er dann alle Hebel in Bewegung gesetzt, um das in letzter Minute noch abzuwenden.

Hatte ja auch geklappt! Nachdem er sich die Bürschchen mal ordentlich zur Brust genommen und ihnen den Marsch geblasen hatte, leisteten sie brav ihre Sozialstunden ab. Ja, sie baten sogar darum, nach dem Ende der Strafe weiter machen zu dürfen. Die Arbeit machte ihnen Spaß und sie waren gern draußen im Wald. Schön, auch mal ein Erfolgserlebnis zu haben!

In seinem Job als Sozialarbeiter hatte er ja schon viel gesehen. Erst Recht seit er die Jugendarbeit machte. In all den Jahren, die er als Streetworker im Märchenland arbeitete, war er manchmal am Rande der Verzweiflung gewesen. Er dachte an seinen schlimmsten Fall. Hänsel und Gretel. Ärmste Verhältnisse zu Hause. Der Vater arbeitete als Tagelöhner – und auch nur, wenn er Lust hatte. Die Mutter total überfordert. Sie hatte sich dann an ihn gewandt, aber seine Bemühen waren nicht von Erfolg gekrönt. Eines Tages waren die zwei von zu Hause abgehauen. Es gab zwar Gerüchte, die Eltern hätten sie im Wald ausgesetzt, aber da war nichts Wahres dran.

Dass sie dann zu Dieben (und das Mädel sogar zur Mörderin) geworden waren, machte ihm immer noch schwer zu schaffen. Er begriff auch nicht, dass sie nicht mal zu einer Jugendstrafe verurteilt wurden. Nein, sie lebten mittlerweile wieder bei den Eltern und mussten lediglich zur Therapie. Ausgerechnet bei Dr. Allwissend. Dem traute er auch nicht über den Weg. Bemerkenswert ungebildet war der Mann – für einen Doktor! Eine gewisse Bauernschläue konnte man ihm allerdings nicht absprechen!

Willi schüttelte den Kopf und machte sich wieder an seine Akte. Wieder so ein Fall, der ihm schwer im Magen lag. Eine alleinerziehende Mutter mit sieben unehelichen Kindern im Alter von 5 bis 13 Jahren. Alle von verschiedenen Vätern. Die Mutter war dauernd mit wechselnden Männerbekanntschaften unterwegs und überließ die Kinder sich selbst. In der Hütte sah es aus, wie Kraut und Rüben und es stank wie im Puma-Käfig! Auf seine Vorhaltungen, dass das so nicht ginge, reagierte sie nur mit einem meckernden Lachen. Und lebte munter so weiter wie bisher.

Letzte Woche wollte dann der Vermieter, Herr Wolf, mal nach dem Rechten sehen. Natürlich waren die Kinder wieder allein zu Haus. Die Mutter hatte ihnen zwar mit Prügel gedroht, wenn sie jemand Fremdes in die Wohnung ließen (weniger aus Sorge um die Kinder, sondern weil sie befürchtete, es könne jemand vom Jugendamt sein), aber Herrn Wolf war es mit einem Trick gelungen, sich Einlass zu verschaffen. Er verstellte seine Stimme, so dass sie fast wie die der alten Ziege klang. Die Kinder dachten, es wäre die Mutter, die den Schlüssel vergessen hätte, und öffneten. Als sie den Vermieter sahen, brach natürlich das Chaos aus! Sie sprangen wild durcheinander, über Tische und Bänke. Eins kroch sogar in den Kasten der Standuhr. Als der Mann versuchte, die Blagen zu bändigen, ging der Älteste mit einer Schere auf ihn los und verletzte ihn schwer.

Als dann die alte Geiß nach Hause kam, fasste sie einen abenteuerlichen Plan, um die Tat ihres Filius zu vertuschen. Die Kinder sollten behaupten, Wolf habe sie gefressen und die Mutter habe sie aus seinem Bauch herausgeschnitten, um ihnen das Leben zu retten. Danach hätte sie ihm Steine in den Bauch getan, damit er nicht merken sollte, dass er immer noch hungrig war – und ihn wieder zugenäht. Im Menschenreich wären bei so einer Geschichte gleich die Männer mit dem Ich-hab-mich-lieb-Jäckchen angerückt. Aber im Märchenland konnte man ja die dollsten Dinger erzählen – irgend jemand glaubte sie immer!

Herr Wolf hatte diese Attacke leider nicht überlebt und wurde im Nachhinein auch noch als Bösewicht dargestellt. Die alte Geiß und ihre sieben „Geißlein“ kamen ungeschoren davon – was für eine Welt!

Willi Busch schüttelte den Kopf. Darüber wollte er heute nicht mehr nachdenken. Er war schließlich auch zu dem Ball eingeladen und würde auch hingehen. Einfach mal ein bisschen Spaß haben. Lecker essen, ein paar Bierchen trinken und vielleicht sogar mal das Tanzbein schwingen.

Von Problemen wollte er an diesem Abend jedenfalls nichts mehr hören.

Auch nicht von Rotkäppchens!



© Siglinde Goertz, Uedem

Donnerstag, 10. Januar 2013

(11) Und wenn sie nicht gestorben sind ... EINE TIERISCH GUTE BAND - ein modernes Märchen von Siglinde Goertz

JA KLAR - Hartz-IV-Band, Nähe Wilhelmshaven
"Ich leb von Hartz IV / und trinke zuhause mein Bier
Grundsicherung bei Erwerbsminderung
Das Leben ist n Laster / Ich hab zu wenig Zaster
Ich leb von Hartz IV“

Slide Group, Köln
Eine tierisch gute Band - Drum singe, wem Gesang gegeben – doch auch wer’s nicht kann, kann gut davon leben!
­
„Was ist denn das für eine Scheiß-Akustik hier?“, brüllte Gerd Grautier (sprich: Grohtjeee) durch den Ballsaal. Die anderen drei Bandmitglieder saßen ziemlich lustlos in einer Ecke und schlürften Kaffee. Eigentlich eine Zumutung, dass sie, als aufstrebende Band, heute Abend Tanzmusik machen sollten. Aber die Nichte des Königs hatte es sich gewünscht – was will man da machen? Und Hauptsache, die Knete stimmt.

„Voll krasse Location hier!“, krähte Coco Vin, der Sänger der Band. Gerd schüttelte den Kopf. Diese Sprache passte zu dem alten Gockel wie ein Pornofilm in die Frühmesse! Eigentlich waren sie eh alle zu alt, um als „Teenie – Bopper Band“ durch die Gegend zu tingeln. Aber was soll’s? Im Menschenreich waren anscheinend auch alte Männer angesagt. Da gab es doch diese Rockband, die Stones, oder wie die hießen. Die wurden ja mittlerweile von ihren Zivis auf die Bühne gekarrt.

Wenn er so darüber nachdachte, war es schon ein richtiger Glücksfall gewesen. Im Grunde waren sie ja nur ein zufällig zusammengewürfelter Haufen. Kennen gelernt hatten sie sich bei der „Grundsicherungsstelle für Arbeitssuchende“, wo sie alle vier ALG II beantragen wollten – nee, mussten. Von wollen war da keine Rede. Während der Wartezeit waren sie miteinander ins Gespräch gekommen und hatten festgestellt, dass sie alle gerne Musik machten. Zwar nicht besonders gut – und die Jüngsten waren sie, wie gesagt, auch nicht mehr – aber das spielte ja heutzutage beides nicht mehr so eine große Rolle. Und etwas besseres als Hartz VI fand man überall!

So waren sie auf die Idee gekommen, eine Band zu gründen. Einen Versuch war es wert. Wäre doch klasse, wenn sie den Durchbruch schafften und zukünftig auf Sozialleistungen verzichten könnten. Allerdings galt es noch einige Anfangsschwierigkeiten zu überwinden. Ein Bandname war zwar schnell gefunden. Da sie alle aus dem Norden kamen, nannten sie sich einfach „Die Bremer Stadtmusikanten“. Okay, im Menschenreich konnte man mit diesem Namen keinen Teenager mehr hinter der Playstation weglocken, aber fürs Märchenland reichte es. Die Kollegen meinten dann noch, sie müssten sich jetzt Künstlernamen zulegen. Na ja, ob Coco Vin (er sprach es übrigens Kock-ooh Wähng aus) besser klingt, als Fritz Hahn – das mag man jetzt mal dahingestellt sein lassen. Er selbst hatte sich jedenfalls strikt geweigert, sich fortan Earl Grey zu nennen.

Kitty, die Keyboarderin und Backgroundsängerin, bestand darauf neuerdings „Feles“ zu heißen. Sie fände den Namen cool, meinte sie. Außerdem lebte sie in dem Glauben, das würde von ihrer Bildung zeugen. Als ob einer der Banausen hier im Land wüsste, dass das lateinisch war und „Katze“ hieß. Aber den Vogel hatte mal wieder Hasso Dobermann, der Gitarrist, abgeschossen. Snoop Doggy Dog wollte er sich jetzt nennen. Hatte Gerd doch irgendwo schon mal gehört. Er war sicher, dass das Probleme geben würde. Na, ihm konnte es egal sein.

Das Witzigste war allerdings die Story, wie sie an ihren Proberaum gekommen waren. Irgend jemand hatte ihnen eine Adresse genannt und gesagt, dort würden jeden Abend ein paar Schallplattenproduzenten rumhängen. Sie sollten doch mal dahin gehen und einfach vorspielen. Gesagt – getan! Sie waren zu diesem Haus gefahren, hatten sich heimlich in die große Diele geschlichen, ihr Equipment aufgebaut und losgelegt! Leider hatten sie sich in der Hausnummer geirrt. Von wegen Produzenten! Einbrecher waren es, die dort ihr Warenlager hatten. Als nun Kitty zu einem Solo ansetzte, dachten die, das wäre eine Polizeisirene und verließen fluchtartig das Lokal. Ihre Beute ließen sie bei dem panischen Aufbruch natürlich zurück. Was für ein Glück!

Die Vier ließen sich sofort häuslich nieder, verscherbelten die Sore und richteten sich von der Knete ein geiles Tonstudio ein. Geld zum Leben hatten sie nun auch genug und es reichte sogar noch, um einen Manager einzustellen. Auch wenn es nur so ein abgetakelter Musikfuzzi aus dem Menschenreich, namens Pieter Dohlen, war. Der machte seine Sache gar nicht mal so schlecht. Zwei goldene Schallplatten und eine erfolgreiche Tournee, das konnte sich doch sehen lassen. Ihre Songs hörten sich zwar alle gleich an, aber wenn es die Fans nicht störte...! Und es sah nicht so aus, als täte es das. Sie konnten sich jedenfalls vor Groupies kaum retten.

Gerd grinste. Die Groupies - das war überhaupt das Beste an dem ganzen Bandgedöns! In allen Altersklassen hatte man die freie Auswahl. Auf ihn fuhren mehr die „reiferen“ Damen (so von 25 an aufwärts) ab, musste wohl an seinen grauen Haaren liegen, während die jungen Hühner tierisch auf Cocos roten Irokesen standen. Tja, und Hasso becircte die Ladies mit seinem treuen Hundeblick. Aber auch Kitty, pardon, Feles, kam auf ihre Kosten. Sie trieb es am dollsten von ihnen allen. Jeden Tag einen anderen Kerl in der Kiste. Ständig war sie rollig! Sie krallte sich jeden, der ihr gefiel und nicht bei drei auf dem Baum war. Das Miauen, dass dann nachts aus ihrem Schlafzimmer drang, weckte Tote auf! Na, sollte sie doch. Er gönnte ihr den Spaß!

„Verdammt noch mal, Gerd! Jetzt komm mal endlich in die Hufe! Wir müssen noch die Tonprobe machen und der komische Koch, Zwerg Langnäse, oder wie der heißt, will hier gleich das Buffet aufbauen! Mach ma hinne!“ Gerd zuckte zusammen und stand widerwillig auf. Na gut. Dann wollte er sich mal nicht so eselig anstellen. Sprang ja auch ordentlich was bei raus, bei diesem Auftritt. Man war ja nicht umsonst bei Königs! Und spielen würde man erst recht nicht umsonst – im Gegenteil! Musste der olle Frosch ordentlich was für abdrücken.

Und außerdem sagte ihm sein Instinkt: „Gerdi“, sagte der, „Gerdi! Heut Abend passiert wat!“ Etwas, was sozusagen den krönenden Abschluss einer scheinbar unendlichen Geschichte bilden würde!

Aber man kann sich ja auch irren! Oder???

© Siglinde Goertz, Uedem

Donnerstag, 20. Dezember 2012

Übrigens: Heute ist der 200. Geburtstag der Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm

Die Brüder Grimm bei der Recherche


Heute ist der 200. Jahrestag eines ganz besonderen Ereignisses der Literaturgeschichte, und er läutet ein Jahr voller Festivitäten ein: Am 20. Dezember 1812 erschien der erste Band der Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm. Das Jahr 2013 ist ihnen und ihrem bedeutenden Beitrag zur Bewahrung des deutschen Volksguts gewidmet.
Ursprünglich waren die Erzählungen von bösen Hexen, Prinzessinnen, verwünschten Traumprinzen, Flüchen, Zaubersprüchen, sprechenden Tieren und Riesen nicht für die Kleinen gedacht. Märchen galten als Unterhaltungsgeschichten – oft gruselig oder obszön –, die sich Erwachsene abends, wenn die Kinder im Bett waren, bei geselligen Runden erzählten.

Der romantische Dichter Clemens Brentano wollte Anfang des 19. Jahrhunderts ein Märchenbuch herausgeben und bat die beiden Studenten Jacob und Wilhelm Grimm für ihn zu arbeiten und Geschichten zu sammeln. Die Brüder schrieben daraufhin drei Jahre lang Texte aus alten Büchern zusammen.

Sie wurden fündig bei Hans Sachs, Luther und Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen, aber auch in französischen Sammelbänden der Aufklärung, in der Barockliteratur, und sie ließen sich mündlich Geschichten zutragen.

Als sie fertig waren, interessierte sich Brentano allerdings nicht mehr für ihre Arbeit. Damit die Erzählungen nicht verloren gingen, gaben sie am 20. Dezember 1812 in Berlin eine Anthologie heraus. Das Buch war ein Flop, kein Mensch interessierte sich.

Erst als Wilhelm Grimm die Geschichten überarbeitete, die Texte kindgerechter machte und von allen sexuellen und obszönen Anspielungen befreite, außerdem illustrierte und die Anmerkungen seines Bruders Jacob herausstrich, wurden die "Kinder- und Hausmärchen" zu dem Erfolg, den sie heute noch genießen.

Montag, 17. Dezember 2012

(10) Und wenn sie nicht gestorben sind ... WEM DER SCHUH PASST ... DER KANN BALD AUF GROSSEM FUSS LEBEN von Siglinde Goertz

Wer sich einen Prinzen angeln will, der muss sich was einfallen lassen!

Aschenputtel drehte sich vor dem Spiegel hin und her und betrachtete sich wohlgefällig. Sah geil aus, das Kleid. Damit würde sie heute Abend auf dem Ball zu Ehren von König Erdals Rückkehr alle anderen ausstechen.

Was für ein Glück, dass sie diesen Baum hatte. Der schüttelte wenigstens phantasievolle Roben aus seinen Ästen. Alle ihre Freundinnen kauften die Kreationen von Karlchen Legerfald, diesem Mickerling. Grauenhaft, diese Klamotten! Aber er glaubte, er wäre der größte Modedesigner aller Zeiten. Führte sich auf wie eine Diva! Dabei sah er höchstens lächerlich aus, mit seinem Zopf und diesem albernen Fächer. Seine Frau ärgerte sich auch schon seit Jahren, dass sie dieses Männlein am Hals hatte.


Na, das sollte nicht ihr Problem sein. Sie hatte sich ja damals den gut gebauten Prinzen geangelt. War ein hartes Stück Arbeit gewesen! Aber es hatte sich gelohnt. Das einzige, was sie noch störte, war dieser dämliche Name. ASCHENPUTTEL! Er erinnerte sie immer an die Zeit, in der sie diesen hässlichen grauen Kittel und die Holzschuhe tragen musste. Wenn sich ihre Freundinnen doch endlich daran gewöhnen können, sie Cinderella zu nennen. Das klang doch viel hübscher. Aber nein! Vermutlich machten sie es mit Absicht, um sie zu ärgern. Ganz besonders regte es sie auf, wenn Eulalia sie „Aschi“ nannte. Wie klang das denn? Und Schneewittchen sagte sogar „Putti“! Ätzend! „Das nächste Mal sag ich ‚Spritti’ zu ihr!“, schwor sich Aschenputtel.

Sie sah auf die Uhr. Noch Zeit genug, sie brauchte sich nicht zu beeilen. Ach, war das schön! Endlich mal wieder ein Ball! Sie musste daran denken, wie sie sich ihren Gemahl an Land gezogen hatte. War gar nicht so einfach gewesen! Ihre Stiefmutter und die Stiefschwestern hatten ihr das Leben ganz schön sauer gemacht. Papa hatte sich natürlich aus allem rausgehalten und ihr nicht beigestanden. Warum waren die Väter hier im Märchenland nur alle solche Waschlappen? Na, das konnte ihr jetzt egal sein. Von ihrer Familie hatte sie sich bei ihrer Hochzeit losgesagt. Mit denen wollte sie nichts mehr zu tun haben!

Wie hatte sie damals gebettelt, um mit auf den Ball gehen zu dürfen. Aber nein! Immer neue Schikanen hatte die Alte sich ausgedacht. Putzen, waschen, Erbsen lesen.. so doof, wie die sonst war – da gingen ihr die Ideen nicht aus. Aschenputtel hatte geschuftet wie eine Blöde, bis das Haus blitzte und blinkte. Tja, und dann hieß es: Du hast ja nichts anzuziehen! Diese Zimtziege! Gut, dass sie nix von dem Baum wusste! Na ja – langer Rede kurzer Sinn: Sie hatte sich in Schale geschmissen und war heimlich zu dem Ball gegangen. Wow! Dieser Prinz! Hin und weg war sie von ihm. Den musste sie haben! Koste es, was es wolle.

Aber sie war ja keine kleine Dumme! Wie man Kerle um den Verstand bringt, das wusste sie. Ordentlich anheizen.. und dann erst mal vom Acker machen! Das funktioniert immer! Anfangs hatte sie sich ja wenig Hoffnung gemacht. Bei ihren Erkundigungen über ihn fand sie nämlich heraus, dass er Schuh- und Fußfetischist war. Leider stand er auf kleine Füße. So ein Pech aber auch, dass sie Schuhgröße 40 hatte, genau wie ihre Stiefschwestern! Doch dann kam ihr die genialste Idee aller Zeiten. Sie musste zwar dem Kammerdiener des Prinzen ein bisschen Schmiergeld zahlen, doch das war es ihr wert.

Wenn die alle wüssten, wie sie es angestellt hatte! Aschenputtel lachte. Sie war schon ganz schön raffiniert, das musste man ihr lassen! Schon bei den ersten beiden Bällen hatte sie den Prinzen so heiß gemacht, dass er am liebsten gleich mit ihr in die Kiste gestiegen wäre. Aber kurz vor Mitternacht hatte sie ihn beide Male stehen lassen (mit allem, was sonst noch so stand) und war verschwunden. Beim dritten Ball das gleiche Spielchen. Nur mit dem Unterschied, dass sie, gaaaaaanz zufällig natürlich, einen ihrer winzigen (!) Schuhe verlor! Sie wusste genau, dass der Prinz jetzt diejenige suchen würde, der dieser Schuh (in Größe 35!!!) passte! Tja, und so geschah es ja auch. Durch das ganze Land zog er mit dem Schuh, bis er endlich bei ihr zu Hause aufkreuzte.

Die Stiefmutter witterte eine Chance, wenigstens eine ihrer krötigen Töchter unter die Haube zu kriegen und sperrte Aschenputtel in der Besenkammer ein, damit der Prinz sie nicht sah. Klar, dass beiden der Schuh nicht passte! Aschenputtel grinste schadenfroh, bei dem Gedanken daran, dass sich die beiden hohlen Fritten die Füße verstümmelt hatten. Für nichts und wieder nichts! Der Prinz brachte sie jedes Mal postwendend zurück, samt ihrer blutenden Quadratlatschen. Als er dann fragte, ob es nicht doch noch eine dritte Tochter gäbe, nieste sie ganz laut in ihrer Besenkammer. Da blieb der Alten nix anderes übrig, als sie da rauszulassen.

Was hatte die dämlich aus der Wäsche geschaut, als Aschenputtel der Schuh passte! Wusste sie doch, dass die drei Mädels alle die gleiche Schuhgröße hatten. Was sie allerdings nicht wusste: Aschenputtel hatte zwei identische Paar Schuhe gekauft, in zwei verschiedenen Größen. Und der Kammerdiener des Prinzen hatte in dem ganzen Durcheinander schnell den 35er gegen den 40er ausgetauscht. Tja – man muss sich nur zu helfen wissen. Die dummen Gesichter der drei Schnepfen, als sie in den Schuh schlüpfte und der wie angegossen saß – herrlich! Sie kriegte heute noch Lachkrämpfe, wenn sie daran dachte. Erst befürchtete sie ja, der Prinz könne etwas merken... aber der war so damit beschäftigt, ihr in den Ausschnitt zu starren, der hätte nicht mal bemerkt, wenn sie Schwimmflossen getragen hätte!

„Schaahaaaaatz! Bist du fertig?“ Die Stimme ihres Mannes riss sie aus ihren Gedanken. Ups – so spät schon. Jetzt wurde es aber Zeit. Schließlich wollten sie nicht das Buffet verpassen. Adelheids Gatte hatte sich bestimmt wieder selbst übertroffen! Hoffentlich war nicht wieder Rotkäppchen das Thema des Abends. So langsam nervte das! Ach was! Sie würde köstlich speisen, ein wenig flirten und viel tanzen. Es würde ein schöner Abend werden.

Alles wird gut!




© Siglinde Goertz

Samstag, 30. Juni 2012

(7) Und wenn sie nicht ...: Arme Jungfer zart! - Hochmut kommt vor dem Fall!!



Seufzend stieg Adelheid von der Waage. Schon wieder zugenommen! Ihr Mann Jakob, von allen nur Zwerg Nase genannt, kochte einfach zu gut. Und zu kalorienreich! Wenn das so weiterginge, dann passte sie bald nicht mehr in ihre Klamotten. Und sie konnte sich ja leider keine neuen Kleider vom Baum pflücken!

Im Gegensatz zu Aschenputtel, dieser arroganten Ziege! Was die sich einbildete, seit sie geheiratet hatte. Adelheid sah sie immer noch vor sich, wie sie damals ausgesehen hatte. Ewig den gleichen, verdreckten Kittel an. Wie die letzte Heckenpennerin! Und jetzt trug sie die Nase so hoch, dass es ihr beinahe hineinregnete. Nicht mal mehr ihr Name war ihr noch gut genug. Cinderella wollte sie ab sofort genannt werden. Cinderella!!!! Warum nicht gleich "Schantalle"?

Nein – sie musste sich jetzt einfach ein bisschen bremsen beim Essen. Neue Kleider konnte sie sich im Moment nicht leisten. Jetzt, wo Jakob gerade das neue Gourmet-Restaurant eröffnet hatte. Alle ihre Ersparnisse steckten darin. Ob das wohl so eine gute Idee gewesen war? Sicher, Jakob war der beste Koch weit und breit. Aber wenn man sich mal so umschaute im Land – lauter verarmter Adel. Die gingen eher selten auswärts essen. Und wenn, dann meistens in diesen Schnellimbiss, das Tischlein-deck-dich. Angeblich, weil die Kinder es dort so schön fanden. Wer’s glaubt!

Adelheid seufzte noch einmal. Leicht hatten sie es nicht im Märchenland. Ihr Mann war ein „Zugereister“, der musste sich anstrengen, um hier anerkannt zu werden. Ja, und ihr machte immer noch die unrühmliche Geschichte mit Drosselbart zu schaffen. Gut, sie sah ja ein, dass sie zum Teil auch selbst schuld daran war. Wäre sie nicht so hochmütig gewesen, dann wäre vielleicht einiges anders gekommen. Aber das war noch lange kein Grund, ihr so übel mitzuspielen. Er hatte sie doch eh nur heiraten wollen, um zu vertuschen, dass er stockschwul war. Dabei war das doch offensichtlich! Schon seine tuntige Art sich zu kleiden! Und das will was heißen, in einem Land, wo alle Männer Strumpfhosen trugen!

Schuld an allem war ja eigentlich ihr Vater. Auf einmal hatte er es so eilig, sie unter die Haube zu bringen, dass er alle heiratsfähigen Junggesellen aus dem Märchenland antanzen ließ, um sie zu verschachern. Und als sie sich, aus lauter Trotz, über jeden einzelnen lustig machte (auch über Drosselbart), wurde Paps so wütend, dass er versprach, sie mit dem ersten besten Bettler zu verheiraten, der vor seine Tür käme. 

 

Tja, und da hatte diese gehässige Schwulette natürliche DIE Chance gesehen, sich zu rächen. In total abgerissenen Klamotten erschien er vor dem Schloss – und schwups – war sie seine Frau! Nicht mal zu Hause wohnen bleiben konnte sie. „ Für die Frau eines Bettlers geziemt es sich nicht, auf einem Schloss zu leben!“ Liebevolle Worte eines liebevollen Vaters! Wie auch immer, sie musste mit diesem Penner von dannen ziehen. Hätte sie gewusst, was ihr bevorstand – sie hätte wahrscheinlich freiwillig den vergifteten Apfel von Schneewittchen verspeist.

Erst schleifte er sie wochenlang durch Feld, Wald und Wiese – um bei allem, was sie sahen, laut zu tönen: „Das gehört dem König Drosselbart, hättest du ihn genommen, wär es dein!“ Dabei wusste jeder, dass alles König Erdals Besitz war! Irgendwann hatte sie es so satt, dass sie entgegnete: „ Ich arme Jungfer zart, ach hätt ich genommen den Drosselbart!“ Dieser Satz hing ihr bis heute nach. Hatte wohl keiner die Ironie erkannt!

Endlich waren sie dann an einer verfallenen Hütte angekommen. Und da ging das Elend erst richtig los! Körbe sollte sie flechten! Dabei hasste sie Handarbeit! Natürlich wurde nix draus. Dann verlangte er von ihr, sie solle spinnen! Der spinnt wohl! Als das auch nicht klappte, sollte sie kitschige Keramikpötte auf dem Markt verkaufen. Kaum war der Stand aufgebaut, kam so ein besoffener Husar, dem der Gaul durchgegangen war und zerdepperte alles.

Später hatte sie dann herausgekriegt, dass es Drosselbart selber gewesen war. Dieses boshafte Frettchen!! Da hatte Adelheid dann endgültig die Faxen dicke und suchte sich selbst einen Job. Sie fand auch recht schnell was, als Küchenhilfe im Königsschloss. Zwar kein Traumjob, aber was will man machen, wenn man nix gelernt hat? Zumindest hatte sie jeden Tag was Gutes zu essen und sie verdiente nicht schlecht.

Bei der Arbeit hatte sie dann Jakob kennen gelernt, der dort als Koch beschäftigt war. Bereits nach ein paar Tagen hatte sie ein Verhältnis mit ihm angefangen. Er war zwar nicht besonders attraktiv, aber ein sehr netter, charmanter Mann. Ja, und an dem Spruch „ Wie die Nase des Mannes... „ war wohl doch was dran. Außerdem hatte Adelheid Nachholbedarf. Ihr sogenannter Ehemann rührte sie ja nicht an. Ja klar, heute wunderte sie sich nicht mehr darüber, aber damals wusste sie ja noch nicht, wer er in Wirklichkeit war. Obwohl... wenn er auch nur den Versuch gemacht hätte, sie hätte ihm wohl einen solchen Tritt in sein Gemächt verpasst, dass er nicht mehr gewusst hätte, ob er Männchen oder Weibchen ist. Sie kicherte.. na, das wusste er eh nicht so genau!


Irgendwann hatte dieser Dummdödel gemerkt, dass da was im Busch war. Meistens übernachtete sie ja bei Jakob. Er hatte zwar auch nur ein kleines Zimmer im Schloss, aber immer noch besser, als die verwanzte Bruchbude, in der sie hausen musste. Und was sollte sie da allein, wo der Penner sich nächtelang herumtrieb? Jemand hatte ihm dann wohl die Wahrheit gesteckt, von selbst wäre der nie und nimmer darauf gekommen. Was hatte er für einen Aufstand gemacht! Und gelogen hatte er, dass sich die Balken bogen. Von wegen, sie hätte ihn doch noch heiraten wollen! Sie war ja froh, dass diese Ehe nie vollzogen wurde, so dass sie sich die Scheidung sparen konnte.


Wäre sie doch nur nicht ins Schloss gegangen, um beim Ball zuzuschauen, dann wäre ihr diese Szene erspart geblieben. War das peinlich! Sie bekam immer noch einen roten Kopf, wenn sie daran dachte. Auf die Tanzfläche hatte er sie gezerrt und ganz laut gebrüllt: „Dich heiraten? Vergiss es! Ich bin schwul – und wenn ich dich so anschaue, dann ist das auch gut so!“ Die ganze Gesellschaft grölte vor Lachen. Später hieß es dann, sie habe Jakob nur geheiratet, weil sie keinen anderen mehr mitkriegte. So ein Quatsch! Sie liebte diesen Mann – und er liebte sie! Die anderen waren ja nur neidisch. Kein Wunder, wenn man sich die „glücklichen“ Ehen ansah!

„Blödes Gesocks!“, brummte Adelheid vor sich hin. Aber sie musste nun mal gute Miene zum bösen Spiel machen. Na ja, ein bisschen heucheln fiel ihr nicht schwer. War gut fürs Geschäft! Darum würde sie sich jetzt chic machen und zu Eulalia fahren, um Rotkäppchen ein kleines Geschenk zu bringen. Pralinen – von Jakob eigenhändig zubereitet! Werbung ist alles!!

Auch wenn es sie nicht die Bohne interessierte, was dieser verzogenen Göre bei ihrer debilen Großmutter passiert war!!

© Siglinde Goertz

Dienstag, 1. Mai 2012

(5) Und wenn sie nicht ... Salon Rapunzel - Waschen, Schneiden, Legen.. und noch einiges mehr


 „Rapunzel! Es ist zu heiß unter der Haube, ich hab schon ein ganz rotes Gesicht!“, empörte sich Schneewittchen. „Das kommt vom Saufen, du alte Schnepfe!“, murmelte Rapunzel vor sich hin. Sie zwang sich zu einem freundlichen Lächeln, als sie zu Schneewittchen trat, um die Temperatur zu regulieren. „Besser so?“ Schneewittchen nickte gnädig. 


Rapunzel stöhnte leise. Diese furchtbaren Kopfschmerzen. Alles hatte sie schon probiert und nichts half. Das kam von der kaputten Halswirbelsäule. Es ist eben nicht gesund, wenn alle möglichen Leute meinen, ihr Zopf wäre ein Kletterstrick. Gut, den hübschen Prinzen, ihren jetzigen Gatten, hatte sie ja noch gerne in den Turm gehievt, aber diese alte Zauberin, die fette Qualle – nee, das war zuviel gewesen. Das hält das stärkste Rückgrat nicht aus. Heute war es aber auch wieder besonders schlimm. Kaum auszuhalten. 


Und der Salon rappelvoll. Seit einigen Wochen musste sie auch noch alles allein machen. Warum nur hatte König Erdal ihre beiden Lehrmädchen, Schneeweißchen und Rosenrot, mitgenommen? Gerade jetzt, wo sie sich so geschickt angestellt hatten. Was für ein Vater! Anstatt froh zu sein, dass seine Kinder eine vernünftige Ausbildung bekamen! 


Rapunzel lachte leise, bei dem Gedanken, wie ungeschickt die zwei anfangs gewesen waren. Meine Güte, was hatte sich der Zwerg aufgeregt, als sie ihm den Bart komplett abgeschnippelt hatten. Zur Innung wollte er gehen und sich beschweren. Erst als alle ihm bestätigten, dass er ohne Bart mindestens 20 Jahre jünger aussähe, hatte er sich beruhigt. Ach, sie könnte die beiden jetzt gut gebrauchen. Aber man munkelte ja, dass König Erdal vielleicht doch zurückkommen wollte. Na – sie würde die zwei mit Kusshand wieder nehmen. 


Eigentlich konnte sie ja stolz darauf sein, was sie so alles geschafft hatte. Wenn sie bedachte, aus was für Verhältnissen sie sich hochgearbeitet hatte! Ihre Eltern waren arm wie die Kirchenmäuse. Als ihre Mutter mit ihr schwanger war, konnte sie sich nicht mal eine vernünftige und ausgewogene Ernährung leisten. Ihr Vater hatte dann bei der Nachbarin den Feldsalat geklaut, damit Mutter wenigstens ein paar Vitamine bekam. Natürlich war er erwischt worden. Die alte Vettel hatte vielleicht einen Aufstand gemacht, wegen dem bisschen Grünzeug. Und ihr Vater, der auch nicht mutiger war als Eulalias Mann, versprach ihr als Entschädigung das noch ungeborene Kind. Eltern gibt es! Wenn sie es wenigstens besser gehabt hätte, bei der Alten. Aber im Gegenteil! Eingesperrt wurde sie, jahrelang!! Papa hatte Angst vor ein paar Tagen Knast gehabt – und sie sollte lebenslänglich für ihn sitzen. 


Es kam ihr immer noch wie ein Wunder vor, dass sie eines Tages Theodor, ihren Traumprinzen, kennen gelernt hatte. Wochenlang war er immer heimlich zu ihr hinaufgeklettert, bis die Alte sie eines Tages erwischte. Da war dann Schluss mit lustig. Theo sprang aus dem Fenster, wobei er sich schwer verletzte und Rapunzel wurde in die Wüste geschickt. Obwohl sie damals schon schwanger war! Ganz allein hatte sie die Zwillinge zur Welt gebracht. Ihre beiden Jungs – Max und Moritz. Was waren das für Wonneproppen! Jahrelang musste sie sich mit den beiden alleine durchschlagen. Leicht war das nicht! Und dann immer die Angst, was wohl aus Theo geworden ist. Jahre später, die Jungs gingen schon in den Kindergarten und sie machte gerade ihren Meister als Friseurin, traf sie ihn zufällig wieder. Beim Sturz aus dem Fenster hatte er sich den Sehnerv verletzt und war erblindet. Aber sie hatte ihn wieder, das war die Hauptsache! Mittlerweile konnte er sogar wieder sehen. 


Rapunzel schmunzelte. Das war auch so eine Geschichte. Diese komischen Typen aus dem Menschenreich, die Brüder Grimm, hatten eine rührselige Story daraus gemacht. Ihre Tränen hätten ihm das Augenlicht wiedergegeben. So ein Quatsch! Wer glaubt denn so was? Dr. Eisenbart, ein berühmter Neurochirurg, hatte ihn operiert. Für teures Geld, aber dafür mit Erfolg! Sie hätten sich diese Operation gar nicht leisten können, wenn ihr nicht der Zufall zur Hilfe gekommen wäre! Ja, manchmal gehört auch eine Portion Glück dazu. 


Sie würde diesem Bärenhäuter jedenfalls auf ewig dankbar sein! Wenn sie noch daran dachte, wie er damals in ihren gerade neu eröffneten Salon gekommen war. Du lieber Himmel, wie sah der Mann aus! Und wie der gestunken hatte! Sämtliche Spiegel waren beschlagen. Das kommt davon, wenn man sich mit dem Teufel einlässt. Sieben Jahre hatte er sich nicht gewaschen und rasiert, geschweige denn die Haare geschnitten. Dafür hatte der Teufel ihm immerwährenden Reichtum und eigenhändige Reinigung nach Ablauf der Zeit versprochen. Nun ja, das Geld hatte er genommen, aber vom Teufel gewaschen werden wollte er nicht. So kam er zu Rapunzel. Sie hatte dann wieder einen Menschen aus ihm gemacht. Einen sehr attraktiven, nebenbei bemerkt. Und gelohnt hatte es sich allemal! Die Operation konnte bezahlt werden und der Salon war auch mit einem Schlag schuldenfrei! 


Ach, es könnte alles so schön sein. Theo und sie liebten sich, wie am ersten Tag. Die Zwillinge waren bildhübsche Kerle geworden. Nur leider steckten sie gerade mitten in der Pubertät! Was die schon alles angestellt hatten! Der Witwe Bolte die Hühner geklaut, die kleine Holzbrücke über den Bach angesägt, so dass der Schneider fast ertrunken wäre – und als Krönung hatten sie den alten Lehrer fast in die Luft gesprengt. Rapunzel seufzte tief auf! Zur Zeit mussten die beiden den Wald vom Müll säubern. Sozialstunden! Konnten sie sich bei ihrem Streetworker, Herrn Busch, bedanken. Der hatte gerade noch mal den Jugendknast abwenden können. 


Eine Uhr klingelte. Es wurde Zeit, Schneewittchen von den Trockenhaube zu befreien. Während Rapunzel mit geschickten Fingern die Lockenwickler herausnahm und ihre Freundin frisierte, hing sie weiter ihren Gedanken nach. Diese Kinder! 


Herr Busch meinte aber, in den beiden würde, trotz allem, ein guter Kern stecken. Hatten sie sich doch letztens so rührend um Rotkäppchen gekümmert. Das Mädel war ihnen, total aufgelöst, im Wald begegnet. Max und Moritz hatten sich ganz liebevoll ihrer angenommen, sie getröstet und nach Hause gebracht. Wer weiß, was ohne die zwei noch alles passiert wäre. Die Leute rätselten immer noch, was wohl bei Rotkäppchens Großmutter geschehen war. Weder die alte Frau noch das Kind sagten ein Wort zu dieser mysteriösen Angelegenheit. 


Ob man wohl jemals herausfinden würde, was die Kleine nun gesehen hat? 




© Siglinde Goertz, Uedem

Sonntag, 22. April 2012

(4) Und wenn sie nicht ... Hundert Jahre Schönheitsschlaf - und seine Folgen


Dornröschen reckte sich und gähnte ausgiebig. Dieser verdammte Fluch wirkte immer noch! Hundert Jahre Schlaf... und trotzdem ständig müde. Mürrisch schlug sie die Bettdecke zurück und stand auf. Wo steckte nur Kunibert? Bestimmt wieder bei Drosselbart, diesem Mistkerl. 


Was für eine Ehe! Dornröschen fragte sich, warum ausgerechnet Kuni sie hatte wecken müssen. Sie schüttelte sich immer noch bei dem Gedanken an diesen feuchten Schlabberkuss. Und der Mundgeruch! Grauenhaft! Dass sie nicht gleich wieder ins Koma gefallen war, war das reinste Wunder. 


Sie kratzte sich am Kopf und schlurfte ins Bad. Erst mal duschen und dann einen starken Kaffee. Vielleicht half das ja. Den Blick in den Spiegel mied sie tunlichst. Von wegen Schönheitsschlaf! Hundert Jahre – und sie sah aus, wie die Zwillingsschwester von Quasimodo. Es war zum Heulen! 


Nachher würde sie mal Daisy anrufen. Jahrelang hatte man sie als das häßliche Entlein verspottet. Seit einigen Monaten war sie allerdings vollkommen verändert. Bildschön sah sie aus. Angeblich war die Veränderung ganz von selbst eingetreten, sozusagen mit dem Erwachsenwerden. Hah! Wer’s glaubt wird selig! Da hatte mit Sicherheit jemand nachgeholfen. Und sie würde schon rauskriegen, wer das war. 


Dornröschen seufzte. Ach, selbst wenn sie es wüsste.. was nützte ihr das? Sie hatte eh kein Geld, um einen Schönheitschirurgen zu bezahlen. Kunibert hatte nix mit in die Ehe gebracht, außer den Klamotten, die er auf dem Leib trug. Nicht mal das Schwert konnte man noch verscherbeln, es war vom Rosenschneiden total ruiniert. Tja, das hätte der Gute sich auch nicht träumen lassen, dass er eine verarmte Prinzessin wachgeküsst hat. Daran konnte man erkennen, dass er nicht unbedingt eine Intelligenzbestie war. Jeder Grundschüler mit rudimentären Rechenkenntnissen hätte sich ausrechnen können, dass bei ihr nix zu holen war. 


War doch wohl offensichtlich, oder? Hallooo?!? Ein König, der nur 12 goldene Teller besaß? Sie war immer noch stinksauer auf Papa. Da macht er einen auf dicke Hose und hat nix auf Sack. Und wer musste darunter leiden? Richtig! Da startet der Mann die Riesenwelle, lädt "Jan und alle Mann" zu ihrer Taufe ein ... und einen Tag vorher fällt es ihm wie Schuppen aus den Haaren, dass nicht genug Geschirr da ist. Anstatt sich bei den Nachbarn was zu borgen, lädt dieser Trottel ausgerechnet Tante Agathe wieder aus. Dabei weiß doch jeder, wie nachtragend die ist. 


Natürlich rauschte sie dann zur Taufe doch an. Mit Blitz und Donner war sie über die Gesellschaft hereingebrochen und hatte hysterisch gekeift: “Die Königstochter soll sich in ihrem 15. Jahr an einer Spindel stechen und tot hinfallen!“ Tante Maria war dann so lieb, es in einen hundertjährigen Schlaf umzuwandeln.. aber das hätte sie besser bleiben lassen. 


Was hatte ihr das letzten Endes eingebracht? Ein Gesicht wie ein ungemachtes Bett und einen bisexuellen Ehemann. Welcher sich allerdings in letzter Zeit ausschließlich auf Menschen seines eigenen Geschlechtes konzentrierte. Zum Glück! Dornröschen hatte eh keinen Bock auf Sex mehr. Tja, so ist das, wenn man hundert Jahre schläft. Da vergeht die Zeit zwar langsamer, aber sie bleibt leider nicht stehen. In der Pubertät einzuschlafen und im Klimakterium aufzuwachen – das ist nicht besonders witzig! 


Ach – egal! Sie würde sich jetzt ein bisschen zurecht machen und dann Eulalia besuchen. Mal sehen, ob die etwas von Erdal gehört hatte. Eulalia hatte ihm nämlich eine Eil-Brieftaube geschickt. Seit Erdal weg war ging hier alles drunter und drüber. Drosselbart war seinem Amt überhaupt nicht gewachsen. Das Beste wäre, er würde sich die ganze Zeit mit Kunibert im Himmelbett vergnügen. Dann käme er wenigstens nicht mehr auf so bescheuerte Ideen! Diese bekloppte Kampagne zum Beispiel: „Du bist Märchenland!“ Total krank! Wer denkt sich so was aus? Könnte glatt aus dem Menschenreich kommen, idiotisch wie das ist! 


Hoffentlich konnte Eulalia ihren Bruder dazu überreden, zurückzukommen. Die Ärmste war auch mit den Nerven am Ende. Die Behandlung ihres Gatten bei Dr. Allwissend verschlang ein Vermögen, brachte aber keine Besserung. Und dann noch die Sorge um Rotkäppchen. Die Kleine war vom letzten Besuch bei der Großmutter total verstört heimgekommen. Seitdem war kein Wort aus ihr herauszukriegen. Fest stand, dass sie etwas Unglaubliches gesehen haben musste! Aber was?? Dornröschen schüttelte den Kopf. Nur Kummer, Sorgen und Ärger, wohin man auch schaute. 


Und da sagen die Menschen, wenn sie etwas Schönes beschreiben wollten, das sei „märchenhaft“. Wenn die wüssten! 




© Siglinde Goertz, Uedem

Sonntag, 15. April 2012

(4) Hundert Jahre Schönheitsschlaf - und seine Folgen. Ein Comedy-Märchen von Siglinde Goertz

Dornröschen reckte sich und gähnte ausgiebig. Dieser verdammte Fluch wirkte immer noch! Hundert Jahre Schlaf... und trotzdem ständig müde. Mürrisch schlug sie die Bettdecke zurück und stand auf. Wo steckte nur Kunibert? Bestimmt wieder bei Drosselbart, diesem Mistkerl.

Was für eine Ehe! Dornröschen fragte sich, warum ausgerechnet Kuni sie hatte wecken müssen. Sie schüttelte sich immer noch bei dem Gedanken an diesen feuchten Schlabberkuss. Und der Mundgeruch! Grauenhaft! Dass sie nicht gleich wieder ins Koma gefallen war, war das reinste Wunder.

Sie kratzte sich am Kopf und schlurfte ins Bad. Erst mal duschen und dann einen starken Kaffee. Vielleicht half das ja. Den Blick in den Spiegel mied sie tunlichst. Von wegen Schönheitsschlaf! Hundert Jahre – und sie sah aus, wie die Zwillingsschwester von Quasimodo. Es war zum Heulen!

Nachher würde sie mal Daisy anrufen. Jahrelang hatte man sie als das häßliche Entlein verspottet. Seit einigen Monaten war sie allerdings vollkommen verändert. Bildschön sah sie aus. Angeblich war die Veränderung ganz von selbst eingetreten, sozusagen mit dem Erwachsenwerden. Hah! Wer’s glaubt wird selig! Da hatte mit Sicherheit jemand nachgeholfen. Und sie würde schon rauskriegen, wer das war.

Dornröschen seufzte. Ach, selbst wenn sie es wüsste.. was nützte ihr das? Sie hatte eh kein Geld, um einen Schönheitschirurgen zu bezahlen. Kunibert hatte nix mit in die Ehe gebracht, außer den Klamotten, die er auf dem Leib trug. Nicht mal das Schwert konnte man noch verscherbeln, es war vom Rosen schneiden total ruiniert. Tja, das hätte der Gute sich auch nicht träumen lassen, dass er eine verarmte Prinzessin wachgeküsst hat. Daran konnte man erkennen, dass er nicht unbedingt eine Intelligenzbestie war. Jeder Grundschüler mit rudimentären Rechenkenntnissen hätte sich ausrechnen können, dass bei ihr nix zu holen war.

War doch wohl offensichtlich, oder? Hallooo?!? Ein König, der nur 12 goldene Teller besaß? Sie war immer noch stinksauer auf Papa. Da macht er einen auf dicke Hose und hat nix auf Sack. Und wer musste darunter leiden? Richtig! Da startet der Mann die Riesenwelle, lädt "Jan und alle Mann" zu ihrer Taufe ein.. und einen Tag vorher fällt es ihm wie Schuppen aus den Haaren, dass nicht genug Geschirr da ist. Anstatt sich bei den Nachbarn was zu borgen, lädt dieser Trottel ausgerechnet Tante Agathe wieder aus. Dabei weiß doch jeder, wie nachtragend die ist.

Natürlich rauschte sie dann zur Taufe doch an. Mit Blitz und Donner war sie über die Gesellschaft hereingebrochen und hatte hysterisch gekeift: “Die Königstochter soll sich in ihrem 15. Jahr an einer Spindel stechen und tot hinfallen!“ Tante Maria war dann so lieb, es in einen hundertjährigen Schlaf umzuwandeln.. aber das hätte sie besser bleiben lassen.

Was hatte ihr das letzten Endes eingebracht? Ein Gesicht wie ein ungemachtes Bett und einen bisexuellen Ehemann. Welcher sich allerdings in letzter Zeit ausschließlich auf Menschen seines eigenen Geschlechtes konzentrierte. Zum Glück! Dornröschen hatte eh keinen Bock auf Sex mehr. Tja, so ist das, wenn man hundert Jahre schläft. Da vergeht die Zeit zwar langsamer, aber sie bleibt leider nicht stehen. In der Pubertät einzuschlafen und im Klimakterium aufzuwachen – das ist nicht besonders witzig!

Ach – egal! Sie würde sich jetzt ein bisschen zurecht machen und dann Eulalia besuchen. Mal sehen, ob die etwas von Erdal gehört hatte. Eulalia hatte ihm nämlich eine Eil-Brieftaube geschickt. Seit Erdal weg war ging hier alles drunter und drüber. Drosselbart war seinem Amt überhaupt nicht gewachsen. Das Beste wäre, er würde sich die ganze Zeit mit Kunibert im Himmelbett vergnügen. Dann käme er wenigstens nicht mehr auf so bescheuerte Ideen! Diese bekloppte Kampagne zum Beispiel: „Du bist Märchenland!“ Total krank! Wer denkt sich so was aus? Könnte glatt aus dem Menschenreich kommen, idiotisch wie das ist!

Hoffentlich konnte Eulalia ihren Bruder dazu überreden, zurück zu kommen. Die Ärmste war auch mit den Nerven am Ende. Die Behandlung ihres Gatten bei Dr. Allwissend verschlang ein Vermögen, brachte aber keine Besserung. Und dann noch die Sorge um Rotkäppchen. Die Kleine war vom letzten Besuch bei der Großmutter total verstört heimgekommen. Seitdem war kein Wort aus ihr heraus zu kriegen. Fest stand, dass sie etwas Unglaubliches gesehen haben musste! Aber was?? Dornröschen schüttelte den Kopf. Nur Kummer, Sorgen und Ärger, wohin man auch schaute.

Und da sagen die Menschen, wenn sie etwas Schönes beschreiben wollten, das sei „märchenhaft“. Wenn die wüssten!

Dienstag, 10. April 2012

(3) Und wenn sie nicht... Mehr Wahrheiten aus Erdals Reich! Ein Comedy-Märchen von Siglinde Goertz

Missmutig stapfte Rotkäppchen durch den Wald. Der blöde Korb war so schwer, dass sie sich nachher wahrscheinlich die Schuhe zubinden konnte, ohne sich zu bücken! Mann, war das ein Scheißtag heute. Mama schickte sie mal wieder zur Oma, der ollen Schnapsnase, um ihr Kuchen und Wein zu bringen. Früher hatte ja der Eiserne Heinrich sie gefahren, aber seit Onkel Erdal mit Tante und Cousinen den Sittich gemacht hatte, durfte sie den ganzen Weg latschen. Ätzend!

Überhaupt war hier nix mehr los, seit der schwule Drosselbart regierte. Alles wanderte ab. Sogar der Teufel mit den drei goldenen Haaren hatte sich vom Acker gemacht. Ohne seine drei goldenen Haare. Die hatte seine Großmutter ihm rausgerupft. Jetzt lebte er als Glatzkopf im Menschenreich und machte Werbung für ein Putzmittel.

Ansonsten gab es ziemlich Ärger, weil so eine seltsame Frau im Internet Insiderinformationen über das Märchenreich veröffentlichte. Fragt sich nur, wo die Dame das alles aufgeschnappt hatte. Oh Mann, die hatten hier ganz schön Staub aufgewirbelt. König Drosselbart überlegte tatsächlich, ob er rechtliche Schritte einleiten sollte.

Rotkäppchen kicherte. Die sollten sich mal alle nicht so anstellen. Als wenn das nicht vorher schon jeder gewusst hätte! Dass Schneewittchen säuft war allgemein bekannt. Man musste sie ja nur mal anschauen. Wenn sie heute fragte: „Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die Schönste im ganzen Land?“ dann lautete die Antwort: "Geh mal zur Seite, du olle Schreckschraube - ich seh ja nix!"

Und dass die Eifersucht ihres Mannes nicht unbegründet war, war auch eine Tatsache. Schließlich hatte Rotkäppchen oft genug beobachtet, wie sich die Zwerge heimlich in Schneewittchens Kemenate schlichen. Der Brüller war ja, dass die olle Schabracke sich jetzt von Rapunzel Haare anschweißen ließ, damit die Zwerge daran hochklettern konnten. Ihre eigenen Flusen würden das wahrscheinlich nicht aushalten.

Puh, war das heiß heute. Rotkäppchen klebte die Zunge am Gaumen. Ob sie mal einen Schluck von dem Wein.... nee, lieber nicht. Mutter kaufte immer die billigste Plörre für Oma. Musste sie halt aushalten, bis sie beim Wasser des Lebens angekommen war. Angeblich sollte man davon unsterblich werden. Also bitte!!!!!! Wer wollte hier schon ewig leben? Sie nicht, auf gar keinen Fall! Vor ein paar Tagen hatte sie mit diesen sechs komischen Typen gesprochen, die schon durch die ganze Welt gekommen waren. Sobald die wieder losziehen würden, wäre Rotkäppchen mit dabei, das hatte sie sich fest vorgenommen.

Endlich tauchte die windschiefe Hütte der Großmutter auf. Wie kann man hier nur leben, fragte Rotkäppchen sich immer wieder. Obwohl.. verglichen mit dem ollen Pott, in dem Oma früher gehaust hatte, war das hier ein Palast. In dem Pott wohnte heute der Opa allein, nachdem er sich hatte scheiden lassen. Rotkäppchen konnte es ihm nicht verdenken. Wenn Oma früher auch schon so unzufrieden gewesen war und dauernd rumgekeift hatte.. wer würde da nicht die Flucht ergreifen?

Dabei war Opa ein ganz Lieber! Bevor er in Rente gegangen war, hatte er als Fischer gearbeitet. Sogar selbständig! Zwar nur ein kleiner Betrieb – mehr so eine Art Ich-AG, aber besser als nix! Eines Tages hatte er den Fang seines Lebens gemacht: einen Butt! An sich ja nichts Besonderes, aber dieser konnte sprechen. Opa hatte nicht schlecht gestaunt, als das Viech ihn anquatschte. Der völlig verstörte Meeresbewohner hatte Opa Gott und die Welt versprochen, wenn er ihn wieder ins Wasser zurückschmeißen würde. Und Opa war nun mal ein gutmütiger Mensch. Erst Recht, wenn es sich für ihn lohnte!

Wäre ja auch alles gut gegangen. Aber Oma konnte den Hals natürlich nicht voll kriegen. Okay, dass sie erst ein Haus, dann ein Schloss und zum Schluss den Palazzo Protzo wollte, das konnte Rotkäppchen ja noch nachvollziehen. Aber danach drehte die Alte ganz ab. Papst wollte sie werden.

Die hatte doch einen an der Klatsche! Was ist daran erstrebenswert, Papst zu sein? Fremde Flughäfen zu knutschen und keinen Sex haben dürfen. Na, Klasse!!! Aber den Vogel hatte sie abgeschossen, als sie dann auch noch Gott werden wollte. Das hat ER sich natürlich nicht gefallen lassen – und schwupp, saßen sie wieder in ihrem alten Pott. Da hatte Opa endgültig die Faxen dicke und warf sie achtkantig raus. Onkel Erdal hatte ihr dann diese Hütte gemietet. Im Schloss wollte er sie auch nicht haben, verständlicherweise.

Rotkäppchen stieg die wackeligen Stufen zur Haustür hinauf, klopfte einmal kräftig an und stieß die Tür auf. „Tach, Omma“ rief sie fröhlich und betrat schwungvoll das Haus. Nanu? Keiner da? Das Wohnzimmer war leer. Sie ging in die Küche und stellte erst mal den Korb ab. „OOOOOMMAAAAAAAAA!“ Keine Antwort. Auf einmal hörte sie merkwürdige Geräusche aus dem Schlafzimmer. Ein seltsames Kratzen und Schaben und zwischendrin etwas, was sich anhörte wie ein Kichern. Auf Zehenspitzen schlich sie zur Schlafzimmertür und legte das Ohr daran..

Plötzlich gab die Tür nach.. von dem Schwung mitgerissen stolperte Rotkäppchen ins Zimmer und sah........



© Siglinde Goertz, Uedem

Freitag, 6. April 2012

2012 ist nicht nur Weltuntergang, sondern auch 200. Geburtstag der Erstausgabe der Kinder- und Hausmärchen der Gebrüder Grimm


Hinter den Märchen steckt recht oft Erotisches, dabei lassen wir die unsere Kinder lesen... Früh übt sich, wer eine gesunde Begehrstruktur braucht. Handelt es sich um heiße Liebesnächte im Rapunzel-Turm? Der lüsterne Verführer vor der Tür der sieben Geißlein? Oder die Gefahr der vorzeitigen Entjungferung im Bett der Großmutter?
Für den Germanisten und Direktor des Instituts für Jugendbuchforschung an der Frankfurter Goethe-Universität, Hans-Heino Ewers, stecken in den "Kinder- und Hausmärchen" der Brüder Jacob und Wilhelm Grimm mehr als nur schöne Geschichten.
Er wolle sie wieder für erwachsene Leser interessant machen, sagte Ewers. Am Sonntag, 22. Januar, wurde hierzu in Kassel das Grimm-Museum nach einer längeren Sanierung neu eröffnet.

Eigentlich waren Märchen drastische Erotikgeschichten

Wer ist der Vater von Rapunzels Zwillingen?
Das Brüder-Grimm-Museum in Kassel hat wieder geöffnet.
Bis zu den Grimms waren Märchen alles andere als Kinderlektüre gewesen: "Die Aufklärer des 18. Jahrhunderts wollten den Kindern nicht vorgaukeln, dass es Zauberei und Magie gibt. Außerdem waren Märchen eigentlich Liebes-, Heirats- und oft sehr drastische erotische Geschichten.
Und das hatte bei Kindern nichts zu suchen. Dann kamen die Grimms auf den Gedanken, Märchen seien die ideale Kinderlektüre. Alle griffen sich an den Kopf: "Jetzt sind sie übergeschnappt."
Dass die "Kinder- und Hausmärchen" heutzutage dennoch vor allem in den Kindergärten und Grundschulen anzutreffen sind, lasse sich auch auf die Grimms zurückführen: Nachdem einer ihrer Dichterfreunde sie darauf hinwies, dass ihre Storys überhaupt nicht kindgerecht seien, hätten sie bis 1819 die Märchen überarbeitet.
Sie unterdrückten die Liebesthematik und machten aus Heiratsgeschichten in der zweiten Auflage Kinderfreundschaftsgeschichten. Das treibt zuweilen seltsame Blüten. Am witzigsten ist das bei "Rapunzel".
Das Mädchen ist am Ende schwanger und kriegt Zwillinge, aber man ahnt im ganzen Text nicht, wie das kommt. In der ersten Auflage der "Kinder- und Hausmärchen" sind die Liebesnächte im Turm noch angedeutet.

Auch "Rotkäppchen" ist ein Liebesabenteuer

Nach Ewers Schätzung sind ein Viertel bis ein Drittel der rund 200 Texte in der Sammlung Märchen. Der Rest sind Schwänke von der Art des "Tapferen Schneiderleins".
Die Märchen erkenne man aber immer an der Liebes- und Heiratsthematik: Auch "Rotkäppchen" ist ein Liebesabenteuer. Das ist eine sogenannte Tierbräutigamsgeschichte. Rotkäppchen soll sich nicht von irgendeinem jungen Schürzenjäger vorzeitig entjungfern lassen. Bei "Der Wolf und die sieben Geißlein" repräsentiert der Wolf auch den männlichen Verführer, vor dem die Geißenmutter ihre Töchter schützen will.
Im Mittelpunkt der Märchen steht aber laut Ewers nicht etwa ihre Lehre: "Sie sollen in erster Linie unterhalten - Geschichten werden erzählt. Märchen sollen zwar in den Kinderstuben bleiben, aber auch die Älteren sollen sie als das entdecken, was sie immer gewesen sind: Erzählungen für Erwachsene."
Das Grimm-Museum ist übrigens unweit von dem bereits vorgestellten Sepulkralkultur-Museum, siehe zwei Beiträge davor.

Donnerstag, 15. März 2012

(2) Und wenn sie nicht gestorben sind - Neues aus dem Märchenland! Ein Comedy-Märchen von Siglinde Goertz

Ächzend und stöhnend hievte sich König Erdal aus seinem Stuhl. Diese verdammten Rückenschmerzen! Hätte seine über alles geliebte Gattin ihn damals nicht einfach küssen können, statt ihn an die Wand zu werfen? Gut, das mit dem Erlösen hatte ja ausgezeichnet funktioniert, aber die Bandscheibe war seitdem hinüber. Doch dafür war er wenigstens glücklich verheiratet. Obwohl ... das Leben als Frosch war so übel auch nicht gewesen. Vor allem lukrativ. Sogar eine Schuhcreme hatten sie nach ihm benannt. Als cleverer Frosch hatte er sich natürlich die Rechte an dem Namen sichern lassen. Das brachte immer noch hübsch was ein. So konnte er demnächst beruhigt in den wohlverdienten Ruhestand gehen.

Langsam humpelte er an den Schrank und holte eine Flasche Cognac aus dem Barfach. Er goss sich ein Glas randvoll und stürzte es in einem Zug hinunter. Aaaaaaahhhhhhhhhhh!! Das hatte er gebraucht! Im Märchenland ging es in der letzten Zeit zu wie in Sodom und Gomorrha! Mit seiner Schwester Eulalia musste er auch mal ein ernstes Wort reden. Dieser Fremdgeherei würde er ein Ende bereiten. Nicht, dass es ihn persönlich gestört hätte, aber dass dieser heulende Waschlappen von Schwager ihm die Ohren vollnölte – das war mehr, als er ertragen konnte. Zum Psychologen ging der jetzt – dieses Weichei! Und ausgerechnet zu Dr. Allwissend, diesem Quacksalber. Na ja, wenn’s hilft! Heißt es nicht, dass Glaube Berge versetzt?
Vorsichtig ließ Erdal sich auf seinen Thron sinken. Nee, der Spaß am Königsein war ihm gründlich vergangen. Nie hätte er sich träumen lassen, mit was er sich alles rumschlagen musste. Jetzt rückte ihm auch noch der Tierschutzverein auf den Hals. Nur weil diese dämliche Ziege dem Wolf Wackersteine in den Bauch genäht hatte. Die tickte wohl nicht mehr ganz sauber! Was für ein Land! Nur Hohle und Ferngesteuerte! Die eine lief mit einem Reh an der Leine herum und behauptete, das wäre ihr Brüderchen, der Igel und seine Frau betrogen bei der Märchenolympiade und seine Schwiegermutter, die Frau Holle, hatte eine Anzeige wegen Körperverletzung am Hals.

Ja, okay, diese Tussi, die sie als Dienstmädchen angestellt hatte, war zwar stinkend faul gewesen. Aber musste sie deshalb gleich heißes Pech über sie gießen? Fristlose Kündigung hätte doch auch gereicht. Und wer durfte das alles ausbaden? Na, wer schon! Wenn das so weiter ging, dann konnte er demnächst den Goldesel mit Abführpillen füttern, um die Strafen zu zahlen. Oder seine Jüngste wieder, nur mit einem Hemdchen bekleidet, rausschicken, um Sterntaler zu fangen. Zugegeben, das war vielleicht ein mieser Trick, aber solange er funktionierte!

Er goss sich noch einen Cognac ein, schaute das Glas an – und trank dann gleich aus der Flasche! Langsam konnte er das alles hier nur noch im Suff ertragen! Nicht nur der Ärger mit seinen eigenen Untertanen – als wenn das nicht reichen würde. Nein, jetzt trieben sich auch noch finstere Gestalten aus dem Morgenland hier herum. Dieser Ali Baba mit seinen 40 Spießgesellen zog marodierend durchs Land und ein komischer Kauz, der sich „Kleiner Muck“ nannte, verkaufte verdorbenes Obst, nach dessen Genuss den Leuten lange Nasen und riesige Ohren wuchsen. Natürlich verkaufte er auch das Gegenmittel. Zu einem horrenden Preis, versteht sich. Und niemand konnte ihm das Handwerk legen. Konnte ja keiner beweisen, dass die langen Nasen von den Feigen kamen.

Erdal nahm noch einen kräftigen Schluck. Er hatte es satt, satt und noch einmal satt! Gleich morgen würde er sein Reich dem König Drosselbart übergeben. Der war zwar stockschwul, aber warum soll ein Schwuler kein Land regieren können? Klappte woanders ja auch - mehr oder weniger gut.

Erdal grinste in sich hinein. Wieder sah er die Szene vor sich, als Drosselbart zu der Königstochter, die ihn erst verspottet hatte und nachher doch heiraten wollte, die unvergesslichen Worte sprach: „Dich heiraten? Vergiss es! Ich bin schwul – und wenn ich dich so anschaue, dann ist das auch gut so!“ Na, die hatte aber doof geguckt! Weil sie keinen anderen mehr abkriegte, heiratete sie später den Zwerg Nase. Der war zwar grottenhässlich, aber dafür kochte er wie ein Gott. Und Drosselbart trieb es jetzt mit Dornröschens Mann. Ach, sollten sie doch alle glücklich werden! Aber bitte ohne ihn!

„Goldmariechen“, brüllte er nach der Angetrauten, „Goldmariechen!!!! Pack die Koffer, sammel Schneeweißchen und Rosenrot ein und sag Heinrich, er soll morgen ganz früh anspannen! Wir hauen ab hier!“

Und so geschah es! Am nächsten Morgen stieg die ganze Familie frohen Mutes in die Kutsche und machte sich auf den Weg in ein schöneres Leben. Und wenn sie nicht gestorben sind ...

Montag, 5. März 2012

(1) Und wenn sie nicht gestorben sind ... Ein Comedy-Märchen von Siglinde Goertz

... leben sie glücklich und zufrieden... oder?


Ach nee, das Märchenland ist auch nicht mehr das, was es mal war!
„Die olle Memme“, regte Prinzessin Eulalia sich auf. „Nicht mal mehr in den Keller traut er sich. Was ist nur aus dem Kerl geworden, der mit Totenköpfen kegelte und vor nix Angst hatte?“
„Tja“, meinte Schneewittchen und nahm einen Schluck aus ihrer Kaffeetasse, „vielleicht sollte er mal wieder in die Welt hinausziehen. Dieses Mal um das Fürchten zu verlernen“.
Eulalia seufzte. Hätte sie doch damals nicht den Eimer mit den Fischen über ihm ausgekippt. Seitdem war der Mann nur noch ein Nervenbündel. Und sie selbst auch! Sein feiges Gejammer ging ihr aber so was von auf die Eierstöcke.. War es da ein Wunder, dass sie sich heimlich mit dem starken Hans tröstete? Das war wenigstens noch ein Kerl nach ihrem Geschmack. Kein kleines Mädchen, als Mann verkleidet. Zwar nicht besonders helle, aber dafür hatte er andere Qualitäten. Und dumm ... Na, man kennt ja den Spruch!
Sie schaute ihre Freundinnen, Aschenputtel und Schneewittchen, an und verdrehte die Augen. Richtig glücklich sahen die beiden auch nicht aus! Wobei Aschenputtel sich ja eigentlich gar nicht beklagen konnte. Ja gut, sie hatte jetzt ein wenig Ärger, weil Stiefmutter und -schwestern sie auf Unterhalt verklagen wollten. Eine Frechheit! Sollten sie doch Hartz IV beantragen, mussten andere ja auch. Aber Rumpelstilzchen, Aschis Anwalt, hatte sie schon beruhigt. Sie würde nichts zahlen müssen. Schließlich war sie mit denen ja nicht verwandt! Wobei ... Ob man diesem Anwalt trauen konnte? So ganz astrein war der auch nicht. Was der damals mit der Tochter vom Müller abgezogen hatte, war nicht unbedingt die feine Art. Und seine Wutausbrüche waren berüchtigt. Eulalia zuckte mit den Schultern. Konnte ihr ja wurscht sein. Das war Aschis Problem.


Schwieriger lag der Fall bei Schneewittchen. Die Ärmste sah total verheult aus. Nix mehr mit weiß wie Schnee, rot wie Blut und schwarz wie Ebenholz. Wenigstens nicht mehr in der ursprünglich gemeinten Reihenfolge. Weiß waren jetzt die Haare, rot leuchteten die geplatzten Äderchen im Gesicht und schwarz wie Ebenholz waren höchstens noch die Ringe unter ihren Augen. Innerlich schüttelte Eulalia den Kopf. Jeder hier wusste, dass die Gute gern mal ein bisschen zu tief ins Glas schaute. Dabei war ihre Leber durch den vergifteten Apfel schon geschädigt. Andererseits ... Sie hatte auch ganz schön was auszuhalten, mit ihrem Gemahl. Jeden Tag die gleichen Fragen: „Was war mit den 7 Zwergen? Hast du mit allen ...? Waren sie besser als ich? Waren wohl richtige Orgien?... Nun gib es doch schon endlich zu ...“ Bei so viel Eifersucht konnte Frau schon das Saufen anfangen.
Ja, als die alte Hexe noch lebte, da war vieles einfacher. Wenn man ein Problem hatte, ging man einfach zu ihrem Knusperhäuschen und sie mixte einem dann ein Elixier aus irgendwelchen Pülverchen und Zaubersprüchen zusammen. Das nahm man ein paar Tage (oder mischte es jemandem ins Essen, je nachdem) und schon sah die Welt wieder besser aus. Aber leider lebte sie ja nicht mehr. Brutal ermordet von zwei „natural born killers“ namens Hänsel und Gretel. Das muss man sich mal vorstellen! Da schubst dieses Mädel die alte Frau in den Backofen. Und wird nicht mal bestraft! Im Gegenteil ... Nicht zu fassen. Angeblich soll sie eine Kannibalin gewesen sein. Gretel hatte behauptet, die Hexe hätte ihren Bruder fressen wollen.
Mädel, Mädel ... da haste aber was gründlich missverstanden. VERNASCHEN wollte sie ihn, nicht fressen, VERNASCHEN! Das ist etwas völlig anderes, als das, was du gedacht hast. Die Alte stand nun mal auf pubertierende Jünglinge. Und ein fesches Kerlchen war er ja, der Hänsel. Aber mit seinen 17 Jahren viel zu jung für die Schreckschraube. Die hatte ja schon mindestens 105 Jahre auf dem krummen Buckel. Aber immer noch spitz wie Nachbars Lumpi!


Eulalia grinste in sich hinein. Trieb sich schon eine Menge schräges Volk hier rum. Wenn sie da nur an Karlchen Legerfald dachte, das mickrige Schneiderlein. Sie könnte sich wegschreien, wenn er mit seinem Fächer wedelte und davon erzählte, dass er sieben auf einen Streich erledigt hätte. Dabei hatte seine Frau ihr mal anvertraut, dass er sich im Traum verraten hatte. Von wegen Riesen - sieben Fliegen hatte er erschlagen, der große Held! Typisch Mann, macht aus jeder Mücke einen Elefanten!
Oder Hans im Glück ... der Dummdödel. Kriegt einen Batzen Gold und verzockt alles. Da war ihr feiger Ehemann ja noch das kleinste Übel. Und der Gute hatte sich inzwischen auch in psychologische Behandlung begeben. Vielleicht würde es ja sogar helfen. Doktor Allwissend galt immerhin als Koryphäe auf diesem Gebiet. Na, mal sehen.
Eulalia trank den letzten Schluck Kaffee und erhob sich. „Kinders, ich muss los! Ich hab noch einen Friseurtermin, den darf ich nicht verpassen. Ihr wisst ja, wie schwierig es ist, bei Rapunzel dranzukommen. Und vorher muss ich noch Rotkäppchen bei der Oma abholen.“
Sprach’s – und zog von dannen. Froh, endlich entronnen zu sein. Nee, was waren die beiden langweilig geworden! Da war es ja noch unterhaltsamer, Dornröschen zu besuchen, die alte Trantüte! Hundert Jahre gepennt – und immer noch ein Temperament wie eine Schlaftablette! Und das nennt sich dann Märchenland!
Dornröschen's Mann meinte inzwischen auch, dass er sich das Wachküssen hätte sparen können. Merkte eh keiner den Unterschied! Dafür vertrieb er sich die Langeweile mit Jorinde und Joringel! Was für Namen! Waren das Kinder von Filmstars? Eulalia konnte sich nie merken, wer von beiden Männchen und wer Weibchen war. Dornröschens Gemahl war das allerdings schnuppe. Der fuhr auf beides ab. Neuerdings munkelte man aber, dass er eine heftige Affäre mit König Drosselbart habe.


Sie seufzte tief und schaute auf die Uhr. Ach was! Rotkäppchen konnte heut den ganzen Tag bei der Oma bleiben. Und auf Haareschneiden hatte sie auch keinen Bock. Sie würde sich jetzt vom Eisernen Heinrich zum Starken Hans fahren lassen. Dort würden sie die neueste CD von den "Bremer Stadtmusikanten" auflegen, am Tischlein deck dich was Leckeres essen -


- und dann den Knüppel aus dem Sack lassen!