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Mittwoch, 4. Januar 2017

Wie war's bei LA BOHÈME in der Frankfurter Oper?

Mimi und Rodolfo
(c) Barbara Aumüller
 La Bohème, das ist ein geflügeltes Wort, das doch den meisten Leuten eine klare Assoziation zum Leben der Künstler, Studenten und Philosophen verschafft. Arm, aber glücklich und frei leben, das fasziniert viele, wenn es auch oft nur der reine Voyeurismus ist, um sich am eigenen Wohlstand zu erfreuen. Bohemians gibt es seit dem 15. Jahrhundert, ursprünglich bezeichnete man Roma damit, liederliche Sitten, auch Prostitution, später waren es die Intellektuellen und Künstler. Für Marx war es eine Beschreibung seines Lumpenproletatriats. Sie waren und sind in allen Ländern vertreten, schaffen ihre eigene Kultur, ihre eigene Szene, ihre eigenen Stile in Literatur, Malerei und Musik.


Musetta
(c) Barbara Aumüller
Puccini hat ihnen ein Denkmal in Opernform gesetzt, ebenso Ruggero Leoncavallo, dessen Libretto Puccini ablehnte, obwohl er genau so etwas suchte. Der Abgelehnte war verbittert und verwirklichte eine eigene Oper, die ein Jahr nach Puccini uraufgeführt wurde. Puccinis Uraufführung fand 1876 im Teatro Regio in Turin unter dem legendären Arturo Toscanini statt. Beide nahmen als Vorlage Henri Murgers berühmtestes Werk Les scènes de la vie de bohème, entstanden 1847–1849. Für Puccini schrieben das Libretto dann Luigi Illica und Giuseppe Giacosa, mit dem er bis 1906 zusammenarbeitete. Puccini fiel der Roman drei Jahre vor der Uraufführung durch Zufall in die Hände. Dem verschmähten Librettisten Leoncavallo blieb die Flucht nach vorne in den Wettbewerb mit Puccini und er lieferte ein quellennahes Werk ab, das zu Beginn eine höhere Akzeptanz als Puccinis Oper erreichte, dann aber im Vergleich zum stark kritisierten und abgelehnten Oeuvre Puccinins in Vergessenheit versank. Puccini schaffte es posthum zum Weltstar, seine Bohème ist heute beliebt und viel gespielt.  

In der vierten seiner zwölf Opern zeichnet er das Leben und die Liebe von Künstlern, einfachen Menschen, nicht Privilegierten, mit teils heiteren, teils traurigen Bildern. In der Frankfurter Inszenierung von Alfred Kirchner mit bekannter hoher Qualität des Frankfurter Opern- und Museumsorchsters sehr gut besetzt mit beeindruckenden Stimmen, ausstaffiert mit einem realistischen, rustikalen Bühnenbild und einer Treue zur Bühnenillusion. Die Bohemians im Paris des Jahres 1830 sind Rodolfo, ein Poet (Liparit Avetisyan, Tenor), Marcello, ein Maler (Jonathan Beyer, Bariton), Schaunard, ein Musiker (Ludwig Mittelhammer, Bariton), Colline, ein Philosoph (Daniel Miroslaw, Bass), Mimì, eine Midinette/Verkäuferin (Simona Mihai, Sopran), Musetta, eine Kokotte/ehrbare Dirne (Sydney Mancasola, Sopran) und all die Studenten im "Volk". Gewitzt, schlitzohrig und feierlustig das Männervierergespann in den ersten beiden Bildern, den Vermieter Monsieur Benoît (Franz Mayer, Bass) führen sie an der Nase herum, enttarnen seine Seitensprünge, kompromittieren ihn hinaus und entgehen damit der Mietzahlung. Das Geld verprassen sie im Quartier Latin, dem Viertel der Intellektuellen, das neben dem Viertel der Maler auf dem Montmatre am bekanntesten war. Sie feiern mit Essen und Trinken im Café Momus bis zum Abwinken, obwohl das Geld fehlt. Heitere Stimmung mit Studenten, Kindern und Parpignol, dem Spielzeugverkäufer (Young Shik Kim, Tenor), Marktfrauen und Händlern. Traurig und armselig die Stimmung ganz zu Beginn und im vierten Bild, die Armut zehrt, nur der Wille zum Leben macht aus den vier Leidenden Abenteurer und starke Menschen. In dieser Situation befindet sich auch Mimi, die verzagt nach Kerzenlicht fragt und sofort ein Liebesfeuer bei Rodolfo entfacht. 

Ja. Man nennt mich Mimì,
doch mein Name ist Lucia.
Meine Geschichte ist kurz.
Auf Leinen oder auf Seide
sticke ich daheim und auswärts.
Ich bin ruhig und heiter
und am liebsten sticke ich
Lilien und Rosen.
Mich freuen diese Dinge,
die solchen süßen Zauber besitzen,
die von der Liebe sprechen und vom Frühling;
die mir von Träumen sprechen und von Chimären,
diese Dinge, die Poesie heißen.
Sie verstehen mich? 

Sie hat "Schwindsucht", ist dem Tod geweiht, verliebt sich ebenfalls. Sie begleitet die Künstler ins Quartier Latin, Rudolfo erfüllt ihr einige Wünsche, darunter ein rosa Mützchen. Marcello trifft dort seine Freundin Musetta, eine Lebedame, die gerade die Kasse aufbessert mit einem Seniorgalan, Staatsrat Alcindoro. Sie spielt mit ihm, fordert Marcello heraus, mit dem sie an der Barrière d'Enfer (am "Tor zur Unterwelt") vor den Toren der Stadt zusammenlebt, bis sie sich wieder versöhnt mit ihm und am Ende die Zeche im Quartier den Staatsrat zahlen lässt. 

Im dritten Bild an der Wegschranke vor der Stadt die Liebe auf der Waagschale, Rodolfo extrem eifersüchtig und voller Gewissensbisse, weil er glaubt, ihr mit seinem Elend nicht helfen zu können. Er möchte Schluss machen, um sie vor Schlimmerem zu bewahren. Sie stimmt wehmütig zu, weil sie sich nicht verstanden fühlt, doch die Liebe ist stärker, sie verschieben den Abschied auf die Zeit, wo das Leben sprießt, denn im Winter bedeutet Einsamkeit nur den Tod. Parallel dazu machen Marcello und Musetta zum wiederholten Mal Schluss, weil sie sich vom Staatsrat abholen lässt.


Rodolfo, Schaunard, Marcello
(c) Barbara Aumüller
Im vierten Bild wieder die Situation der Künstler in der Mansarde und der nahende Tod Mimis. In der Wohnung die beiden Unglücklichen Rodolfo und Marcello, Liebeskummer lähmt sie, bis die Freunde kommen, sich lustig machen über ihre Armut, sich aufmuntern mit einem Scheinkampf. Musetta stört das Treiben, bringt atemlos die kranke Mimi, um sie ihre letzten Stunden beim Geliebten verbringen zu lassen. Selbstlos veräußern Colline seinen Mantel und Musetta ihren Schmuck, um Geld zu bekommen für einen Arzt und Medikamente. Ein Muff für die kalten Hände ist ein letzter Wunsch Mimis, den sie erfüllt bekommt, bevor sie stirbt. Rodolfo ist entsetzt über ihren Tod.


Die Beschäftigung mit den Menschen am Rand der Gesellschaft ist mit der aufkommenden Industrialisierung und in den Jahren um die Jahrhundertwende ein beliebtes Thema, das in vielen Ländern Europas und Literaturformen beobachtet werden kann. Man findet Milieustudien in Opern/Musiktheater, in Theaterstücken und Romanen. Am heitersten und nicht gerade hyperrealistisch wie die Proletarierstudien von Gerhart Hauptmann oder Arno Holz sind die musikalischen Fassungen voller Klischees, Süße und Dramatik, emotionalem Tiefgang und ansprechender Poesie im Kontrast zum harten Alltag. Auch sie rufen Betroffenheit hervor, fernab der Realität.