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Donnerstag, 18. Januar 2018

Wie war's in CAPRICCIO von Richard Strauss in der Oper Frankfurt?



Olivier und Flamand mit den Dienern                      (c) Monika Rittershaus

Ensemble                                        (c) Monika Rittershaus

v.l.n.r. AJ Glueckert (Flamand),
Daniel Schmutzhard (Olivier)
und Camilla Nylund (Gräfin Madeleine)
(c) Monika Rittershaus
Brigitte Fassbaender hat für die Frankfurter Oper eine interessante Inszenierung von Richard Strauss' letztem Werk CAPRICCIO vorgenommen. Premiere war am Sonntag, den 14.01.2018. Ein gespanntes Publikum wartete darauf, wie dieses Werk mit einer Entstehungsgeschichte von 1934 bis 1941 und einer Erstaufführung im Nationaltheater München im Jahr 1942, dem Jahr des Untergangs der 6. deutschen Armee im tödlichen Februarfrost von Stalingrad und der bereits auf Hochtouren laufenden nationalsozialistischen Vernichtung aller Andersdenkenden, von sog. "lebensunwerten" bis Menschen jüdischen Glaubens und "minderer Rasse", sich wohl heute präsentieren lässt.

Die vielgesichtige Figur Richard Strauss, der 1933 zum Präsidenten der Reichsmusikkammer ernannt wurde, 1934 sozusagen eine Petition der Kulturschaffenden zum Zusammenschluss der Ämter Reichspräsident und Reichskanzler in persona Adolf H. unterschrieb, sich auch dafür einsetzte, und wiederum ein Jahr später wegen seiner Zusammenarbeit und Korrespondenz mit (dem Juden) Stefan Zweig auf Betreiben der Gestapo wieder seines Amtes enthoben wurde. Seine Musik wurde vom Führer dennoch weiter geschätzt, er ernannte Strauss zu einem der drei wichtigsten deutschen Musiker.

Strauss' Partner in Kreativität war auch bei Capriccio Stefan Zweig, der die thematische Idee dazu hatte und später im Monat des Stalingrad-Infernos in Brasilien Selbstmord begann. Er erlebte die Uraufführung in München im Oktober nicht mehr.

Strauss hatte scheinbar ganz unverfänglich das Geschehen in den Gartensaal eines Rokokoschlosses in der Nähe von Paris, um das Jahr 1775 herum, verlegt. Künstler treffen sich im Schloss der Gräfin Madeleine, um deren Geburtstag zu planen. Wie so häufig bestimmt die selbstbezogene Eitelkeit der Kreativen den Diskurs. Im Vordergrund steht das verliebte Werben des Dichters Olivier (eifrig für Prima le parole kämpfend AJ Glueckert, Tenor) und des Komponisten Flamand (völlig pikiert und emsig Prima la musica fordernd Daniel Schmutzhart, Bariton) um die Gräfin - beide wollen ihr Erstlingswerke, ein Sonett und eine Komposition übereignen - und die Vorstellung des Geburtstagsgeschenks des Theaterdirektors La Roche, der ein Huldigungsfestpiel aufführen möchte und eine radikal neue Oper fordert. Ferner kommen hinzu an Künstlern Clairon, die Schauspielerin (Tanja Arina Baumgartner, Mezzosopran), ein italienisches Sängerpaar, eine junge Solotänzerin und weitere drei Musiker. Der gealterte Souffleur dazu führt eine Randexistenz und wird als witzige Figur ausstaffiert. Haushofmeister und acht Diener runden die adlige Ausstattung ab. Das beeindruckende Bühnenbild in Frankfurt zeigt einen Wintergarten mit Bühne - eine klassische Illusionsbühne, die am Ende noch vierfach in die Tiefe und gähnende Leere erweitert wird, als die Gräfin gedenkt ihr Geburtstagssouper ohne Gäste einzunehmen.

Regisseurin Fassbender hat verschiedene Kunstgriffe zur Überzeitlichkeit implantiert. Sie hievt alles in das besetzte Frankreich des Jahres 1942, lässt das Disputieren in eine politische Entscheidung der Gräfin gegen die beiden politisch blinden Schwärmgeister und gegen die geplante Aufführung in Entstehung münden, die einer Französin würdig ist, wunderbar mit physischer und stimmlicher Präsenz verkörpert von der finnischen Sopranistin Camilla Nylund. Zeitzeichen sind Kleidung der Vierziger Jahre, ein kleiner Junge, der mit einem Panzer auf dem Boden spielt und einmal schön deutlich bühnenmittig Klein-Adolf mimt und den Hitlergruß vor Publikum zeigt. Filmreif tauchen im späteren Teil der Oper Geigenkästen als Futterale für Maschinenpistolen auf.

Die ganze bunte Truppe entwickelt im Verlauf der Oper einen Konsens, den die Gräfin stiftet und der sich auch im musikalischen Geschehen artikuliert. Bis zu dem Punkt, an dem La Roches (den voreingenommenen Theaterdirektor, der eine Spur lächerlich wirkt wegen der Diskrepanz seiner Ideale und seiner  Fehleinschätzung von Können, singt amüsant und authentisch Alfred Reiter, Bass) Forderungen nach einer Kunst, die sich um die Menschen kümmert, so wie sie in der Gegenwart agieren und zusammenkommen, und nicht wie sie in der Antike als Heroen und Götter existiert haben sollen (was die Nazis ja extrem und bewusst für ihr Modell Übermensch aufgriffen), verläuft alles leicht chaotisch, immer ein Hauch von Modernität und Chaos in der Musik. Das Durcheinander der Wettbewerber, das Herunterputzen der anderen Genres, das Gegenläufige von Geschehen, Gesang und der orchestralen Vituosität wird in musikalischen Kapriolen, lärmenden Phasen, Klangmalerei und mächtigen stimmungsvollen Arien, vor allem der Gräfin, gespiegelt. Wie immer meisterhaft gemanagt vom Frankfurter Opern- und Museumsorchester unter der Leitung von Sebastian Weigle. Nachdem La Roche nicht nur die neue Oper ausruft, die Gräfin seine Pläne unterstützt und quasi eine Synthese der Stimmungen herstellt, der Vortrag La Roches über den Untergang Karthagos als Mahnmal der Geschichte alle verwirrt (gezeigt werden vom aktuellen Weltkrieg zerstörte Städte in einer Video/Diaprojektion), entsteht eine andere Musik, sie wird harmonisch und beruhigend, majestätisch und ästhetisch.  


Camilla Nylund (Gräfin Madeleine)     (c) Monika Rittershaus
Die Idee einer gemeinsamen Aufführung wird geboren und voller Tatendrang stürzen die Gäste der Geburtstagsfeier davon, um für selbige zu üben. Zurück bleibt die Gräfin, die weiß, dass sie sich weder für den einen noch den anderen entscheiden wird, sondern für den Kampf in der Resistance. Das Ablegen der pompösen Garderobe verkörpert die Metamorphose, das Schlüpfen aus dem Kokon. Ihr monströses Kleid fällt zu Boden, im Unterrock schlüpft Madeleine in einen Militärmantel, setzt sich ein Barett auf und zieht mit ihren Bediensteten in den Kampf. Die Adligen im Widerstand gegen Hitler. Und so wird ein Antifaschismus suggeriert, welcher der Oper gut steht, von dem aber nicht klar ist, ob er bei Strauss je so vorhanden war. Viele Zeitgenossen hielten Strauss trotz seines Euphemismus und seiner Affirmationen eigentlich für unpolitisch und schwärmerisch. Jedenfalls wird seine verdeckte Kritik am nationalsozialistischen Heroenmythos mitten im Krieg deutlich heraus-gearbeitet, obwohl auch er die antiken Mythen ausgekostet hat. Gegner des Faschismus sind dann offensichtlich andere.