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Montag, 3. August 2015

Wie war's bei der Eröffnung der Nibelungen-Festspiele 2015 in Worms?

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Ortlieb und Narr
Foto: Marion Bührle
Ortlieb
Foto: Marion Bührle
In Worms gestartet sind letzten Freitag die Nibelungen-Festspiele 2015 bis zum 16. August mit einer Inszenierung fern von jeglichem Historienmuff. Mit einem großen Aufgebot an Theaterpersonal, Kostümen und historischer Bühnenszenerie vor dem altehrwürdigen Wormser Dom wird das letzte und fürchterlichste Treffen der Burgunden, Hunnen und assoziierten Kampfverbände mit dem Gegenüber zweier gigantischer Belagerungstürme inszeniert, die an eine Mischung aus "Panzern" der Perser, Römer und Griechen, Trojanisches Pferd sowie Abschreckung durch Kampfmaschinen und Rammfahrzeuge des Mittelalters erinnern. Konzipiert nicht jedoch als bloßes "Gemetzel", wie der Titel des Theaterstückes von Albert Ostermaier martialisch lautet, sondern als ein analysierendes, poetisches, leidenschaftliches, erklärendes und beleuchtendes Spiel des jungen Ortlieb, Sohn von Kriemhild und Etzel, in das nach und nach alle anderen Figuren mit einsteigen. Eine interessante Kommentatorfunktion hat das Treiben der Tanzgruppe im Vordergrund. Sie spielt das Erzählte, das Fehlende in der Handlung, nicht ohne es zu kommentieren und zu diskutieren. Das Geschehen wird auch verfremdet, z.B. tanzen viele Siegfrieds oder tauschen die Perücken. Blond überall ... Die involvierte Rockband (in den Kamptürmen unten) liefert passende, spannende harte Klänge.

Gegenüber stehen sich die Christen mit dem Dornenkranz-Totenschädel auf dem linken Belagerungsturm und die Heiden mit dem an einen Kampfelefant erinnernden Turm rechts. Verbunden sind beide Türme mit einer Hängebrücke, die auch eine weitere Spielebene über dem Geschehen am Boden darstellt und symbolisiert. Hier oben finden die Beziehungsgespräche der Brünhild (sehr, sehr stolz und überzeugend Catrin Striebeck), Krimhild (zerbrechlich, unendlich leidend, aber fit im Schwertkampf die fühlbar nahe Judith Rosmair), des Hagen und Etzels (der zurückhaltende alte Fuchs und fast unglaublich gewaltfreie Attila, authentisch durch Markus Boysen) statt. Hier wird der ermordete Siegfried vor der Tür Kriemhilds liegend gezeigt, dessen lebloser Körper, seine Wunden auf das Auftauchen des angeblich unschuldigen Hagens mit erneutem Bluten reagieren. Seine aufbrechenden Wunden sind die Lippen, die die Schandtat an ihm berichten, klagt Kriemhild. Was sie damals nicht an Vergeltung an Hagen schaffte, schafft sie am Ende. Hier steht auch Brünhild, als sie ihre Liebe und ihren Besitzanspruch an Siegfried Kriemhild kundtut, und Kriemhild, die den Betrug an Brünhild durch ihren Siegfried zur Sprache bringt.


Ortlieb und Hagen
Foto: Marion Bührle
Wer über alles Bescheid weiß ist natürlich Hagen (Max Urlacher jung und dynamisch, wendig und gar kein Steinbeißer). Er reiste zum Etzelhof, obwohl ihn die (Rhein-)Geister warnten: "Kommt Ihr zu den Hunnen, Hagen, seid Ihr verraten und verkauft." Er kommt anonym in den Burghof, als wilder Batman auf einem kettenbehangenen Kampfquad, und freundet sich mit dem wissbegierigen und standesbewussten Ortlieb an, erzählt ihm die Geschichte Siegfrieds. Der Junge (sehr einfühlsam und überzeugend den Hunnenjungen mit moderner Sidecut-Frisur und Deckwedel gespielt von Alina Levshin) tollt herum und spielt mit seinen Freunden wie auch mit dem Narr zur Kampfertüchtigung. Sein Wunsch und Ziel ist es, dereinst Hagen zu töten. Siegfried ist sein Vorbild, ihn will er rächen, weil seine Mutter Kriemhild jeden Tag um ihn trauert. Drum ist das Spiel des Narren, Siegfried als eine Missgeburt zu verkaufen, auch eine Qual für den Königssohn. Man sieht hier eine weitere Spielebene, und zwar die des Autors Obermaier und der Regie Thomas Schadts, immer wieder schalkhaft alles in Frage zu stellen. War Siegfried ein ganz anderer? Hatte er so schlechte Augen, dass er dies mit einer hohen Schlagfrequenz im Kampf wettmachen musste? Deshalb auch sein Sieg über 700 Ritter im Nibelungenland, wodurch er nach dem Erschlagen der beiden Söhne des Nibelunc, nun in Besitz des Schatzes, ja auch aus Norwegen entkommen konnte. Der Narr (Maik Solbach als wilder Turner, spöttelnder Nibelungenflüsterer und kecker Schwertkämpfer) transportiert diese "Witzeleien", man braucht ja auch einen Berg Naivität, die ganzen Stories aus dem Sagenland zu glauben. Er hat noch eine ganz andere wichtige Aufgabe. Am blutigen Ende wird er zum Chronist des Geschehens, dessen Ablauf Etzel bestimmt und ihm in die Feder diktiert. Der Zuschauer bemerkt die Abweichungen, Übertreibungen und Manipulationen und schließt hier wieder auf zur Autoren- und Regieebene. Auch Hagens Ruf zwischendrin, als er einen Mitspielenden zum Entsetzen der anderen aus Versehen wirklich ersticht: "Es ist alles Theater! Alles erlaubt!", gehört hierher. Wer zuschaut ist Zeuge der stattgefundenen, jederzeit veränderbaren Realität. Damit der Chronist es nicht weitergeben kann, ersticht Etzel ihn zuletzt mit der stählernen Schreibfeder.


Brünhild und Kriemhild     Foto: Marion Bührle
Zwei ganz besonders wichtige Charaktere sind die  beiden Rivalinnen Brünhild und Krimhild. Sie sind über Kreuz miteinander verbunden, denn der Herr Siegfrieds, Gunther, ist auch der Werber und spätere Mann Brünhilds und der Bruder Kriemhilds. Weil Gunther die Isländerin Brunhild zur Frau haben will, aber keine Chance ohne Hilfe hat, sie im Kampf zu besiegen, was Bedingung ist, andernfalls droht der Tod, besiegt Siegfried sie mit Hilfe seiner Tarnkappe und seinem Schwert, das 
ihn unbesiegbar macht. Dafür bekommt er die Schwester Gunthers, Kriemhild, zur Frau, was Brünhild erzürnt, weil der Schmied Siegfried nicht von Stande ist. Brünhild bemerkt in der Hochzeitsnacht, dass Gunther ein Schwächling ist, der mit Frauen nicht umgehen kann. Er "hechelt" und hat "Angst vor Frauen". Sie fesselt ihn, was den Vollzug der Ehe in Frage stellt. Auch hier hilft Siegfried. Er bezwingt sie nachts in Gunthers Gewand, verbindet ihr die Augen, raubt ihr einen Ring und den Keuschheitsgürtel, die er Kriemhild übergibt, während Gunther sie nach ihren Worten "missbrauchen" darf. Sie hat Gunther nie anerkannt. Kriemhild offenbart den Betrug, und Brünhild leidet darunter. 
Kriemhild und Brünhild beim Kräftemessen im 
Festsaal, Brünhild bereits in Dschihadistenkluft.
Foto: Marion Bührle
Hagen tötet schließlich Siegfried auch wegen der Schmach für seine Herrin. Vom Gold abgesehen. Ihre Liebe gilt allerdings schon immer dem starken Siegfried, gesteht sie, sie sei bei seinem Tod "hinter der Fassade" mit in seinen Tod gestürzt. Geschickt stellt der Autor die Frage, ob Hagen denn allein der Mörder gewesen sei. Oder nicht Kriemhild mit, weil sie den Keuschheitsbetrug aufdeckte, die Stelle seiner Verletzlichkeit markierte? Natürlich auch Brünhild, die seiner Ermordung zustimmte.

Das Begehren der Figuren nach dem jeweils anderen und Verfeindeten wird ganz deutlich in  diesem Stück erkennbar, neben der Gier nach dem Gold, zum Antrieb der gesamten gegenseitigen Verfolgung, Auslieferung, Vernichtung. Das Gemetzel ist - so paradox es klingt - das Produkt aus Liebe und deren Endprodukt Wut! Und weil die Liebe nicht Halt macht vor Feinden, das Begehren müsste man sagen, von einem zum anderen wandert, wo immer Macht vermutet wird, wird sie auch zum tödlichen Sog für alle. Etzel ist der Überbringer dieser eminent wichtigen Botschaft. Er liebt Kriemhild, leidet unter ihren Qualen und ihrer Trauer um Siegfried, "sie schläft mit offenen Augen, seit Siegfried tot ist, sie schreit immerzu nachts...". Liebe raubt uns die Kräfte und den Verstand, am Ende ist es Wut, sagt Etzel, und mehr, sie ist ein regelrechtes "Gift". Seine Gattin denkt da nicht anders: "Er macht Liebe, und ich liebe die Macht!" 


Brünhild, Kriemhild und Etzel    Foto: Marion Bührle
Als Etzel Brünhild erblickt, will er sie haben. Er möchte mit ihr "die Körper kreuzen", sicher, dass es ein Machtkampf ist, Kampf um das Gold, aber er will die Liebe dabei haben, weil sie ihren Hass und Leidenschaft verstärken wird. Etzel taugt uns hier als Brandbeschleuniger der späteren Katastrophe. Der kleine Ortlieb hat das Wirken der Liebe auch schon erfahren: "Ich bin ein Gefangener der Liebe". Er ahnt, was es heißt, wenn Geliebte sterben müssen und welche Hassgefühle sich daraus entwickeln können, und was es bedeutet ein Königssohn, gefangen im Königshof, zu sein.

Dagegen steht die poetische und überlieferte Einswerdung Siegfrieds mit Kriemhild als tänzerische Einlage: "Vom ersten Kuss bis in den Tod sich nur von Liebe sagen". Als reine Liebe besungen und festgehalten, aber mit im Spiel Kriemhilds Verlangen nach Hagen, der seit ihr Mann tot ist, jede Nacht im Traum erscheint und mit ihr schläft. Er ist ein Stellvertreter Siegfrieds geworden. Ortlieb spürt das in seiner letzten Konfrontation mit Hagen und bindet den Helden Siegfried durch Selbstmord an seine Person, dass Siegfried in ihm, dem Sohn, weiterlebe und geliebt werde durch seine Mutter Kriemhild. (Da ist auch jemand emotional zu kurz gekommen.) Er lässt Hagen von Tronje gar nicht erst ihn bestrafen oder richten. Er macht es selbst. Dass wir hier eine ödipale Beziehung mitklingen haben, wo der Sohn eine Vaterfigur ersetzen will, gleichzeitig sich der väterlichen Rache entzieht, macht es noch pikanter. Vielleicht auch eine kleine Analyse der Selbstmordattentäter?

Und ein weiterer Umstand sticht ins Auge, dass nämlich Brünhild sich zu Hagen in den Festsaal als Dschihadistin mit Sprengsätzen um den Bauch begibt. Den Plan zum Selbstmordattentat reicht sie im entscheidenden Moment mit dem Sprengsatzgürtel an Ortlieb weiter, der den Sprengsatz umbindet, aber nur sich umbringt. Das Zünden des Sprengsatzes ist dann wohl im übertragenen Sinn der wütenden Mutter danach überlassen. Hier sind Etzels Liebesspielchen am Wirken. Neid auf Kriemhild, die Etzels Frau sein darf. Die ohnehin hassende Brünhild gießt somit auch Öl ins Feuer. Sie reicht dem kämpferischen Jungen, Abhängigen, voller Mitgefühl mit der leidenen Mutter, die ("liebes-)giftige" Möglichkeit, sich und andere zu töten.

Und hinter allem, allem die Gier nach dem Gold der Nibelungen und Reichtum. Siegfried hat den Schatz zuerst an sich genommen, Kriemhild ihn nach Worms gebracht, großzügig Gold verschenkt, dann Hagen, der ihn nach der Ermordung Siegfrieds bei Worms (Lochheim) im Rhein versenkt haben soll. Und das krönende Finale, das Treffen auf der Etzelburg, als Abrechnung und Rückholung des Schatzes von Kriemhild geplant, artet in eine Totalvernichtung aus.


Das Bankett im Festsaal mit den Knappen
Foto: Marion Bührle
Zum eigentlichen Gemetzel sollte der Leser die Geschichte noch einmal nachlesen, wer wen in welcher Reihenfolge tötete (am besten hier in Kurzfassung), auffällig und imposant ist der Festsaal fürs Bankett mit einem Meer von Totenköpfen auf dem Boden. Ein sehr eindrucksvolles Bild, das man lange erinnert, wie auch die Rivalinnen auf der Brücke im ersten Teil oder Etzel und Brünhild in Anziehung, Etzel und der Narr und viele, viele Szenen mehr. Der Nibelungenhort, der unermessliche Schatz wird bereits zu Beginn durch eine Tänzerin in goldfarbenem hautengem Dress dargestellt, lüstern greifen viele Hände nach ihm, ein Schwert will ihn in der Mitte auseinanderschlitzen. Als ob er die schönste Frau auf Erden sei. Doch nur Hagen könnte sagen, wo er ist, er verrät allerdings nichts. Kriemhild will ihn mit der Enthauptung Gunthers zum Sprechen bringen, aber vergeblich. Daraufhin köpft Kriemhild Hagen persönlich, bringt in zum ewigen Schweigen, niemand wird je erfahren, wo der Schatz ruht. Etzel ein Graus.

Etzel beginnt hier die Geschichte umzuschreiben, er lässt Kriemhild auf dem Papier sterben, in Stücke gehauen vom erbosten Hildebrand, der der dreisten Frau der Sage nach Einhalt geboten haben soll, derweil sie im Stück bei Etzel am Hof weiterlebt. Und weil der Narr es weitererzählen könnte, muss er auch sterben. Der fehlende Hildebrand irritiert wie der tote Dietrich von Bern, ihn hat die rachsüchtige Kriemhild auch getötet, wo er doch in der Sage der einzige überlebende Anführer neben Etzel gewesen sein soll, und so endet alles mit Etzel und seiner Frau als alleinige Überlebende in einem von Rauchschwaden umzogenen Ort des Grauens. Es deutet auf ein Weiterleben und einen Neuanfang hin. Um die Burg herum darf man sich 1000 tote Knappen, 7000 tote Burgunden und 1004 tote Hunnen vorstellen, um eine unvollständige geschätzte Aufstellung zu wagen.

Beeindruckender kann man kaum inszenieren, vielleicht mit hünenhaften Recken und Riesen statt Kindern, mehr Kampfszenen und Allerlei, aber so fand dieser spannende Abend ein ungewöhnliches Ende. Jahr für Jahr soll die Nibelungensage immer wieder neu zu interpretieren, zu spielen und zu erleben sein. Das ist 2015 ausgesprochen gut gelungen. Eine moderne, stimmige Inszenierung mit vielen Anregungen zum Weiterspinnen ... Worms erwacht während der Festspiele mit seiner Geschichte wie nach einem Schlaf von 1500 Jahren.


Wer 2016 vom 15. bis zum 31. Juli bei den Festspielen, insbesondere der Premiere, dabei sein will, sollte sich frühzeitig um Übernachtungs- und Kartenarrangements kümmern. Das Festspielteam hilft Ihnen dabei.