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Dichterhain, Bände 1 bis 4

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Dichterhain, Bände 5 bis 8

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Montag, 5. November 2018

Wie war's in der Premiere von OEDIPUS REX und IOLANTA?

Peter Marsh (Ödipus; auf dem Boden sitzend) und Ensemble
(c) Barbara Aumüller

In der Frankfurter Oper hatte am 28.10.2018 eine Kombination aus zwei Opern, einmal OEDIPUS REX von Strawinsky (UA 1927) und einmal IOLANTA von Tschaikowski (UA 1892) Premiere. Die Regisseurin Lydia Steier inszenierte und kombinierte äußerst geschickt die beiden Opern aus ganz verschiedenen Epochen thematisch und bearbeitete die brennende Moralfrage nach dem Inzest. So unterschiedlich die Opern erscheinen, zu Beginn die urgewaltige Diktatur-/Monarchiewelt der Thebener, darauffolgend die kitschige Fetischisierung einer Tochter, bis ein wirklicher Liebhaber auftritt. Beides perfekt und monumental in Bühnenbild umgewandelt von Barbara Ehnes. Eine sehr reiche Kostümwelt des Kostümbildners Alfred Mayerhofer transportiert ungeheuer viele Assoziationen. Am Ende ist klar, dass das fundamentale Erkennen der Wahrheit gleichzeitig auch ein Inkraftreten derselben in ganz divergenter Weise in Gang setzen kann. Sehr überzeugende Stimmen und Interpreten von Rang und Qualität mit eindringlicher Herrenchorunterstützung zur virtuosen Musikdarbietung des hauseigenen Opern- und Museumsorchesters unter der Leitung von Sebastian Weigle.


Tanja Ariane Baumgartner (Jokaste; im roten Kleid)
und Gary Griffiths (Kreon; darüber) sowie Ensemble
(c) Barbara Aumüller 
Gary Griffiths (Kreon; in der Bildmitte stehend) und
Peter Marsh (Ödipus; darüber) sowie Ensemble
(c) Barbara Aumüller  

Bei Ödipus (Peter Marsh, Tenor) bewirkt die brutale Wahrheit ähnlich dem Herunterreißen einer Maske ein schreckliches Gewahrwerden. Ein Tribunal der Stadtväter über den eben noch Herrscher und Gemahl gewesenen Sohn des Laios, der diesen, seinen leiblichen Vater, an einer Weggabelung erschlug, die Sphinx tötete und seine Mutter heiratete, ohne es zu wissen, ein Kind mit ihr zeugte, verstößt ihn für immer und ewig. Ganz dringende Assoziationen zur rassistischen und intellektuellen Verzerrung der Nazis, ihrem Gefangensein im Vatermord, der scheinbaren Zerschlagung der Vergangenheit, um als beutegeile Aufständische und Mörder in die Leben Millionen von Menschen einzufallen, beim Ausgestalten des Staates Theben mit Tribunalen und Aufmärschen im Zeichen der großen Lüge und Vertuschung. Jokaste, Ödipus Mutter und Frau (Tanja Ariane Baumgartner, Mezzosopran), richtet sich selbst durch Erhängen, als sie die Wahrheit erfährt. Hitler hat seinen Größenwahn ebenfalls nur durch Flucht aufrechterhalten können. Der Suizid jedoch als Heldentat, die Flucht vor der Hinrichtung, dem Feind. Ödipus sticht sich die Augen mit einer Haarnadel der Mutter aus, um für immer diese Wahrheit nicht mehr sehen zu müssen und gleichzeitig auch, um sich zu bestrafen, alles nicht erkannt zu haben. Aber wie sollte er es? Natürlich gab es die Prophezeiung des Teiresias, dass alles so passieren würde, aber Ödipus hat sie als Unfug von sich gewiesen.

In der Bildmitte sitzend Asmik Grigorian (Iolanta)
und Robert Pomakov (König René) sowie Ensemble
(c) Barbara Aumüller  


Asmik Grigorian (Iolanta)
(c) Barbara Aumüller 
AJ Glueckert (Graf Vaudémont; unten sitzend)
und Asmik Grigorian (Iolanta;
oben auf dem Bett liegend sowie in der Projektion)
(c) Barbara Aumüller 

Iolanta (Asmik Grigorian, Sopran) dagegen lebt wohl behütet in einer Traum- und kitschigen Scheinwelt, sie scheint blind zu sein, weil sie vieles nicht mehr sehen kann oder darf. So wird sie umsorgt im Schloss des Vaters König René (Robert Pomakov, Bass), für den sie alles ist. Dem Hofstaat - ebenfalls einheitlich typisiert - ist es verboten ihr zu sagen, dass sie blind ist, aber alle wissen, dass sie wohl nicht sehen kann. So könnte es auch nie stimmen, nie gesehen worden sein, dass ihr Vater sie nachts zum Beischlaf besucht. Das Zimmer ist ausstaffiert mit Puppenklonen von Iolanta, es sind 407 Stück in die Regale gesetzt, im Keller werden täglich in einer hauseigenen Manufaktur weitere hergestellt, eine Puppenproduktion des Immergleichen. Alle sollen so sein wie Iolanta, und Iolanta soll sein wie die Puppen. Ja, sie ist ebenfalls ein Trugbild, ein Klon, eine Wunschprojektion des Vaters. In natura sieht sie ganz anders aus, stellt sich heraus, aber das Schönheitsideal und Weltbild des Vaters fordert blonde Haare, rosa Kleidchen, Kitsch im Lolita-Rahmen usw. Das Ideal und sie, seine Tochter als Ziel der Verschiebung seiner Lust, sind das Objekt der Begierde in Verschmelzung, alles Begehren ist darauf ausgerichtet. Die Frau als Mädchen im rosa Kleidchen ist dem Vater tatsächlich auch ein Fetisch seiner Lust, alles Handeln des Königs wird durch diese libidinöse Pars pro toto-Besetzung  motiviert und gespeist. Erst als Graf Vaudémont (AJ Glueckert, Tenor) auftritt, durch Zufall nachts in ihr Zimmer gerät und sich heillos in sie verliebt, beginnt für Iolanta die Zeit wach zu werden, die Wahrheit zu erkennen. Er, der ihr seine Liebe erklärt, ihr die Augen öffnet für eine gesunde Partnerliebe, die beide erfasst, motiviert und begeistert, im Gegensatz zur erdrückenden und tabuisierten missbrauchenden Vaterliebe, ist der Bringer von Wahrheit. Iolanta erkennt, dass sie sich selbst unsehend, wegschauend gemacht hat, das klassische Dilemma einer missbrauchten Tochter, die nicht mehr weiß, wohin sie sich zurückziehen kann, die Liebe falsch interpretiert. Damit sie all die Maskerade mitmachen kann, hat ihr der begehrende Vater einen Psychotherapeuten, der Arzt Ibn-Hakia aus dem Orient (Andreas Bauer, Bass), zur Seite gestellt, der sehr wohl weiß, dass sie sehen kann und was mit ihr los ist. Dieses Figurensignal ist dann auch ein deutlicher Wink.


Asmik Grigorian (Iolanta)
(c) Barbara Aumüller 

Ein wirklich gelungenes Opernspektakel rund um eine uralte Tabufrage, die in anderen Kulturen teilweise nicht gestellt wird, meisterlich metaphorisiert und metonymisiert im zwei beeindruckenden Bühnenwerken. Bei Strawinsky die lateinische Sprache hereingeholt, als ob er sich Orff annähern und Abstand anzeigen wollte und die Antike betonen. Video- und Bildprojektionen, die Stimme aus dem Jenseits. Bei Tschaikowski die Bedeutung der aufblühenden Psychoanalyse in ein ungewöhnliches Bühnentreiben gebettet.

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