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Dichterhain, Bände 1 bis 4

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Dienstag, 15. Mai 2012

Mein Notquartier in einem Hotel für Haus- und Kleintiere in der Bretagne (von Karin Michaeli)


Auf meiner Reise durch die Bretagne gelange ich eines schönen Abends nach Roscoff, einer kleinen Hafenstadt von der sich das Meer soeben zurückgezogen hat, um nach 6 Stunden Ebbe umso gewaltiger wieder zurückzufluten.

Ich bin auf der Suche nach einer Unterkunft und werde, wie seinerzeit das himmlische Paar, überall abgewiesen mit abschätzigen Blicken. Nun, ich entspreche vielleicht nicht den landläufigen Vorstellungen von einem zahlungskräftigen Touristen.

Meine Schuhe sind ziemlich verdreckt, der fleckige Rucksack sah ebenso wie der zerknautschte Anorak schon mal bessere Zeiten und das mir wirr vom Kopf stehende Lockenhaar kann den ersten Eindruck auch nicht verbessern.

Traurig schlendere ich durch den Ort und gelange plötzlich an ein Haus mit einem Schild „Hotel für Haus- und Kleinsttiere“. Hier klingele ich in der Hoffnung, wenigstens einen Platz in einer Hundehütte zu bekommen für die Nacht. Ein Schäferhund mit Pförtneruniform und der entsprechenden Kappe dazu auf dem Kopf öffnet mir die Tür. „Menschen nehmen wir hier nicht auf“ sagt er in einem bellenden Ton. Ich schaue ihn an, traurig wie ein Dackel und das scheint sein Herz zu erweichen. „Na, kommen Sie mal rein und trinken Sie wenigstens mal einen Grog – Sie sind ja völlig durchnässt“, brummt er vor sich hin.

Ich folge ihm in die Hotelhalle und hier liegen lasziv dahin geräkelt mehrere Katzen in aufregend erotischer Unterwäsche mit Strapsen und Stöckelschuhen. Sie deuten mir an, zwischen ihnen Platz zu nehmen und fangen auch sogleich an, mir die Finger zu lecken. Es ist mir unangenehm und sanft setze ich sie zur Seite.

Ein Graupapagei schreit mich an: „Katzenfeind, Katzenfeind !“ Ich rechtfertige mich, sage dem Papagei, das durch leckende Katzen Würmer übertragen werden und der Papagei meint, ich sei wohl schwer am spinnen. So etwas habe er noch nie gehört und außerdem sei das hier ein Hotel, in dem auch Kleinsttiere willkommen sind.

Es dauert nicht lange und ein Kaninchen steht vor mir in Dieneruniform und deutet mir, ihm zu folgen. Mit dem Lift fahren wir in den dritten Stock und hier bekomme ich mein Zimmer zugewiesen. Irgendwie geht es hoch her in den Zimmern um mich herum. Quaken, Stöhnen, Brummen, Fiepen und Piepsen sind nur einige der Klänge in dem Orchester, das sich meinen Ohren kundtut.

Mitten in der Nacht werde ich geweckt von einer nachtaktiven Tanzmaus im Tüttü, die unbedingt mit mir nach Maurice Ravels Bolero tanzen möchte. Um meine Ruhe zu haben, tue ich ihr den Gefallen. Als ich erschöpft auf mein Bett falle, bitten mich zwei nachtaktive Goldhamster, mit ihnen Skat zu spielen – brauchen noch einen dritten Mann. Auch hier kann ich nicht nein sagen.

Als ich endlich morgens gegen fünf Uhr in meinen wohlverdienten Schlaf fallen möchte, werde ich geweckt vom Zwitschern der soeben erwachenden Nymphen- und Wellensittiche, die sich lautstark darüber zanken, ob man sich mit einem Graupapagei anfreunden sollte oder nicht. Sie trauen dem Coco wohl nicht so ganz, weil er ihnen immer die Traubenbeeren wegschnappt.
Gegen sechs Uhr kommt ein Putztrupp voller fleißiger Bienen in Arbeitskleidung an mit kleinen Eimerchen und Besen und begibt sich an die Zimmerreinigung. Es ist wie im menschlichen Leben: die Kleinsten müssen am meisten schuften.

Völlig übernächtigt nehme ich im Frühstückssaal Platz und ein großer Bernhardiner führt mich zu meinem Frühstückstisch, den ich mit zwei Rauhhaardackeln und einem afghanischen Windhund teilen darf. Während die Bellos ihr Schappi schlabbern, esse ich mein Baguette mit Camenbert, welches der Bernhardiner eigens für mich auf dem Markt besorgt hat. Sogar eine große Tasse Kaffee wird mir gebracht aus dem kleinen Café von nebenan.

Geld möchte der Portier, der Schäferhund, nicht annehmen. Es sei ihnen eine Ehre gewesen, mich zu Gast zu haben in diesem Hotel. Mit meinem zerzausten Haar hätten mich alle erst für ein verirrtes Schaf gehalten und man sei sich mitleidig einig geworden, mich als Gast zu beherbergen. Schafe seien nun mal blöd und da könne man nicht erwarten, das da auch noch Geld zu holen sei.

Erstaunt trete ich meinen Weg in den Hafen von Roscoff an, nicht ohne noch mehrmals hinter mich zu schauen, ob mir jemand folgt. Als ich endlich auf meinem Fährschiff sitze, kneife ich mich fest in den Arm und spüre: Ich bin noch da. Ich bin es wirklich und habe übernachtet in einem Hotel für Haus- und Kleinsttiere.

(c) Karin Michaeli, Düsseldorf 

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