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Montag, 30. Januar 2012

Mythos der Vergebung bei Opfern sexueller Gewalt



Mythos der Vergebung



Norbert Denef
netzwerkB – Positionspapier
Stand: 24. Januar 2012 (als PDF herunter laden)
Mythos der Vergebung
Immer wieder taucht im Zusammenhang mit der Aufarbeitung und Heilung von traumatischen Kindheitserlebnissen das Stichwort „dem Täter vergeben“ auf.
Es ist Zeit, mit verschiedenen Mythen aufzuräumen, die sich darum ranken.
Mythos 1
Vergebung/Verzeihung/Versöhnung gegenüber dem/der Täter_in bewirke eine Heilung bei erwachsenen Betroffenen von Gewalt in der Kindheit.
Viele Psychotherapierichtungen und leider auch einige Traumatherapierichtungen sehen es als krönenden Abschluss einer gelungenen Therapie an, wenn der/die Betroffene dem/der Täter_in vergibt. Oft wird auch von „Frieden schließen“ gesprochen. Doch was bedeutet diese Vergebung für die Betroffenen?
Aus Sicht des misshandelten Kindes im Erwachsenen bedeutet es, dass das Kind, das gerade zu reden begonnen hat wieder schweigen soll. Das ist besonders bei innerfamiliärer Gewalt verheerend, da nach Vergebung oft wieder, bzw. weiterhin Täterkontakt stattfindet, der erneut traumatisiert.
Aus Sicht der erwachsenen Betroffenen kann eine Vergebung zunächst eine gewisse Erleichterung verschaffen. Weil er/sie sich gegenüber dem/der Täter_in und leider auch gegenüber der Mehrheit der Gesellschaft nicht mehr schuldig dafür fühlen muss, dass er/sie nicht verzeihen “kann“. Die „Fähigkeit“ des Verzeihens wird als Tugend dargestellt. Und vielleicht ist es genau das Gegenteil: mangelnder Mut bzw. Fähigkeit, dem Druck des/der Täter_in und des Umfelds zu widerstehen. Einer tiefgreifenden Heilung aber steht die Vergebung im Wege, denn sie bedeutet eine Wiederholung des Traumas, weil durch die Vergebung genau die Machtverhältnisse wiederhergestellt werden, die während der Tat gegeben waren: ein/e Täter_in, der/die nicht belangt wird und kein schlechtes Gewissen haben muss und ein ohnmächtiges, schweigendes Opfer.
Diese Retraumatisierung wird dann noch verstärkt, wenn der/die Täter_in uneinsichtig ist und keine Reue zeigt. Das Opfer, das einem/r solchen Täter_in vergibt, erleidet enormen Schaden. Es muss alle Schuld auf sich nehmen. Und da die meisten Kindesmisshandler_innen uneinsichtig sind und schon gar keine Reue zeigen, ist es unverantwortlich, das „Heilmittel“ der Vergebung Opfern von Gewalt in der Kindheit zu empfehlen.
Mythos 2
Vergebung/Verzeihung/Versöhnung mache unsere Welt besser.
Hintergrund des Vergebungsmythos sind religiöse Traditionen (nicht nur des Christentums), die Masochismus idealisieren. Haltungen wie „die Welt ist ein Jammertal“, „Schlägt dir jemand auf die eine Wange, so halte ihm auch die andere hin“ oder die Verehrung von masochistischen Märtyrern haben sich trotz der Aufklärung in unsere Zeit hinübergerettet.
Der Mythos der Vergebung findet sich auch in allen spirituell/esoterischen Weltanschauungen, ist sogar ein wesentlicher Bestandteil derselben, weil durch Vergeben – vor allem den gewalttätigen Eltern -  die alte Weltordnung und die bestehenden Machtverhältnisse wiederhergestellt, bzw. aufrecht erhalten werden. So bleiben die Gläubigen und Jünger bei der Stange.
Derartige religiöse/spirituelle/esoterische Weltanschauungen sind zu einer Zeit entstanden, als das Individuum noch nicht die Chance hatte, ein eigenständiges, selbstgestaltetes und  unabhängiges Leben zu führen.
Das hat sich zwar grundlegend geändert, doch es gibt natürlich auch in der heutigen Zeit noch Menschen, die ein Interesse daran haben, dass andere Menschen durch Vergebung Opfer bleiben. Es ist nützlich für machtgierige Politiker_innen, wenn Menschen ihr Leben lang Opfer bleiben. Opfer lassen sich ausbeuten und begehren nicht auf. So nützt die Religion der Politik und umgekehrt.
Mit anderen Worten:
  • Vergebung unterstützt unterdrückende, ausbeuterische Machtverhältnisse
  • Vergebung nützt nur den Kindesmisshandler_innen und schadet den Opfern
Das ist keine Verbesserung für die Welt. Im Gegenteil.
Mythos 3
Vergebung vermindere Wut, Hass und Rache.
Das kindliche Gewaltopfer, das zur Vergebung und damit zum Schweigen gezwungen wird, kann die zur Misshandlung gehörigen Gefühle wie Wut, Hass und Rache nicht verarbeiten, es spaltet sie ab. Vergebung ist hier also gleichbedeutend mit Verdrängung.
Das Opfer speichert sie so lange in sich, bis er/sie dann als Erwachsene/r die Möglichkeit hat, Kindern Gewalt zuzufügen und sich somit an ihnen für die Gewalt seiner/ihrer Täter_innen zu rächen.
Folglich werden Wut, Hass und Rache durch Vergebung nicht vermindert, sondern nur auf die nächste Generation verschoben. So wird durch Vergebung die Gewalt und die Traumatisierungen in jeder Generation neu produziert.
Bestes Beispiel hierfür sind die pädokriminellen Priester, die schon aufgrund ihres Berufs allen vergeben mussten, die ihnen jemals Leid zugefügt haben. Sie haben ihren Täter_innen vergeben und rächen sich dafür an ihnen anvertrauten Kindern.
Natürlich findet die Weitergabe der Gewalt von Generation zu Generation vor allen Dingen in der Familie statt. Dort wird sie durch ein dichtes Netz von Vertuschung, hierarchischen Strukturen, Empathielosigkeit gegenüber Kindern und natürlich mit Hilfe religiöser Mythen wie dem der Vergebung ermöglicht.
Vergebung vermehrt also Wut, Hass und Rache.
Auch das ist keine Verbesserung der Welt. Genauso wenig wie die Neuproduktion von Traumaopfern in jeder Generation.

Mehr siehe Link und PDF oben

4 Kommentare:

  1. Du hast recht, manche Dinge kann man einfach nicht vergeben (noch nicht mal der eigenen Mutter) und das sage ich, obwohl ich noch nicht mal Opfer körperlicher Gewalt geworden bin!

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  2. Als ebenfalls - Gott sei Dank - Nichbetroffener wüßte ich gar nicht, auf was ich mir hier berufen sollte, um mich zu äußern, ich fühle mich in keinsterweise berechtigt, hier eine Meinung zu haben. Man kann nur betroffen zuhören, wie kompliziert und wohl auch unendlich tief diese ganzen schlimmen Dingen bei den Opfern angelegt sind ... man ist als Zuhörer betroffen, steht jedoch ansonsten recht hilflos da .. man will was tun, man hört zu, weiß aber auch nicht wohin mit den Gefühlen ... zumindest geht es mir so.

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  3. Ja, es ist unendlich schwer, hier einen Rat oder Verhaltensempfehlungen für Betroffene zu geben, denn das Vergangene wird von jedem anders erlebt und verarbeitet. Während der eine vergeben will, um Ruhe zu bekommen, will der andere nur Rache, dazwischen wohl vergessen wollen und es nicht können, Ohnmacht und Scham.

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  4. Ich komme aus einer sehr gewaltfreudigen Familie.
    Ich bin 30 Jahre alt und lebe seit meinem 18 Lebensjahr nicht mehr bei meinen Eltern.
    Seit ich denken kann, haben mich meine Eltern geschlagen, bedroht, erniedrigt, beschimpft, in allen möglichen Situationen lächerlich gemacht, sexuell bedrängt.
    Und das wirklich abartige daran, Verwandte und Nachbarn wußten bescheid. Niemand half.

    12 Jahre trage ich den Schmerz, die Wut, den Hass und die Hilflosigkeit gegenüber meinen Eltern mit mir rum.
    Und ich habe das Gefühl es bis zu meinem Lebensende tun zu müssen.

    Jeder der meint Vergebung sei die einzige Möglichkeit um diesen inneren Schmerz heilen zu können, irrt gewaltig!

    Vergebung ist nichts anderes, als das dafür gesorgt wird solche Menschen wie mich mundtot zu machen.

    Ich werde dadurch gezwungen, diesen Menschen Liebe und Respekt entgegenzubringen.
    Es gibt so viele Leute, die glauben durch den Ratschlag du musst vergeben, etwas Gutes zu tun. Besonders jene die glauben besonders christlich oder spirituell zu sein.

    Aber gerade diese Leute haben nichts verstanden.

    Und wenn man auf der Suche nach Heilung ist, trifft man nur allzuoft auf diese Ratschläge.
    Es wird viel von Jesus gesprochen, Bibelzitate und die Drohung man würde krank werden wenn man nicht vergibt. Oder sogar man habe sich selbst (die Seele) diese Lektion ausgesucht, und man solle jetzt die Verantwortung dafür übernehmen und vergeben.
    Und sogar noch schlimmer, man würde, wenn man nicht vergibt, dieses Leben noch einmal wiederholen müssen. Um diese Lektion zu lernen.

    Es ist traurig, wie einem Menschen die Macht für das eigene Leben durch Eltern usw. genommen wird und im Anschluß noch einmal einen Tritt bekommt.

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